Peter Rosegger
Das Geschichtenbuch des Wanderers
Peter Rosegger

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Der Taubstumme.

Eine Episode aus dem Künstlerleben.

Das war an einem Wintertage. Ich fuhr von der Hauptstadt mit dem Eilzuge in eine Provinzialstadt hinaus. Es war eine sechs Stunden lange, recht öde Fahrt. Die dichtbeeisten Fensterscheiben vermeinten weiß was zu verhüllen, und wenn man sich an denselben ein Flecklein freihauchte oder freikratzte, so sah man draußen den Nebel und die bereiften Telegraphenstangen – sonst auch nichts. Ich saß im Nichtrauchcoupé zu Vieren und, theoretisch genommen, hätte es recht ergötzlich sein können, denn es waren unser zwei Herren und zwei Damen. Aber Du lieber Gott, die Damen repräsentirten zusammen ein volles Jahrhundert und der Herr kauerte tief in seinen Pelz vergraben und gab kaum ein Lebenszeichen von sich.

Schon als ich beim Einsteigen zufällig auf die Stiefelspitze des Letzteren getreten war, benützte ich das obligate: Pardon! um gleich mit ein paar jovialen Bemerkungen über das Zusammenpferchen und die Unbehaglichkeit des Reisens im Winter ein Gespräch anzuknüpfen. Der Mann schaute mich mit seinen großen Augen betrübt an und hüllte sich schweigend in seinen Pelz.

Hingegen griff das Jahrhundert, welches auch schon fest saß, die Leine auf und gab der Muthmaßung lebhaften Ausdruck, daß Nebencoupés sicherlich ganz leer sein würden, daß aber die Herren Conducteurs die nicht sehr löbliche Gepflogenheit hätten, dieselben u. s. w. Es herrscheten hier überhaupt Unzukömmlichkeiten, die man auf ausländischen Bahnen nicht u. s. w. – Und wie eben die Unterhaltung im Coupé ähnlicherweise angeht.

Bei der Kartenvisitation fragte der Conducteur, ob wir in N. table d'hôte zu speisen wünschten. Ich und ein halbes Jahrhundert bejahten sofort, das andere halbe war stark unentschieden und entschloß sich endlich für die Karte. Mein Gegenüber, der apathische Mann im Pelz, schaute den Conducteur jetzt fragend an, mit einem gewissen ängstlichen Blick – ob hier etwas nicht in Ordnung sei, oder was der Schaffner wolle?

Dieser deutete uns noch durch ein Zeichen mit der Hand an, daß mit dem Manne im Pelze etwas nicht richtig sei – und schloß dann das Coupé.

»Man thut doch immerhin am besten, table d'hôte zu speisen,« bemerkte ich hernach, um mit dem Herrn anzubinden, »man wird dabei am raschesten bedient und das Speisen à la carte bedeutet doch nur ein Gabelfrühstück im Vergleich mit dem in der Regel guten und verhältnißmäßig reichhaltigen Diner; die Preise unterscheiden sich nicht wesentlich.«

Als mein Gegenüber sah, daß ich zu ihm spreche, deutete es durch eine klar zu verstehende Geberde und durch einen unarticulirten Ton an, daß es nicht höre und auch nicht den Gebrauch der Sprache habe, und mummte sich – da es in der That recht frostig war – noch tiefer in seinen Pelz.

»Also taubstumm!« murmele ich.

»Ach, der Arme!« – »Ach, der gute, arme Mann!« hauchten die beiden Frauen und schenkten ihm einen Blick, der überreich war an Theilnahme und Wärme.

Der Bedauernswürdige war ein noch jugendlicher hübscher Kopf mit schwarzem Schnurrbärtchen und blassen Wangen, eine jener interessanten Typen, in denen sich Schönheit und Schmerz so rührend vermählt hat. Meist schloß er die Augen, und dann war es freilich nur mehr der Tastsinn allein, durch welchen er mit der Außenwelt zusammenhing. Aber er tastete nicht.

»Ein so hübscher, feiner Kopf!« meinte die eine der Frauen.

