Peter Rosegger
Das Geschichtenbuch des Wanderers
Peter Rosegger

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Meister Hermann.

Die Geschichte des Gerbermeisters Hermann beginnt mit der Ochsenhaut. Diese lag mit ihren aufgefalteten Rändern auf dem Werkstisch ausgebreitet und der Meister war just im Begriffe, sie für den Kleinverkauf in Stücke zu trennen.

Er wurde bei dieser ledernen Arbeit anmuthig unterbrochen. Sein junges munteres Weibchen flatterte herbei Er stemmte das scharfgespitzte Messer auf den Tisch und hielt seine muskulöse Gestalt stramm, daß sich das warmherzige Wesen recht weich daran schmiegen und das apfelrothe Wänglein an seinen Arm legen konnte, an welchem das Hemd der Arbeit wegen bis hinter die Ellbogen zurückgestreift war.

Eveline wurde von Tag zu Tag huldvoller. Sonst war sie seinem gutmüthigen Ernste halb schüchtern und fast kindlich fromm gegenüber gestanden, hatte ihn Meister, oder Alter, oder Mann genannt, oder höchstens Väterchen, obgleich gar keine Ursache für dieses reizende Wörtlein da war. Die liebe Junisonne des Frauenjahres schien erst in den letzten Wochen hervorzubrechen, da hieß sie den Gatten in unverhüllter Zärtlichkeit ihr Männlein, ihren Schatz, ihr Herz, ihren kleinen Engel, ihr weißes Lämmchen, was der stattliche, derbknochige Gerbermeister mit besonderem Wohlgefallen vermerkte. Er war ein Mann von vierzig Jahren; sie hätte seine Tochter sein können, sagten die Leute.

Jetzt war eben der Knabe von der »goldenen Rose« dagewesen, von der Tischgesellschaft geschickt, dieselbe verlange nach dem Meister: Er möge sich diesen Abend im Wirthshause zu einem Spielchen einfinden. Die Anderen säßen schon beisammen und mischten die Karten.

»Mir kommt's nicht ungelegen heute,« sagte Hermann, »da besorge ich zeitig den Häute-Einkauf beim Fleischhauer.« Und steckte die Geldtasche in das Wams. »Aber,« setzte er bei und schaute schmunzelnd auf Eveline: »Was wird das Weibchen sagen?«

»Was kann ich denn machen, wenn sie mir mein Männlein wegnehmen? Ihrer sind Viele, ich bin allein. Ich muß warten, was sie übrig lassen.« So sagte Eveline betrübt, wie es von einem jungen Frauchen nicht anders zu erwarten, und ergeben, wie es einer Ehefrau geziemt.

»Komm' mit!« rief er und breitete seine Arme vor ihr aus, als wollte er sie um die Mitte fassen und davontragen.

Sie wich einen Schritt zurück und sagte: »Gott verhüt's! In der Herrengesellschaft! Ich bin einmal dabeigewesen – und nicht wieder! Niemals wieder, mein Goldherz. Weiß ich nur, Du zerstreust Dich von Deiner Müh' und Sorg', so bin ich schon zufrieden.«

»Aber es wird sicherlich Unterhaltung geben,« warf der Meister ein.

»Geh' nur, Ihr spielt Karten. Soll ich etwa daneben hocken und Finger nutschen?«

»Ist der Geometer dort, so wird ja gar nicht gespielt. Der erzählt wieder Geschichten.«

»Was geht mich der Geometer mit seinen Geschichten an!« sagte Eveline fast unwirsch, »geh' Schatz. Ich lege mich bald in's Bett und schlafe.«

So nahm er Rock und Hut, sagte einen guten Abend und ging durch die lange Gasse des Städtchens hinab gegen die »goldene Rose«.

