Peter Rosegger
Das Geschichtenbuch des Wanderers
Peter Rosegger

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Herr Florin.

Ein verfehltes Leben! Er hätte Künstler werden können, er hätte Professor werden können, er hätte Bürgermeister werden können – Landtagsabgeordneter, Herrenhausmitglied – dann Baron oder Präsident, so oder so. Baron, wenn der Staat eine Monarchie verblieben, Präsident, wenn er eine Republik geworden. – Und ist nichts, als ein windiger Rasirer.

Ein Bartscherer, ein Haarkräusler und Geckenaufputzer, ein Perückenflechter und Haarzopfsträhner. Man verlangt, daß er Späße mache, und da er sie nicht macht, so macht man sich welche mit ihm. Man nennt ihn Doctor, er protestirt nicht dagegen, der Titel gebührt ihm, er ist belesen, er nennt alle hohen Berge der Welt beim Namen und weiß, wie hoch sie sind, weiß es in Fuß und Metern, kennt die Tiefen des Meeres und berechnet nach einem alten Atlas, wo die größten Untiefen sind. Er giebt dem Landmann, während er ihm den Bart abschabt, Fingerzeige über die Witterung der nächsten Monate, belehrt ihn, wie er den Dung streuen, woher er den Samen beziehen müsse. Er hat Agentschaften, und zwar deren so viele, daß er vor lauter Schildertafeln die Tünche seines Häuschens erspart. Er versichert dem Bauer das Haus, das Vieh, die Feldfrüchte, das Leben. – Wenn mir dieser »Lebensversicherer«, denkt sich der Bauer, »nur jetzt die Gurgel nicht abschneidet! Anstellt er sich g'rad so. Kratzen thut der Saggra schon, daß man die Engel singen hört! Schneidet denn das Messer nicht?« – Allerdings, das Messer rostet schon, denn Herr Florin hängt das Geschäft an den Nagel und rasirt den Mann nur aus Gefälligkeit. Er will ihm aus Gefälligkeit auch den Proceß führen helfen, den der Bauer mit einem Nachbar hat. Meister Florin weiß sich gut aus im Gesetzbuch und wird dem findigsten Doctor zu gescheit. Er führt verschiedenerlei Schreibergeschäfte, hat hier einen Strauß mit dem Steueramt, dort einen Handel mit dem Bezirksgericht, da ein Rencontre mit dem Notar oder mit einem Gläubiger, mit Dem oder Jenem – und gewinnt, gewinnt Alles.

Daher will er das Rasirgeschäft aufgeben, es sind schlechte Zeiten. Ja, früher, in seines seligen Vaters Jahren, wo jeder brave Staatsbürger fortweg sein glattes Gesicht haben mußte, da war's leicht, Rasirer zu sein. Aber jetzt, wo die Leute ihren Patriotismus und ihre Weisheit und ihr politisches Bekenntniß in den Barthaaren herauswachsen lassen, jetzt wird der Rasirer – und er mag der klügste und fleißigste Mann sein – ein Bettler.

Ueberhaupt – und das Wörtlein hat Meister Florin immer auf der Zunge – überhaupt, das fliegt so über Alles hin, da steckt Alles d'rin, was der Sprecher meint, aber nicht weiß, oder wenn er gar nichts meint und nichts weiß, als nur, daß hier eine Phrase gut stehe, so sagt er: überhaupt, und hat damit sehr viel und sehr vernünftig gesprochen. Also – »überhaupt«, sagt der Meister Florin, »es ist nicht mehr so wie früher, die Welt ist ganz anders geworden, heute siegt nur das Geld und der Protze, der Brutale, der Aufdringliche, überhaupt der Windbeutel. Ich könnte heut' auch anders dastehen, aber ich bin immer zu ehrlich und bescheiden gewesen. Den ersten Prügel hat mir mein Vater unter die Füße geworfen, weil er mich nicht studiren ließ, sondern mich zu seinem Handwerk zwang, zu dem ich niemals Lust und Schick gehabt habe. Ich bitt' Euch, ein strebsamer, intelligenter, für alles Schöne begeisterter junger Mann, Friseur! Aber ich habe mich herausgearbeitet. Wenn ich heute das Geld hätte, das mir die Kerzen gekostet haben, bei denen ich die ganzen Nächte hindurch studirt habe! In den einundzwanzig Jahrgängen der Theaterzeitung und in den Jahrbüchern des Gothaer Almanach und im Selbstadvocat giebt's kein Blatt, das ich nicht in mich aufgenommen hätte. Ich habe meine Freude d'ran gehabt, überhaupt, ich habe immer Sinn für was Besseres gehabt. Und ich hab's mitgemacht, wie wir die Eisenbahn bekommen haben und den Telegraph. Bei meinem Aufwachsen hat noch Keiner in unserer Gegend eine Baumwolljoppe getragen, und das Einjährig-Freiwilligen-Institut jetzt, die Hinterlader, überhaupt das ganze Kriegswesen. Das ist ein Fortschritt! Ich bin fortweg bei den Fortschrittsmännern und Aufgeklärten gestanden und überhaupt, früher ist die Welt in zweihundert Jahren nicht um das weitergekommen, als wie zu meiner Zeit. Es ist besser geworden und es wäre ganz gut geworden, wenn nicht die Anmaßung das große Wort führte. Der ehrliche Mann verarmt. Es ist ja zum Rasendwerden, wenn man betrachtet, wer heute das Heft in der Hand hat.« So seine Betrachtungen.

