Peter Rosegger
Das Geschichtenbuch des Wanderers
Peter Rosegger

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Auf dem Herrenabende.

In unserem »Zirkel« giebt's jeden zweiten Freitag einen »Herrenabend«. Manche unserer Frauen ist auf ihre stärkere aber schlechtere Hälfte zwar mitunter ein wenig ungehalten darüber, daß sie just an den Herrenabenden daheimbleiben solle; sie hat eine dunkle Ahnung davon, es ginge dabei – anders her, als bei den Tafelrunden, die mit einem Flor der liebenswürdigsten Damen geschmückt sind. Allerdings hat einmal Einer vorgeschlagen, die Damen möchten zur Genugthuung unter sich Frauenabende veranstalten, ein Vorschlag, der von ihnen selbst stillschweigend fallen gelassen worden ist.

Eine der revolutionärsten meinte im Rathe mehrerer Genossinnen, ohne Grund werde es nicht sein, daß sich die Männer für solche Herrenabende absonderten, man wisse schon oder könne sich's denken, die Unterhaltung gehe stark auf Kosten der Ehefrauen, wenn nicht etwa gar –. Der Satz wurde nicht ausgesprochen, damit sich ihn Jede nach Eigenem fertig denken konnte.

Auf solche Weise kann man zu gleicher Zeit vielerlei Meinungen vertreten.

Zum Theile hatten sie jedenfalls Recht. Die Frauen spielen bei den »Herrenabenden« eine große Rolle, denn für den Mann giebt es allerwege keinen interessanteren, pikanteren, lehrreicheren, unergründlicheren, unerschöpflicheren, räthselhafteren und anmuthigeren Gegenstand, als die Frau. Jeder hat sie oder bedarf sie; Der liebt sie, Der fürchtet sie, Der ist ihretwegen rasend, Der ist ihretwegen träumerisch, Der hat sie gestern erst errungen, Der feiert morgen mit ihr die silberne Hochzeit – Keiner kennt sie. Jede Frau ist eine Erfahrung, ein Beispiel, aber alle Erfahrungen und Beispiele zusammen geben hier keine Theorie. Eine Frau ist nicht ein Charakter, sondern sie ist ein Conglomerat der Charaktere oder Conglomerat aller Frauen zusammen. Eine Welt von Männern ist denkbar, eine Welt von Frauen nicht, denn es fehlt das System. Die Frau ist das Chaos, aus dem die Welt erschaffen werden kann, sie ist das unfaßbare All, sie ist der Himmel, sie ist die Hölle, aber sie ist weder gut noch böse, denn sie ist das Elementare. Also kein Wunder, daß manchem Ehemanne bisweilen alle »Himmel-Kreuz-Elemente« einfallen.

In den »Herrenabenden« spielt man frevelhaft mit solch ungeheuerlichem Stoff. Manchem mag innerlich grauen, aber er weiß, hier ist er geborgen, und so wird ihm das, was ihm sonst Widerstand zu sein pflegt, zum harmlosen Gegenstande.

So war es auch an jenem Novemberabende, als die zwei kleinen Geschichten erzählt wurden. Wir hatten noch allerlei Behauptungen aufgestellt; wir sprachen von unserem Freunde, dem Hof- und Gerichtsadvocaten Dr. Th., sonst einer der Allergemüthlichsten, der aber schon seit einiger Zeit nicht mehr in unsere Gesellschaft kam. Einer behauptete, daß sich der Doctor in neuester Zeit nirgends so gut unterhalte, als zu Hause bei seiner Frau.

Das war denn aber nachgerade unglaublich, denn wir wußten, daß dieser gutmüthigste aller Männer die bösartigste aller Frauen besaß.