Dort im Extrazimmer saßen etliche Bürger und kartelten. Der Eintretende grüßte, sie knurrten den Gruß zurück, er setzte sich zu ihnen und kartelte mit. Die Kerze brannte trüb und Einer schob sie mit dem Ellbogen dem Andern zu, daß er sie putze, denn Keiner hatte die Hände leer. Der Wein war heute nicht gerade süffig. Es flog kein munteres Wort; ein Einziger machte zwei Witze rasch nacheinander, sie verpufften, ohne daß Einer lachte, das verdroß ihn und er schwieg. Es waren die Rechten noch nicht beisammen. Auch war's dumpfig schwül im Zimmer. Ein Fenster auf, und es streicht die kalte Nachtluft durch Mark und Bein. Die Kellnerin sitzt im Winkel, scheinbar der Wünsche gewärtig, aber es sinken ihr die Augen. Die ganzen Nächte keine Ruhe. Noch am besten rastet sie, wenn die Gäste karteln.

»Gestochen!« rief Meister Hermann und warf ein Aß aus.

»Dasmal nicht gestochen, Gerber,« sagte der Nebenmann, »der Herzbub ist Trumpf.«

»Gestochen, sag' ich!« rief der Meister nochmals, »ich will einmal stechen!«

»So stich Deine Katz',« gab ein Anderer halb scherzhaft d'rauf. Ein zurechtweisendes Hinwort, ein bissiges Herwort.

»Ich pfeif' Euch heut' auf die Karten,« sagte der Gerber und legte das Spiel weg. »Ich bin nicht aufgelegt.«

Er zahlte den Wein und ging nach Hause.

– Diese Hohlberger Bürger, so dachte er unterwegs, lauter Sauertöpfe sind es. Wer gewandert ist und die Welt gesehen hat! – Manchen Tag meint man, das Hirn friere ihnen im Kopf.

Da ist der Geometer ein Anderer!

Der Geometer! Freilich, das war ein junger, munterer, witzsprudelnder Spanier, der vor einem halben Jahre mit einer »geometrischen« Gesellschaft in die Gegend gekommen war, um Berg und Thal abzumessen. Seine Genossen waren abgezogen, nachdem sie der schönen Umgebung von Hohlberg das Maß genommen; der schwarzbärtige Spanier blieb sitzen und wurde durch seine gefälligen Manieren, durch sein stets aufgewecktes, feuriges Temperament und seine tollen Anekdoten der Liebling von Hohlberg und der unentbehrliche Zechgenosse in der »goldenen Rose«. Die Frauen wußten von ihm auch zu erzählen, daß er ein schönes Auge habe und eine interessante Stimme. Er sprach etwas gebrochen deutsch, was ihn aber nicht hinderte, seine Gedanken und Wünsche auf die eleganteste Weise auszudrücken. Gewißlich lebten Etliche im Städtchen, die es gerne hätten wissen mögen, was in seinem Taufscheine stand. Wenn man darauf anspielte, so zeigte er den Schein stets auch mit der größten Bereitwilligkeit, aber allemal von hinten, wo nichts d'raufstand. Er erzählte fortweg aus seinem Leben, von seinen Abenteuern und Plänen die heitersten Stücke, aber die griffen nie so tief, daß auch nur ein Einziger aus ihm klug geworden wäre. Geld schien er zu haben, das war einstweilen den Männern genug; galant war er, das ließen sich die Frauen gern gefallen, und so gehörte er in das Städtchen Hohlberg hinein, als wäre er daselbst geboren und wolle daselbst sein Leben beschließen – was noch lange gute Weile habe.

Der Geometer hatte sich in der »goldenen Rose« ein Zimmer genommen, in welches er sich manchen Abend einschloß, um seinen Studien zu obliegen, denn er war nicht allein Lebemann, sondern auch ein Mann der Arbeit und der That, und da ließ er denn die Tischgesellschaft im Extrazimmer, die stets mit Sehnsucht seiner harrte, manchen Abend allein sitzen.

