Peter Rosegger
Das Geschichtenbuch des Wanderers
Peter Rosegger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ein Mann, ein Wort!

In einer kleinen Männergesellschaft war davon die Rede, daß in dem Spruch: »Ein Mann, ein Wort« eigentlich der Hauptgrundzug des bürgerlichen Rechtes, sowie des Völkerrechtes, folglich die Basis aller Civilisation liege.

Obwohl diese Behauptung Stoff zu einer schönen Debatte gegeben hätte, widersprach ihr kein Einziger – bis auf den Major Schläger.

»Ein Mann, ein Wort!« sagte er ablehnend, »ich bin auch ein Mann, aber ich kann dieses Wort nicht hören.«

Das machte Aufsehen, denn just den Major kannte man als einen höchst wahrhaftigen, pflichttreuen Charakter.

»Ja,« sprach der Major mit einem Ernste, der für diesen Abend sonst die Gesellschaft nicht beherrschte, »der Spruch ist mein Schild geworden, ihm lebe ich, aber hören kann ich ihn nicht mehr, er ist hart, manchmal zu hart für die Menschen. Mit dem Princip von der Gerechtigkeit ist's nicht immer gethan, wir Alle bedürfen Rücksicht, Nachlaß, Liebe. Die Liebe ist schöpferisch, die Gerechtigkeit ist im besten Falle nur erhaltend. Man kann aus Gerechtigkeitsliebe manchmal ungerecht werden. Wenn ich von mir verlange, mein Versprechen zu halten, so ist das edel; wenn ich dasselbe unerbittlich von Anderen begehre, so kann das unter Umständen sehr unedel sein. Ein gegebenes Wort läßt sich nicht mehr biegen, aber ein Mensch kann sich biegen, wenn er daran denkt, daß höher als die Gerechtigkeit die Liebe steht.«

Da sich die Gesellschaft über eine solche Weichheit des sonst trotzigen, auch physisch soldatenhaft strammen Mannes verwunderte, so begann der Major ein Erlebniß zu erzählen, durch welches seine Aussprüche tiefere Begründung erlangten.

»In der Touristensaison des vorigen Jahres« – so erzählte der Major – »beschloß ich, die Schwabenkette in Steiermark zu durchwandern. Ich begab mich nach Aflenz, um von dort aus den Hochschwab zu besteigen und jenseits des Bergstockes den Abstieg nach Weichselboden oder Wildalpen zu machen. Ich hatte mich schon am Vortage in Aflenz eines Führers versichert, eines kräftigen Aelplers, der – da in der Gegend die Holzarbeiten eingestellt waren – keinen Erwerb hatte, wohl aber ein zur Zeit arbeitsunfähiges Weib und eine Hütte voll von Kindern. Der Schütter-Franz war mir als ein sehr verläßlicher und gutmüthiger Führer geschildert worden, und so war ich für meine nicht unbeschwerliche Tour der Hauptsorge enthoben.

Am nächsten Morgen – es war ein prächtiger Tag zum Wandern – sprach ich verabredetermaßen in der Hütte meines Führers, die am Wege in die Fölz lag, vor, um den Franz abzuholen. Durch die Hüttenthür eilten mehrere Weiber aus und ein, und im Innern hörte ich ein gewisses zartes Geschrei, so daß ich zum Franz, der an der Schwelle stand und nicht recht wußte, was er hier zu thun habe, die Bemerkung machte:

»Ich glaube, daß Du heute nicht auf den Hochschwab steigen wirst.«

»Warum denn nicht?« fragte der Mann fast befremdet.

»Wenn Das, was ich da drinnen in der Stube bemerke, Deine Familie angeht.«

Er zog mich ein wenig zur Seite und vertraute mir, sein Weib hätte eben einen kleinen Buben 'kriegt, weiter wäre es nichts.

Ich beglückwünschte ihn und erkundigte mich, ob er mir einen anderen Führer anrathen oder verschaffen könne.

»Will der Herr denn mich nicht haben?« rief er erschrocken.

