Peter Rosegger
Das Geschichtenbuch des Wanderers
Peter Rosegger

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Die Rede des Vertheidigers.

Es war der erste Mord, der sich Zeit meines Gedenkens in meinem Heimatsthale zugetragen und daher einen untilgbaren Eindruck auf mich gemacht hatte. Ich konnte mich bisher nicht entschließen, ihn zu erzählen, weil ich eine Abneigung davor habe, scheußliche Verbrechen dem Volke darzustellen und auszumalen. Aber allerhand, was man heutzutage in den Zeitungen liest, ist so herausfordernd und merkwürdig, daß ich mich nicht enthalten kann, die Geschichte als kleinen Beitrag zu unserem Gerichtswesen darzuthun.

Der Höfelhans war ein Kleinbauer in der Gemeinde Rabenbach. Ein kleines runzeliges Männlein, kränklich und brummig und zähe, so daß der Arzt öfter als einmal sagte: Der wird trotz Allem älter als ich und der Todtengräber! dieser glatzköpfige Alte hatte aber ein junges goldhaariges Weib, und das wiederum hatte einen guten Bekannten, einen heiratsfähigen Burschen aus der Nachbarschaft. Ich erinnere mich noch sehr wohl an den Pankraz, der hatte ein bartloses rundes tiefgeröthetes Gesicht und kleine graue Augen. Die Haare waren schier röthlich falb und gekräuselt; durch die Ohrläppchen hatte er goldene Ringlein gezogen; so auch trug er ein paar schwere Ringe am Finger und eine gewichtige silberne Uhrkette mit Thalergehängsel über der grüntuchenen Weste. Sein übriges Gewand war grau, der Hut aus grünlich gefärbter Hasenwolle, die Stiefel hatte er stets glänzend gewichst. Obzwar nur Kleinhändler, hatte er doch Geld, er ging im Viehhandel um, und das thut sich besser, wie das Viehzüchten, sowie auch der Kornhändler einen »Herrn« spielen kann, während der Kornbauer kümmerlich leben muß. Bei den Bauern wie in der Stadt: Die Klugheit ist der Tüchtigkeit über. Indeß, die Klugheit schmunzelt lange, aber die Tüchtigkeit lacht zuletzt.

So steht mir der Pankraz noch, obwohl sie ihn lange schon gehenkt haben.

Die Luzina – das Weib des Höfelhans – war ein herrenloses Wesen gewesen – ihr Sinn stand aber nach einem Häuslein. Da sie zur selben Zeit keinen Jungen gefunden, so nahm sie einen Alten. Und wenn's schon ein Alter war, so sollte es wenigstens ein sehr Alter sein. Ein Achtziger ist in gewisser Hinsicht bedeutend angenehmer, als ein Sechziger.

Oefters saßen sie auf einem hingestreckten Strunk im Walde beisammen – die Luzina und der Pankraz – und redeten vom Alten. ›Er ist soviel »mieselsüchtig‹ und 's ist keine Freud' bei ihm,« klagte die Luzina.

»Mein Gott, ein alter, kränklicher Mensch!« sagte der Pankraz. »Hat seine Zeit hinter sich, hat nichts Gutes mehr auf der Welt, und haben Andere nichts Gutes bei ihm.«

»Das ist wohl wahr.«

»Das Beste wäre schon –«!

»Freilich wär's das Beste –«

Es rauscht der Wald, man versteht nicht Alles. –

In einer der nächsten Nächte weckte die Luzina ihren Mann aus dem Schlafe.

»Was hast denn? Was willst denn wieder!« brummte der Höfelhans. »Geht es so hart her, bis Einer einmal ein wenig einschlafen mag – blederst (scheuchst) ihn wieder auf!«

»Hansel,« flüsterte sie, »ich weiß nicht, was das ist. Draußen im Schüttkasten höre ich was. Daß nicht etwan Schelm' (Diebe) da sind!«

»Das wäre!« sagte der Hans und krabbelte vom Bett heraus.

Der Schüttkasten stand vor dem Hause über den Anger hin; in ihm waren die Vorräthe von Getreide, Fleisch, Schmalz und Flachs aufbewahrt. Sie horchten nun und hörten ein dumpfes Pochen, als wollte Einer mit einem Holzblock beim Schüttkasten die Thür einstoßen.

»Ich bitt' Dich, Hansel, geh' schauen, wer draußen ist!«

»Will eh! Will eh!« schnaufte der Hans und that sich das Beinkleid an, that Licht in die Laterne, nahm ein Holzschlägerbeil in die Hand und ging hinaus. – Als er die Hausthür aufmachte, fiel ein Schuß und der Höfelhans stürzt mit einem gebrochenen Schrei zu Boden. –

Bald waren Nachbarn da. Die Luzina geberdete sich in heller Verzweiflung. »Die Schelm' haben meinen Mann erschossen!« jammerte sie und hielt mit beiden Händen ihren Kopf. An der Thür des Schüttkastens fand man etliche Masern, aber das Schloß war unversehrt und die Diebe waren davon.

