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32. Die erwürgte Stadt.

Täbris.

 

An Lilawa, das Europäerviertel von Täbris, anschließend dehnen sich weitläufige Obst- und Gemüsegärten. Als vor Ausbruch des Weltkriegs Täbris jenen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung nahm, entschlossen sich die Besitzer der Gärten, sie in der Mitte zu teilen und eine breite Straße herauszuschneiden, um auf diese Weise Fronten für ein neues, modernes Wohn- und Geschäftsviertel zu gewinnen.

Es war schade um die großen alten Gärten, allein es war sicher keine schlechte Spekulation, denn mit Ausnahme von Chiawan, der Allee, an der die berühmte Blaue Moschee liegt, gibt es in ganz Täbris keine einzige halbwegs breite Straße. Das Geschäftsviertel Armenistan und das Europäerviertel Lilawa sind genau so eng, krumm und winkelig wie die ganze Stadt. Man muß schon ein Stück hinausfahren oder auf eines der flachen Dächer steigen, um zu sehen, wie schön sie eigentlich zwischen den Bergen liegt, mit der mächtigen alten Festung in der Mitte.

Jenseits von Lilawa war man also drauf und dran, ein neues, modernes Täbris zu schaffen. Hierhin setzte auch die »Petag«, die persische Teppichgesellschaft, ihren Fabrikspalast. Wohnhäuser für die Beamten, ein Gebäude für den Deutschen Klub und Magazine folgten. Dann kam der Krieg, und mit einemmal war alles wie abgeschnitten.

Die Entwicklung von Täbris, das auf dem besten Wege war, die Residenz Teheran zu überflügeln, beruhte auf zwei Faktoren, die zu seiner Eigenschaft als Hauptstadt der fruchtbaren und reichen Provinz Aserbeidschan hinzukamen: auf den Deutschen und auf dem Anschluß an das russische Eisenbahnnetz und damit an Europa.

Mit den Deutschen, die angefangen hatten, im Wirtschaftsleben der Stadt eine immer einflußreichere Rolle zu spielen, machten die russischen Truppen ein rasches Ende. Was man nicht internierte, wurde ausgewiesen. Die Petag liquidierte man, ihre Maschinen, Vorräte und Fertigfabrikate transportierte man nach Rußland. Mit dem Anschluß an Europa aber war es nach der russischen Revolution vorbei.

Täbris, das vorher über die raschesten Verbindungen verfügte, war nun mit einemmal zu einem verlorenen Winkel geworden. Vor dem Kriege brauchten Briefe oder Postpakete von Europa nach Täbris zehn Tage, heute werden letztere überhaupt nicht mehr befördert, Briefe aber sind zweieinhalb Monate unterwegs! Da Postverkehr zwischen Rußland und Persien noch nicht besteht, gehen Briefe von Täbris nach Europa über Teheran, Baghdad–Basra–Bombay–Suezkanal, also fast über die halbe Welt.

Für den Bezug oder Versand von Waren ist man auf die gleiche Route angewiesen. Sie bleiben mitunter ein halbes bis zu einem ganzen Jahr und darüber unterwegs, und man kann sich den Zustand vorstellen, in dem empfindliche Güter schließlich ankommen. Vor allem aber werden sie durch die angelaufenen Frachtkosten fast unverkäuflich.

Unter diesen Umständen sah sich auch die Teppichindustrie Nordpersiens vor einer Katastrophe, bis die Angora-Türkei den Transit ermöglichte. Heute ist ein lebhafter Warenverkehr von und nach Täbris über die alte Karawanenstraße Täbris–Trapezunt im Gang. Allerdings darf man nicht vergessen, daß die Reise über diese Route je nach der Jahreszeit auch immerhin ein bis drei Monate beansprucht und daß sich schließlich nicht alle Waren auf Kamelrücken transportieren lassen.

Eine Reihe anderer Momente trägt dazu bei, die Lage für Täbris noch weiter zu verschlechtern: seit etwa zwei Jahren sind die Kurden in erfolgreichem Aufstand. Damit hat Aserbeidschan die fruchtbaren Gebiete westlich des Urmiasees verloren. Weitere Verluste drohen, und wenn auch für Täbris keine unmittelbare Gefahr besteht, so bindet der Kampf gegen die Kurden die Kräfte der Regierung doch in einer Weise, daß auf der andern Seite im Südosten die Schachsewennen tun können, was sie wollen, und zeitweise den ganzen Verkehr von und nach Täbris unterbinden.

Da auch nach Norden der Verkehr über den Kaukasus selbst für den einzelnen Reisenden keineswegs unbedingt sicher ist, hat man in Täbris gegenwärtig tatsächlich ein wenig das Gefühl, in einer Mausefalle zu sitzen, und es ist klar, daß eine derartige Situation auf das ganze wirtschaftliche Leben drücken muß. Trotzdem sind die großen Täbriser Kaufleute immer noch erstaunlich optimistisch und zukunftssicher. Nun sind allerdings die Aserbeidschaner der weitaus energischste, aktivste Teil der gesamten persischen Bevölkerung. Man mag ihnen nur wünschen, daß der Eindruck einer erwürgten Stadt sich bald als trügerisch erweist und daß die Öffnung des Verkehrsweges über Rußland an die Entwicklung anknüpft, die der Ausbruch des Weltkriegs so unvermittelt abschnitt.


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