So auch an diesem Abende, und darum war heute die »goldene Rose« so welk gewesen. Der Fleischermeister war ebenfalls langweiligerweise daheim sitzen geblieben und so konnte der Gerbermeister nicht einmal die Hauteinkäufe besorgen. Kurz, es war ein verlorener Abend und Hermann ging verdrießlich seinem Hause zu. Wenn der Aerger einmal da ist, dann sucht er sich nicht just immer den richtigen Gegenstand aus, dann bindet er mit Allem an. – Was nur dieser Stein da zu liegen hat, mitten auf der Straße? Verfluchter Stein! Müssen denn die Müllers just am Weg hin ihren spießigen Gartenzaun haben? Sollen Laternen dazu setzen. Daheim wird auch wieder kein Licht sein, daß man sich den Schädel einstoßen könnt'. Was sie allemal schon so früh in's Bett zu kriechen hat! Wäre sie mit gewesen, hätt's anders sein können, aber das ist ihre neue Art: bleib' ich zu Haus, so will sie gehen, und gehe ich, so ist ihr um's Schlafen. Nicht einmal die Hausthür ist heute noch geschlossen – brummte er weiter, als er an sein Haus gekommen war. – Soll man dem Gesindel den Thürhaken in den Buckel schlagen, daß sich's merkt: nächtig muß das Hausthor versperrt sein!

Der Hausgang war finster, das Gesinde schon zur Ruhe gegangen. Der Meister bekämpfte seinen Unmuth, leise schritt er durch die Werkstatt, in welcher eine Lampe halb niedergedreht brannte. Leise drückte er an der Thürklinke des Schlafzimmers, um das Weib nicht zu wecken. Sie soll nur schlafen, sie hat ganz recht, wenn sie schläft. Die Thür ging nicht auf, war versperrt. Ein derber Druck des Armes, das Schloß sprang entzwei, die Thür war offen, hart an ihm stand im Nachtkleide Eveline, mit Hast im Begriffe, das Lampenlicht auszutilgen. Er schleuderte sie an die Wand, ergriff an der Lederbank das Messer, stürzte auf einen Mann, der zum Fenster hinausspringen wollte, und stieß ihm das Eisen in die Brust. Der Spanier – lautlos sank er zu Boden. Eveline fiel mit einem heiseren Schrei in Ohnmacht – Hermann lief zum Hause hinaus in die finstere Nacht. – –

Da war der Baumgarten, da standen die schwarzen Ulmen. Weiter unten waren die dunklen Dächer der Stadt, oben funkelten die Sterne.

Jetzt kam er zu sich, jetzt fragte er: »Was ist da geschehen Ist das wahr, daß Du jetzt Einen erstochen hast? – Rosenwirth, was hast Du mir heute in den Wein gethan? Wahnsinnig werden! So auf einmal wahnsinnig werden! – Das Weib untreu! Der Spanier! – Das kommt davon, weil Du Salpeter in dem Wein thust. – Jetzt muß ich geschlafen haben, da auf dem Rasen. Im thaunassen Gras liegen! Das ist nicht gesund. Dann hat man das Hämmern im Kopf und die Träume. Untreu. Man soll so tollwitzigen Gedanken niemals Gehör geben, sonst stellen sie sich im Schlaf ein. Ach, das Hämmern, das Hämmern im Kopf! – Wie ich nur auf den Geometer gekommen bin? Auf den lustigen Geometer? Das wird ein Gelächter beim Rosenwirth, wenn ich's erzähle demnächst, daß der Geometer – – – – daß ich den Geometer! . . . hat, 's ist toll, 's ist toll, ich bin nicht gesund, Eveline.«

Er wollte in's Haus gehen und einmal recht zanken mit seiner Frau, daß sie ihn im feuchten Garten schlafen lasse, und ihr dann den Traum erzählen und ihr abbitten, daß er so von ihr geträumt habe. Schon der Traum ist ein Verbrechen. O Gott, wenn die Weiber allemal so schlecht wären, als sie die Männer träumen! Von jetzt an will er sie nicht mehr halten, wie ein munteres Kind; er will sie verehren wie eine Frau, der er einmal tief Unrecht gethan. Er will zu ihr gehen. – Da stürzte zur Thür schon eine Magd heraus, händeringend, zeternd, es waren Räuber und Mörder im Hause, Meister Hermann liege ermordet in seiner Schlafstube.