Der Gemordete war noch nicht bestattet, so fingen zwei Dinge an zu wirken – das Gerücht und das Gericht. Den Leuten war es nicht entgangen, daß die Luzina und der Nachbar Pankraz ein Auge aufeinander hatten; daß sich die Luzina nach dem Ereignisse ganz anders erregt zeigte, als das sonst im Schmerze zu geschehen pflegt. Als sie beim Zimmermann den Sarg bestellte, besprach sie sich mit der Zimmermannsfrau, die Nähterin war, wegen eines hellgrünen Seidenkleides, wie es die Witwen tragen, wenn sie wieder heiraten. Es fiel auf, daß der Nachbar Pankraz schon um zehn Uhr Nachts von seinem Hause fortgegangen war, um dem Höfelhans zu Hilfe zu kommen, wie er später angab, während der Schuß erst gegen eilf Uhr gefallen war. Auch fiel es den Leuten des Pankrazhauses ein, daß am Morgen nach dem Morde das Schußgewehr nicht an der Wand hing in seiner Stube. Und als es dem Gerichtscommissär einfiel, die Bleikugel, die den Hans durchbohrt hatte und hinter ihm in der Ahornthür stecken geblieben war, mit dem Gewehr des Viehhändlers zu vergleichen, da stellten sich die Befunde so, daß Pankraz todtenblaß ward. Todtenblaß nun kann wohl auch der Unschuldigste werden in solchem Augenblicke, wo durch tückische Zufälle seine Ehre und Existenz auf dem Spiele steht; aber die Luzina war so sehr aus aller Fassung gekommen, daß sie vor den Leuten dem Pankraz zuschrie: »Gesteh's! Gesteh's! Ein reumüthiges Geständniß rettet uns wenigstens vor dem Galgen!«

Noch schrie der Pankraz, das Weib wäre wahnsinnig geworden – aber im Ganzen waren sie fertig. Später fing die Luzina freilich wieder an zu leugnen, weil man ihr gesagt hatte, so lange sie leugneten, könnten sie nicht gehenkt werden.

Nach wenigen Wochen standen sie vor dem Richterstuhle, standen zwischen Gendarmen, im Angesichte eines überfüllten Saales und des feierlichen Halbkreises der Geschwornen.

Der Pankraz hatte sich einen wackeren Vertheidiger verschrieben. Wenn schon der Ankläger die Thatsachen und das Gesetz für sich hat, braucht man umso nothwendiger einen Vertheidiger, der die Zunge und die Gedanken zu drehen und die Herzen zu bewegen versteht. Richter haben zwar keine Herzen, dürfen keine haben; aber diesen lebendigen Paragraphzeichen am grünen Tisch muß wenigstens die Menschlichkeit entgegengestellt werden, ein Mann, der mitunter ein wenig die öffentliche Meinung zu dirigiren weiß. Der Ankläger ist gewohnt, an dem armen Sünder nur das Teuflische aufzuzeigen; so muß doch füglich auch Einer sein, der, wenn schon nicht die Engelsfittiche des Angeklagten weiset, so doch wenigstens sein Fleisch und Blut. Der Vertheidiger gehört auch zum Gericht, er ist nur die andere Hälfte des Menschen, der den Ankläger macht – sozusagen die bessere Hälfte. Die Gerechtigkeit allein würde die Welt nicht minder zu Grunde richten, als die Liebe und Verzeihung allein; das muß sich im Gleichgewicht halten, wenn die Zunge der Wage gerade empor zum Himmel deutend das weise Urtheil sprechen soll.

Bei den vorliegenden Beweisen und den Widersprüchen, in die sich die Angeklagten verfangen hatten, gaben sie das Leugnen auf; aber die Luzina schrie: »Ich verzeihe ihm! Ich verzeihe ihm!«

Man gebot ihr zu schweigen.