»Ja,« sagte der Berichterstatter, »er war gutmüthig, ganz lasterhaft gutmüthig, er hegte den Grundsatz, ein guter Mensch müsse mit Jedem auskommen und jeden Charakter wenden und erheben können. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, auch seine Frau gutmüthig zu machen, und an diesem Unternehmen so lange gearbeitet, bis er endlich so böse wie sie geworden ist. – Ja, das ging so zu: Er trug ihre Launen mit Geduld und gab ihr gute Worte, ertrug ihre Bosheit mit Demuth und gab ihr gute Lehren, und wenn sie den größten Unfrieden stiftete, malte er ihr das Glück des Friedens mit süßen Farben. Selbstverständlich machte das die Sache nur noch schlimmer. Nachdem der Mann Alles versucht hatte, was menschenmöglich ist, um eine schlimme Frau vollends unerträglich zu machen, also mit seinen milden Rettungsanstalten gerade das Gegentheil erreichte von dem, was er wollte, nahm er, wie Ihr wißt, seine Zuflucht zu unseren Herrenabenden, wo er öfter als einmal die Bemerkung that, wenn noch Etwas im Stande sei, zwischen uneinigen Eheleuten einen Ausgleich, eine Harmonie herzustellen: nur ein großes Unglück allein könne das zuwege bringen. Nun, das Unglück – wie Ihr wißt – für ihn und seine Gemahlin kam. Sie hatten ein einziges Kind. Ist der Eheschaden nicht zu groß, so wird ein Kind die Kluft immerhin ausfüllen, sonst aber macht es sie nur noch größer. Im Kinde müssen sich die feindlichen Elemente immer wieder begegnen und über dem unschuldigen Kinde schlagen sie ihre Schlachten. Unser Doctor Th. gebrauchte – und das war er endlich inne geworden – gegen sein Weib die empfindlichste Waffe, wenn er schwieg. Schwieg und ließ sie streiten; das machte sie rasend. Aber es griff endlich doch seine Nerven an und die Mühe, sich zu beherrschen, wurde immer größer. Eines Tages – im vorigen Spätherbst war's – lag über der Stadt ein schwerer, frostiger Nebel. Die Todtenliste im Morgenblatt wies eine Reihe Diphtheritisfälle auf, so meinte der Doctor voreilig, das Kind solle nicht in's Freie geführt werden. Ueber dieses Wort gerieth die Doctorin in einen jähen Zorn, denn sie wollte der Kindsmagd eben dieselbe Verordnung geben. Und jetzt soll das Zuhausebleiben unmöglich sein? Jetzt soll der arme, kleine Wurm in die naßkalte, mit Miasmen geschwängerte Luft hinaus! Denn Er hat gesagt, daß er im Zimmer bleiben soll. Und Ihm nachgeben? Daß er meinen könnte, heute hätte er einmal Recht gehabt und sich einbilden, es könne ein andermal ebenso sein? Nein, niemals! Das Kind geht aus! – Es ging aus, kam heiser zurück. Den Doctor erfaßte die Angst, sein Weib würde den Arzt nicht holen, daher sagte er bei Zeiten: »Wir wollen recht Hausmittel anwenden.« – »So!« rief sie, »das wäre! Verpatzen das Kind! Es umbringen mit Quacksalbereien! Du wärst es schon im Stande. Der Arzt soll kommen, augenblicklich!« – Nun, diesmal hätte er seinen Willen glücklich durchgesetzt. Doch, seine Nerven zitterten wie Spinnengewebe, wenn der Föhn hineinbläst; er fühlte sich kaum mehr im Stande, sich zu bändigen; noch einmal wirkte zur Noth die Vorstellung, die er sich selbst machte: Wenn Du fahnenflüchtig wirst, Mann, dann ist Alles verloren! – Das Kind war nach drei Tagen todt. Die Frau wollte wahnsinnig werden vor Schmerz, der Doctor trug ihn mit Resignation; in ihrem fürchterlichsten Toben hielt er zu Trost: Das ist der letzte Sturm, jetzt bricht die herbe Schale um ihr gutes Herz, jetzt wird die Frauennatur sich befreien, sie wird sich ausweinen in meinen Armen und ich werde ihr die Thränen vom Auge küssen, auf den Knien sie um Verzeihung bitten, daß ich ihr so oft habe weh gethan, und sie trösten und ihr endlich zeigen, wie innig ich sie liebe. – Statt in seine Arme zu fallen, fuhr sie ihn mit gekrümmten Fingern wüthend an: Er sei schuld an Allem! Er! Er! und Niemand als Er! Er komme in's Freie, Er hätte das Wetter kennen sollen und verbieten, daß das Kind in die giftige Luft hinausgetragen werde. Wofür sei er sonst der Herr im Hause, als den er sich immer aufblasen möchte! Aber seinetwegen hätte das arme Wesen sogar ohne Arzt sterben können. Er sei des Kindes überdrüssig gewesen, er lache jetzt innerlich, daß es dahin, er sei ein Rabenvater!

