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Buchara

46. Von der afghanischen Grenze nach Buchara.

Buchara.

 

»Als ich das letztemal hier durchfuhr – vor wenig mehr als einem Monat – blieb unser Zug vor Karakul liegen«, erzählt mein Begleiter, der Rote Stabsoffizier, mit dem und dessen Frau ich von Kuschka nach Buchara reiste. »Die Basmatschi hatten den Ort genommen, und es dauerte einen Tag, bis unsere Soldaten ihn wieder hatten und die Strecke frei war.«

Basmatschi heißen die Aufständischen in Buchara und Turkestan. Die Russen nennen sie Räuber, allein wenn sie auch gelegentlich Züge überfallen und die Reisenden ausplündern, so haben sie im Grunde doch politische Ziele. In Buchara sind sie die Parteigänger des vertriebenen Emirs und in Turkestan ganz allgemein die Gegner der Bolschewiki.

Auch die Jüdin in Merw hatte mir erzählt, daß ihr Mann auf seiner letzten Reise nach Samarkand einen solchen Überfall erlebte. Die Basmatschi hatten die Schienen aufgerissen, der Zug entgleiste, und die Räuber machten sich an die Ausplünderung der Reisenden. Ehe sie damit fertig waren, saßen sie infolge blinden Alarms auf und ritten davon, so daß ein Teil der Fahrgäste mit dem Schrecken davonkam.

So interessant nun sicher so ein Überfall ist, muß ich doch offen sagen, daß mein Bedarf an Abenteuern bereits durchaus gedeckt ist und daß ich kein besonderes Verlangen danach habe, nähere Bekanntschaft mit turkestanischen Räubern zu machen. Nun, für alle Fälle ist unser Wagen gut mit Waffen versorgt. Mein Begleiter führt außer Säbel und Revolver auch noch Gewehr und ein Dutzend Handgranaten mit sich.

Die Gräberstraße des lebendigen Königs (Schah Sindeh)

Heute früh passierten wir mit Tschardschui die bucharische Grenze. Tschardschui ist berühmt wegen seiner Melonen, hier wachsen die besten in ganz Turkestan. Aber auch hier herrscht Cholera, und ich vermochte nicht den Leichtsinn aufzubringen, trotzdem Melonen zu essen. Betrübt ging ich an den Stapeln der goldenen Kugeln vorüber und stillte meinen Durst mit einem Glas Tee.

Gleich hinter dem Ort führt die wegen ihrer Länge berühmte Brücke über den Amu-darja. Träge und nutzlos wälzt sich die gewaltige Menge lehmgelben Wassers zwischen den Steinpfeilern hindurch. Welch weite Strecken Steppe und Wüste könnte diese Wassermenge in fruchtbares Land verwandeln. Allein es fehlt an großzügigen Bewässerungsanlagen. Nur das tiefliegende linke Ufer ist angebaut. Auf dem rechten erheben sich nach wenigen Hundert Metern die leicht gewellten niederen Hügel der Sundukliwüste.

Medresse der Bibi Chanum in Samarkand

Über brennendem Sand flimmert die Luft, durch die wir fahren. Aber die Wüstenzone ist nur schmal, und hinter ihr beginnt gartengleiches fruchtbares Land, wie ich es in Turkestan noch nicht sah. Eine weite grüne Fläche, häufig unterbrochen durch Buschwerk und Baumreihen, dazwischen festungsartig zusammengedrängte Dörfer. Inmitten des Grüns leuchten tiefblau schilfumstandene Teiche, tiefgolden das zum Schnitt reife Korn oder fahlgelb die Stoppeln. Hie und da wird gedroschen; schwerfällig trotten die Ochsen über die aufgeschichteten Garben oder traben Reiter im Kreise darüber hin. Nach all dem Wüstengelb tut das Grün den überanstrengten Augen wohl. Und auch sonst reisen wir herrlich bequem. Unser Wagen ist zwar nur ein gewöhnlicher Güterwagen wie alle andern auch, allein mein Begleiter hat ihn ausschließlich für sich, seine Frau und für mich als Gast. Der Wagen ist recht bequem ausgestattet mit Bett, Tisch, Stühlen, Samowar, und ich reiste so trotz aller Hitze erheblich angenehmer als bisher.

