Peter Rosegger
Das Geschichtenbuch des Wanderers
Peter Rosegger

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Auf der Wacht.

Herr Christof war nach der Sommerfrische ein Anderer, als vor derselben. Er hatte sich erholt, Gott sei Dank, aber er hatte eine Gewohnheit mitgebracht, die seine Frau für ein Laster, seine Freunde für eine Tugend hielten. »Gieb nur Zeit, ich werde mir sie schon wieder abgewöhnen,« sagte er zu seiner Frau; »die neue Lebensweise schlägt mir recht gut an,« sagte er zu seinen Freunden. Die Gattin wendete all ihre Mittel an, den Herrn Gemahl des Abends zu rechter Stunde nach Hause zu locken – ein leckeres Nachtmählchen, ein feines Glas Wein, ein gut durchwärmtes Zimmer und alle nicht zu unterschätzenden Vorzüge eines wohleingerichteten Schlafgemaches.

Und es war doch vergebens, – Herr Christof blieb bei den Wirthshausbrüdern sitzen; er, der sonst der Erste gewesen, der aufstand und nach Hause ging, wartete nun als der Letzte, bis der Kellner höflich mahnen mußte, daß die Sperrstunde geschlagen habe.

Das fiel seinen Mitgenossen selbst auf und sie fragten ihn einmal, worin die so vortheilhafte Aenderung denn eigentlich ihren Grund haben möge: ob es die Unterhaltung sei, oder der Wein, oder das Rauchen was ihn so sehr fessele.

»Es ist blos die Gewohnheit,« antwortete Herr Christof aufrichtig, »und ich gestehe es gerne, wie ich sie mir angeeignet habe. Kellner, noch eine kleine Flasche Nußdorfer!«

»Ober-Abelsberg, wo ich, wie Ihr wißt, aus Gesundheitsrücksichten den Sommer zugebracht habe, ist ein großes Dorf, in welchem noch die alte, landesübliche Gemüthlichkeit herrscht. Am Abende kommen die Bürger, an Sonn- und Feiertagen auch die Bürgerinnen im Wirthshause zusammen; ebenso finden sich im Wirthshause die Sommerfrischler ein, und die Gesellschaft verträgt sich mitsammen in brüderlicher Heiterkeit. Meine liebe Frau, das wißt Ihr, war in Linz bei ihrer kranken Mutter auf Besuch; so ließ sich für mich das Wirthshaus nicht umgehen. Und ich hatte es – dank meiner Selbsthilfe – auch kaum zu bereuen. Schon am ersten Tage wurde ich mit den Wirthshausbesuchern vertraut, sie kamen mir so treuherzig entgegen, boten mir in uneigennütziger Weise ihre Dienste und verschiedenerlei Vortheile; der Kaufmann stellte mir Wasser von seinem besonders guten Hausbrunnen zur Verfügung, der Schmied seine schattige Gartenbank, der Zimmermeister seinen Wald zum Spazierengehen, der Amtsschreiber sein Conversationslexikon, der Wirth Küche und Keller, der Bürgermeister sein Roß und Wagen, der Schulmeister seinen Feldstecher, der Sattlermeister seine Tochter. Der Feldstecher wäre mir wohl vonnöthen, sagte ich, was jedoch die Tochter anbelangt, so wäre ich in einer Lage, verbindlichst dafür danken zu müssen. – Alles, was mein Herz verlangte, war da; sie stießen mit mir die Gläser an: Auf gut Freund! Und wahrlich, ich fühlte mich wie unter Brüdern. Trotzdem wich ich von meiner Tages- oder vielmehr Nachtordnung nicht ab; wie gewohnt, mit –«

»Mit dem Schlage neun zahltest Du Deine Zeche und gingest.«

»So war es. Ich gratulirte mir aber zu dem gemüthlichen Kreise, den ich gefunden, und des andern Abends saß ich zeitlich wieder im Wirthshause. Alles empfing mich, wie einen alten Freund, und der Kaufmann sagte, daß sie gestern nach meinem Fortgehen noch lange von mir gesprochen hätten. Ich fühlte mich sehr geschmeichelt. An diesem Abende ging's noch unterhaltlicher zu, als am ersten; ein Handelsreisender war da, der erzählte allerlei Späße; ein Professor aus Wien, ein in weiten Kreisen berühmter Mann, hatte um seinen Tisch eine Runde von dankbaren Zuhörern gesammelt, denen er in seinem wissenschaftlichen Eifer populäre Erörterungen über Wald und Feld, Wasser und Erdreich hielt; Schätze verschwendete er in seinen Worten, Alles war Ohr, und der Ortsschreiber, ein kleines, weißköpfiges Herrchen, wackelte in einemfort zustimmend und sehr begreifend mit dem Kopfe. Bei einem anderen Tische wurde gesungen und der Herr Curat wußte die tollsten Schelmenliedchen. Der Professor aus Wien mochte gewohnt sein, nicht länger als eine Stunde zu dociren. Er war der Erste, welcher sich nach allen Seiten verneigend höflich empfahl und nach Hause ging.

»Gimpel!« sagte der Ortsschreiber, »als ob es Unsereiner nicht schon längst wüßte, und Gott sei Dank gründlicher wüßte, was Der als funkelnagelneu aus der Stadt zu bringen glaubt. Man hat auch studirt.«

»Und wie verzwickt er dabei geschaut hat,« versetzte ein Anderer, »wie er bei seinem Predigen nach Luft geschnappt hat! Ich habe fortan gefürchtet, er beißt sich in die Nasenspitze.«

Ein schallendes Gelächter.

»Thun thut er, als wie wenn er weiß was für ein hochgelahrter Mann sein thät,« bemerkte ein Dritter, »Rector und Director!«

»Und Hector!« warf vom nächsten Tische her der Schneider ein. Hierauf ein unauslöschliches Gelächter.