Er war im Stadtschulrath, aber sie haben ihn nicht zum Obmann gemacht, er ist in den Gemeinderath gewählt worden, aber bei der Bürgermeisterwahl, da –! Er hätte wenigstens zwei Drittel der Stimmen gehabt, aber die Cabale! Die Cabale, ihr Herren! – Sie haben es ganz gut gewußt, was sie thun, denn wenn er, der Meister Florin, obenauf gekommen wäre, da hätt's anders gehen müssen. Er wüßte schon, was zu machen wäre! Eine Mustergemeinde hätte er geschaffen, an welcher sich selbst der Staat ein Muster genommen haben würde. Man hätte »oben« gefragt: wer ist der treffliche Mann? Gehörte er nicht vielmehr hierher an's Ruder, als daß er seine Kraft in dem engen Wirkungskreise vergeude?

Vor einer solchen Perspective wird jeder Geschäftsmann – er braucht nicht erst Friseur zu sein – die Lust an seinem Berufe verlieren. Meister Florin macht bekannt: er rasirt nicht mehr. Jetzt kommen Fremde in's Städtchen, Touristen, sie suchen einen Friseur. Ist keiner da. Sie suchen auch einen Führer. Allsogleich tritt Meister Florin hervor und macht seine höfliche Aufwartung, er kennt die Gegend, wie sonst gar Keiner mehr, er ist gerne bereit. – Schön, was er begehre? – Bitte, es macht ihm ein Vergnügen, er ist mit von der Partie. Sie suchten einen Führer und finden einen Cavalier. Umso besser. Den Träger für Mäntel und Mundvorrath bestellt der Herr Florin; sie laden ihn ein, aus ihrem Vorrathe mitzuessen, mitzutrinken; er will nicht ablehnen, er thut den Schinken und Flaschen sehr viel Ehre an; er ist stets delicat, aber das ist zufällig seine Leibspeise, sein Tropfen – hoch sollen sie leben!

Er weiß unterwegs stets zu erzählen und spricht ganz im Geiste der Zeit, heißt das, wenn er merkt, die Fremden hätten keinen. Er erzählt gern von sich und was ihm eben so am geläufigsten ist; die Fremden heucheln Interesse, so lange sie's vermögen, endlich aber danken sie für seine freundliche Begleitung und gehen ihrer Wege.

Trotzdem, oder – überhaupt, die Fremdenführerschaft trägt mehr, als das Friseur- und Rasirgeschäft, es trägt wenigstens die Kost und man ist in der frischen Luft und Naturfreund ist man auch. Ist's und wird's von Tour zu Tour mehr, denn überall erinnert man sich, was einen früheren Touristen entzückt hat und das entzückt Einen nun auch und so bringt man im Laufe der Jahre eine Unzahl von »romantischen« Wegen, entzückenden Punkten und Aussichten zusammen.

