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Turkestan

48. Die blauen Wunder von Samarkand.

Samarkand.

 

Hoch oben stehe ich auf der Plattform der Moschee Cheser, draußen vor der Stadt, neben dem sartischen Friedhof und lasse meine Augen sich satt trinken an dem Bild, das sich ihnen bietet. Unter mir, zwischen Gärten und Alleen alter Bäume, liegt Samarkand.

Wo hochbeladene Kamele schwankenden Schrittes zum Markt in die Stadt einziehen und Scharen von Reitern in ihren buntleuchtenden Chalaten traben, hebt sich der kühne Bogen der Medresse Bibi Chanums, der Gattin Tamerlans. Es fehlt einem hier zwischen höchstens stockwerkhohen Häusern der Vergleichsmaßstab; allein wenn man vor dem Bogen steht, möchte man meinen, daß niemals vorher Menschenhände solch kühne Wölbung schufen. Durch das hochgewölbte Tor geht man über einen schattigen Hof zu einem zweiten gleich hohen Bogen, der in die eigentliche Moschee führt, und beide Torbogen und der ganze himmelhohe Bau sind, oder waren wenigstens, von oben bis unten bekleidet mit blauen Majoliken. So groß auch die Zerstörung, so ist doch noch genug erhalten, um nicht nur den in Gedanken rekonstruierenden Archäologen zu entzücken, sondern auch den naiven, wissenschaftlich nicht vorgebildeten Beschauer, der lediglich das, was erhalten blieb, auf sich wirken läßt. Es ist schwer, die Muster zu beschreiben, die die hohen Lehmmauern bekleiden. Ich glaube, man muß sich wochenlang in sie versenken, um die Bilder und Vergleiche zu finden, die einen, wenn auch nur schwachen Eindruck des Geschauten übermitteln.

Ein blaues Wunder! Sparsam sind auch andere Farben angewandt: Gelb, Grün und Orange, doch nur so weit, um das Leuchten der blauen Kacheln noch stärker hervorzuheben. Zwei Arten von Blau wechseln miteinander ab: ein sattes, tiefdunkles, an Violett streifendes und ein helleuchtendes, lichtes.

Über der Moschee wölbte sich einst eine Kuppel, von der noch Reste vorhanden sind. Diese Kuppel war ganz mit lichten Kacheln verkleidet, und selbst die geringen noch erhaltenen Reste sind von solch intensiv-strahlendem Blau, daß neben ihm der südliche turkestanische Himmel trüb und grau erscheint.

Um 5 Uhr früh kam ich heute an. Jetzt ist es Mittag, doch ich fühle noch keine Müdigkeit. Ich möchte das Stadtbild ganz in mich aufnehmen, ganz in mich eingraben. Eine Allee hoher alter Bäume führt vom Bahnhof durch die neue Stadt, die ganz im Grün verschwindet, nach dem alten Samarkand. Ohne Führer wandere ich drauflos, mich ganz dem Zufall überlassend und jedem lauschigen Winkel nachgehend.

Wie ein Wahrzeichen erheben sich mitten in der Stadt auf dem Rigistan die von Tamerlans Nachfolgern gegründeten Medressen. Drei große, in Farben blühende Bauten sind es, die einen rechteckigen Platz einfassen. Alle drei von oben bis unten mit blauen Kacheln umkleidet. Jede der drei Hochschulen hat ihren besonderen Reiz. Die erste, von Tamerlans Enkel Ulug Beg erbaut, zwei blauschimmernde hohe Minarette, von denen aber das eine bereits schiefer steht als der schiefe Turm von Pisa und von zahlreichen Seilen gehalten werden muß. Die zweite, Tilah-Kari genannte Medresse hat einen prachtvoll verkleideten dicken runden Turm und die dritte, die Schir-Dar-Medresse, einige gewellte Kuppeln, an der jede einzelne Welle mit Fayencen bekleidet ist. Innen sind stille Höfe mit hohen Wölbungen, auf die die Zellen der Theologiestudenten münden.