Jetzt hatte er die Wirkung des Unglücks erfahren. Sie war Dieselbe geblieben. Während er an seiner Natur gebogen hatte und gezerrt, an seinem Temperament zu ändern, sich ihr anzupassen gesucht, war sie ihrer Natur treu geblieben. Er hatte Unrecht, sie hatte Recht! Jetzt fielen ihm die Schuppen von den Augen, sie that, wie sie mußte und machte nicht den geringsten Versuch, sich zu fälschen. Er wollte sie verleiten, daß sie wider die Natur handle; er hatte Unrecht an ihr, an sich selbst. –

Das Erste war nun, daß er das wilde Thier, welches sie in ihm allmählich großgezogen, und welches er mit so vieler Noth bisher gebändigt hatte, von den Ketten losließ und ihr ein Weltgericht vorhielt, vor dem sie wonnig erschauerte.

Seitdem macht unser Doctor Th. nicht mehr den geringsten Versuch, sein Weib zu bessern, sondern trachtet nur, ihre Gesundheit zu erhalten, indem er ihr alle mögliche Gelegenheit giebt, ihr Naturell zu üben. Er reizt sie, ärgert sie, erzürnt sie, ist so nervös, daß er, so oft sie will, in den ehrlichsten Zorn, in die kräftigste Wuth kommt. Und darum bleibt der Doctor bei seinem Weibe zu Hause und so vertreiben sie sich die langen Abende. Das Unglück hat sie ausgeglichen, er hat sich zu ihr bekehrt.«

Nach dieser scheinbar etwas scharf markirten Erzählung bemerkte Componist J., daß die Zanksucht nicht das Aergste am Weibe sei. Die schlimmen Weiber seien noch lange nicht die schlimmsten; den stillen, sanften Frauen sei noch weniger zu trauen. Eher den lustigen, ausgelassenen; die mürrischen, zanksüchtigen jedoch seien im Punkte der Treue nachgerade harmlos zu nehmen. – Sachgemäß sprangen wir auf die Männer über, denn auch unter diesen giebt es die zierlichsten Abstufungen. Der Geck, der Schwätzer und Courmacher verführt keine Frau; an gutem Willen mangelt es nicht, aber das Lächerliche seines Wesens läßt im Weibe kein tieferes Interesse für ihn aufkommen. Das Liebeln und Courmachen ertödtet die kernige Leidenschaft. Der Hitzige, für Alles rasch Entbrennende, scheinbar in Leidenschaft und Gluth Vergehende, er verführt keine Frau, denn der Instinct des Weibes sagt: Diesem fehlt die Concentration. Die Gefahr der Frau ist der ruhige, ernste, stolze, in sich gesammelte Mann.

Da gab's Beispiele übergenug, aber auch Ausnahmen in solcher Zahl, daß sie die Regel gefährdeten und endlich doch wieder den einen Grundsatz bewiesen: Das Weib ist ohne System und Princip.

»Umso mehr Princip,« meinte nun der Bildhauer G., »steht dem Manne an. Ich liebe mit Kunstsinn, meine Frauen gehören zur Schule Raphael's – madonnenhaft.«

Madonnenhaft, sagte er, und hatte daheim zum Ehegespons eine kleine Xanthippe. Wir gönnten ihm die Madonnen. Da meldete sich Baron B., ein Mann von dreißig Jahren, von dessen häuslichem Leben bisher nichts Rechtes zu erfahren war, als daß er eine zurückgezogene Frau und zwei muntere Kinder habe. Dieser Mann, der sonst nicht gerade zu unseren gesprächigsten Köpfen gehörte, nahm nun das Wort und sagte:

»Auch ich stimme dafür, der Mann muß ein Princip haben. Aber eben darum mache er es nicht so, wie das Weib, das in Allem nur seinen Sinnen und Leidenschaften nachfliegt. Des Mannes Hauptsache ist nicht die Liebe, sondern die Ehre. Habe ich meiner Braut versprochen, ihr treu zu sein, so muß ich's halten, oder ich bin ein Betrüger.«

Baron B. war sonst sehr tüchtig, weiterfahren und als Ingenieur einer der ersten des Faches, daher nahm sich's komisch aus, als ihm auf seine Worte Mehrere der Tischgesellschaft: »O Du heilige Einfalt!« zuriefen.