»Wie sie, so bist auch Du entbunden – von Deiner Zusage, das ist selbstverständlich.«

»Des kleinen Buben wegen soll ich daheim bleiben? O Du blutiger Heiland, wenn ich allemal daheim bleiben hätt' wollen, so oft ich einen kleinen Buben 'kriegt hab', da hätte ich mein Lebtag viele Tagewerke versäumt!«

»Nein, nein,« sagte ich, »das geht nicht.«

Hierauf zog er mich mit in die Stube, und insofern es ihm gelang, dort den Jüngsten zu überschreien, verklagte er mich bei seinem Weibe, daß nun doch wieder nichts aus dem Verdienst würde, weil ich, unserer Verabredung entgegen, ihn nicht mitnehmen wolle.

Die Wöchnerin, die wohl ein recht blasses Gesicht mit den rührenden Dulderzügen der Armuth hatte, bat mich mit leiser Stimme, unsere Vereinbarung doch gelten zu lassen; es sei Alles in guter Ordnung, was auch die anwesenden Nachbarinnen bestätigen könnten. Sie wüßten ja gar nicht, was jetzt anfangen, wenn kein Kreuzer Geld im Hause.

Der Führerlohn war auf vier Gulden festgesetzt, wovon ich allsogleich den vierten Theil dem jungen Weltbürger zum Angebinde auf das Fensterbrett legte und den Franz, der mir als gemüthvoller Mensch geschildert worden, nochmals aufforderte, in dieser Zeit bei Weib und Kind zu verbleiben. Die Partie würde an drei Tage in Anspruch nehmen, ich könnte es nicht verantworten, ihn so lange von seinem Hause abzuziehen.

Ob es nur das wäre oder ob ich etwa sonst einen Widerwillen gegen ihn gefaßt hätte, daß ich seiner auf einmal los sein wolle? So seine Frage. Ich versicherte ihn, daß es einzig nur aus Rücksicht auf das eingetretene Ereigniß seines Hauses geschehe, wenn ich ihn ablehne.

Er ließe sich aber nicht ablehnen, meinte der Franz.

»Du gingest mit und würdest unterwegs unruhig sein, in steter Furcht und Angst: wie mag's daheim zugehen? Würdest mürrisch werden, die Partie abkürzen wollen und kein Ohr und Auge haben für Das, was ich will. Einen solchen Führer und Gesellschafter kann ich nicht brauchen. Mein Begleiter ißt und trinkt und raucht mit mir, soll mich aufmerksam machen auf dies und das, soll mich unterhalten, ein munteres Gesicht haben und so sorglos sein, als ich es bin. Guter Franz, dazu bist Du nun einmal nicht der Mann.«

Ich sah es, wie er mit leichtem Kopfnicken beistimmte, aber als er sein bekümmertes Weib anschaute, das Kind, welches sie in arme Fetzen wickelten, die größeren, die sich um die braune Rinde des Morgenbrotes balgten, da war er doch wieder entschlossen, er ginge mit mir. Die Weiber versicherten einstimmig, es sei um und um gar kein Bedenken da, und sollte sich etwas ändern, so könne der Mann am wenigsten was dabei ausrichten, so Leute stünden bei derlei Dingen eher zum Hinderniß im Wege, als daß sie sich nützlich machen könnten. Der Franz versprach mir, unterwegs recht lustig zu sein und mein treuer Diener, so lange ich ihn brauche.

»Bedenke es wohl!« stellte ich ihm noch einmal vor, »bis wir Mittags zur Fölzerhütte kommen, wird Dir schon bange werden, durch die Dulwitz wirst Du nichts mehr Anderes reden, mindestens denken, als: wie wird dem Weib sein? dem Kind? Es ist leicht was geschehen. Am Abend, wenn wir in der Dulwitzhütte schlafen sollen, wirst Du nach Hause wollen und vielleicht Morgens wieder kommen, abgehetzt und schläfrig. Ich aber sage Dir, Franz, ich werde keine Rücksicht haben, ich werde Dich nicht von mir lassen. Du wirst mich übergeben wollen an einen andern Führer, wenn uns Einer begegnet, daß Du nach Hause eilen kannst. Ich aber werde Dich halten fest, wie der Herr den Sklaven; ich bin nicht gewohnt, mich in fremder Gegend an fremde Leute hintauschen zu lassen, ich behalte den, dessen Dienste ich mir gekauft habe, so lange, bis der Vertrag abgelaufen ist. Ich werde unerbittlich sein, darum rathe ich Dir noch einmal: Bleibe zu Hause, ich werde einen Andern finden. Dich aber für ein andermal vormerken und bei Gelegenheit empfehlen. Wir scheiden als gute Freunde.«

