Peter Rosegger
Das Geschichtenbuch des Wanderers
Peter Rosegger

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Fiat justitia – pereat mundus!

Im nächtlichen Frauengemache eines Edelhofes saß ein junges Weib und schaute trüben Auges zum Bildnisse auf, das an der dunklen Wand hing. Es war das lebensgroße Bild eines Mannes und über ihm hing ein Kranz von Immortellen – Unsterbliche dem Todten. Das Gemach war finster, aber auf dem Bildnisse lag ein rother, zitternder Schimmer, der zu den Fenstern hereinkam – es war der Schein brennender Häuser im Thale.

Den Edelhof umgab eine unheimliche Ruhe, die Thore waren verrammelt, und hinter Mauerwerken lauerten bewaffnete Männer. Es war eine große Bedrängniß gekommen über den Edelhof, in dem die junge Witwe wohnte. Herr Marthelm, der Samgunder, war in den Gau gedrungen und hatte der Frau Johanna Wort sagen lassen: »Frauen, die sich schwarz tragen, gehören in's Kloster. Meine fromme Mutter hat die Abtei zur heiligen Anna gegründet, ich mache Dich zur Aebtissin in derselben und Deinen Edelsitz will ich verwalten.«

Darauf ließ Frau Johanna erwidern: »Mein Haus ist kein Herrensitz, seine Gründer sind Bauern gewesen; weil es in Ehren bestanden, hat ihm der Kaiser den Namen Edelhof gegeben. Ich will in ihm leben und sterben, das sei Herrn Marthelm zu wissen.«

Aber Herr Marthelm der Samgunder antwortete: »Was sprichst Du von Deinem Manne? Er starb auf weichem Pfühle und hat für den Stammen nicht gesorgt. Lasse den Ritter in Dein Gemach treten, und Du hast als Frau und Mutter ein Recht auf den Edelhof.«

Auf dieses Wort ordnete Frau Johanna die Befestigung des Hofes und die Bewaffnung ihrer Knechte an.

Da zog der Samgunder feindlich in den Gau und setzte den rothen Hahn auf die Häuser, die zum Edelhofe gehörten. Die Weiber und die Kinder waren in die weitläufigen Gebäude des Edelhofes geflüchtet, die Männer verteidigten ihre Erde.

So stand's in jener Nacht, da Frau Johanna ernsten Blickes zum Bilde Dessen aufschaute, der einst ihr und des Hauses Beschützer gewesen. Jetzt trat der alte Diener Gottfried in's Gemach; er kam zur ungewohnten Stunde, aber in seinem behäbigen und wohlgenährten Wesen war keine besondere Erregung zu spüren.

»Frau Johanna,« sagte er und blieb mit seinem brennenden Armleuchter an der Thüre stehen, »es ist gut, daß Ihr schon wachet, sonst hätte ich Euch ein Unrecht anthun müssen.«

»Auch Du mir, Gottfried?«

»Ja wohl, Herrin, ich hätte Euch wecken müssen. Es ist etwas zu vermelden, aber entsetzt Euch nicht zu sehr, macht die Augen zu und vergeßt nicht: wenn wir todt sind, ist Eins so gut wie's Andere.«

»Laß das sein, Alter, ich will nicht sterben,« sagte die Frau und erhob sich zu einer schönen, schlanken Gestalt.

»Das will ich zwar auch nicht,« meinte der Alte, »und darum ist die Nachricht hart, die ich Euch bringen muß.«

»Was ist's? Du weißt, man hat mich noch stets gefaßt gefunden.«

»Ja, bis jetzt sind auch noch keine Samgunder in den Hof gebrochen.«

»Sind sie's jetzt?«

»Sie setzen eben den Sturmbock an die hintere Mauer. Hört Ihr's, wie bei jedem Anprall die Wände zittern?«

»Und unsere Mannschaft?«

»Die läuft im Hof und in den Gebäuden kopflos umher, sie ist stark bei Kraft, sie reißt die Thorpfosten los, verrammelt damit die Fenster und thut gerade das Unsinnigste. Kopflos, sage ich Euch, Frau Johanna.«

»Soll sie denn ein Weib commandiren? Wohlan!« Sie riß das Schlachtschwert ihres Mannes von der Wand und wollte hinaus, da trat ihr zwischen der Thür ein junger Mann entgegen. Es war Meinhard, des Hofwarts Sohn, der seit dem Tode des Herrn die geschäftlichen Dinge leitete, die auf den Feldern, Wiesen und in den Scheunen waren. Es war eine hohe, kräftige Gestalt, seine Lockenmähne war rothgelb, wie das Haar der alten Germanen, in seinem Auge glühte das Feuer der Kampflust, und in seiner Hand hielt er eine langstielige Streitaxt.