»Ich hab's versprochen,« sagte der Baron ruhig.

»Eine Formel! Wer wird heutzutage eine Ceremonie noch so ernst nehmen!«

»Ich bitte, mir war ihr Versprechen nicht minder ernst.«

»Das ist was Anderes. Der hintergangene Mann ist im Nachtheil, die hintergangene Frau ist es nicht.«

»Juridisch hat er Recht,« spottete der Componist J., »was man verspricht, muß man halten.«

»Der Fall gehört nach meiner Ansicht vor das Forum des Dichters,« sagte Bildhauer G., auf mich blickend, »und vor diesem Richterstuhle dürfte unser lieber Freund B. schwerlich Recht bekommen.«

»Wieso?« sagte ich, »Ihr habt die französischen Herren im Kopf; die deutschen Dichter mögen recht lockere Vögel sein, aber ganz ist ihnen das sittliche Ideal noch nicht abhanden gekommen.«

»Nennt Ihr das sittlich, wenn zwei Menschen ehelich verbunden miteinander leben, die sich weder lieben noch achten, sondern sich betrügen, oft absichtlich mit allen Mitteln kränken, sich gegenseitig das Leben vergiften, einander kaum dulden? Das ist nicht sittlich, weil es nicht schön ist.«

»Das ist nicht sittlich und selbst wenn es schön wäre,« sagte ich, »das Sittliche ist in diesem Falle ein vor den Augen der Welt Unschönes, nämlich die Trennung. So lange aber der eheliche Vertrag, das gegebene Wort, noch gelten und wirken soll, muß es auch in diesem Falle gehalten werden. Ja, entgegen früher Behauptetem sage ich: der eidbrüchige Mann ist hier ein größerer Verbrecher als die eidbrüchige Frau, weil er zumeist größerer Ueberlegung fähig, sie größerer Sinnlichkeit unterworfen ist. Wie dem immer sei: Jedes Uebereinkommen bietet Vortheile und verlangt Opfer. Unselig eine Ehe, die keine Opfer heischt. Je willigere und größere Opfer man der Ehe bringt, desto beglückender wirkt sie zurück.«

»Daß das nicht in allen Fällen zutrifft, beweist die Geschichte vom Doctor,« sagte Bildhauer G.

»Wie wahr es aber sein kann, vermag ich mit einer andern Geschichte zu erhärten,« bemerkte Baron B. »Was nun die Sinnlichkeit anbelangt, so könnte ich für den Mann in diesem Falle gar nicht gutstehen. Da Ihr – wie ich merke – nun doch geneigt seid, die Sache ernster aufzufassen, so will ich Euch die kleine Geschichte erzählen, die Euch zeigt, wie armselig und wie stark der Mann ist. Ihr dürft sogar mich für den Helden halten, obwohl es auch ein Anderer sein kann – jedenfalls sitzt er an diesem Tische und wird sich rechtfertigen, wenn die Geschichte für ihn ehrenrührig werden sollte. – Seid Ihr bereit, so wollen wir uns die Krüge füllen lassen, damit der junge Mundschenk hernach seine geschätzten Dienste anderen Brüdern widmen kann, denn ich will nicht, daß Jemand dürste, während ich die rührende Geschichte meines Helden in diesem engen Kreise zum Besten gebe.«

So geschah es. Wir stopften frisch unsere Pfeifen – denn auf dem Herrenabende wird keine Cigarre geraucht – wir rückten uns bequem und einer der Anwesenden wußte gewisse Zweifel nicht zu verhehlen, ob die Erzählung für den Herrenabend nicht unpassend – das heißt, wohl lustig genug sein werde

Baron B. begann:

»Ich habe vor acht Jahren geheiratet. Man hat, wenn man ein zweiundzwanzigjähriger, munterer Bursche ist und dazu etwas Siebenkroniges auf seiner Visitkarte besitzt, die Wahl zwischen Vielen. Ich nahm Die, welche mir am wenigsten mißfiel, denn mein alter Oheim wünschte mich an's Weib zu bringen; er wollte, bevor er schlafen ginge, Die noch sehen, welche unser Geschlecht, das nur mehr an einem Haar hing, wieder beleben sollte. Mir war's auch ganz lieb, denn ich hatte vom Ehestand so viel des Widersprechenden gehört, daß ich begierig war, ihn aus eigener Erfahrung kennen zu lernen. Meine Braut entstammte auf Seitenlinien einem alten Grafengeschlechte, das ganz verarmt war. Sie war mit mir in gleichem Alter, glaubte daher nicht mehr länger auf einen Mann und Ernährer warten zu sollen, sondern schickte sich an, als Postbeamtin ihr Brot zu verdienen. Diese nahm ich. Ein Jahr lebten wir recht freundlich und ruhig nebeneinander her; ich stak tief in Studien, die mich erst in dieser Zeit, als Real- und Hochschule längst hinter mir waren, gefangen nahmen. Mir war daher das stille, geordnete Hauswesen, welches meine Frau geräuschlos und anmuthig besorgte, fast behaglich. Wohl nahm ich wahr, daß es in der Welt weit feinere und schönere Frauen gab als die meinige war, doch sagte ich mir, daß für derlei Erwägung die Zeit bei mir nun einmal vorüber sei. Allerdings habe ich Grund zu vermuthen, daß ein reizendes Fräulein, welches zuweilen meinem Studirzimmer gegenüber zwischen kostbaren Spitzengardinen sichtbar wurde, mich schließlich noch zu einer eingehenden Erwägung gebracht haben könnte, wenn in meinem Hause nicht plötzlich ein unvorhergesehenes Ereigniß vorgefallen wäre. Ich verliebte mich nämlich in meine Frau. Es geschah das bei Gelegenheit der Geburt meines ersten Knaben, bei welcher sie in den herbsten Schmerzen unter Thränen lächelte. Dieses Lächeln ihres blassen, sanften Leidensgesichtes hatte es mir angethan.

Von nun an war ich mir meines Glückes bewußt. Aber es war ganz anders, als ich mir das Glück eigentlich vorgestellt hatte. Das war kein seliges Schwärmen, und keine brennende Begeisterung – ich fühlte mich einfach wohl.

Es ging nun mehrere Jahre so hin und als mich endlich mein Amt in's Weite rief, konnte ich es kaum begreifen, daß ich fern von meiner Familie für mich allein leben sollte. Einen ganzen, langen Sommer über hatte ich Beschäftigung beim Traciren der Eisenbahn durch den Pongau. Die Briefe von meiner Frau entbehrten der Leidenschaftlichkeit, athmeten aber Liebe und Sorge für mich, schilderten mir in schlichten, lieblichen Bildern ihr häusliches Leben mit den Kindern. Wie das alltäglich war und wie es mich doch so froh machte! Als die schwierigsten Arbeiten endlich vollbracht waren, fühlte ich in mir das Wiedererwachen meines Menschenthums. Meine Natur verlangte nach so einseitiger Bethätigung wieder das Gleichgewicht. Anzeichen von Fettleibigkeit machten sich bemerkbar, so daß mich der Ehering zu drücken begann und ich ihn entfernen mußte. Als ich eines Tages wegen Symptomen, die mich das Entstehen eines Herzleidens befürchten ließen, einen Arzt consultirte, rieth er mir zur Bekämpfung der Hypochondrie – die Würdigung der Frauen. Ich mag ihn fragend angeblickt haben, er sagte, ein Familienvater müsse auf seine Gesundheit achten.

Einstweilen suchte ich mir durch viele Bewegung in der freien Luft zu helfen. Ich machte größere Spaziergänge und endlich, insoferne es die Zeit erlaubte, förmliche Hochtouren in den schönen Gebirgen des Salzkammergutes. Und nun komme ich zu dem Kerne meiner Erzählung.

Es war im Hochlande, das zwischen dem Tännengebirge und der Dachsteingruppe liegt, als ich eines Tages von Nebel und Unwetter überrascht wurde, mich weit verirrte und in dem verlornen Hause eines öden Engthales Zuflucht suchen mußte. Im Vorgelaß des Hauses auf dem Lehmboden kauerten zwei alte Leute, ein Mann und ein Weib. Dem Letzteren hingen eisgraue Haare verwildert über das kleine, faltige Gesichtlein; der Erstere war schier ganz glatzköpfig, nur hinten gegen den Nacken hinab hatte er, wie ein angeklebtes Pelzstreifchen zu sehen, kohlschwarze, geringelte Locken. Sie hatten einen Haufen Feldrüben vor sich, denen sie das Gekräute und die Wurzelschwänze abschnitten. Sie huschten erschrocken aneinander, als ich eintrat, und auf meine Bitte um Unterstand glotzten sie mich stier an, und als der Alte hierauf in ein meckerndes Lachen ausbrach, stieß ihm das Weib den Ellbogen in die Seite – er solle sich nicht so unanständig benehmen. Der Alte hob hierauf sein Küchenmesser, an welchem die Erde der Rüben klebte, und machte damit gegen mich eine Geberde: er wolle schon zeigen, wie man sich gegen mich – den fremden Eindringling, der noch dazu über und über pudelnaß sei – zu benehmen habe!

