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15. Die schwarze Stadt.

Baku.

 

Eigentlich ist es nur die Bezeichnung für einen Teil der Stadt, in dem sich nördlich des Hafens die Petroleumfabriken aneinanderdrängen. Allein, man könnte sie gleich gut auf das ganze rußige Baku ausdehnen, vor allem aber auf jene merkwürdige Turmstadt mehrere Kilometer von Baku, in der die Bohrtürme wie Scharen plötzlich erstarrter Riesen in endlosen Reihen nebeneinander aufmarschiert sind. Von welcher Seite man sich auch der Naphthastadt nähern mag, stets hat man den verblüffenden Anblick jenes unheimlichen Waldes von Bohrtürmen. So dicht stehen sie, daß dazwischen kaum Platz zu bleiben scheint, den Fuß zu setzen.

Baku ist sein Naphtha. Die Naphthaindustrie ist der Lebensnerv der Stadt, sie gibt ihr das eigenartige Gepräge. Selbstverständlich, daß ich unter diesen Umständen nach Balachany und Surachany hinauszukommen suchte, nach dem Naphthadistrikt auf der Halbinsel Apscheron, in dem die Bohrtürme am dichtesten stehen.

So ging ich bald nach meiner Ankunft zu Zerebrowski, dem Sowjetbeamten, dem alle Naphthagruben unterstehen. Zerebrowski ist der Sohn eines Naphthaarbeiters, der in den Werken Nobels arbeitete, dem seinerzeit die größten Naphthawerke gehörten. Nobel ließ den begabten Jungen studieren. Zerebrowski wurde Ingenieur auf dem gleichen Werk, auf dem sein Vater am Bohrturm stand, und nach der Nationalisierung der Gruben durch die Bolschewiki wurde er Leiter der gesamten Naphthaindustrie.

Zerebrowski war erst ein wenig zurückhaltend. Sobald er jedoch erfuhr, daß ich Deutscher sei, war er wie umgewandelt; er erklärte, das hätte ich doch gleich sagen sollen, das sei ganz etwas anderes, und einem Deutschen würde er gerne alles zeigen.

Am folgenden Tag holte er mich pünktlich zur festgesetzten Stunde ab. In einem prachtvollen neuen Auto rasten wir durch die schwarze Stadt der Petroleumfabriken; die meisten von ihnen waren außer Betrieb. Nur aus wenigen Schornsteinen stieg schwarzer Rauch. Leider war es Donnerstag nachmittag, der Feiertagvorabend – in Aserbeidschan als einem mohammedanischen Staat ist der Freitag der offizielle Feiertag. So konnte ich nicht erkennen, welche Fabriken wegen des Feiertagvorabends und welche wegen Produktionseinschränkung stillagen. Aber zahlreiche trugen deutliche Zeichen des Verfalls, so daß kein Zweifel war: nur ein Bruchteil der Werke arbeitete.

Je näher wir Balachany kamen, desto unheimlicher wuchs uns der Wald der Bohrtürme entgegen. Zwischen Verwaltungsgebäuden ging es hindurch, eine Senkung hinunter. Der Wagen donnerte über eine Brücke, und dann sind wir mitten drin.

Rechts, links, vorne, hinten, von allen Seiten stechen spitz die Naphthatürme aus dem Boden, als sei eine Saat von Drachenzähnen aufgegangen. Es gab alte und junge Türme, solche, deren Bretterkleid in Fetzen herunterhing, und solche, bei denen es in neuem Glanz schimmerte. Allein der neuen waren nur wenige und viele gab es, denen man deutlich ansah, daß sie nicht nur des Feiertagvorabends wegen feierten, daß sie tot waren, daß in ihnen der sprudelnde Lebensstrom längst versiegt war.

Hier und da klang aus einzelnen Türmen dumpfer Schlag. Wir stiegen aus und gingen hinein. Alte Bohrer arbeiteten da nach der Schlagmethode, bei denen ein mächtiger Balancier auf- und niederging wie bei einer Dampfmaschine aus Watts Zeit. Wir waren auch in modernen Türmen, wo tief in die Erde eine endlose Reihe von Bohrgestängen nacheinander hinuntergelassen und verschraubt wurden. Trübe rann das Naphtha glucksend durch Rinnen, gurgelte in Rohrleitungen.

Wir fahren wieder, endlos, auf und ab. Türme auf der Höhe, Türme im Tal, Türme an Teichen, Türme so nah nebeneinandergebaut, daß einer dem andern den Platz nicht zu gönnen scheint. Und an andern Stellen wieder spärlich vorpostengleich über das Land gestreut, um erst die Güte des Bodens zu erkunden.

Es war ein übermächtiger Eindruck. Allein das Gefühl fehlte doch, an einer Stätte fieberhaft pulsierender Arbeit zu weilen. Ich möchte hier keine statistischen Zahlen wiedergeben, für deren Zuverlässigkeit ich mich nicht verbürgen kann, und möchte mich darauf beschränken, meinen rein persönlichen Eindruck wiederzugeben, der natürlich nur ein sehr allgemeiner sein kann.

Krieg, Revolution, der häufige Regierungswechsel und die anfänglichen Fehlgriffe der kommunistischen Wirtschaftsweise mußten bei einer für Störungen so empfindlichen Industrie, wie es die Naphthaproduktion ist, zu uneinbringlichen Rückschlägen führen. Eine große Anzahl der Brunnen ist infolge Stillstandes versiegt, und wenn die Bakuer Werke heute vielleicht auch den dringendsten Bedarf Rußlands decken und die Produktion in langsamem Ansteigen begriffen ist, so erfordert die volle Inbetriebnahme doch intensivere Arbeitsmethoden und gewaltige Kapitalien, größere Kapitalien jedenfalls, als der Sowjetregierung zur Verfügung stehen. Man möchte deshalb die Naphthagruben gern im Konzessionsweg an eine ausländische Kapitalistengruppe vergeben. Man verhandelte mit der amerikanischen Standard-Oil-Kompanie, und Vertreter dieses Konzerns besuchten Baku. Bisher kam es jedoch noch zu keinem Abschluß.

Unweit Balachany ist der alte Tempel der Parsen. Noch vor vierzig Jahren brannten hier die ewigen Feuer, die von den aus dem Boden strömenden Naphthaquellen gespeist wurden. Vor diesen Flammen, dem Symbol des Lichtgottes, saßen die letzten Feueranbeter, bis die Intoleranz der mohammedanischen Tataren sie vertrieb.

Heute steht der Tempel verlassen und langsam verfallend neben den Bohrtürmen: zwei Symbole zweier grundverschiedener Welten. Eine Zeitlang war wohl die gesamte Naphthaindustrie Bakus in Gefahr, von dem gleichen Schicksal ereilt zu werden, denn eine einmal versiegte Grube läßt sich kaum oder nur unter größtem Kapitalaufwand retten. Aber wenn heute die Schwarze Stadt auch nur ein Bruchteil von dem ist, was sie einst bedeutete, so ist doch wenigstens die Gefahr gebannt, daß Rußland dieser wichtigen Quelle seines nationalen Reichtums verlustig geht.


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