Mehr wollte er nicht hören. Jetzt war er wach, jetzt träumte er nicht mehr, daß er geträumt hatte. Jetzt war er wach. Er eilte quer durch den Garten, sprang über den Zaun hinaus auf das Feld und lief dem Walde zu. Als er aber zum Kreuze kam, welches sie das Armensünderkreuz nennen, weil auf diesem Platze einst die Verbrecher gerichtet worden waren, stand er still und sagte: »Was soll das unsinnige Laufen? Das sieht ja ganz aus wie eine Flucht! Wer wird denn fliehen? Dort drüben liegt die Straße, die zur Kreisstadt führt, morgen Früh, bis die Richter aufwachen, bin ich dort. Es läßt sich bequem mit ihnen reden. – Ihr Herren Richter! Der Gerbermeister Hermann aus Hohlberg bin ich. Ein fleißiger, braver Mann, wie die Leute sagen, auch nicht über Gebühr trinkend, auch nicht rachsüchtig und nicht jähzornig. Ein gutmüthiger Mensch, der gern lacht, wenn Einer lustige Geschichten erzählt. Der Gerbermeister Hermann. Geboren zu Hestritz in Schlesien, vierzig Jahre alt. Verheiratet, Ihr Herren. Unbeanstandet bisher, nur wegen ehrlicher Zeugenschaft einmal vor Gericht gestanden. Der Gerber Hermann, Ihr Richter! Schaut ihn nur einmal an, der gehört jetzt Euch. Den Spanier hat er niedergestochen, heute Nacht. – Den Arm hat mir Einer hingestoßen, ich weiß nicht wer. Aber gethan habe ich's. Der Kopf weiß nichts davon, und wird's doch büßen müssen. Sputet Euch, daß das Henken auch so schnell vor sich geht, als das Zustoßen! – Nehmt Euch aber in Acht, Ihr Herren Richter! Was ich heute vollbracht habe, das kann Einer von Euch morgen vollbringen. Geglaubt hätte ich's mein Lebtag nicht, daß so wenig Schlechtigkeit dazu gehört, um ein Verbrecher zu werden. Aber das nutzt Alles nichts. – Thut nicht lang' um mit Schreiben und Verhandeln. Untersucht, wenn Ihr wollt, ob ich bei Sinnen bin, und nachher macht's kurz, ich bitt' Euch.« –

Auf der Straße ging er jetzt still und gleichmäßig hin und ließ die Aufregung seines Blutes vertoben. Er hörte das Wasser rauschen, er sah manche Sternschnuppe vom Himmel fallen. Dann stand er einmal still und schaute um sich und dachte: Ich habe oftmals gehört, daß den Schuldigen nach der bösen That Furcht und Angst erfasse. Ich merke nichts dergleichen. Meine Ahne hat mir doch auch erzählt, was die Sternschnuppen bedeuten. Ich hätte immer gemeint, ein Weniges dürfte sich das Gewissen doch rühren, wenn man in die Sterne aufschaut. Ich merke nichts, 's ist wohl wahr, ich hab's vollbracht, ohne zu denken; ganz als ob plötzlich ein Blitz losgesprungen wäre aus meiner Brust, so ist's gewesen. Wenn ich's aber jetzt überdenke, und wenn ich sie noch einmal so finden sollte, sie und ihn, gerade so, und ich könnte mit Bedacht handeln – ich stieße ihn noch einmal nieder. Beim Herrgott im Himmel, ich stieße ihn noch einmal nieder. Dann ginge ich zum Gerichte wie ich jetzt gehe und wollte sagen: Gericht, ich habe meine Ehre vertheidigt, das ist meine Schuldigkeit. Und jetzt henkt mich, das ist Eure Schuldigkeit. Es geht seinen geraden Weg. –