»Ei geht, Vater, wer wird nur gleich so halsabschneiden wollen!« rief nun eine dritte Person, die aus der Küche trat, glutroth vom Herdfeuer beleuchtet war, und die mir weit einladender schien als das blödsinnige Greisenpaar. Es war ein junges Weib, drall, flink, munter, zwar etwas dürftig, aber reinlich gekleidet. Sie hatte die Feuerzange in der Hand und that selbe auch nicht weg, während sie mit mir sprach. Allsogleich erklärte sie sich bereit, mir für die schon hereinbrechende Nacht Dach und Fach zu gewähren.

Sie führte mich in die Stube, warnte mich aber vor der obern Thürpfoste, da ich ein unerhört langer Herr sei.

»Für uns da ist leicht eine Thür hoch genug,« plauderte sie, »bei uns heißt's halt:

Gar klein bin ih gwachsen,
Mag größer nit wern,
Und das schwarzauget Büabel
Hat mih dena noh gern.

Ja, ja, der Herr ist auch so ein schwarzaugeter! – Aber jetzt einmal ernsterweis'. Der Herr ist waschnaß, die Stuben ist warm geheizt. Thu' er sich aus und ich bring' ihm meinem Mann sein Gewand.«

Hernach hub sie draußen ein mächtiges Kochen und Schmoren an, schrie den alten Leuten in's Ohr, sie sollten's gut sein lassen, der himmlische Vater schicke morgen auch noch einen Tag, und jetzt sollten sie ihr »Papperl« essen und nachher in's Nestel rucken.

Wie sehr hinfällig die Alten waren, das sah ich jetzt erst, als ihnen das junge Weib vom Boden aufhelfen und sie in die Kammer führen mußte, was gar schwerfällig vor sich ging. Ja, ich nahm wahr, wie der Greis vor seinem Bette auf die Dielen niederfiel und dort liegen bleiben wollte, trotz des Keifens seiner Alten, die ihm allerlei schlimme Namen gab, welche aber nicht im Stande waren, ihn von seiner etwas willkürlich gewählten Ruhestätte aufzuscheuchen. Erst als das junge Weib ihre rothen Wänglein auf das weiße Kissen seines Bettes drückte und mit kindischen Koseworten versicherte, wie weich und süß es dort zu schlummern sei, ließ er sich bewegen und, gestützt auf ihren Arm, kroch er in's Bett.

Später deckte die dralle Hausfrau in meiner Stube den Tisch und lachte dabei hell auf, als sie sah, was ich in der älplerischen Knielederhose ihres Mannes für eine Figur machte. Hernach theilte sie mir mit, daß sie heute die »Vaterleute« allein abgefüttert habe, um mit mir zu essen, denn sie wisse recht gut, daß es zu Zweien besser schmecke. So aßen wir die gekochte Milch und die Schmalznocken zu Zweien.

Jetzt fand ich's aber an der Zeit, einmal von den gewöhnlichen Redensarten abzuspringen und ihr auch etwas Freimüthiges zu sagen.

»Wir Zwei stehen ja ganz gut miteinander,« sagte ich, »mich wundert Eure Gastfreundschaft und Euer Vertrauen. Ich könnte ja auch ein schlechter Mensch sein?«

Sie lächelte still, daß man ihre weißen Zähne sah; ganz wie die Tirolerinnen auf den Defreggerbildern, so lachte sie und schüttelte das Köpfchen: Ein schlechter Mensch, der wäre ich nicht, das sähe man mir schon an. Zudem – fuhr sie fort und schob mir mit ihrem Löffel in der Schüssel die braungerösteten Nocken zu – zudem kenne sie mich ja. Ich sei einer der Eisenbahner, wie sie unten in Bischofshofen herumregierten, sie habe mich am vorigen Sonntag gesehen, als sie dort ihren Mann besucht habe.