Nun nahm der alte Ortsschreiber das Wort, und um den Leuten zu zeigen, wie ein ganz anderer Kerl er sei, als so ein Professor, begann er nicht blos über Wald und Wiese, Wasser und Luft, sondern auch über Philosophie und Politik ein Langes und Breites zu salbadern, was den Zuhörern sehr zu imponiren schien. Kaum war er jedoch aus der Stube, so beglückwünschte sich der ganze Tisch, daß der alte Kannegießer endlich einmal fort sei, nannte ihn einen eingebildeten Maulhelden und Windbeutel, der seine ganze Gescheitheit mit alten Scharteken und mit Zeitungsblättern nähre und nicht einen einzigen selbstständigen Gedanken im Kopfe habe.

Mittlerweile schickte sich unter allgemeinem Bedauern eine Frau Hofräthin an, nach Hause zu gehen. Man bestürmte sie, noch zu bleiben, da man sich bei ihren munteren Gesprächen so einzig unterhalte. Als sie sich aber trotzdem freundlich verabschiedete, küßten ihr mehrere der Herren die Hand und becomplimcntirten sie in liebenswürdigster Weise.

Als sie fort war, stockte die Unterhaltung.

»Hätte sie doch Einer nach Hause begleiten sollen, die Frau Hofräthin,« sagte der Kaufmann.

»Die wohl Hofräthin, die!« äußerte der Wirth, »ihre Zeche sieht nicht darnach aus. Da gehen so Leute auf das Land, um groß zu thun und zwicken sich um jeden Kreuzer die Fingernägel stumpf.«

»Wahr ist's!« bestätigte der Greißler, »der war anfangs bei mir der feine Emmenthaler zu schlecht, heute kauft sie nichts als Quargl, weil er wohlfeiler ist.«

»Bei mir hat sie's mit Zucker und Kaffee genau so gemacht,« rief der Kaufmann.

»Kommt nur der Herr Hauptmann wieder auf Besuch,« bemerkte der Tischler, »da wird sie schon ausrücken!«

»Ich vermein', die rückt schon beim Lieutenant aus!« versetzte der Curat und lachte seinen Witz selbst zu Grabe. Denn die Anderen lachten bereits wieder über was Anderes, über einen Hohn, den man auf irgend eine abwesende Persönlichkeit gemünzt hatte. – Bei solcher Unterhaltung war es im Fluge dreiviertel Zehn geworden. Fast mit Gewalt mußte ich mich von meinen lieben Zechgnossen losreißen; sie blieben alle noch sitzen.

Am nächsten Abend schaarten sie sich wieder in anhänglichster Weise um den Professor, um die Frau Hofräthin, auch der alte Schreiber war wieder in Ehren und die Herrschaften waren stets neu entzückt von der gutmüthigen Zuthunlichkeit und Offenheit der Leute. Kaum sie aber wieder fort waren, begann derselbe Tanz von stechenden Nachreden und armseligen Witzen über die Abwesenden, wie gestern. Ich blieb instinctmäßig sitzen, noch länger, als den Abend zuvor. Der Kaufmann entfernte sich; da witzelte man über den Schacherer und Jüdler, über seinen guten Profit und über seine schlechte Waare.

Der Agent war fort; da sprach man von seiner Geckenhaftigkeit und von seinen Schulden. Der Curat war fort; da machte man sich lustig über seine Schnaderhüpfeln, er solle sie lieber daheim der Köchin vorsingen. Den Schneider hatten sie gehalten, so lange als möglich, hatten sich begastet an dem von ihm in Jubel aufgetischten Wein; nun war er fort, da besprachen sie im Tone mitbürgerlicher Theilnahme, wie es für den Mann weit vernünftiger wäre, er thäte für seine Familie, die zu Hause am Hungertuche nage, ein Stück Rindfleisch kaufen, als das Geld im Wirthshause verjuxen.

Schon war es eilf Uhr, aber immer noch war so viel Publicum versammelt, daß es mir gewagt schien, die Stube zu verlassen. Ein muthiges Aufraffen, ein kühner Schritt vor die Thür; doch lange, und als ich schon im Bette lag, immer noch fühlte ich es heiß und kalt über meinen Rücken laufen, als ob, wie man sagt, der Tod über's Grab schritte. – Am nächsten Tage ging ich freilich wieder in's Wirthshaus, weil mir erstens das Abendessen und zweitens die heitere Gesellschaft Bedürfniß war. Aber je öfter ich sah und hörte, wie man mit den Fortgegangenen und den Abwesenden umsprang, wie die scharfen Lästerzungen jedes gute Haar an ihnen wegrasirten, daß sie reine Schelme wurden – desto weniger konnte ich mich zum Nachhausegehen entschließen. Wenngleich ich mich an dem Wettkampfe im Verlästern und Ehrabschneiden weder betheiligte noch demselben Einhalt zu thun versuchte, so hütete ich durch meine Anwesenheit doch wenigstens meine Person und deren Reputation. Bei solchem Nachtdienste trank ich selbstverständlich einen Schoppen um den andern, war nebstbei fröhlich mit den Fröhlichen und sah und hörte Einen um den Andern scheiden und ausläuten, und blieb und blieb, bis ich der Letzte war im Wirthshause, oft spät nach Mitternacht. Auch dem Wirthe und der Kellnerin traute ich noch nicht, hielt daher aus, bis Eins um das Andere in einem Winkel eingenickt war. Nun erst sprang ich leichten Herzens auf und floh vermittelst der Zehenspitzen zum Tempel hinaus. – Und auf solche Weise, meine lieben Freunde, habe ich mir's angewöhnt, bis spät in der Nacht im Wirthshause zu sitzen.« –



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