Als er in die Kreisstadt kam, war es noch eitel Nacht. So in der kalten Stille dahin gehen zwischen den Häusermassen, und drinnen schlafen sie und legen sich einander den Arm um den Hals, wie sie sich lieb haben. – Als er den Hammer an das Thor des Gerichtsgebäudes fallen ließ, einmal und zweimal, da hub drinnen der Pförtner gotteslästerlich zu fluchen an, daß denn in dieser vermaledeiten Nacht die höllischen Nachtschwärmer wieder gar keine Ruhe gäben! Daß er sie aber, so wahr er eine höchst unsterbliche Seele habe, mit Hunden zum Teufel hetzen lasse, wenn sie das Thor noch einmal auch nur mit einem krummen Finger berührten! Der wahrlich genugsam geplagte Christenmensch wolle in der Nacht schlafen, keiner möge sich versündigen, sondern Jeder möge Gott danken, der an diesem Thore nichts zu thun habe.

Jetzt, da Meister Hermann wieder eine Menschenstimme hörte, brach sich seine heroische Büßerstimmung. – So, dachte er sich, da wird nicht aufgethan? Gut, du stolzes Haus, so lebe wohl. Mögen wir uns nicht mehr sehen. Ich habe meine Schuldigkeit gethan und bin zum Gericht gegangen. – Hernach eilte er mit leichten Füßen, als hätte er ein neues Leben gestohlen, zur Stadt hinaus, und als er durch die Auen zog, wo sich die Pappeln und die Birken in nebelichtem Morgenschimmer zu lichten begannen, hub er an, sich folgendermaßen selbst freizusprechen: Wo liegt's denn eigentlich? Ich bin Herr meines Hauses und meines Weibes und werde den Räuber wohl unschädlich machen dürfen. Es sind ja Gesetzparagraphen dafür da, daß ich's darf – und soll. Hätte ich nicht zugestoßen, so hätte es er gethan. Das Gericht ändert nichts mehr; der Ankläger hätte einen Teufel und der Vertheidiger einen Engel aus mir gemacht und das Rechte hätte Keiner getroffen. Alles in einen Topf und laugen, wie der Gerber die Häute. Das kennt man. Und für's Weitere unschädlich machen, das gilt bei mir nicht. Der Spanier steht nicht mehr auf, und einem Andern thue ich nichts. Weib hab' ich kein's mehr und nehme mir kein's. Mein Haus und Geschäft in Hohlberg ist das Lehrgeld, das ich zahle für meinen gestrigen Schultag. Ich bin als Bursch in Bremen gewest und finde wieder hin. Dort stehen die Schiffe und in der neuen Welt giebt's auch zu gerben.

Als die Sonne aufging, war er schon so weit von der Kreisstadt entfernt, daß er von ihr nur mehr die höchsten Thürme sah. Dort säße er nun im finstern Gewölbe und sähe nichts mehr von der schönen Welt. Es ist besser so. Der Mensch muß manchmal eine Reise thun.

Als die heißen Mittagsstunden kamen, legte er sich in einen Kiefernwald zu einer mehrstündigen Rast. Das ist ja ganz wieder, wie in der Burschenzeit. Wenn man diese fünfzehn Jahre in Hohlberg herausschnitte, wie den brandigen Fleck aus der Kuhhaut! Es wäre gut, aber ein Loch bliebe doch zurück. Manche Leute füllen solche Löcher mit Schnaps und anderem Gebräu. Mögen es thun, ein braver Bursch denkt an die Gesundheit. – Hernach kehrte er in einem Bauernwirthshaus zu, welches schon so weit von Hohlberg stand, daß man ihn nicht mehr erkennen konnte. Aber die Wirthin erzählte ihm zur Neuigkeit, daß in der vergangenen Nacht unten im Hohlbergerstädtlein ein schreckbarer Mord geschehen sei. Ein fremder Geselle, der sich schon längere Zeit im Orte aufgehalten, habe den Gerbermeister Hermann erstochen.

»Das wird wohl nicht so sein,« antwortete Hermann auf solche Nachricht, denn er hatte die leidige Gewohnheit, alle Unwahrheiten berichtigen zu wollen. Also, der fremde Geselle würde den Gerbermeister nicht erstochen haben!

»Aber ich sag's!« rief die Wirthin schneidig.