Ob ihr Mann denn nicht bei ihr zu Hause sei? fragte ich.

Nein, der wäre seit fünf Vierteljahren in Bischofshofen auf dem Friedhofe. Bei einem Steinzerschießen am Werfnerschloß sei er verunglückt.

»Also Witwe?« fragte ich mit Theilnahme.

»Ich mache kein Geheimniß d'raus,« war ihre Antwort.

Ob sie ihn nicht schwer vermisse? fragte ich nun, da ich an ihr so gar keine Wehmuth sah.

Da fuhr sie mit ihrer blauen Schürze über den Tischrand, als sollte derselbe jetzt auf einmal vom Staub gereinigt werden, und sagte: »Wenn's Rehren (Weinen) und Reden was helf', so wäre er lang' schon wieder da. Jetzt, aufsteht er mir nimmer, so laß ich ihn in Gottes Namen ruhig schlafen.«

Bald darauf wußte ich auch die Geschichte ihrer Ehe.

Beim Kreuzwirth zu Hüttau war sie Kellnerin gewesen, dort habe der Forstmeister Loisel mit ihr auf Du und Du angestoßen und sie gleich vom Fleck weg geheiratet. Jesus, Maria und Josef, hatte sie diesen Menschen gern gehabt! Viel zu gern! – Aber allzuviel darf's nicht sein auf der Welt, weil das dem lieben Herrgott seinen Himmel thät zu Schanden machen. So hat er's jählings abzwickt unten beim Werfnergschloß. Sie ist seither immer noch in seinem Häusel verblieben, weil die alten, mühseligen Vaterleut', seine Eltern, nicht mehr aus demselben herauszubringen wären. Der Vater ist schon gar so viel schwach im Kopfe und die Mutter ist auch nicht mehr munter. So will sie bei ihnen verbleiben, daß sie wen Lieben haben, bis sie ihre Augen schließen. Ihretwegen mögen sie nur noch leben, so lange sie der liebe Sonnenschein freut. Aber wenn sie einmal gestorben sein werden, dann verkauft sie das Häusel und geht wieder nach Hüttau oder anders wohin.

»Ich kann Euch nicht sagen,« unterbrach sich hier Baron B., »was ich vor diesem Bauernweib für einen gewaltigen Respect bekam.«

»Als ich mich,« fuhr er fort, »nun aber gesättigt hatte, und als es mir nach den unwirthlichen Wanderungen im Gebirge in dieser gemüthlich einfachen, leicht durchwärmten Stube so recht behaglich geworden war, und als ich draußen das dumpfe Rauschen des Windes hörte und mich in den öden Bergen und in der schweren Nacht so recht innig vertraut mit dem Menschenwesen fühlte, das, eine Armlänge entfernt, freundlich und fröhlich mir gegenüber saß – da fragte ich sie, ob sie wohl noch einmal einen Mann so recht herzhaft liebhaben könne?

»Warum denn nicht? Ich habe ja gegen Niemanden eine Schuldigkeit.«

Nicht um einen Schritt weiter auf dieser Seite, dachte ich mir, da wäre ich sehr im Nachtheile, sie hat keinen Mann. Wie sie sich mit den zwei alten Leuten ernähre? war meine Frage.

Einen Gemüsegarten und eine Enzianbrennerei betrieben sie. Ich solle doch Eins verkosten, daß ich wisse, wie sie brenne!