Hinter der Schir-Dar-Medresse

Der Rote Offizier ist ein Lette, deutscher Abstammung und ein ebenso liebenswürdiger Wirt wie angenehmer Gesellschafter. All dies tröstet mich ein wenig darüber hinweg, daß ich an der afghanischen Grenze umkehren mußte und zwei Tagesritte von Herat nicht weiterkonnte. Ich war bisher nach dem Grundsatz gereist: Wer viel fragt, bekommt viel Antwort, hatte immer nur von einer Etappe für die nächste gesorgt, darauf vertrauend, daß ich schon irgendwie weiterkommen würde. So hatte ich in Baku nur danach getrachtet, nach Turkestan hineinzukommen. In Merw gab man mir ein Visum für Kuschka und sagte mir, daß ich das Ausreisevisum nach Afghanistan an der Grenze erhalten würde. Leider stimmte das nicht. Der Paßbeamte in Kuschka erklärte mir, daß nur Moskau das Ausreisevisum erteilen könne oder allenfalls die turkestanische Regierung in Taschkent. Er erbot sich dorthin zu telegraphieren, glaubte aber selbst, die Antwort könnte günstigenfalls nicht vor einer Woche eintreffen. Wenn aber ein Russe sagt, günstigenfalls in einer Woche, so meint er mindestens drei bis vier Wochen. So lange wollte ich nicht warten, und ich entschloß mich schweren Herzens umzukehren, zumal ein Fieberrückfall einsetzte.

Ich mußte ein paar Tage in Kuschka bleiben, bis wieder ein Zug nach Merw zurückfuhr, und benutzte die Gelegenheit, wenigstens so viel Nachrichten über Afghanistan einzuziehen wie möglich. Gelegenheit dazu war reichlich geboten. Einmal traf gerade eine afghanische Sondergesandtschaft ein, die von Kabul nach Buchara entsandt worden war. Es waren an die hundert Mann, und ihre Ausparkierung bot ein selten malerisches Bild. Die Adjustierung von Mann und Offizier war so bunt wie möglich. Ein Teil trug Uniformen europäischen Schnittes: dunkelbraun, khakigelb oder lichtgrau, dazu Kalpak in verschiedenen Farben oder riesige Schlapphüte. Andere waren halb europäisch, halb asiatisch und der Rest rein afghanisch: weiß und bunt mit mächtigen Turbanen.

Nicht gering war ihre Bagage. Da wurden Ballen von Teppichen ausgeladen, Stöße von Kupferkesseln und Kannen und mächtige truhenartige Kisten und Koffer, von oben bis unten mit Messing- und Silbernägeln beschlagen.

Noch interessanter war die Bekanntschaft mit Ali Kemal, der gerade einen Parforceritt von Kabul nach Kuschka hinter sich hatte und der zu seinem Bruder Dschemal Pascha nach Moskau reiste. Er gehörte zu den türkischen Instruktionsoffizieren, die das afghanische Heer reorganisieren und in den modernen Kampfmitteln ausbilden sollen. Nach seinen Angaben ist die Modernisierung des afghanischen Heeres noch nicht so weit vorgeschritten, wie man gemeinhin annimmt. Die Türken sind erst dabei, zwei Modellregimenter aufzustellen, ein Kavallerie- und ein Gebirgsartillerieregiment, nach deren Vorbild das übrige Heer ausgebildet werden soll. Auch Ali Kemal war voll des Lobes über die Intelligenz und Tatkraft des Emirs, der durch Europäisierung seines Landes dessen Unabhängigkeit zu sichern sucht.

Endlich war kurz nach mir auch der bisherige russische Konsul von Herat eingetroffen. Er reist mit uns im gleichen Zug nach Taschkent in Begleitung seines Sekretärs und dessen Frau. Wie es dämmert, kommen die drei zu uns zum Tee. Alle drei, auch die Dame – eine schlanke Erscheinung mit kurzgeschnittenen schwarzen Locken –, in seidenen Pyjamas. Nun, wir haben auch kaum mehr an, und in dem hiesigen Klima ist jedes Kostüm salonfähig. Unser gemeinsamer Gastgeber hat alles sehr hübsch gerichtet. Es gibt Kuchen und Obst.

Die Unterhaltung dreht sich natürlich um das große Problem des Ostens. Welche Entwicklung werden die mohammedanischen Völker Zentralasiens nehmen, die heute bereits stark nach völliger nationaler Unabhängigkeit streben, und welche Rolle wird Afghanistan dabei spielen? Gewiß, die Beziehungen zu Rußland sind die besten, aber – da stockt die Unterhaltung immer wieder.

Draußen ist samtschwarze Nacht. Als schmale Sichel steht der Mond über der Endlosigkeit der Steppe, die mehr als einmal siegreiche Erobererhorden bis in das Herz Europas entsandte.


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