»So sagt Ihr eine Unwahrheit.«

»Ich?!« begehrte sie auf, »also bei einer Lügnerin wollt Ihr jetzt was essen und trinken? – Geht mir, geht, ich hab' nichts für solche Leut'!«

Er hatte Hunger und mußte es also nachgerade gelten lassen, daß der Gerber zu Hohlberg erstochen worden sei. Aber nach dem kleinen Mahle ging er rasch davon.

Und nun trat er seine weite Wanderung an. Er reiste als Gerber, nahm aber nirgends Arbeit. »Ich habe mich fremd gemacht,« sagte er nach Handwerkers Art. Er hat sich fremd gemacht. – – –

Nach Wochen war es, daß er krank und abgehärmt in Bremerhaven ankam. Da war der graue feuchte Nebel und durch denselben schimmerten verschwommen die Masten der Schiffe. Noch einmal stieß Hermann seinen Fuß zornig auf die Erdscholle, die zu einem Welttheile gehört, auf welchem der Rächer seiner Ehre Verbrecher heißt. Dann bestieg er das Auswandererschiff die »Hoffnung«. Das Geld, welches er an jenem unseligen Abende für den Häute-Einkauf zu sich gesteckt hatte, sollte ihm jetzt hinüberhelfen über das große Meer. Erschöpft, wie er war, wurde er in eine dunkle Cajüte gebracht, wo er nach den Aufregungen und Strapazen in eine Krankheit verfiel. Tagelang lag er bewußtlos dahin oder phantasirte von Mord und Blut. Aber in einer Nacht, da kam er so viel zu sich selbst, daß er darüber nachdachte, warum denn fortwährend seine Bettstatt schaukle und was nur das immerwährende Geräusch außerhalb an der Wand bedeute? Das war oft, als ob man ganze Lasten von Sand an die Wand werfe, der dann wieder langsam abriesele. – »Es ist doch der Kerker!« sagte er sich, »es ist nichts als der Kerker, den sie mit Schutt und Erde zuwerfen, um mich lebendig zu begraben.« Aber sein Nachdenken regelte sich allmählich, und es kam ihm dunkel in Erinnerung, daß er ein Schiff bestiegen habe. Er wollte Gewißheit haben. Er erhob sich von seinem Lager und taumelte die Eisenblechtreppe hinan auf das Verdeck. Er stieß an Masten, er stieß an Geländer, er klammerte sich an einen Balken und schaute hinaus und sah nichts als unendliches Gewässer. Es war die graue, belebte Meerfluth im ersten Morgenschein. Im Bauche des Schiffes schnob die Dampfmaschine, auf den Takelwerken saßen ein paar Matrosen, die von Zeit zu Zeit eintönige Laute ausstießen. Am Oberraume, wo das warme Rohr des Rauchfanges emporstieg, saß ein dicht in den Mantel gehüllter Mann, der gedankenvoll hinauszublicken schien auf die weiten Wasser.

Hermann fühlte das Bedürfnis nach einem Menschen und nahte sich dem Manne. Dieser starrte ihn fragend an, und Hermann taumelte entsetzt zurück und floh angstvoll in seine Cajüte hinab. »Ich bin sehr krank!« wimmerte er auf seinem Lager und preßte die Hände an sein Haupt.

»Selbstverständlich, wenn Ihr in der kalten Nachtluft herumgeht, daß Euch wieder schlechter wird,« rief ihm ein Cajütengenosse zu.

»Seinen Geist habe ich gesehen!« stöhnte Hermann.

»Gesehen!« spottete ein Genosse, »es scheint eher, daß Ihr welchen getrunken!«

»Seinen Geist habe ich gesehen!« wimmerte der Kranke.

