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25. Begegnung mit der Schlange.

Sertscham.

 

Als wir die erste Station am Sendschanéfluß machten, ging ich gleich nach der Ankunft hinunter an den Fluß zum Baden. Die Station lag auf der Höhe, und der Weg war weit. Die Luft brannte, als seien Himmel und Erde die Pole eines elektrischen Flammbogens, den es zu durchschreiten hieß. Dann galt es noch eine Steilböschung hinabzuklettern und zwischen Schilf und durch Tümpel fauligen Wassers zum eigentlichen Strom zu waten. Dort war die Strömung so reißend, daß sie einen wie einen Balken über das flache, steinige Flußbett kollern ließ.

Einigermaßen zerschunden, aber doch herrlich erfrischt kam ich zurück. Meine Reisegenossen saßen rauchend und Tee trinkend um den Samowar. Der Kaufmann aus Baghdad, der zu seinen Eltern nach Täbris zurückkehrte, sah mich groß an und fragte:

»Haben Sie keine Schlangen gesehen?«

»Schlangen? Nein!«

»So? Das wundert mich. Die Gegend im Fluß ist voll davon, am Ufer sowohl wie im Wasser.«

»Giftige?« frage ich.

»Ja, der Wirt erzählt gerade, daß gestern ein Bauer von einer Schlange gebissen wurde und starb.«

Sonderbare Leute, diese Perser, muß ich denken. Als ich sagte, daß ich im Fluß baden wolle, hat er nichts von den Schlangen erwähnt. Aber vielleicht hätte ich mich dadurch nicht abhalten lassen, wie ich auch trotzdem am folgenden Tag wieder an den Fluß hinuntergehe, nur daß ich mich vorher sorgfältig umsehe. Allein ich bemerke wieder keine Schlangen, nur Hunderte von Fröschen und eine dicke, sich sonnende Schildkröte. Vielleicht sind die Reptilien fortgezogen, denke ich.

Allein dann sollte ich der Schlange doch begegnen: rascher und anders als ich mir vorgestellt.

In Sertscham badete ich nicht allein, sondern mit mir tummelten sich ein paar nackte braune Perserjungen im Wasser. Einer von ihnen, ein Knabe von vielleicht zehn Jahren, hatte ein reizendes junges Hündchen mit. Ängstlich folgte die alte Hündin den beiden überall nach. Als ich mich angezogen hatte und ins Dorf zurückging, sah ich gerade noch, wie die Hündin an einem Flußarm stand, durch den der Knabe mit ihrem Jungen gewatet. Das Wasser war ziemlich reißend, und der Hund hatte sichtlich Furcht, aber dann erwies sich die Mutterliebe doch als stärker, und er schwamm tapfer durch die Strömung.

Im Teehaus war es schon ziemlich voll. Außer unserer Reisegesellschaft saßen einige Eseltreiber darin und ein Sejjid, ein Nachkomme des Propheten, in schwarzem Turban. Gleich hinter mir trat noch ein Gast ein. Es war seinem zerlumpten Äußern nach ein Bettler, aber kaum war er eingetreten, so holte er aus einem Sack, den er auf dem Rücken trug, einen großen Lederbeutel. Der Beutel bewegte sich, und als der Mann ihn öffnete, züngelte eine dicke Schlange daraus hervor. Sofort fuhren alle Anwesenden mit den Beinen auf die Lehmbank hinauf und begannen sich gegen den Hintergrund des Raumes zu konzentrieren.

Der Zerlumpte aber griff die Schlange geschickt am Schwanzende und begann, sich mit ihr zu produzieren. Was er zeigte, war ziemlich harmlos, zumal das Reptil sicher nicht giftig oder zum mindesten der Giftzähne beraubt war. So blieb ich gelangweilt sitzen und ließ meine Füße ruhig, wo sie waren, trotzdem die Schlange mir mehrmals nahekam.

Meine Sorglosigkeit machte den Schlangenbändiger ärgerlich; denn plötzlich griff er mit einem unglaublich raschen Griff das Tier am Kopf, kniete vor mir nieder und drückte der Schlange den Rachen auf. – Weiß Gott, da saßen spitz und gebogen beide Giftzähne! Nun fuhr ich mit den Beinen in die Höhe; ich hatte gar keine Lust, mich beißen zu lassen.

Der Bändiger war befriedigt und begann einzusammeln; d. h. eigentlich war es nur eine bessere Art Erpressung. Denn die Rechte streckte er verlangend nach der Gabe aus, in der Linken aber hielt er die Schlange. Wenn einer zögerte, so kam ihm die Hand mit der Schlange bedrohlich nahe, so daß er schleunigst seinen Tribut entrichtete. Sogar der Wirt – ich hatte bisher noch nie gesehen, daß der Wirt eines Tschaichanä irgendeinem Bettler oder Gaukler je etwas gegeben, griff in die Kupferschale und gab eine Handvoll Zucker.

Als der Zerlumpte mit Einsammeln fertig war, wollte er wohl noch eine Extravorstellung geben. Plötzlich ließ er mitten im Raum die Schlange auf den Boden gleiten, die sofort mit unglaublich raschen Bewegungen wegzugleiten begann. Aber der Bändiger lenkte ihre Bewegungen, so daß sie sich im Kreise drehte. Als sie trotzdem forthuschen wollte, warf er ihr rasch seinen Kalpak über den Kopf. Die Schlange hielt sofort still. Unheimlich sah der geringelte Leib unter dem Pelz der Mütze hervor.

In diesem Augenblick stürzte kläffend das junge Hündchen in das Zimmer, geradeswegs auf den Kalpak mit der Schlange zu, hinter ihm her der Knabe.

Das Folgende spielte sich so rasch hintereinander ab, daß ich es mir in der Erinnerung kaum mehr rekonstruieren kann. Ich weiß nur, daß die Schlange unter der Mütze hervorschoß, daß ich aufsprang und den Knaben zu mir auf die Lehmbank riß. Als ich aufschaute, hatte der Bändiger das Reptil bereits gegriffen und wieder in den Sack gesteckt.

Wir alle umstanden den heulenden Knaben und suchten fieberhaft nach der Bißstelle, aber nichts fand sich. Er heulte nur vor Schreck und begann sich langsam zu beruhigen. Dagegen hörte man jetzt das Wimmern des Hündchens, das mit schleppendem Hinterleib sich in eine Ecke verkroch.

Der Zerlumpte griff es und wollte triumphierend die Bißstelle zeigen, aber da drängte ihn die allgemeine Empörung rasch zum Zimmer hinaus.

Ich nehme den Hund, öffne die Wunde und unterbinde das gebissene Glied. Aber es war zu spät, das Gift begann bereits zu wirken. Der kleine Leib schwoll auf, und weinend ging der Junge hinaus, den sterbenden Hund in den Armen.

Aber er tröstete sich rasch. Als ich mit sinkender Sonne einen Abendspaziergang vor das Dorf machte, sah ich ihn mit einem jungen Kätzchen vergnügt umherspringen. Am Weg aber lag sein toter kleiner Spielgefährte, und nur die alte Hündin stand dabei und leckte unermüdlich den aufgedunsenen Leib.


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