Peter Rosegger
Das Geschichtenbuch des Wanderers
Peter Rosegger

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Die Vierzehnte.

Eine unheimliche Geschichte

Am Freitag bin ich also nicht abgereist.

»Reise Samstag Früh,« hatte meine Mutter vorgeschlagen und so reiste ich Samstag Früh. Ich bin nicht abergläubisch, aber wenn man bei Unglücksfällen nachdenkt: fast allemal sind Vorzeichen nachzuweisen, die mit den Ursachen in geheimnißvollem Zusammenhange stehen. Ich bin, wie ich mir schmeicheln darf, ziemlich vorurtheilslos, obzwar ich auf dem Lande lebe, doch, das muß ich gestehen, daß, wenn man einmal in die Stadt fährt, um sein junges Blut etwas durch die lustige Welt des Canevals schäumen zu lassen, gewisse Vorstellungen verflucht unangenehm sind.

Ich reiste Samstag Früh und war zu Mittag in der Stadt. Daß ich im Gedränge des Bahnhofes mit dem Rockknopf an der weißen Schnur eines pompe funèbre-Mannes hängen blieb, war mir für den Augenblick überaus ärgerlich. Was hat dieser Mensch auf dem Bahnhofe zu thun? Ein Bahnhof ist keine Leichenhalle, außer, wenn mit dem Zuge ein Todter ankommt, was, wie ich später erfuhr, damals allerdings der Fall gewesen. Ich war mit einem Todten auf den Carneval gereist! Ich bin nicht abergläubisch, aber den Knopf trennte ich mir selbstverständlich sofort vom Tuche.

Im Hotel nahm ich zwei gassenseitige fein möblirte Zimmer; es ist zwar auf eine besondere Häuslichkeit nicht zu rechnen, wenn man Welt sehen will, aber wohnen will man doch auch. Man erhält Besuche, und selbst wenn's nur für den Friseur wäre – stets das Decorum, sage ich, gegen Jedermann das Decorum.

In Bezug auf Salonanzüge, die ich mir sofort verschaffen mußte, wies man mich in das große Kleidermagazin »zum Uhu«. Ein Ballkleidermagazin »zum Uhu!« Ich bitte Sie! Abergläubische Leute müßte das Schild schon in vorhinein zurückschrecken; ich ärgerte mich blos über die Geschmacklosigkeit, und wählte ein anderes Geschäft.

Theater, Museen, Concerte – Fastenkost, nichts als Fastenkost. Tanzen, springen, rasen, leben! Die Leute sind sozusagen lebendig und wissen nicht, was leben heißt. Mit den Elitebällen wollte ich den Anfang machen, abwärts geht's leicht und nach der Mahlzeit, bildlich gesprochen, wo man etwas pikanten Käse liebt, nehme ich noch etwas »Sperl« oder »Elysium« u. s. w.

Am zweiten Tage erhielt ich Einladung in ein bekanntes Haus zum Diner. Ich bin im Ganzen nicht für häusliche Zirkel hierhergekommen, derlei cultivirt man auf dem Lande zur Genüge. Doch, einmal kann man ja annehmen.

In der Familie waren – wie ich wußte – ein paar hübsche Kinder von Achtzehn aufwärts. Vortrefflich, das weiht in die Gesellschaft, in die Verhältnisse des diesjährigen Faschings ein. Man lernt das Terrain kennen, auf dem man siegen will und wird. Ich decorirte mich mit einer Rosenknospe, die ich in's Knopfloch stak, und begab mich in's Haus, in welches ich geladen war. Am Eingangsthore begegnete mir eine alte Frau. Man braucht nicht abergläubisch zu sein, um von einer solchen Begegnung an der Stufe eines Hauses, in welchem man sich unterhalten will, unangenehm berührt zu werden. Ich kehrte um, fuhr noch ein paar Straßen auf und ab, um dann das zweitemal in's Haus zu treten.