»Ich gehe mit!« rief er entschlossen, »ich werde meinen Mann stellen, wie es der Herr wünscht.«

»Also denn!« sagte ich, »wenn Du durchaus nicht anders willst. Du wirst drei Tage lang mit mir sein.«

»Ich werde den Herrn nicht verlassen.«

»Ein Mann, ein Wort!«

Er schlug in meine Rechte.

Der Wöchnerin schien ordentlich leichter zu sein, da sie das Geschäft abgemacht sah. Sie lächelte, als sie ihre kühle Hand in die meine legte und dann in die ihres Mannes: Wir sollten nur recht gutes Wetter haben, und der Franz sollte ihretwegen ganz und gar unbesorgt sein. Sie sagten sich: »Behüt Dich Gott!« und das Weib ermahnte ihn noch, wenn er schon was thun wolle, so solle er dem Büblein ein Kreuz über das Gesicht machen, es würde dann in Gottes Namen zur Taufe getragen.

Er that's, lud die bereiteten Sachen auf, und wir gingen davon.

Der Weg durch die Fölz ist einzig schön. In der stundenlangen Schlucht lagen noch die blauen Schatten, die blühenden Alpenrosensträucher am Wege feucht vom Thau und dem Wasserstaube der rauschenden Fölz. Voll Harz- und Tannen- und Speikduft war die kühle reine Luft. Hoch an den Felsen lag der goldene Sonnenschein. Frisch und flink, wie wir wanderten, war freilich das Herz heiter und die Seele klingend.

»Franz,« sagte ich unterwegs, »nachdem wir Beide uns unserer Pflichten und Rechte wohl bewußt sind, wollen wir als Kameraden miteinander wandern. Ich bin aus der großen Stadt gekommen, um mir als Unterbrechung meines harten Berufes einige frohe Tage zu machen. Ich wünsche, daß Du sie mit mir theilst und, so wie ich, das herbe Leben vergessest.«

Er ließ einen Juchschrei los als Antwort, wie sehr er mit meinem Vorschlage einverstanden sei, und er suchte mich durch Munterkeit und mancherlei Schwänke, die er vorbrachte, zu überzeugen, daß er den guten Humor nicht zu Hause gelassen hätte.

Dann kamen die steilen Anstiege, es kam die heiße Sonne, es kam der Durst. Wir rasteten im Schatten und labten uns aus unserem reichlichen Vorrath. Der Tag war lang, wir erfreuten uns an den Almen mit ihrer Flora und ihren Heerden, an den wildschründigen Felsen des Fölzstein, der Mitteralpe, der Dulwitz, wir ergötzten uns an Steinfalken und Stoßgeiern, die den blauen Himmel belebten, an den Schroffen und Ueberhängen des »Ochsensteiges«, an dem eisigen Krystall des »goldenen Brünnleins«, an den Gemsen, die in ganzen Rudeln über Kare und Schuttriesen setzten oder von den Zinnen auf uns niederlauerten. Mein Franz that manche treffende Bemerkung mit klarem Hausverstand, der stets anspruchslos auftrat, nicht so wie bei manchen Bergführern, deren Naivetät und Urwüchsigkeit ausgeklügelt und gemacht ist. Ich erinnere mich noch, daß ich ihn fragte, weshalb er bei seiner Mittellosigkeit geheiratet hätte, worauf er zur Antwort gab: als er nicht hätte heiraten wollen, habe ihm sein Vater gesagt: »Willst ein rechter Mann sein, so mußt auch Weib und Kind haben!« So hätte er freilich heiraten müssen. – Ich bin, wie Ihr wißt, Junggeselle und habe dieses Gespräch nicht fortgesetzt. Indeß gab's andern Stoff genug. Doch der Tag ist lang, das Wandern macht müde, auch wenn man noch so oft rastet; die Ergötzung spannt ab. Das würde ein Aelpler leicht verwinden, wenn die Ermüdung und Abspannung nur die Schatten nicht aufkommen ließe, die im Herzen schlummern mögen! – Es kam, wie ich gesagt hatte, es kam genau so.