»Wessen Geist?«

»Den Geist des Spaniers, den ich erschlagen habe.«

»Geht in's Bett.«

Von dieser Nacht an währte es wieder tagelang, bis sich der kranke Auswanderer so weit erholt hatte, daß ihm der Arzt gestattete, nach Gutdünken auf dem Decke der »Hoffnung« herumzugehen. Nur selten dachte Hermann über die greulichen Fieberphantasien nach; häufiger quälten ihn die Erinnerungen an verlorenes Glück. Es waren doch schöne Zeiten gewesen, die er mit Eveline verlebt. Er hatte sie lieb gehabt Was soll jetzt aus ihr werden? Aus den Armen des Verführers sinkt Jede in's Verderben. O, des Elenden! straflos schleicht er – als böser Geist in menschlicher Gestalt, um überall abenteuerlich zu zerstören, was die Gesetze weise schützen und die Elemente gütig verschonen. – So war oft sein Sinnen, aber seine männliche Natur wurde der Wehmuth Herr. Der Gerbermeister war im Grunde ja nicht allzu weichmüthig geartet, er war – wie er sich selber gerne einredete – ein Mann für Amerika.

Eines schwülen Abends, als er lange den Arbeiten der Matrosen zugeschaut hatte und als er nun gegen den Kiel hinausschritt, um dort den freien Ausblick auf die untergehende Sonne zu genießen, die, eine riesige Scheibe, roth und glanzlos in das Meer sank, sah er vor sich auf einer Kiste sitzend – Eveline und den Spanier.

Hermann dachte nun an keinen Geist mehr. Rasch wandte er sich um und schritt über das Deck, um seine Aufregung zu bemeistern. – Er lebt, er flieht mit ihr! deß war er sich nun gewiß. Doch, nicht umsonst soll sie die Nemesis auf dieses Schiff geworfen haben. Zum Lieben ist er nun zwar nicht mehr aufgelegt, und um sich an dem Spanier zu rächen, wäre es fast ein gutes Stück, sie mit ihm unbehelligt ziehen zu lassen, damit sie dereinst auch ihn betrügen und verderben könne. Doch nein, so billig soll man's nicht geben. Als Hermann wieder zum Kiel zurückkehrte, wollte das Paar eben davonhuschcn. Er vertrat ihm den Weg. Eveline verdeckte ihr Gesicht und wimmerte: »Herr Gott, erbarme Dich unser! Erbarme Dich unser!«

Ohne sie zu beachten, murmelte Hermann dem Spanier zu: »Also hab' ich meine Sache schlecht gemacht!«

»Führen Sie hier keine Scene auf!« versetzte der Geometer kalt. »Der Stoß hat das Herz verfehlt. Die Rippenwunde ist heil, Eveline hat gewählt, also lassen Sie uns ferner mit den Vorurtheilen der alten Welt in Ruhe.«

»Sie sind ein nichtswürdiger Abenteurer, ein Schurke!« rief Hermann.

»Wenn Sie glauben, daß Einer von uns Beiden auf dem Schiffe zu viel ist – – –«

»Zum Teufel, das glaube ich!«

»So werdet Ihr Euch schlagen!« fiel das Wort eines nebenstehenden Matrosen ein, bevor der Spanier sein bereits sichtbares Vorhaben, den Angreifer über Bord zu werfen, ausführen konnte.

»Ich schlage mich mit keinem Schelm!« rief Hermann.

»Und ich mich mit keinem Hahnrei!« höhnte der Spanier.

Da stürzte der Gerbermeister auf ihn los, und er hätte den »Geometer mit den lustigen Geschichten« auf der Stelle erwürgt, wenn die Herbeieilenden sich nicht dazwischen geworfen hätten. Das Weib hatte sich, als der Kampf begann, davon gemacht; die beiden Männer wurden getrennt und in ihre Cajüten gebracht, die Strafe gewärtigend, die für eine Gewaltthat auf dem Schiffe verhängt ist.

Hermann wußte nun gar nicht, wie ihm geschah.