»Und reist allein!«

»Wie weit er wohl reisen mag?«

»Nach G., soviel ich früher an seinem Billete sah.«

»Für den Nothfall kann ich ihm auf dem dortigen Bahnhofe behilflich sein,« war meine Bemerkung, »denn auch ich fahre bis G.«

Nun war ein reeller Gesprächstoff gegeben. Wir besprachen das traurige Geschick der Taubstummen und ich kam mit dem Jahrhundert bald darüber in Zwiespalt, was vorzuziehen sei, taubstumm oder blind sein. Ich entschied mich gewiß ganz unbedacht für das Taubstumme, denn das Gesicht geht mir über Alles. Meine Seele sitzt im Auge, mir liegt die Schönheit der Welt im Lichte, in der Farbe. Des Menschen Wort ist mir entbehrlich, genug, wenn ich seinen warmen Blick sehe. Was ich zu sagen habe, ist wenig; auch ist mein Wort als das des Fremden den Meisten gleichgiltig, Jeder hört sich selbst am liebsten. Und was durch mein Auge einzieht, das bringt genug Stoff für ein reiches, inneres Leben und ich bleibe gesammelt, bleibe Eins mit mir. Zum Auge kann viel weniger Jammer eingehen als zum Ohre, und ich kann mit dem Auge viel weniger Unrecht thun als mit der Zunge. So bleibt der Taubstumme glücklicher und besser, als etwa der Blinde.

»Aber bedenken Sie doch, bester Herr!« so drang jetzt das ganze Jahrhundert auf mich ein und führte gegen meine Ansicht die gewichtigsten Gründe in's Treffen. Durch das Gehör komme alle Lehre und Erziehung in den Menschen, und so wie sich ohne Gehör die Sprache nicht bilden könne, so blieben auch alle anderen Sinne zurück und man werde nicht sagen können, daß der Taubstumme umso besser sehe, während man vom Blinden wisse, daß er in der Regel ein schärferes Gehörorgan und einen ausgebildeteren Tastsinn habe, als der Sehende. Der Blinde führe ein reicheres und schöneres Geistesleben, während der Taubstumme zumeist stumpfsinnig, verschlagen, mißtrauisch und unzufrieden sei.

Ich bekam nachgerade Respekt vor den beiden Frauen. »Und bedenken Sie,« fuhr die Eine fort, »von der Musik, die den höchsten Rang in der Kunst einnimmt, die bildend und veredelnd bis in die Seele dringt, von der Musik gar nichts haben!«

»Ein ganzes langes Leben ohne Vogelsang!« gab die Andere zu bedenken.

»Ein Leben ohne Strauß!« rief die Eine.

»Singt der Strauß?« fragte die Andere.

»Nein, aber er geigt.«

»Ah so, der Wiener Strauß. Ich dachte an den Vogel.«

»Und was in der Menschenkehle steckt!« rief die Eine. »Ach, wenn ich daran denke! Gestern war ich in der Oper, in ›Lohengrin‹«.

»Wildmann soll wunderbar gesungen haben.«

»Unvergleichlich! Unvergleichlich! sage ich. Bei dem überfüllten Hause war es mir mit Mühe und Protection gelungen, einen Galleriesitz zu gewinnen, von dem aus ich kaum auf die Bühne sehen konnte. Ich war trotzdem glücklich, und bei diesem Gesang, ich gestehe es, daß ich ein wahres Gebet that: O Gott, ich danke Dir für seine Stimme, ich danke Dir für mein Ohr!«

Mit heller Begeisterung sprach sie's; dem Taubstummen mußten unsere lebhaften Mienen auffallen, er schaute der Dame, ich möchte sagen, wortdurstig auf den Mund, als hätte er's denken können: Ich verlangte Opern nicht, wenn ich nur die Worte der Menschen hören könnte! –

Ein seltsames Mitleid erfaßte mich für den armen Mann und die Dame setzte bei:

»Wie das traurig ist! Sterben zu müssen, ohne Wagner gehört zu haben!« –

In N. angelangt, wollte ich meinem stummen Nachbar etwas zu essen verschaffen, aber er sprang selbst auf, nahm am Büffet Schinken und Bier, warf dafür den Betrag hin, setzte sich wieder in's Coupé und vermummte sich in den Pelz.

»Er weiß sich doch zu helfen,« sagte eine der Frauen.

»In den Taubstummen-Instituten genießen solche Leute heutzutage ja eine beinahe vollkommene Ausbildung.«

Und sie hielten der Humanität ihres Jahrhunderts eine gebührende Lobrede.