Als nach den leidenschaftslosen aber furchtbar sachgemäßen Darlegungen des Anklägers von allen Anwesenden keiner für Pankraz' Leben auch nur mehr einen Heller gab, erhob sich der Vertheidiger, warf einen feuchten Blick auf die armen Sünder, auf die Geschwornen und auf das Volk; die Richter sah er nicht an, er wußte wohl, das, was er heute zu sagen hatte, war nichts für die Richter. Nun begann er mit weicher allmählich sich zur Würde und zur hinreißenden Gewalt erhebenden Stimme zu sprechen. Die Rede ist aufgeschrieben worden und ich kann sie hier zum Theile wiedergeben. Der Vertheidiger hielt eine Einleitung, in welcher er darauf erinnerte, daß von allen Zuhörern Keiner – nicht ein Einziger – vor die Schranken treten und sagen könne: Ich bin gerecht! Wen das Schicksal bisher nicht vor Gericht gestellt habe, der möge auf die Brust schlagen und dem Glücke danken. »Und nun,« fuhr er fort, auf die Angeklagten deutend, »nun betrachten wir uns einmal diese bedauernswerthen Opfer unserer gesellschaftlichen Einrichtungen. Sie haben gethan, was in seiner Weise Jeder von uns thut: Sie liebten sich und trachteten sich zu besitzen. Es ist wahr, Pankraz hat den Höfelhans getödtet. Wer war der Höfelhans? Er war der Gatte der Luzina, und als Gatte ihr Eigenthum. Was hat also Pankraz gethan? Er hat die Luzina an ihrem Eigenthum geschädigt. Die Luzina hätte das Recht gehabt, klagbar gegen den Schädiger aufzutreten. Sie tat es nicht gethan, sie hat ihm verziehen. Wenn der Geschädigte verzeiht, wen geht das weiter an? Wenn mir Jemand tausend Gulden nimmt und ich sage ihm: behalte sie, ich schenke sie Dir! Ist ein Solcher als Dieb oder Räuber zu behandeln? Und vollends, wenn er mir die tausend Gulden mitsammt etwaigen Zinsen wieder zurückgiebt und sagt, ich wollte Dir das Geld nur aufbewahren, Dir hätte es können verbrennen oder gestohlen werden – ich frage Sie: Ist er ein Dieb? Nein, er ist ein Wohlthäter. – Der Pankraz hat der Luzina den Mann genommen, aber er giebt ihr wieder einen zurück, und einen weit besseren, viel jüngeren, erwerbsfähigeren, als der alte war, der gegen ihre Natur gewesen und sie gequält hat. Er giebt sich ihr selbst; mit seiner eigenen Person macht er das Unrecht gut. Was kann er mehr thun? Wollt ihr ihn henken, damit er nichts mehr gut machen kann? Dann begeht ihr das Unrecht, das ihr sühnen wollet. – Ich habe das Wort Unrecht ausgesprochen. Denn Gott sei vor, daß ich die That beschönigen möchte! Aber gründlich genommen, wenn ich mich nun auf den Standpunkt des Höfelhans stelle, woran ist es, meine Herren? Ist kümmerliches Alter in einem kranken Körper denn so begehrenswerth? Wird der arme Höfelhans seinem Erlöser zürnen? Und angenommen: ja! so wissen wir doch Alle, daß sich der Einzelne dem Allgemeinen unterzuordnen hat. Und nun frage ich: in welchem Falle gewinnt die Allgemeinheit, die Gesellschaft, der Staat, wenn ein greiser Krüppel zu verpflegen ist, oder wenn ein erwerbskräftiger Mann der Gründer einer gesunden Familie wird? Und dann, meine Herren Geschwornen! Weiß Einer was Schlimmes aus dem Vorleben der Angeklagten? Ist die That aus Geldgier, Haß oder Rache geschehen? Nein, sie entsprang der edelsten menschlichen Leidenschaft, der Liebe. Und wenn selbst das nicht zu entschuldigen war – Sie sehen die Strenge meiner Auffassung – haben die Beiden in ihrer düsteren Untersuchungshaft nicht gelitten? Haben sie nicht bitter gebüßt? Haben sie nicht geweint, daß mitten in einem so braven, ehrenwerthen Leben, als sie geführt, plötzlich der Dämon hereingebrochen über sie, der nur deshalb so furchtbar ist, weil wir ihn Schuld nennen! Und haben sie nicht bereut und ehernen Vorsatz gefaßt, den verhängnißvollen Fehltritt durch ein Leben voll Tüchtigkeit und Tugend hundertfach wettzumachen? – Aber das geht ihr Gewissen an und nicht uns. Das Gesetz ist da, um die Gesellschaft zu stützen; die Justiz kennt keine Rache sie hat nur den Staat zu schützen. Wer aber – ich wiederhole es – wer ist in unserem Falle geschädigt? Der Staat? Der hat eher Vortheil als Nachtheil. Die Luzina? Die hat dem Schädiger verziehen und er ist bereit, sie zu entschädigen. Der Höfelhans? Der wird nimmer als Ankläger auftreten, weil er unter allen Umständen gewonnen hat. Denn der Tod ist das heiligste Ziel des Lebens und wen Gott liebt, den nimmt er zu sich. – Als ich vorhin in schweren Gedanken über all das Unheil, das Leid und den Jammer im menschlichen Leben die Treppe heraufstieg, hörte ich eine Stimme des Hasses: Gehenkt sollen sie werden! – So der Verwegene in diesem Saale anwesend ist, frage ich ihn: Wenn sie Verbrecher sind, soll man sie darum vom Leiden erlösen? mit der Liebe Gottes lohnen? – Was ich hier gesagt habe, es ist wohl überlegt worden, denn ich halte mir vor Augen, daß ich für mein Amt einem höheren Gerichte verantwortlich bin, so wie auch Sie es sind, wackere Männer aus dem Volke, Sie, an deren gesundes Herz heute das Gesetz appellirt!«

