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Transkaspien

42. Doch nach Turkestan!

Krasnowodsk.

 

Ich sitze wieder einmal mit untergeschlagenen Beinen in einem teppichausgelegten Gemach. Vor mir hockt auf einem rotseidenen Kissen ein Herr in einem grasgrünen Kaftan. Auf dem Kopf trägt er ein prachtvolles goldgesticktes Käppchen und in der Hand hält er einen Rohrfächer, wie ihn auf europäischen Öldrucken orientalische Odalisken zu tragen pflegen. Trotz des schwarzen Vollbartes wirkt der untersetzte, leichtverfettete Herr merkwürdig frauenhaft.

Es ist der bucharische Gesandte bei der Aserbeidschanischen Republik, der erst vor kurzem in Baku eintraf. Da er nur Usbek spricht, ist eine Verständigung zwischen uns ausgeschlossen, und wir begnügen uns damit, uns gegenseitig liebenswürdig anzulächeln und verbindlich zuzunicken. Neben dem Gesandten sitzen seine beiden Russisch sprechenden Sekretäre, noch farbenprächtiger als er gekleidet in buntgebatikten seidenen Gewändern. Dann ist da noch der Bakuer Vertreter der Deutschen Orientlinie, die übrigens mit Energie und unzweifelhaftem Geschick den Verkehr nach Kaukasien und weiterhin nach Turkestan auszubauen beginnt. Vor uns stehen Tee und ausgezeichnete bucharische Süßigkeiten aus Mandeln, Zucker, Honig und Kakao, ein Mittelding zwischen Schokolade und Marzipan.

Wir sind seit einer Stunde beisammen und nach orientalischer Sitte noch immer damit beschäftigt, gegenseitig Höflichkeitsphrasen und Komplimente auszutauschen; allein die drei Bucharen sind wirklich reizende Leute und überdies kamen sie mir direkt als Retter in der Not. – Eine Zeitlang sah es nämlich mit der Fortsetzung meiner Reise ziemlich trübe aus. Zunächst war es allerdings das Fieber, das in mir immer wieder die Versuchung aufsteigen ließ, meine Reise vorzeitig abzubrechen und auf raschestem Wege nach Hause zurückzufahren. Ich war in Eriwan bei dem Arzt der amerikanischen Hilfsmission gewesen und der hatte eine Blutprobe auf Malaria gemacht. Da ich gerade fieberfrei war, als die Probe entnommen wurde, war sie natürlich negativ, und der amerikanische Arzt behandelte mich daraufhin auf Hitzschlag. Nachdem jedoch das Fieber immer wiederkehrte, ging ich in Tiflis zum Arzt des deutschen Hospitals, der sofort auf Malaria diagnostizierte und mich in eine Chininkur nahm, mit dem Erfolge, daß ich bereits nach einigen Tagen fieberfrei war und leidlich frisch meine Reise nach Baku fortsetzen konnte.

Kaum war ich jedoch gesund, so erhob sich eine andere Schwierigkeit: Der Weg nach Turkestan ist gesperrt. Ehe ich nach Persien fuhr, hatte ich mich bei dem turkestanischen Vertreter in Baku nach der Einreisemöglichkeit nach Turan erkundigt und sie zugesichert erhalten. In der Zwischenzeit wurde jedoch die Einreise erschwert, wohl wegen der Unruhen in Turkestan und der Kämpfe mit Enwer-Pascha in Ostbuchara. Als ich nach Tiflis kam, hörte ich auf der Gesandtschaft, daß nach den neuen Bestimmungen nur der diplomatische Vertreter Moskaus in Tiflis Ausländern die Einreiseerlaubnis dorthin erteilen könne. Allein da der deutsche Geschäftsträger in Georgien bis vor kurzem eigentlich noch ausgewiesen war und in denkbar schlechten Beziehungen zur Moskauer wie zur georgischen Regierung stand – infolge der Schwierigkeiten, die die deutsche Regierung der Ausdehnung des Rapallo-Vertrages auf die übrigen Sowjetstaaten machte –, konnte mir die Gesandtschaft nicht helfen, und der Geschäftsträger selbst riet mir, lieber in Baku auf eigene Faust mein Heil zu versuchen.

In Baku hörte ich jedoch nichts anderes als in Tiflis. Ich hätte also in die georgische Hauptstadt zurückfahren müssen. Überdies war der Moskauer Gesandte gerade verreist. Sein Vertreter, ein ganz junger Mensch, würde mir unter den obwaltenden Umständen kaum auf eigene Faust das Visum geben. Es kostete also eine Anfrage in Moskau, auf die eine Antwort nicht vor drei Wochen zu erwarten war; und was tat ich, wenn sie verneinend ausfiel?

Auf diese Weise ging es also nicht. Was aber tun? Die abenteuerlichsten Pläne gingen mir durch den Kopf: ohne Visum zu reisen und mit einem turkmenischen Segelboot über das Kaspische Meer zu fahren. Es kam jedoch nicht zu dieser abenteuerlichen und reichlich gefährlichen Fahrt, denn im letzten Augenblick führte mich ein gütiges Geschick mit dem bucharischen Vertreter zusammen. Dieser entpuppte sich als ein ausnehmend deutschfreundlicher Herr, der von der Idee entzückt war, daß ein deutscher Journalist sein Land bereisen wollte, und nachdem wir genügend Sympathiebezeigungen ausgetauscht hatten, wurde mir das Visum für den nächsten Morgen versprochen.