An den dreifachen Bau schließt sich der Basar. Auf der offenen Seite des Platzes sind die Buden der Kupferschmiede. An der rückwärtigen Längswand der Schir-Dar-Medresse hocken die Eis- und Süßigkeitenhändler. Das Gefrorene wird hier allerdings denkbar einfach hergestellt. Über etwas kleingestoßenes Roheis wird Sirup gegossen, und das Eis ist fertig. Weiterhin ist der Schuhbasar, der Lederbasar, der Seidenbasar. Morgen ist großer Markt, und in langen Reihen kommen die Kamelkarawanen mit Waren eingezogen. Wie der Tag vorrückt, wird das Gewimmel immer dichter, so daß man zwischen den buntschimmernden Chalaten kaum hindurchfindet.

So bin ich schlendernd und schauend bis zu meiner Aussichtswarte vor der Stadt gelangt. Wie ich mich hier satt gesehen habe und umkehren will, entdecke ich weiterhin, zwischen den Bäumen, noch eine Reihe von Kuppeln, die mich locken. Über einige Sandhügel klettere ich, springe eine Mauer hinab und stehe nun vor einer hohen Treppe, die zu einem schmalen Tore führt. Ich habe heute schon so viel Schönes gesehen, daß die Empfänglichkeit für neue Eindrücke bereits geschwächt ist. Doch sobald ich das Tor durchschritten, bleibe ich überrascht stehen. Ich befinde mich in einer engen Gasse, die beiderseits kleine Kuppelbauten, Grabgewölbe von irgendwelchen Heiligen einfassen. Alle diese Bauten sind blau verkleidet, und bei einigen sind die Kacheln noch fast lückenlos erhalten. Der Eindruck ist so stark, daß ich mich auf eine Steinbank setze und ganz ins Schauen der blauen Wunder versinke.

Es ist still und einsam. Nur ab und zu schreitet langsam, die Schuhe in der Hand, ein weißbärtiger Sarte durch das Tor und geht die Gasse hinunter. Oder ein paar verschleierte Frauen in grünseidenen Überwürfen.

Ich sitze in der Gräberstraße des Schah Sindeh, des »lebendigen Königs«. Die Stätte ist trächtig von Erinnerung und Legende, und heiß und lebendig von dem Wünschen und Glauben, das hier bedrängten und hoffenden Herzen entströmt. Nach der im Volke noch lebenden Überlieferung soll Kasim, der Vetter des Propheten, hierher geflüchtet sein, als sein Heer im Glaubenskampf vernichtet war. Noch heute soll er, ein islamischer Barbarossa, lebend im Innern des Berges verweilen. Inmitten der uralten Gräber sitze ich. In meinem Rücken hebt sich die hohe Kuppel des Mausoleums von Tamerlans Amme Oldscha Ain, vor mir blendet der blaue Glanz des Grabes der Tschodschuk Bika, Tamerlans älterer Schwester, und am Ende des schmalen Wegs wuchtet das Gewölbe der Moschee mit dem Grabmal des »lebendigen Königs«.

Nach einer Weile schreite auch ich die blaue Gräberstraße hinan und komme zu einem zweiten Tor, unter dem eine Gruppe Moslem sitzt. Ich grüße und gehe weiter, in die eigentliche Moschee. Durch stille, kühle Räume, bis ich in einem kleinen hohen Gemach stehe. Durch die engen Schlitze in dem Türmchen über der Kuppel fällt dämmriges Licht. Nur einer läßt einen hellen Sonnenstreifen durch, der die blauen Kacheln der Wandbekleidung zu solch intensivem Leuchten bringt, als strahlten sie eigenes Licht aus.

Ich bin ganz allein und lasse mich auf den dicken roten Teppich nieder. Lange Roßschweife hängen von den Standarten, die wie kleine Galgen aussehen. Sie umrahmen in der Mitte der gegenüberliegenden Wand ein enges Holzgitter. Es läßt sich nicht erkennen, was es verbirgt. Es mag ein Heiligtum, ein Grabmal oder eine Rumpelkammer sein. Allein im Grunde ist dies einerlei, denn von allen Wänden strömt Ruhe und stilles Sich-in-Gott-Versenken.


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