Der Empfang war überaus herzlich. Vor Allem überraschte mich die Wohnung. Man hat auf seinem Landgut auch Comfort, aber diese Eleganz – ich war überrascht! Die Gesellschaft war nicht groß, aber glänzend, blendend – reizende Mädchen darunter. Man ist nicht blöde; das Buch vom »guten Ton in der Gesellschaft« hat man im Kopf, man ist sattelfest in der Kunst des Tanzmeisters, in der Conversation, im Courmachen, kurz in allen ritterlichen Fertigkeiten eines Löwen. Man geht zu Tische; mir schneit der Zufall, nein, mein Glück, eine junge, entzückende Dame an den Arm, die ich an ihren Sitzplatz führe. Die alten Bekannten waren alsbald vertraulich, die sich bisher fremd gewesen, verstanden sich und es entwickelte sich jene ungebundene Munterkeit, die eine Gabe des Himmels ist, eine himmlische und seltene Gabe, die Keiner dem Andern spenden kann, wenn sie nicht von selbst kommt. In feinen Kreisen kommt sie von selbst. Es ist doch ein anderes Leben in der Stadt als auf dem Dorfe. Alles so gebildet, so aufmerksam, so geistvoll! Es geht nichts über die Stadt.

Als wir im besten Schnabuliren waren – ich zertrennte just ein Stück Filet du Boeuf und sann mir dabei Artigkeiten aus, die ich meinen Beisitzerinnen sagen wollte – sprang die Hausfrau von ihrem Sitze auf und ihr Blick irrte schreckerfüllt über die Tischgesellschaft hin.

»Was ist?« war meine Frage an die Nachbarin. Man wird unruhig, auf allen Gesichtern Bestürzung. »Was ist geschehen?« fragte ich.

»Dreizehn!« hörte ich murmeln. »Dreizehn Personen an der Tafel!«

Alles sprang auf, aber die Hausfrau bat, daß man sich beruhige und vorläufig wieder an die Plätze begebe, damit das Unglaubliche nochmals untersucht werden könne.

Wir setzten uns wie auf glühende Kohlen. Die Dame des Hauses, die mir zur Linken saß, zählte von sich aus links hin die Anwesenden – es waren genau Dreizehn – und ich war der Dreizehnte.

Ein frivoler Patron war da, der meinte ganz unverfroren, er halte die Zahl Dreizehn bei Tische nur in dem einen Falle für fatal, wenn blos für Zwölf gekocht worden. Eine solche Bemerkung unter Gebildeten verdient, daß sie einfach ignorirt werde – und das wurde sie.

Hingegen rief die Hausfrau: »Unbegreiflich, es ist doch für Fünfzehn gedeckt!«

Jetzt zählte meine schöne Nachbarin zur Rechten, indem sie von sich aus nach rechts hin vorging – es waren ganz genau Dreizehn – und ich war der Dreizehnte.

Was war zu thun?

Am ganzen Leibe zitternd, erbot ich mich, an einem Extratischchen Platz nehmen zu wollen.

»Na, das fehlte noch!« rief man.

Allsogleich wurde ein Diener zu einer Frau Müller, Apothekersgattin im dritten Stock, geschickt:

Ob Frau v. Müller nicht das Vergnügen machen wolle, heute bei uns zu speisen, dann möchte sie aber die Güte haben, sofort.

Der Bote kam zurück: Frau Müller wisse nicht, wie sie zur Ehre käme, sie danke verbindlichst, aber es sei ihr momentan ganz unmöglich.

»Das ist noch ein Glück,« bemerkte eine Tochter des Hauses, »eine Apothekerin! Mama weiß nicht, wo sie den Kopf hat.«

»In der That,« sagte die Hausfrau, »es giebt Augenblicke im Leben, wo man trotz Allem die Geistesgenwart verlieren kann. Johann, gehen Sie in's Kinderzimmer, ich lasse Fräulein Antonia ersuchen, sie möchte mit uns speisen, aber sogleich!«

Nach wenigen Augenblicken trat Fräulein Antonia ein, ohne Festkleid, ohne Schmuck, ein junges, recht einfaches Wesen, das geräuschlos am unterstem Ende der Tafel Platz nahm. Man beachtete sie nicht weiter und das Mahl nahm seinen Fortgang. Da die natürliche Heiterkeit jedoch einmal gestört war, so mußte die gemachte dran, ist für den Nothbedarf auch nicht übel, weil man sie in der Stadt ganz leidlich zu imitiren weiß. Ich konnte mich aus einer gewissen Beklommenheit gar nicht mehr herausarbeiten. Die Anzeichen für meinen Karneval spielten sich nicht gut. Ich war mit meinem jungen Leben in die Stadtlust gesprungen, um – der Dreizehnte zu sein. Wenn man nachdenkt, es trifft immer zu – der Dreizehnte an einer Tafel stirbt. Man braucht darum nicht abergläubisch zu sein. – Doch es ist ja vorbei, bei Tische sitzen Vierzehn. Ich schaute verstohlen zwischen Weinflaschen, kunstreichen Blumenvasen und silbernen Obst- und Backwerkaufsätzen hin gegen das Fräulein Antonia, das fast hilflos und unbemerkt unter den lauten, rede- und eßgewandten Herrschaften dasaß.

