Peter Rosegger
Das Geschichtenbuch des Wanderers
Peter Rosegger

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Die Gattin meines Freundes.

Wie schätzt Ihr ein Weib, welches vor Gericht seine Ehre und Frauenwürde verleugnet, um das eheleibliche Kind zu behaupten?

Ich hatte einen Freund. Der war ein blasser, hagerer Geigenspieler und auf ihn ließ sich das Sprichwort münzen: im Spiel größeres Glück als in der Liebe. Auf den reichen Lorbeern, die ihm seine berühmten Concerte eintrugen, konnte er zu Hause nicht ausruhen, weil seine Frau ihm keine Ruhe ließ. Sie war um zwanzig Jahre jünger als er und sehr interessant. Aber war es, daß sie mit den Musen eiferte, denen ihr Mann ergeben war, oder daß ihr ein Jugendgespiele fehlte, kurz, wie er die Geige spielte, so spielte sie die Unglückliche. Sie hatten ein Kind, einen schönen Knaben von etwa zwei Jahren. Sie lebten in diesem Kinde; er wünschte, daß es aufwachse und die Geige spielen lerne; sie hingegen sagte, es wäre tausendmal besser, das Kind wäre nicht, weil es auf der Welt ja ohnehin kein Glück gäbe. Auf solche Bemerkungen strich Gustav's Fiedelbogen mitunter ein bischen zu scharf über die Saiten, worauf die Gattin mit verhaltenen Ohren schrie: das sei nicht auszuhalten; sie lasse sich von ihm scheiden.

Ich weiß nichts Näheres davon, ich weiß nur, daß oft solche Scenen vorfielen, daß Beide dabei höchst aufgeregt waren, daß sie sich jedesmal schwerer beleidigten, als es der Anlaß – der oft sehr geringe Anlaß – erheischt hatte, daß das Wort Scheidung immer häufiger fiel und daß sie endlich das Gericht angingen, sie zu scheiden.

Das Gericht ist oft rührend naiv, aber sie ließen sich nicht rühren. Die Behörde hielt dem so arg von der Centrifugalkraft erfaßten Paare eine eindringliche Rede über die Bedeutung der Ehe, über den Werth des häuslichen Friedens, über die Pflichten gegen Kinder u.  s. w., das Paar wurde dabei noch zorniger und alte Fetzen von Familienangelegenheiten wurden hervorgezerrt, die besonders die Frau wie Siegesfahnen zu schwingen wußte. Habt Ihr – liebe Leser – einen ehelichen Krieg vor Gericht schon gesehen? Nicht? Dann ist es verdienstlicher für mich, wenn ich ihn Euch nicht näher beschreibe. Wäre ich dabei gewesen, ich hätte meinen Freund, der sonst ja so vernünftig war, an der Hand genommen: »Lass' sie! Geh' mit mir. Frauen sind nur geschlagen, wenn sie der Mann allein läßt!« Aber ich war nicht bei ihm und mein guter Gustav hat sich bei seinem nervösen Temperamente in die Sache hineingebohrt, als ob sie ihn etwas angegangen wäre. Und er war bei der ganzen Angelegenheit doch nur bloß der Ehemann – da hätte er ruhig seines Weges gehen können.

Endlich erklärte sich die Behörde zum Vollzuge der Scheidung bereit.

Nun aber war die Frage: Was geschieht mit dem Kinde?

»Das Kind gehört zur Mutter!« rief die Frau.

»Der Sohn gehört zum Vater,« behauptete der Mann.

»Nun, darüber müßt Ihr Euch einigen,« sagte der rührende Richter.

Jetzt entbrannte der Streit noch heftiger und es hatte den Anschein, daß diese Frage nur durch den bekannten salomonischen Vorschlag gelöst werden könne. Das Gericht entschied wie folgt: Maßen die von nun an alleinstehende Frau vielleicht weder die Subsistenzmittel, noch den moralischen Halt besitzt, um das Kind zu ernähren und zu erziehen; maßen das Kind als Knabe mehr auf den Einfluß des Vaters angewiesen ist, dessen Namen es trägt, als auf den der Mutter: maßen gesetzliche Bestimmungen über das Heimatsrecht legitimer Kinder solche dem Vater zusprechen und maßen in diesem Falle kraft väterlicher Gewalt der Vater sein Anrecht behauptet – hat das dieser nun gelösten Ehe entsprungene Kind bei dem Vater zu bleiben.