»Wie steht's?« fragte ihm die Frau entgegen.

»Wir sind noch lange nicht verloren,« rief Meinhard, »gebt mir die Vollmacht, daß ich den Holzstoß in Brand stecke. Das Feuer verlegt dem Feind, wenn die Mauer fällt, den Weg in den Hof.«

»Hier nimm das Schwert. Gedenke des Spruches, der seinem Griffe eingegraben ist. Senge und brenne, wie Du willst, um Recht und Ehre zu retten. Lieber im Feuer zu Grunde gehen, als diesem Samgunder in die Gewalt zu fallen.« So rief die Frau. Das Schwert aber trug den Wahlspruch des Hauses: Fiat justitia – pereat mundus!

»Ihr gebt mir die Vollmacht und die Mannschaft, Herrin – ich schütze Euch!« So sprach der junge Recke und warf einen Blick auf die schöne Witwe . . . Blickt so der ergebene Sohn des Hofwarts? . . . Oder der Herr des Hauses? . . . Oder der siegreiche Feind, der eine eroberte Festung inspicirt?

Dann schritt er von dannen und der Boden knarrte unter seinen Füßen.

»Hätte man ihm das angesehen?« sagte jetzt der alte Gottfried, »da ist er nur so still in Haus und Hof herumgegangen, aber das ist wahr, die Leute haben auf ihn geachtet, als wären sie dressirt gewesen. Er hat mit ihnen nicht viel Gemeinschaft gehabt, in der guten Laune hat er die Wolfshunde gestreichelt. Und jetzt will er sich so theuer verkaufen! Seht, der thut's, er denkt: sterb ich heut, so ist kurz abgethan.«

»Leuchte mir in die Capelle,« befahl die Frau, »ich will beten.«

Sie schritten durch den stillen Gang und hörten den Lärm nicht, der sich draußen erhoben hatte. Als sie vor dem Altarbilde kniete und die Welt sich so eng um sie wölbte, so eng und still und düster im Zwielichte der blauen Ampel, da kamen schwere und unheimliche Gedanken. Ihr verstorbener Gatte mahnte sie, der Samgunder bedrohte sie, ihr Knecht Meinhard beunruhigte sie. An's Sterben soll's jetzt gehen? – Ihr Heiligen Gottes! zu Euren Ehren habe ich diesen Altar gebaut, Ihr Heiligen steht mir bei! – Sie erröthen, die Himmlischen? Erröthen im Scheine des brennenden Gehöftes, der durch's schmale Fenster fällt. – Sie hörte das dumpfe Anprallen des Sturmbockes an die Mauern, das Schreien ihrer Knechte, die unter dem Commando Meinhard's im Hofraume sich rüsteten. Aber dort schlagen die Flammen auf und die Statuen am Altare stehen wie Dämonen. In diesem Augenblicke wird es ihr klar: der Mensch mag die Göttlichen verehren, aber Hilfe verlangen kann man nur von sich selbst. – Sie rafft sich vom Betstuhle auf und tritt hinaus auf den Söller. Sie reißt dem Diener die Fackel aus der Hand und schwingt sie, daß man ihrer gewahr werde; der Wind reißt ihre Locken vom Stirnbande los, daß sie flattern. Wie sie schön ist! Wie sie in ihrer Wildheit schön ist!

»Leute! Männer!« sie ruft's hinab in die hin- und herwogende Schaar, ihrer Stimme Schall übertönt das Waffenklirren, das Knattern des brennenden Holzhaufens, »die Lanzen, die Schwerter, die Aexte, die Ihr jetzt erfaßt, es sind die Waffen Eurer Vorfahren, mit Heldenblut sind sie gestählt! Rettet mein Haus, es ist das Eure. Die einbrechen wollen, es sind nicht Soldaten, die ihr Land beschützen, es sind Räuber, die in fremdes Bereich ausziehen, Räuber, die vom Gesetze verdammt, vom Himmel verflucht sind, die den Teufel im Schild führen – und Ihr zieht mit dem allmächtigen Gott! Wer sich berauben läßt, der läßt sich schänden. Spaltet ihnen die Schädel, sie sollen nicht leben! Schützet Eure Heimstätten, hütet den heiligen Erdboden, in welchem die Helden ruhen, auf welchem Eure Nachkommen stehen werden und Euer, der Streiter und Sieger, gedenken. Vorwärts! Seht ihr den treuen Meinhard mit Beil und Schwert durch Rauch und Feuer dringen? Ihm nach! Vorwärts! Tödtet sie! Vernichtet sie Alle! Alle!«