Franz sagte kein Wort von daheim, aber er war kleinlaut geworden.

Ich begann von seinem Weibe zu sprechen, daß er vielleicht sein Herz ausschütten wollte, er lenkte ab und schwieg. In der oberen Dulwitzhütte, die leer stand, machten wir Feuer, bereiteten uns ein Abendbrot und Nachtlager. Er ging zwar nicht davon, aber ich merkte, daß er auf seinem Reisig nicht schlief, ich hörte die Seufzer, die er zu unterdrücken suchte. Ich sagte nichts, freute mich aber fast, daß ich Recht hatte, und daß der Mann nun erfahren mußte, wie ich, der Fremde aus der Stadt, ihn besser kenne, als er sich selbst.

Am andern Tage stiegen wir empor bis zur höchsten Spitze des Gebirges. Mein Genosse sprach unterwegs sehr wenig und ich nicht viel mehr, denn dieser Aufstieg, die steilen Hänge und Wände beschäftigten die Lunge andererseits zur Genüge. Auf der Höhe, wo kein Strauch und kein Halm mehr wächst, peitschten eiskalte Winde, flogen Nebelfetzen, zwischen denen wir nur zeit- und stellenweise die Aussicht in die weite Alpenwelt genießen konnten. Mein Führer war stets hinter mir her, gab meinen Bemerkungen und Fragen kurze und verkehrte Antworten und schien gleichgiltig sowohl gegen mich, als auch gegen die Herrlichkeiten des Gebirges.

Auf der Spitze des Berges begegneten wir einigen Touristen, die von Weichselboden heraufgestiegen waren und just ihren Führer entließen, da sie den Abstieg durch die Dulwitz nach Seewiesen allein zu machen gedachten. Aus dem kleinen Gespräche, das ich mit ihnen führte, erinnere ich mich nur, daß sie zum Theil aus Graz, zum Theil aus Leoben waren.

Wir hielten gemeinsamen Ausblick mit freiem Auge, wie mit Fernrohren, wir tranken uns gegenseitig Wein zu, steckten dann in die leeren Flaschen unsere Visitkarten und friedeten sie mit Steinen ein, damit die Nachkömmlinge von uns auf solcher Höhe ein Denkmal fänden, und thaten, was Bergbesteiger an ihrem Ziele eben zu thun pflegen. Ich hätte es vorgezogen, mit meinem Franz allein auf der Spitze dieses Berges zu stehen, vorausgesetzt, daß wir Beide bei Humor gewesen wären.

Als ich mich wieder nach meinem Genossen umsah, stand derselbe abseits hinter einem Felsblock und führte mit dem Führer aus Weichselboden ein Gespräch. Mir kam das gleich verdächtig vor.

Nicht lange währte es, so kam – während sich Franz hinter dem Felsen mit seinen Bergschuhen zu schaffen machte – der fremde Führer zu mir heran und sagte: »'s ist schade, daß die Aussicht nicht ganz rein ist, gnädiger Herr, aber es wird heute noch heiter. Der Barometer steigt. Sehen Sie, dieser Kameelrücken dort, das ist die hohe Veitsch.«

»Ich weiß es,« war kurz meine Antwort und wendete mich nach der andern Seite.