»In der Noth frißt der Teufel Fliegen,« bemerkte meine stets geistreiche Nachbarin zur Rechten.

»Uebrigens,« setzte die Hausfrau bei, um ihre Maßregel doch auch noch zu entschuldigen, »es ist ein braves, anständiges Mädchen, das ich erst vor wenigen Monaten vom Lande bezog. Die Tochter eines kleineren Beamten, die mir für meine jüngste Zucht empfohlen worden ist. Es fehlt ihr noch Chic, wie Sie sehen, aber mein Gott, man muß noch froh sein, heutzutage eine ehrliche und verläßliche Person zu bekommen.«

Wie ich aber so hinschaute auf das Mädchen, das in seinem schlichten Hauskleide mit dem glattgekämmten braunen Haar still und bescheiden zwischen den in aller Buntheit und mit allem Raffinement aufgeputzten Frauen dasaß, ohne Befangenheit und Geziertheit die Gabel handhabend, und bisweilen mit ihrem großen Auge ruhig und mild aufschaute, da kam mir der Gedanke: das wäre mir die Liebste von Allen.

Man braucht darum nicht abergläubisch zu sein.

Bei dem Aufruhr, den der Champagner verursachte, wollte das Mädchen sich heimlich davonmachen. Ich merkte es und säumte nicht, mit meinem Glase zu ihr zu treten und mit ihr anzustoßen.

»Gegen die Lebensretterin muß man stets galant sein,« hörte ich hinter mir sagen; das verletzte mich, ich weiß nicht warum. Ich stieß mit dem Mädchen doppelt herzlich an und schaute ihr in's Auge.

Dann entschwand sie. –

An den verschiedenen Vorzeichen war aber doch was. Mir war der Fasching verdorben. Ich war überall dabei, man kann sagen, ich machte Glück – aber mir fehlte das Animo. Ich dachte zu viel an – die Vierzehnte. Sie war nirgends dabei, aber sie saß in meiner Seele, gerade so hold und bescheiden, wie sie dort bei Tische gesessen. Sie beherrschte mich.

»Bist Du in einem Hause zur Mahlzeit geladen worden, so mache einige Tage nach derselben in dem betreffenden Hause eine Visite, gemeinhin die Verdauungsvisite genannt,« so heißt es im »Buch vom guten Ton«. Mir wäre es gar lieb gewesen, wenn der gute Ton zehn solche Visiten verlangt hätte. Uebrigens war ich in der Familie auch ohne Vorschrift willkommen und die Töchter wurden von Tag zu Tag liebenswürdiger. Aber das meinte ich nicht. Durch ihre Vermittlung wurde ich zu Hausbällen geladen, wo sie vortanzten und wo sie mich bei den Damenwahlen höchlich auszeichneten. Aber das meinte ich nicht. Endlich luden sie mich nochmals zum Speisen; ach, wie hätte ich gewünscht, daß wir wieder Dreizehn zu Tische säßen! Doch es waren unser blos fünf Personen. – »Der engste Familienkreis,« wie die Hausfrau so anmuthend sagte. Aber das meinte ich nicht.

Ich machte die unmaßgebliche Bemerkung, daß in den Familienkreis doch auch die kleineren Kinder gehörten. Die Töchter errötheten über diese Bemerkung. Aber das meinte ich nicht.

Bei der nächsten Visite verfehlte ich beim Fortgehen in meiner Gedankenlosigkeit die richtige Thür und stand plötzlich im Kindszimmer. Mitten unter den fröhlichen Kleinen – fröhlich mit ihnen – saß meine Vierzehnte.

Ein halbes Jahr später habe ich sie aus demselben Gemache geführt. Ein weißer Schleier umrahmte ihr liebes Angesicht, ein Myrtenzweig lag auf ihrem Haar.

* * *

Diese Zeilen schreibe ich heute – am Vorabende unseres silbernen Hochzeitstages. Tag für Tag sitzen wir zu Dreizehn an unserem Tisch: Sie, ich und die eilf Kinder. Man braucht darum nicht abergläubisch zu sein: aber welch ein Glück, so zu seinen Dreizehn mitsammen zu speisen!



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