So hat sie – wie mit Schlachtgesang – die Männer beeifert, und nun fuhren sie los. Als der Kampf begann, trat der alte Gottfried zur Frau Johanna und sagte ihr in einer recht gemüthlichen Weise, die seiner wohlgenährten Gestalt wohl anstand: »Allhier auf dem Söller müßt Ihr nicht stehen bleiben, Herrin; von oben herab sieht sich eine Schlacht nicht hübsch an. Zieht Euch zurück in's Gemach, an dessen Fenster ich für den Nothfall schon die Strickleiter habe anbringen lassen.«

»Ich werde nicht fliehen,« sagte sie.

»Ich würde es auch nicht thun,« meinte der Alte, »auf einer Welt, wo so viel Rauben und Unrecht geschehen kann, ist's eine Schande, weiter zu leben. Man ist's seiner Ehre schuldig, daß man ablehnt.«

Kaum war Frau Johanna in ihr Gemach zurückgekehrt, kam draußen der Lärm näher. Sie verriegelte die Thür und that Pulver in ein Wasserglas – weißes Pulver. In dem Augenblick, da der Edelhof verloren und sie gefangen ist, wird sie mit diesem Pulver alle Fessel sprengen. Das Geschrei und Gejohle kam die Treppe hinauf zu ihrer Thür. Sie hob das Glas gegen ihren Mund; da hörte sie bekannte Stimmen: »Ein Gefangener! Herrin, wohin mit dem Gauch?«

Sie öffnete die Thür: »Ist das bei Euch Heldenthat, einen alten, hinkenden Wicht zu fangen?« rief sie den Knechten zu, während sich der Gefangene, ein armselig gebückter, graubärtiger Geselle, unter ihren rohen Fausten ächzend wand.

»Wir hängen ihn auf die Thurmspitze, wenn Ihr wollt!«

»Ich will, daß Ihr den Alten in den Thurm führt und ihm frisches Stroh zum Lager schafft. Mich dünkt, das ist ein gar verzagter Samgunder; gebt ihm Wein.«

»Hör' einmal, edle Herrin,« ließ sich jetzt einer der Knechte vernehmen, »wenn Du Deinen Feinden gutes Lager giebst und Wein zum trinken, da werde ich auch Dein Feind.«

»Wer ist's, der dieses Wort gesagt hat?« rief Frau Johanna.

»Der einäugige Tickel.«

»Führt ihn ebenfalls in den Thurm,« befahl die Frau zornig, »er soll auf Steinen schlafen und Wasser trinken. Er hat seine Herrschaft verhöhnt, und so kann er sie auch verrathen. Dieser Samgunder hat, als er gegen uns auszog, den Befehl seines Herrn gethan. Er that seine Pflicht. Bringt mir den Herrn Marthelm herein, den sehe ich gern auf der Spitze meines Thurmes hängen.«

Sie sprach's und trat in ihr Gemach zurück.

Dort hatte der alte Gottfried das Glas mit der Flüssigkeit bemerkt. Er betrachtete es im Scheine der aufgehenden Morgenröthe und murmelte: »Also doch?«

»Laß den Becher stehen!« sagte sie.

»Herrin,« versetzte Gottfried, »ich bin ein Diener und habe mich niemals in Eure geheimen Angelegenheiten gemischt. Aber da, wo wir beide jetzt stehen, sind wir gleich groß. Aus diesem Glase wollt Ihr Bruderschaft trinken?«

»Mit Dir nicht, alter Tropf.«

»Mit mir nicht, das weiß ich, Frau Johanna, aber mit dem Tode! – – Es ist kein schlechtes Beginnen, aber Mancher thut's heute nicht gern, weil er's morgen auch noch thun kann. Und kommt ihm bis morgen ein Anderer zuvor, der ihm's erspart, umso besser. Wir wissen nicht, wo wir sind, wissen auch nicht wohin es geht, wir sind blind. Und wer blind ist, der thut klüger, sich schieben zu lassen, als daß er selbst dreinspringe. Nichts für Ungut, es ist so meine Meinung.« Damit schüttete der Alte den Inhalt zum Fenster hinaus.