»Zum Teufel!« knirschte er, »man meint doch, weil die Weiber d'rauf gehen, es müßt' Fleisch und Blut sein. Daß ich ihn aber jetzt schon das zweitemal anrühre, und er ist noch nicht todt, das nimmt mich Wunder. Eveline, beschaue Dir ihn einmal!«

– Dem schwülen Abend folgte eine stürmische Nacht. Alle Mannschaft auf Deck. Das Schiff wurde aus seinem Lauf geworfen, rasch gegen die Klippen der Azoren getrieben. Alle Schrecken des Schiffbruches wütheten: Der Sturm, die Fluthen, das Feuer, die Verzweiflung, die Raserei – doch nach einer Stunde war Alles vorüber. Der stolze Dreimaster zerschellt, Mann und Maus ertrunken. Drei einzige Menschen hatten sich an das treibende Stück eines Mastbaumes geklammert und so auf ein ödes Eiland gerettet. Als sie sich anstarrten im blassen Mondschein, thaten sie einen gräßlichen Schrei, es waren der Gerber Hermann und sein Weib Eveline und der Spanier. – Der Schrei des eigenen Mundes weckte Hermann aus seinem schweren Traum. – Die »Hoffnung« zog unversehrt auf den stillen Wassern dahin.

Aber der nächste Morgen brachte eine Neuigkeit. Seit dem vorigen Abende wurde eine Frauensperson vermißt, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach in's Meer gestürzt habe. Hermann ahnte – und als er den Spanier sah, allein, blaß und verstört, da blieb ihm kein Zweifel mehr.

Hermann hatte keine Klage, ja, er schien von diesem Tage an ruhiger und munterer als sonst. Er meinte fast, der Tod eines treulosen Weibes sei für den Mann die auserlesenste Huld des Himmels.

Bevor seine Disciplinarstrafe angehen sollte, wollte er noch etwas Lustiges anstellen. Er ging auf das Deck und bewirthete die Matrosen mit Schnaps, bis sie übermüthig wurden. Um dieselbe Stunde erschien wie gewöhnlich der Spanier, der wortkarg an der Mannschaft vorbei gegen den Kiel hinausging, sich dort an die Brüstung lehnte, eine Cigarre anbrannte und einem Walfisch zusah, der draußen auf der Wasserfläche Wellen schlug und bisweilen mit Schweif oder Rachen an die Oberfläche kam.

Hermann gab den Matrosen einen Wink; diese näherten sich dem Kiel und dämpften ihre Gespräche. Jetzt trat Hermann hervor, stellte sich mit unterschlagenen Armen dem Spanier und rief:

»Schurke! Der Walfisch dort drüben scheint Fleisch gewohnt zu sein, meinst Du nicht? Und nach einer frischen Portion zu lusten, meinst Du nicht? Ich hätt' ihm ein Stück für diesen Mittag. Nun weiß ich wohl, daß er Dirnen frißt, jedoch ob er auch Spitzbuben verträgt, das möcht' ich schier versuchen. Thu's aber nicht, Windkerl, mag keinem unschuldigen Thier was zu Leide thun, Wichtling. Ich will Dich noch eine Weile Luft schnappen lassen, aber merk' Dir's, Schurk', Du hast sie von mir!«

Jetzt war der Spanier aufgesprungen, und mit einem gezückten Dolch stürzte er auf Hermann. In dem Augenblicke schleuderten ihn die Matrosen zurück auf die knarrenden Dielen. – Die beiden Männer begegneten sich nicht mehr.

Als die »Hoffnung« in den Hafen von New York einlief, sprang Jeder für sich fluchtartig aus der schwimmenden Burg.

Den Gerber litt es in der Weltstadt nicht, er trachtete landeinwärts. Seine weiteren Wege sind unbekannt geblieben; vielleicht ist er als Bettler gestorben, vielleicht als Millionär – als Glücklicher kaum. Denn da hat er noch folgendes Wort gesagt: Wem in solcher Art das Weib Eins versetzt, der mag das Wörtlein »Glück« flink aus seinem Büchlein streichen, er setze dafür Gold, Ehre, Sinnengenuß hinein, oder was er will. Das Leben wird endlich ja wohl verstreichen.

Und der Spanier, der »lustige Geometer«? Der hat sich sicherlich munter durchgeschlagen; er soll wieder nach Europa zurückgekehrt sein, um die Männer im Wirthshaus zu erheitern – und die Weiber –

– in der Kammer – hilft kein Schloß und kein Gitter, wenn die Treue nicht drinnen ist.



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