Jetzt war die Frau einen Augenblick still gewesen und man sah an ihrem erbleichenden Angesichte, was in ihrem Mutterherzen vorging. Wenn sie sonst in Ohnmacht gefallen war, ohne zu erblassen und ohne eine Veränderung des Pulsschlages zu zeigen, blieb sie jetzt aufrecht stehen, aber ihr Körper bebte, sie rang schwer nach Athem, bis sich der krampfige Schmerz in einen Thränenstrom löste.

Diese Thränen gingen den Mann nun eigentlich nichts mehr an; aber man kennt ja die Frauenthräne als die wirksamste Flüssigkeit, in welcher sich das steinerne Herz des Mannes löst. Gustav dachte daran, wie unendlich dieses Weib an seinem einzigen Kinde gehangen war, wie sie die Amme und die Kindsfrau verschmäht hatte, nur um sich selbst ganz dem Kinde zu widmen und den Kleinen sich anhänglich zu machen. Sie, die sonst nach Prunk haschende, nur der Bequemlichkeit ergebene Frau, hatte sich ganz an's schlichte Kindszimmer gewöhnt, hatte dem hilfebedürftigen oder gar erkrankten Wesen sorgenvolle Tage und schlaflose Nächte gelebt. Und so oft sie auch geäußert: »Besser, das Kind wäre nicht auf dieser unseligen Welt!« war sie doch stets bereit gewesen, das Leben desselben mit dem ihren zu schützen und zu bezahlen. Hatte sich der Kleine auch mehr dem milden und gemüthlichen Vater angeschlossen, als der launischen, leidenschaftlichen Mutter, so konnte Gustav doch trotz alldem das Recht nicht bestreiten, das die Mutter an dem Kinde hatte, und er schwankte, ob nicht etwa doch er das schwere Opfer zu bringen und den Knaben hinzugeben habe.

Der Schreiber setzte schon die Feder an, um die Clausel vom Kinde niederzuschreiben. In demselben Augenblick trat die junge Frau zu Gustav heran. Ihre Glieder bebten, in ihren Augen lag ein wilder Glanz.

»Weißt Du denn so bestimmt,« hastete sie ihm zu, »ob Du an dem Kinde ein Recht hast?«

»Mein Recht an meinem Kinde ist nicht zu bestreiten,« sagte er.

»Weißt Du denn auch, ob es Dein Kind ist?«

Auf dieses ihr Wort ist dann mein Freund Gustav einen Schritt zurückgewichen.

»Lieber, als ich mein Kind lasse,« rief sie in fürchterlicher Aufregung, »lieber gestehe ich Alles. Dieser Mensch ist nicht der Vater von dem Kinde!«

Nun war die Reihe zu erblassen an Gustav. Er blieb äußerlich ruhig – aber endlich fragte er mit tonloser Stimme das Weib: »So darf ich doch vielleicht wissen, Madame, wen ich als Ihr formeller Gatte öffentlich zu vertreten die Ehre hatte?«

»Sie werden sich seiner kaum zu schämen brauchen,« sagte die Frau, »er zählt zu Ihren besten Freunden.«

»Hans!?« rief Gustav aus.

»Sie sollen Recht haben,« sagte sie und stürzte aus dem Saale.

Der Richter sprang dem zu Boden sinkenden Manne bei. Dieser legte seine Hand auf die Achsel des Stützenden. »Es ist eine Lüge!« sagte er, »nicht wahr, Herr, es kann nicht sein! Das Kind, ich hab' es allzu lieb! Ha, der Maler! Der Maler! Doch, sie mögen schlecht sein, wie sie wollen; das Kind ist unschuldig. Ist's auch nicht mein Blut, so ist es doch mein Herz, mein Leben geworden. Ich lasse es nicht. – Ha, ha, mein Knabe, Du warst unvorsichtig in der Wahl Deiner Eltern. Aber sie sollen Dich nicht verderben, Du bleibst bei mir.«

So hatte er gesprochen; dann verließ er den Saal und kam zu mir in meine Wohnung.