Da langte sie unter der Sitzbank einen Plutzer hervor und ließ aus demselben höllisches Feuer in ein Schnapsgläschen rinnen. Das war kein Unglück, aber anders, als nach einer halben Stunde dasselbe höllische Feuer in meinen Adern glühte! Es hatte mich etwas erfaßt, was mir bisher fremd gewesen, es war, als sei eine letzte Schale von meinem innersten Kern gefallen, und dieser Kern war eitel Weh und Wonne und Wahnsinn. Ob Licht war oder nicht, ich weiß es nicht, alle Gegenstände um mich schimmerten blau wie Phosphorschein. Müßte ich meinen plötzlich eingetretenen Zustand schildern, ich könnte nicht anders sagen als: ich schwamm in einer ungeheuren blauen Flamme. Ich muß meine Arme wie nach Rettung ausgestreckt haben, die Finger berührten eine heiße Wange, ein weiches Haar. Und in demselben Augenblicke kam mir das Lockenhaupt meines Weibes in den Sinn, ihr stillfreundliches Auge schaute mich an, das weiße Gesichtlein sah ich lächeln in Schmerz und Entzücken wie damals, als sie mir den Erstgebornen gab. Da rief's in mir wie ein halberstickter Nothschrei: Sei ihr treu! – Das war nicht so sehr die Stimme des Gefühls, denn es tobte die Leidenschaft zu laut, das war die Stimme der Vernunft, der Pflicht. Und in jener Stunde habe ich es erfahren, daß im Manne das Pflichtgefühl stärker sein kann, als alle Neigungen. – Hätte ich daran nicht geglaubt, hatte ich mir diese Kraft nicht so oft vorgehalten und sie auf solche Weise geübt, ich wäre damals verloren gewesen – moralisch entmannt, denn ich hätte mein Wort gebrochen. – Ich fand mich noch zu rechter Zeit und als meine Wirthin mit Befremden fragte, weshalb ich jählings so versteinert ernst geworden sei, habe ich zur Antwort gegeben:

»Bei Euch da ist es so heimatlich, daß mir mein Weib und meine Kinder eingefallen sind; ich möchte bei ihnen sein.«

»Wenn das ist,« sagte sie, »so soll der Herr jetzt schlafen gehen, damit Er morgen seinen Weg bei Zeiten weiter machen kann. Wenn man Weib und Kinder hat, soll man aber nicht so im wilden Birg herumsteigen.«

So gutmüthig waren diese Worte gesprochen, so fürsorglich hatte sie hierauf an der Ofenbank mein Lager bereitet, meine Kleider zum Trocknen gehangen, für mein Morgenbrot Vorbereitungen getroffen, so freundlich und fast ohne jegliche Spur von Verstimmung hatte sie mir gute Nacht gesagt, daß ich allein noch lange darüber nachdachte, wie die sittliche Tüchtigkeit der Naturmenschen denn doch kein hohler Wahn sei.

Am nächsten Tage habe ich die Hütte zur frühen Stunde verlassen. Sie hat mir treuherzig die Hand gedrückt, ich wagte es nicht, ein Geschenk in dieselbe zu legen. Sie war heute noch hübscher als gestern, aber in einer andern Art. Und als ich sie so das letztemal anblickte, empfand ich jene eigenthümliche Genugthuung, die etwa der Hochtourist haben mag, wenn er auf eine gefährliche Felswand zurückschaut, an der er sich verstiegen hatte und der er schließlich doch mit heißer Noth heil entkommen war.

Von diesem Tage an trachtete ich meine Arbeiten so zu wenden, daß die Heimkehr zu meiner Familie beschleunigt wurde. Eine wunderbare beseligende Liebe fühlte ich zu meinem Weibe, seit mich das Gedenken an sie zum Helden gemacht. – Und als ich endlich heimkehrte, wie glaubt Ihr, daß ich sie gefunden habe?«

»In den Armen eines Andern,« rief der Componist J., »denn derartig groteske Naivetäten sonst gebildeter Männer müssen bestraft werden.«

»Doch im Gegentheil,« sagte ich, »vielleicht hat unser Freund seine Frau am Bette eines schwerkranken Kindes gefunden, wo ein edles Weib am größten ist und aller Treue würdig.«

»Nein,« sagte Baron B., »das Leben dichtet schöner und einfacher, als all ihr Dichter jen- und diesseits des Rheines. Ich fand mein Weib, wie sie immer war: In ihrer Häuslichkeit thätig, die Kinder freundlich hegend und belehrend, still glücklich, daß ich wieder gekommen. Als sie ihre Arme sanft um meinen Nacken legte und mir mit treuem, feuchtem Blicke in's Auge schaute, war ich belohnt und selig über alle Maßen. Seitdem ist unser Verhältniß ein noch innigeres, edleres.« –

So hatte Baron B. erzählt. Ob von sich oder einem Andern, das thut nichts zur Sache. Etlichen war bei der Erzählung so warm um's Herz geworden, daß sie aufstanden und heimgingen zu ihren Frauen. Die meisten aber blieben auf dem Herrenabende sitzen. Unter den letzteren auch Baron B.



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