»Ein wunderschöner Mensch!« hauchte eine der Frauen, in das Anschauen des Unglücklichen versunken.

Dann war davon die Rede, ob er etwa gar verheiratet sei, oder ob Taubstumme überhaupt heiraten dürften, ein gesundes Mädchen, ob sich der Zustand auch auf die Kinder fortpflanze.

»Bleiben natürlich nur auf einem Ohre taub,« war eine Ansicht.

»Und stumm nur die Knaben,« gab ich dazu, »die Mädchen alle zungengeläufig.«

So spielte sich das Gespräch, dann kam Anderes dazwischen, auch jene Apathie, der bei längerer Fahrt jeder Reisende, er mag anfangs auch noch so frisch gewesen sein, anheimfällt. Schien es doch, als hätte uns der Taubstumme angesteckt, bis wir endlich um die Abenddämmerung in den Bahnhof von G. einfuhren.

Das Jahrhundert reiste, nachdem ich mich recht artig von ihm verabschiedet hatte, weiter; ich suchte dem aussteigenden Taubstummen behilflich zu sein, dieser aber war in der Menschenmenge rasch verschwunden.

Ich hielt mich in G. mehrere Tage auf, doch bekam ich den Reisegenossen nicht mehr zu sehen und ich vergaß auch bald der kleinen Gesellschaft im Coupé. Dachte selbst nicht an die schönen Aussprüche der einen Dame über den Sinn des Gehörs und über die Musik, als ich eines Abends in's Theater zur Oper »Aida« ging. Diese meine Lieblingsoper hatte ich schon in verschiedenen Ländern gehört, wozu ich noch bemerken will, daß mich gerade die italienische Aufführung im Vaterlande des Componisten am wenigsten befriedigte. Diese überaus ergreifende und originelle Musik wollte mir in dem hüpfenden Tempo des Welschen nicht behagen; selbst Meister Verdi soll sie erst in der getragenen Weise der Deutschen recht liebgewonnen haben.

Als weiteres Motiv meines Theaterbesuches war der Opernsänger Wildmann, der eben in G. gastirte. Ich hatte meinen Platz im zweiten Parterre und als der Vorhang aufging, war ich sowohl von der geschmackvollen Ausstattung als auch von der guten Besetzung der Oper an dieser Provinzialbühne angenehm überrascht. Wildmann als Radames wurde mit einem wahren Beifallssturme begrüßt und als ich – es war das erstemal – seinen in der That herrlichen Tenor hörte, mußte ich des wunderlichen Ausspruches gedenken: O Gott, ich danke Dir für mein Ohr! – Doch, die Züge des Sängers! Die ganze Gestalt – wo war ich der schon begegnet? Ich wurde unruhig, ich bohrte meine Augen mit aller Anstrengung in das Opernglas, und im ersten Zwischenakte tauschte ich meinen Platz für einen des ersten Parterres um, daß ich noch besser sehen könne.

Hier sah ich's denn auch noch besser. Und sah es: der berühmte Opernsänger Wildmann war niemand Anderer, als mein Taubstummer vom Eisenbahncoupé.

War's möglich? Das weiß ich nicht, aber es war. Auf der Bühne geht ja oft genug das Unmöglichste vor – doch was sollte einer gerade mit dieser Maske bezwecken? Sonnenklar war's mir bald: nicht hier, im Coupé hatte er Komödie gespielt. Doch warum? Für den Kunstgenuß war mir der Abend verdorben. Wildmann sang hinreißend, und er riß das Publicum zum rasenden Applaus hin – aber mich wurmte der Taubstumme. Dieser Taubstumme, der das feinste Gehör hatte im ganzen Reiche, und die herrlichste Stimme!

Kaum daß das Sterbelied der Eingemauerten verklungen war, eilte ich auf die Bühne, ich mußte den Mann sprechen, ich mußte ihn sprechen hören zu mir, mir gegenüber in nächster Nähe. Ich mußte ihm meine Freude zujubeln darüber, daß er nicht taubstumm war.

Der Regisseur sagte mir, Herrn Wildmann würde ich nach dem Theater im »Hotel Dachstein« finden. Ich ging in's genannte Hotel, in dessen Silbersalon sich die Künstler, Schriftsteller und anderen Schöngeister von G. einzufinden pflegen. Da saß nun auch bald inmitten einer munteren Gesellschaft mein Opernsänger und war der munterste von Allen.