Ich erschrak, als ich ihn sah. Das war ein wirrer Bursche.

»Was erschrickst Du, Hund!« rief er fast stöhnend vor Aufregung. »Du glaubst wohl, daß ich Dich nun niederschießen werde!«

»Was ist Dir, Gustav?« rief ich aus.

»Du leugnest es? Darum also die Feinheiten mit ihr, die Zärtlichkeiten mit dem Kinde!«

Es bedurfte lange, bis ich aus seinen Worten klug wurde. Als ich endlich aber sah, um was es sich handle, fragte ich, wie alt sein Junge sei.

»Du wirst es recht gut wissen, daß er in einem Monat zwei Jahre wird.«

»Und Du – doch es ist ja nur ein Scherz von Dir, aber ein recht unpassender, lieber Freund.«

»Ich rathe Dir, das Höhnen sein zu lassen!« rief er mit wüthender Geberde.

»Und Du,« fuhr ich fort, »solltest wissen, daß ich erst seit anderthalb Jahren aus Italien zurück bin, wo ich ununterbrochen vier Jahre in Rom gelebt habe.«

Der Beweis davon war leicht erbracht, umso leichter, da Gustav sich nun ja selbst daran erinnerte, daß ich erst seit einem Jahre in sein Haus kam, wir uns früher persönlich fremd gewesen waren, nur daß er von meinem Aufenthalte und meinen Kunststudien in Rom gehört hatte.

Wie träumend ging Gustav seiner Wohnung zu. Dort fand er vor dem Bettlein des Knaben, der mit rosigen Wangen ein Mittagsschläfchen that, sein Weib knien, bitterlich weinend. Als er eintrat, wendete sie sich mit gerungenen Händen zu ihm.

»Tödte mich, Gustav!« rief sie, »ich verdiene das Leben nicht mehr, aber das Kind ist Dein!«

»Ich weiß es, Margarethe.«

»Hätte ich aus sinnlicher Leidenschaft Dich betrogen,« fuhr sie fort, »ich wäre nichts als ein leichtsinniges, beklagenswerthes Weib, das Du verstoßen könntest. Aber ich habe meine Ehre mit Absicht verleugnet, aus Eigennutz. Ich habe die Ehre Deines Hauses befleckt, nur um das Kind zu behaupten. Ich stand nicht an, dem Kinde den Vater und Namen zu rauben, seine gesellschaftliche Stellung und Legitimität zu vernichten, nur damit ich es an meiner Brust kosen und herzen könne. O mein Gustav, ich habe in der Angst um das Kind so niederträchtig gehandelt, daß ich jetzt verzagen muß.«

»Ein Beweis, wie gewaltig und rücksichtslos die Mutterliebe ist,« sagte Gustav. »Ich komme eben von Hans und weiß, daß Deine Behauptung grundlos ist. Aber ich gebe Dir nun das Kind – diesen lieben Knaben – mein ganzes Glück auf der Welt . . .«

Er konnte nicht weiter sprechen. Sie umklammerte seine Knie und schluchzte: »Nimmer zu sagen, Gustav, wie lieb ich Dich habe! Nun ist mein Trotz gebrochen. Das Unrecht, welches ich Dir und Deinem Kinde zufügen konnte, die Schuld ist so groß, daß sie alle Launen, Gereiztheiten und Bosheiten, womit ich bisher meine Umgebung gequält habe, niederdrückt auf mein Leben lang. Ich habe kein Anrecht mehr auf Deine Liebe, keines mehr auf die Liebe dieses Engels. Verstoßest Du mich nicht, Gustav, so will ich Deine Magd sein und meine Unthat löschen, so viel ich kann; willst Du mich aber nicht mehr um Dich sehen –« sie wimmerte wie ein Kind.

Er hob sie auf zu seiner Brust. Der Tag ihrer Trennung ist der Tag ihrer Vereinigung geworden. Der schwere Fehler, der die Gattin zur Einsicht aufgeweckt und zahm gemacht, war eine Lüge und diese Lüge hat ihr der Gatte gern verziehen. Ich meide seitdem selbstverständlich ihr Haus. Ich höre den guten Gustav zwar geigen, aber bei ihm soupiren – das lasse ich bleiben.



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