Endlich nimmt er wahr, daß er ein so gewaltiger Naturfreund und Tourist geworden ist, daß er davon leben kann. Er läßt sich als Führer immer noch nicht lohnen, aber die Präsente, die der Cavalier dem Cavalier verehrt, die darf er nicht abweisen. Er hat davon schon eine respektable Sammlung, er verkauft sie nicht, es sind werthe Andenken von hohen Bekanntschaften und lieben Freunden – und versetzen, nur wenn's sein muß. Auch die Touristenvereine sind ihm erkenntlich, und wie die Assecuranzen – die er längst vernachlässigt und verloren hat – einst das Aeußere seines Hauses mit Agenturtafeln decorirt haben, so decoriren die Touristenvereine dasselbe von innen mit Diplomen, Gebirgskarten und Edelweißorden. Er übt wieder Gegenerkenntlichkeiten und wirbt Mitglieder für die Vereine. So wird er bekannt und gesucht und jeder Fremde, der am Bahnhof dem Zug entsteigt, fragt als sein Erstes nach dem Herrn Florin. Der steht schon da, stets nett beisammen, in Nationaltracht, stets höflich, lüftet seinen Touristenhut, ist dem Herrn zuvorkommend zur Hand beim Aussteigen, beim Gepäcktragen, bei der Suche nach einem Hotel, und dem Fremden bleibt nichts Anderes übrig, als sich gefangen zu geben.

Der Gasthofbesitzer weiß meinen Florin wohl zu würdigen, und wenn Letzterer für genossene Speis und Trank um die Rechnung ersucht, so vertröstet ihn der Wirth von Tag zu Tag, bis Herr Florin endlich nicht mehr ersucht und sich die Gasthauskost von Tag zu Tag so trefflich munden läßt, als ob's auf der weiten Welt kein einzig Stücklein Kreide gäbe. Es geht. Sehr gut geht's, und Meister Florin sagt es selber: es ginge ihm sehr gut! und er muß es am besten wissen. Daß er einmal Rasirer gewesen, hört er nicht gern, es war auch nur ein Spaß von ihm gewesen, ein schlechter Spaß. Er wohnt auch gar nicht mehr im Friseurhäuschen, das ist der Habgier eines Gläubigers zum Opfer gefallen, gegen den der Meister den langjährig geführten Proceß ganz unstreitig gewonnen hätte, wenn nicht Bestechung und Hinterlist von Seite des Gläubigers stattgefunden hätte. Ueberhaupt sind die Leute heutzutage von einem greulichen Eigennutz besessen, nur der Wirth nicht, nein, der ist ein braver Mann. Jetzt wohnt er auch bei ihm.

So verkehrt Meister – was Meister! Herr von Florin nur mehr mit feineren, vornehmeren Leuten, und wenn man dem Gespräche zuhört, das er und ein zugereister Universitäts-Professor führen, so ist kein Zweifel, wer der Gescheitere ist – nämlich der Herr von Florin. Man kann aber ordentlich erschrecken, wenn Florin plötzlich behauptet, das deutsche Kaiserreich tauge nichts und er mit wenigen diktatorischen Aussprüchen mir nichts dir nichts die Republik einführt und der Fürst Bismarck wie ein armer Schlucker dasteht, noch um ein paar Stündlein Leben bittend. Der Professor ist gar nicht im Stande, der Tragweite dieser unerhörten Reformen zu folgen, daher schweigt er, und das imponirt den umsitzenden Zuhörern. – »Ja, wie Florin gesprochen, da hat der gelehrte Herr nachgerade kein Wörtlein mehr zu sagen gewußt, ist still gewesen wie ein Baumstock.«

Wie steht er jetzt da, der Herr von Florin! Von altersher – und zwar seit etlichen vierzig Jahren – heißt er Franz Victor Florin; jetzt, der Name ist ihm zu lang, er ist selber nicht über fünf Schuh lang, er braucht keinen so langen Namen, er kürzt ihn, setzt anstatt des Wortes Victor nur ein kleines v. und jetzt lautet die Visitkarte: Franz v. Florin. Das steht! sehr gut steht's, und somit wäre er nun eigentlich oben.