Ich saß abseits an einem Tische und beobachtete mir das laute, lustige Treiben des Theatervölkleins, in welchem Jeder und Jede so voll Geisteselektricität war, daß während des Hantirens mit Messer und Gabel, während des Toastirens mit schäumendem Weine die Funken des Witzes wie lebhaftes Kleingewehrfeuer hin und wieder über den Tisch sprangen.

Endlich – als sich die Gesellschaft im Saale ein klein wenig zu lichten begann und auch von den Theaterleuten sich Einige verabschiedet hatten – stand ich auf, trat zum Künstlertisch, nannte meinen Namen und bat in höflicher Weise, ob ich es wohl wagen dürfe, mich für den Rest des Abends dem glänzenden Kreise einzureihen, wie ein Glaskrystall unter Diamanten.

Ich sei willkommen, sagten Einige ziemlich gelassen und rückten mit den Stühlen. Herr Wildmann aber rief: »Der Tausend, das ist ja mein Reisegefährte!«

»So ist es,« sagte ich mich verneigend.

»Dann habe ich mich gefaßt zu machen auf einen Angriff,« lachte der Sänger.

»Allerdings beabsichtige ich etwas, was mir damals nicht gelungen ist, nämlich Sie zur Rede zu stellen. Es freut mich, Herr, es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, und ich bewundere den ausgemachten Schauspieler, der in Ihnen steckt.«

»Ja,« sagte Herr Wildmann lustig, »man verlangt von den Opernsängern eben, daß sie auch ein wenig Schauspieler seien.«

»Diese Verstellung! Dieser betrübte Blick zum Beispiel, als ich damals in's Coupé stieg!«

»Erklärlich auch ohne Verstellung. Sie sind mir nämlich auf das Hühnerauge getreten.«

Die Gesellschaft war aufmerksam geworden und wußte bald, um was es sich handle, und sie lachte.

»Wir haben Sie in der That für einen Taubstummen gehalten,« sagte ich.

»Ich weiß es,« versetzte der Opernsänger, »ist aber Ihre Schuld, oder hätte ich Ihnen gesagt, daß ich's bin? Uebrigens – Prosit!« Er schob mir ein perlendes Stängelglas zu: »Prosit!«

»Uebrigens,« fuhr er dann fort, »daß ich nicht allein spreche, sondern daß ich Ihnen auch Wahrheit sage! Ich habe es auf meinen häufigen Eisenbahnfahrten darauf abgesehen, für taubstumm gehalten zu werden. Erkennt man mich nicht und gelingt es mir, die Mitreisenden zu täuschen, so erwachsen mir aus meiner taubstummen Rolle unschätzbare Vortheile. Erstens schone ich meine Stimme, die unter dem steten Gepolter des Zuges nicht gewinnen würde, zweitens vernehme ich manches interessante Gespräch, das man sonst in seinem Leben nicht wieder zu hören bekäme, köstliche Bemerkungen über meine gehörlose Person, mitunter auch die freimüthigsten Urtheile über Theater und Oper und über den Sänger Wildmann, wie das eben auch bei unserer gemeinsamen Fahrt der Fall war. Allerdings kann man dabei auch Dinge zu hören bekommen, bei denen man nur herzlich bedauert, nicht wirklich taubstumm zu sein. Ich schmeichle mir, einige Menschenkenntniß zu besitzen, die mir wahrscheinlich länger treu bleiben wird als meine Stimme und aus der ich noch einmal Capital zu schlagen gedenke. Wem verdanke ich sie? Den Stunden, wo ich schwieg und scheinbar nicht hörte.«

»Vielleicht werde ich es Ihnen nachmachen,« war meine Bemerkung.

»Sie sind auch Künstler,« sagte er, »versuchen Sie's. Wohl dürften Sie ruhig bleiben, wenn man Ihre Bilder lästert; aber wenn man dieselben mit Enthusiasmus preist, und es kommt kein Glanz in Ihr Auge, dann erst sind Sie Meister der Verstellungskunst. Versuchen Sie's, es ist nicht leicht.«

Der Sänger und der Maler wurden an demselben Abende Freunde zu einander und verlebten mitsammen noch eine köstlich heitere Stunde, bis es Ersterer endlich an der Zeit fand, die Kammer zu suchen und sieben Stunden lang wirklich taubstumm zu sein.



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