»Aha, der gnädige Herr schauen sich die Ennsthaleralpen an,« schwatzte er weiter, »der Dachstein hat leider Gottes eine Haube auf. Der hohe Berg, der dort wie ein Heuschober steht, das ist der Grimming.«

»Ich weiß es!« schnauzte ich ihn an, »Franz, wo steckst Du denn?«

Der Führer aus Weichselboden ließ sich nicht verblüffen. »Der Herr sind von Aflenz heraufgekommen,« sagte er, »und wollen gewiß zur Salza hinabsteigen. Das ist auch mein Weg und kunnten wir leicht miteinandergehen. Mit Verlaub!« Er suchte mir diensteifrig den Plaid umzuhüllen, den mir der Wind von der Achsel gerissen hatte. Ich ging gegen den Felsen und sah, wie dort Franz kauerte und in die Gegend von Aflenz hinabschaute. Der Weichselbodner Führer kam mir nach und sagte:

»Ganz im Ernst auch noch, gnädiger Herr, wir haben den gleichen Weg hinab und ich will den gnädigen Herrn für ein kleines Trinkgeld recht gern weisen.«

Nun merkte ich wohl schon, daß ich verrathen und verkauft war, doch stieß ich derb heraus, man möge mich in Ruhe lassen, ich hätte ohnehin meinen Führer.

»Das schon,« meinte der Weichselbodner, »aber der sagt mir, daß ihm schlecht geworden ist.«

Da kam schon der Franz auf mich zu mit aufgehobenen Händen und bat: »Herr, ich kann's nicht mehr aushalten, ich muß heim. Ich bitte tausendmal, daß mich der Herr gehen läßt. Der Mathias dort, der ist aus Weichselboden, ich kenne ihn gut, er übernimmt meinen Dienst gerne und kennt den Weg besser als ich. Ich kann nicht mehr, mir thut's Herz weh, wenn ich auf heim denk'.«

So sprach er. Ich habe ihn an der Hand genommen und in aller Ruhe Folgendes zu ihm gesagt: »Franz, Du wirst nicht gehen, Du wirst bei mir bleiben, so lange ich Dich brauche. Ich habe Dir früh genug Alles vorgestellt, Du hast es so haben wollen, Du hast mir Dein Wort gegeben. Ich bin ein alter Soldat und lasse mit einem Ehrenwort nicht spaßen. Ich lasse mich nicht nach Laune und Stimmung verschachern, ich habe Dich gekauft, Du bist mein und Du bleibst bei mir, bis die drei Tage um sind.«

»Wenn daheim ein Unglück geschieht!« stotterte er.

»So geschieht's!« rief ich zornig, »und wenn Dein Weib stirbt, Deine Kinder umkommen, Deine Hütte niederbrennt, Du hast Dein Wort gegeben, daß Du bei mir bleibst und ich gebe Dir's nicht zurück, Du bleibst!«

Darauf war der Franz still und sagte kein Wort mehr – und blieb bei mir.

Wir begannen den Abstieg, passirten das Gschöderkar, und auf dem Edelboden, wo uns wieder die ganze Milde eines heiteren Sommernachmittags umfloß und die Würze der Alpenkräuter uns erquickte, hielten wir Rast. Franz war immer noch still, aber aufmerksam für alle meine Wünsche und gutmüthig. Ich war sehr mit mir zufrieden, daß ich meine Sache so gut durchgesetzt hatte. Wohin käme auch die Welt, wenn das Verhältniß zwischen Herrn und Diener so lax würde und willkürlich! Die ganze gesellschaftliche Ordnung ginge aus den Fugen und der Teufel möchte da noch Herr sein. Es that mir leid, aber mein Franz, der mußte nun pariren und als wir spät Abends im Wirthshause zu Weichselboden anlangten, wollte ich ihn und mich für die Mühen entschädigen mit Allem, was das Haus bieten konnte. Doch mein Franz suchte bald das Bett. Wie er geschlafen, das weiß ich nicht.

Am nächsten Morgen mochte er, so lange ich schlief, mäuschenstill gewesen sein, aber als ich die Augen aufthat, machte er einen gewaltigen Lärm. »Es giebt nichts Schöneres auf dieser Welt, als den heutigen Tag!« so rief er aus. Ich fand den Tag nicht just besonders, der Himmel war mit Wolken bedeckt, die stellenweise an den Wänden niederhingen. Als wir später durch das großartig wilde Engthal gingen, das der Ring heißt, und dann in der Steinwüste, der »Höll«, dem Karstriegel zuwanderten, schnitt uns von den Höhen nieder eine frostige Luft entgegen; dort und da rieselte es in den Schuttmulden oben, dann krächzte irgendwo ein Rabe. In den schwarzen Wassertümpeln, an denen wir vorbeikamen, spiegelte sich das Gebirgsbild in seiner ganzen Düsterniß. – Aber nichts Schöneres als dieser Tag! hatte mein Begleiter ausgerufen; es war eben der dritte unserer Partie, der letzte, an dessen Abend er frei sein und die Seinigen sehen sollte! – Den Ausläufer des Schwab, die Aflenzerstarritze, wußte er auf schlechten Steigen zu umgehen, so daß wir am Mittag schon in Seewiesen waren.