Aber da sehe man den Neid des Schicksals! Ueberhaupt, wer zum Unglück geboren ist u. s. w. Auf einmal legt sich der Wirth hin und stirbt und macht den Herrn von Florin brotlos und dachlos. Denn der junge Wirth ist ein Zopf und sagt, Florin solle arbeiten, er sei noch stark genug dazu. – So! Also das ist der Lohn, daß er die Fremden herbeigezogen und die Gegend bekannt gemacht hat! Das ist der Lohn für die Dienste, die er dem Hause und der Gemeinde und Jedermann geleistet hat! Die Kinder werden einst als alte Leute erzählen von Herrn von Florin, wie schlicht er war und jovial und welche Reden er der Jugend oft gehalten hat und wie er für den Fortschritt gewesen und was ihm das Städtchen verdankt. Manche alte Schrift von seiner Hand wird verblaßt und vergilbt noch Zeugniß ablegen von dem strebsamen, vielseitigen Manne, der seiner Zeit voraus gewesen. Aber heute! Heute läßt man ihn darben. Zwar findet er immer noch gute Seelen, die seinen Nahrungsbedürfnissen Rechnung tragen, mein Gott, er ist ja leicht zufrieden! Aber der Rock will verblassen und die fremden Herren, wenn sie kommen, wollen mit dem fadenscheinigen Rock nicht gerne an Einem Tische sitzen. Er ist immer noch geistesfrisch, ja lustiger als früher und weiß allerlei Schnurren, auch singt er und macht Musik dazu auf der Zither oder der Guitarre. Er weiß possirliche Lieder, Sprüche und schalkhafte Anekdoten. Man lacht darüber, man wartet ihm mit einer Cigarre auf oder läßt ihm ein Glas Wein vorsetzen und so ist es immer recht unterhaltsam. Es giebt Leute, die sagen ihm, er solle sich nicht so an die Fersen der Fremden heften und sich nicht zum Spaßmacher hergeben, er solle lieber wieder seinen Rasirladen aufmachen. Das sind die Kurzsichtigen. Sie wissen nicht, was er will und worauf er es abgesehen hat. Er wird noch eine einflußreiche Stellung gewinnen und dann seine weltbeglückenden Pläne durchführen.

Einstweilen verkommt er immer mehr. Mancher Fremde, der im Städtchen absteigt, er mag Tourist sein oder Agent oder Vereinsmeier, nützt ihn aus, so viel noch auszunützen ist. Andere fragen gar nicht mehr nach ihm, aber er ist eine allbekannte Figur und viel armseliger und niedriger denkende Subjecte, als er ist, machen ihn zur Zielscheibe ihres Spottes.

Endlich glaubt er's, daß er nichts erreichen wird; er klagt über ein verfehltes Leben, setzt die Hoffnung aber auf seine Kinder.

Er hat einen Sohn; der ist geistig sehr begabt, hat ganz den Kopf von seinem Vater. Der soll studiren. Es ist kein Geld da, es ist keine Protection da, oder hat ein oder der andere seiner guten Bekannten doch etwas zugesagt? Gewerbsmeister des Städtchens wollen den aufgeweckten Jungen in's Geschäft nehmen, ihm ein Handwerk lernen. Ha, das wäre wieder die alte Leier; dieses florinische Blut ist für was Besseres roth geworden; der Bursche muß in die Hauptstadt. Er soll sich dort selber fortbringen, Freunde suchen und sich aus eigener Kraft aufschwingen. Das macht den Mann. Der Vater hält ihm noch eine schwunghafte Standrede, wie sie wortprächtiger in keinem Buche zu finden ist, und der Junge geht in die Stadt. Er schreibt verzagte Episteln heim, der Vater schickt ihm Briefe voll begeisternder Phrasen, aber sonst ohne Inhalt. Da schreibt der Sohn in immer längeren Zwischenräumen immer kürzere Briefe, endlich bleiben die Briefe ganz aus und das ist dem Herrn Florin ein Zeichen, daß die Taube ein Gestade gefunden hat.

Nun hat Florin – sein Weib ist ganz Nebensache, das ist da oder es ist nicht da, einerlei; ist es da, so wird es wohl irgendwo eine Dachkammer haben, wo es sich mit Nähen oder Stricken fortbringt – trotzdem hat Herr Florin eine Tochter. Mit der läßt er sich nicht ungern auf der Gasse blicken, denn sie ist schon bald kein Kind mehr und wächst sich recht sauber aus. Sie als Küchenmädchen zum Wirth geben, oder gar zu einem Bauer in die Arbeit? Nein. Das Mädchen hat bessere Aussichten. Ein Baron war da, ein Tourist, der sagte, das Kind müsse in die Stadt, da könne es sein Glück machen. Da erinnert sich der umsichtige Vater sofort an gelesene oder gehörte Fälle, wo arme aber hübsche Mädchen auch in der Stadt ihr Glück – bisweilen sogar ein unglaublich großes Glück gemacht haben. Der Herr Baron erklärt sich bereit, für das Kind eine Stelle ausfindig zu machen, einstweilen könne es in seinem eigenen Hause wohnen. – Also doch überall gute Leute, und Herr Florin sagt, Glück habe er niemalen viel gehabt, aber gute Menschen habe er immer gefunden, überhaupt habe es den Anschein, daß sich sein Glück erst bei seinen Kindern einstellen werde.