So sprach der Vertheidiger, wies dann auf die »kummervollen Gestalten« der Angeklagten und forderte die Freisprechung derselben.

Der Pankraz stand fast stolz aufrecht. Die Luzina warf einen trotzigen Blick gegen die Richter, die sie und ihn gerne hatten verderben wollen. Sie waren unschuldiger, als sie selbst geahnt.

Nach dieser Rede erhob sich noch einmal der Ankläger. Man erwartete eine Replik, aber der Mann sagte nur dieses: »Jener Herren Geschwornen wegen, die in solchen Sachen nicht geübt sind, hätte ich den Wunsch, daß der Herr Vertheidiger sein Plaidoyer noch einmal genau wiederholen möchte!«

Das geschah nicht.

Die Geschwornen zogen sich zurück in das Berathungszimmer. Einer unter ihnen nahm vorlaut das Wort und sagte: Ich glaube, wir haben nicht viel zu berathen. Wenn sie, die Hauptbeschädigte, ihm verzeiht –

»So ist die Sache ja abgetan,« fiel ein Anderer ein.

Zu diesem sagte ein Dritter: »Es ist noch zu überlegen. Wenn ich das Plaidoyer genau überdenke, so komme ich auf allerlei sonderbare Schlüsse. Wenn Du ein altes Haus hast, ich kann Dir's über dem Kopf niederbrennen; das giebt Erwerb für die Zimmerleute, Tischler und andere Gewerbsleute, das erzielt eine höhere Einkommensteuer, ist also vortheilhaft für den Staat. Ich darf nicht gestraft werden.«

»Wenn ich aber im Feuer umkomme!« sagte der Eine.

»So bist Du ein Dummkopf, denn die Thür stand offen. Und wenn Dummköpfe umkommen, so wird diese Gattung allmählich aussterben – der größte Vortheil für den Staat. Ich darf nicht gestraft werden.«

»Spaß apart,« sagte ein Vierter, »die Grundsätze dieses Herrn Doctors gäben dem Staate das Recht, alle unheilbaren Kranken und Greise zu tödten, alle Unfähigen aus der Welt zu schaffen, und wer weiß, dieses Vertilgungssystem würde Manchem gefährlich, der sich heute für eine Stütze des Staates hält.«

»Aber nach dem Vertheidiger müßte man ja die Unschuldigen tödten und die Verbrecher leben lassen!«

»Und nach dem Vertheidiger müßten –«

»Lasset das! Der Herr Vertheidiger redete wohl nur als Schalk,« sprach jetzt ein weißbärtiger Mann. »Die Thatsache des Meuchelmordes liegt klar vor uns.«

»Meuchelmord!« unterbrach ein Anderer. »Kann der Pankraz nicht aus Nothwehr geschossen haben? Wenn Einer rasend mit einem Holzhackerbeil auf mich zustürzt, soll ich mich nicht schützen dürfen?«

»Die Thatsache des Meuchelmordes liegt klar vor uns,« fuhr der alte Mann unentwegt fort, »da giebt es für uns kein Wanken. Wer hätte gedacht, daß bei diesem Falle die Geschwornen unschlüssig sein und zweifeln würden! Aber so weit kann es kommen, wenn im Zustande geschwächten Rechtsgefühles der Bürger sich durch glänzende Trugschlüsse blenden läßt. – Wir sind Humanisten geworden, ich habe nichts dagegen; aber die Nachsicht mit Lastern und Verbrechen, wie sie heut zu herrschen beginnt, ist inhuman. Schlimm steht es mit einem Volk, das kein Herz zur Bestrafung des Bösen hat, es hat auch keins zur Belohnung des Guten. Es verliert die Richtschnur und taumelt dahin, von seinen Stimmungen, Launen und Leidenschaften getrieben, und ist verloren. Wer allzunachsichtig mit dem Schlechten ist, der hat selbst kein reines Gewissen. Wenn wir den Verbrecher freisprechen, so verurtheilen wir uns selbst. – Pankraz und Luzina sind schuldig.«



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