Im Wirthshause zu Seewiesen lag ein schwerkranker Maria-Zeller Wallfahrer, der schon Früh nach Aflenz um Arzt und Priester geschickt hatte und immer noch vergebens auf sie wartete. Franz machte ihm die Zusage: wenn sie uns auf dem Wege begegnen sollten, so würde er zur Eile ermahnen.

Wir waren eine Stunde gegangen, da begegneten sie uns. Der Priester, vom Boten mit dem Versehglöcklein und dem heiligen Licht in der Laterne begleitet, war im Chorrock und trug das Allerheiligste. Wir beugten die Knie, er segnete uns und warf dabei einen seltsamen Blick auf meinen Begleiter, den der aber nicht bemerkte, weil er das Haupt gesenkt hielt. – Ein paar hundert Schritte weiter hin begegnete uns der Arzt.

»Ihr sollt nur eilen!« rief ihm der Franz zu, »der Kranke wartet mit großen Schmerzen.«

»Wer wird uns aufgehalten haben?« sagte der Arzt und blieb stehen. »Mein lieber Franz, wenn Du heute heimkommst, wirst Du halt nichts Gutes finden! Mit Deinem Weibe ist's vorbei . . .«

Ich weiß kaum, wie wir nach Aflenz kamen, ich weiß nicht, wie mir zu Muthe war, ich erinnere mich auch nicht, ob Franz ein einziges Wort des Vorwurfes, der Klage sprach, oder ganz stumm war.

Sein Weib fand er auf der Bahre.

Er trug den Schmerz, wie man den herbsten trägt – todtenblaß, thränenlos. Erst als er die Kinder sah, welche einstweilen die Nachbarn zu sich genommen hatten, brach die Fluth aus seinen Augen, und ich habe meiner Tage kein tieferes Schluchzen gehört, als es jetzt die Brust des Aelplers erschütterte.

Ich bat ihn um Verzeihung, daß er meines Starrsinns wegen sein Weib nicht mehr lebendig sehen konnte, ich bot ihm Alles an, was ich bei mir trug. Er lehnte es ab und sagte nur, ich sei im Recht gewesen.

Im Recht! Seitdem ist mir das Wort verdächtig. Der Franz hat wie ein Mensch gehandelt, und das wie ein tüchtiger, guter Mensch. Ich wie der Dämon eines Princips. Daß er mit mir gegangen, aus Pflichtgefühl war es geschehen, er hatte seiner Familie Brot zu schaffen. Aus Liebe und Sorge und Angst um seine Familie war's, als er mich auf dem Berge verlassen wollte. Nicht jeder von uns würde in solcher Lage die Herzensgewalten der einfachen Verpflichtung gegen den Fremden unterzuordnen vermögen. Er hätte ja heimlich fortgehen können. Nein, er suchte mir Ersatz zu verschaffen und bat mich dann, wie in der Noth ein Mensch den andern bittet, um Nachlaß. Ich dachte und fühlte nichts, als daß ich im Rechte sei, ich war ein blutloser Gesetzparagraph – und das ist ein Ungeheuer. Ein Mann, ein Wort! 's ist schön gesagt, aber das »Wort« allein ist für ihn nicht genug. Mir hätte damals der Spruch: Ein Mann, ein Weib! besser gefrommt. Als Familienvater hätte ich menschlicher gehandelt. Wie oft dachte ich seither an den Ausspruch, den der Vater des Franz gethan hat: »Willst Du ein rechter Mann sein, so mußt Du Weib und Kind haben.«

So hatte der Major erzählt und die Gesellschaft blieb nachdenklich, bis sie auseinanderging.



 << zurück weiter >>