Er läßt das Mädchen fort und nun – sind die Kinder versorgt. Sie sind's zwar nicht, aber Florin ist gewohnt, Alles so auszulegen, wie es am schönsten klingt. Sein Stolz ist, wenn er erzählen kann: Der Sohn studirt auf einen Doctor, die Tochter ist beim Herrn Baron.

Florin beginnt zu altern, aber er hat noch einen Plan, das ist der einzige, den er in seinem Leben durchgeführt hätte, wenn er ihn durchgeführt hätte. Er kann singen, versteht sich auf Saitenspiel, hat die Gabe, zu unterhalten; er will fahrender Musiker werden. Das ist gar nicht dumm, das ist der erste Schritt zum Mitgliede eines größeren Kunstinstitutes.

Das Mißgeschick ließ es aber nicht dazu kommen. Ueberhaupt, das Mißgeschick! Nun sitzt er viel in den Schänken herum und setzt sich zu Dem, der just da ist und hebt einen flotten Discurs an und läßt Possen los und will fortgehen. Die Leute sind warm, da darf der Herr von Florin nicht fortgehen, sie lassen ihm Wein bringen. Das Wasser, das er zum Wein gießt, hält ihn noch aufrecht. Aber beim Branntwein, da gießt man nichts dazu, da ist das Wasser schon dabei.

Der Branntwein aber thut das Seine und es giebt einflußreiche Leute in der Gemeinde, die behaupten, für den alten Florin wäre es am besten, wenn man ihn in's Armenhaus thäte.

Der alte Florin!

Ja, es ist wahr, er ist grau, er sieht verfallen aus. Wenn er sich nur öfters ein saftiges Stück Fleisch gönnen könnte! Warum sollen denn seine Kinder, denen es in der Stadt gut geht, nichts für den Vater thun? Keines läßt was von sich hören.

Nun wird in die Stadt geschrieben. Es kommt eine Antwort; sie ist von fremder Hand und berichtet, daß der Sohn vor längerer Zeit wegen Bauernfängerei eingezogen, später wieder freigelassen und seitdem verschollen sei.

Herr Florin erschrickt zuerst, dann aber lächelt er, denn er glaubt es nicht.

Aufgefordert, schreibt auch die Tochter, sie sei nicht mehr beim Herrn Baron, aber sie wolle ihren Eltern nicht mehr unter die Augen treten.

Herr Florin schüttelt den Kopf – er kann es nicht verstehen.

Und so rinnt die Zeit hin, von Tag zu Tag mit steigender Geschwindigkeit – wie es im Alter schon geht. Der Florin sitzt auf der Gartenbank des Armenhauses und schaut den Bienen zu. Einer, der vorbeigeht, denkt sich: Ja, alter Florin, Du hättest den Bienen früher zuschauen und Dir an ihnen ein Beispiel nehmen sollen, wie man durch Arbeit und Fleiß sich eine gesicherte Existenz schafft. Du hast Dich Deines ehrlichen Gewerbes geschämt, hast es verlassen und verleugnet. Hast hingeflunkert, hast hergeflunkert, Dein spitzfindiges Spintisiren und Deine hohle Schlauheit hat Dich auf die Holzbank vor dem Armenhaus gebracht. Und wenn jetzt einer von den fremden Herren, denen Du gefällig warst, von den hochgestellten Freunden, die Dir geschmeichelt haben, hier vorbeigeht, so wird er Dich nicht kennen, und kennt er Dich, vielleicht sein Haupt wegwenden und in sich hineinmurmeln: Ei, das ist ja dieser Idealist, dieser Fex, dieser – er hat allerlei Namen zur Auswahl. Er ist bald vorüber. Ich aber bin der, welcher Dir einst vielleicht den Rath gegeben hat: bleibe Deinem Gewerbe treu und arbeite! Ich gehe nicht an Dir vorbei, ich frage Dich: »Wie geht es Dir, alter Florin?«

Er schrickt auf. »Danke, danke,« sagt er, »so weit gut, recht gut. Dank der Nachfrage!«

Eine solche Zufriedenheit auf dieser Bank verdient doch einen Zehner. »Da, Alter, gönne Dir ein Glas auf mein Wohl!«

O, im Glase, das er nun trinkt, ist mehr d'rin, als der Spender ahnt, der Florin – der Herr Franz von Florin ist Bürgermeister, Touristenvater, Abgeordneter, Regierungsrath, Schöpfer und Ordner aller politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse des Landes.

Um einen Silberzehner! In der That, billiger kann man das Glück nicht haben.



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