Tatsächlich hatte ich auch am nächsten Tage pünktlich um 10 Uhr das Visum. Da der Dampfer erst um 4 Uhr abfuhr, konnte ich hoffen, noch am gleichen Tage fortzukommen. Allein ich hatte nicht mit dem eigentlich aufgelösten aserbeidschanischen Narkomendiel, dem Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, gerechnet und mit der gleichfalls eigentlich aufgelösten Tscheka, die mir beide Beweise gaben, daß sie noch sehr lebenskräftig und tatendurstig waren.

Es zeigte sich, daß kein Gedanke daran war, noch am gleichen Tage fortzukommen; ja die Ausfertigung des Visums verzögerte sich von Tag zu Tag derart, daß ich schließlich auch den nächsten Dampfer zu verfehlen fürchtete. Die anfängliche Unwilligkeit des Bureaufräuleins, in dessen Hände der Paß nach Passieren jeder Instanz immer wieder zurückkam, gelang es mir durch eine Tafel Schokolade in liebenswürdige Bereitwilligkeit zu verwandeln, allein trotzdem rückte der Abreisetag heran, ohne daß mein Paß fertig wurde.

Schließlich wurde ich ganz außerordentlich energisch und setzte allen in Frage kommenden Beamten so zu, daß um 1 Uhr endlich alle Unterschriften und Stempel beisammen waren. Nicht nur ich, sondern auch alle Beteiligten atmeten erleichtert auf, als ich endlich meinen Paß hatte. Schlimmer ging es einem andern Deutschen, dem Vertreter eines großen Hamburger Exporthauses, der über Askabad in Turkestan nach Mesched in Persien wollte. Trotzdem er sich bereits in Moskau die nötigen Papiere beschafft hatte, hielt man ihn mit der Ausstellung des Ausreisevisums so lange hin, bis er endlich durch Opferung von zwei Pfund Sterling im letzten Augenblick den Paß erhielt.

Als wir beide glücklich auf dem Dampfer waren, beglückwünschten wir uns gegenseitig, und niemand auf dem ganzen Schiff war wohl froher als wir, als endlich die Taue losgeworfen wurden. Am nächsten Morgen wurde es rasch warm, und als wir um die Mittagszeit in der Quarantänestation vor Anker gingen, schlug uns die volle Glut der Kara-Kum, der Wüste des Schwarzen Sandes, entgegen. In der Quarantänestation wurden die Passagiere entlaust und desinfiziert. Da wir beides nicht nötig und wenig Lust hatten, die Prozedur zusammen mit all dem schmutzigen und verlausten Volk durchzumachen, begnügten wir uns mit einem kurzen Landbummel, der uns allerdings beinahe schlecht bekommen wäre, denn der Posten wollte uns anfänglich ohne Entlausungsschein nicht wieder an Bord lassen.

Schließlich kamen wir doch durch, und zwei Stunden später fuhren wir nach Krasnowodsk weiter. Die Stadt ähnelt in verblüffender Weise den chilenischen Salpeterstädten an der pazifischen Küste. Scheinbar ebenso unmotiviert liegt sie inmitten ödester Stein- und Felswüste. Straßen, die sich bald im Sande verlieren, ein paar kümmerliche grau-grüne Bäume und ringsherum Naphthatanks – das ist Krasnowodsk.

Ehe wir in die Stadt konnten, gab es nochmals eine Zolluntersuchung von einer Peinlichkeit, wie ich sie noch nie erlebt. Jedes Kleidungsstück in den Koffern wurde sorgfältig nach etwa eingenähten Goldstücken abgetastet. Bei dieser Untersuchung fand man im Gepäck des Hamburger Kaufmanns seine Mauserpistole, und er mußte auf die Tscheka wandern. Ich hütete inzwischen das Gepäck. Als er nach etwa einer Stunde noch nicht zurück war, stiegen mir trübe Ahnungen auf, und ich überlegte mir schon im Geiste, was ich tun könnte, um ihn nötigenfalls wieder aus der Tscheka herauszuholen. Aber da kam er schon zurück. Man hat ihm nichts getan und ihm sogar die Pistole gelassen.

Mit einiger Verspätung trafen wir im Hotel ein. Dieses bestand aus einer schmutzigen Teebude und einer Reihe fensterloser Löcher in einem Schuppen hinter dem Hof – den Fremdenzimmern. Zu essen gab es nichts außer keineswegs Vertrauen erweckend aussehendem Fisch. Auf dem Markt wurden übrigens Exemplare von geradezu ungeheuerlichen Dimensionen verkauft; es waren solche von über zwei Meter Länge darunter, sie waren jedoch so mit Fliegen bedeckt, daß einem grauste.

Wann der Zug eigentlich abfuhr, konnten wir nicht feststellen. Allein wir saßen nach einem herrlichen Bad im Kaspischen Meer doch vergnügt im Vollmondschein bei Brot und Käse vor unsern Zimmern; denn wir waren wenigstens auf turkestanischem Boden.


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