»Gottfried,« sagte nun die Frau, und sie sagte es leise, denn ihre Stimme war gepreßt von zweierlei Gefühlen, die in ihr kämpften, »wenn meine Mutter bei ihrem Sterben mich nicht in Deine Hände gelegt hätte und gesagt: Gottfried, Du treue Seele, ich vermache Deine Treue diesem armen Kinde, – und Du mir das Vermächtniß nicht gehalten hättest bis zu diesem unglückseligen Tage, ich müßte Dich richten. Du überantwortest mich der Gewalt des Feindes – ist das die That, womit ein treuer Diener sein Leben beschließt?«

»Edle Frau,« sagte der Alte, »sonst habt Ihr mich verlacht, wenn ich vom Tode gesprochen; heute – mit Erlaubniß – könnte ich Euch es thun. Es steht ja nicht gefährlich um uns. Hört Ihr noch den Schlachtlärm? Nein, er hat sich verzogen, unsere brave Mannschaft verfolgt den Feind bereits gegen die Grenze. Ihr könnt es sehen.«

Er wies zum Fenster hinaus, über die Au; zwischen den aufsteigenden Morgennebeln hin stoben auf Rossen und zu Fuß in wilder Flucht die Samgunder. Die bunten Lappen flatterten im Winde, dort und da schwirrte noch eine Fackel hin, die der Träger auszulöschen vergessen hatte und nun anstatt der rothen Fähnlein geschwungen wurde, welche sie auf dem Kampfplatze eingebüßt. Und hinter diesen zerstreuten Haufen des Feindes eilte in guter Ordnung die Mannschaft des Edelhofes drein, voran auf hohem Rappen Einer, dem Frau Johanna von ihrem Fenster aus helle Freudenworte zurief. Die hörte der Reiter freilich nicht, aber ihr that es wohl, ein- um's anderemal: »Du tapferer Ritter Meinhard!« ausrufen zu können.

Und als die Feinde und ihre Verfolger in dem grauen Nebel verschwunden waren, wandte sich Frau Johanna vom Fenster weg und mit glühenden Wangen sprach sie zum Gottfried:

»Lasse eilig das blaue Zimmer bereiten.«

»Das Zimmer unseres seligen Herrn?«

»Lasse es bereiten, wie es zu seinen Lebzeiten war, ich will in demselben unsern Retter empfangen.«

»Es soll geschehen,« sagte der Alte, »empfangt ihn mit Dankbarkeit, Frau, aber macht ihn nicht übermüthig. Thut auch jetzt die Augen zu und denkt, dem Glück ist nicht zu trauen.«

»Du bist lästig, Mensch!« rief sie, »das Glück ist treu, wenn man ihm treu entgegenkommt. Ich will es fest umfassen und halten und nimmer lassen. Das Heim ist gerettet, in diesem Hause ist der Sieg eingezogen. Laß den Waffensaal mit Eichenkränzen schmücken, auch die Capelle. Geh'.«

Als der alte Diener langsam durch die Gänge des Hauses hinschritt, murmelte er bei sich: »Auch die Capelle? Ich glaube, die Capelle mit Myrten.«

* * *

Frau Johanna stand im geschmückten Saale. Sie hatte befohlen, daß man den gefangenen Samgunder zu ihr bringe. Der wurde nun herbeigeführt; es war eine häßliche Erscheinung. Die gebrochene Gestalt war in dicke, wulstige Lappen gehüllt, sein graues Haar, sein wilder Bart bedeckten das Angesicht, von dem nichts zu sehen war, als eine braune, unförmige Nase und zwei zuckende Aeuglein. Seine Arme und Füße waren mit schweren Ketten belegt. Drei handfeste Knechte hatten ihn johlend und balgend hereingebracht. Nun kauerte er vor der schönen Frau, die in ihrem blauen Faltenkleide und mit dem diademartigen Schmucke auf dem Haupte wie eine Königin vor ihm stand.

Als der alte Gottfried bei der Thür an dem Gefangenen vorübergestrichen war, hatte er ihm zugeflüstert: »Mach' Dir nichts d'raus. Wenn Du gestorben bist, ist Ein's wie's Andere.«

Dieses Wort schien ihn nicht gerade zu beruhigen. Die Frau lächelte und sprach zu ihm: »Sind alle Samgunder so tapfer als Du?«

»Spottet, spottet!« gröhlte der Gefangene, »ich war der Erste voran, darum haben sie mich erhascht. Vier gegen Einen. Jetzt bin ich ein Wurm unter Eurem Fuß, Frau Johanna, aber bevor Ihr mich tödtet, will ich Euch was sagen.«

»Ich will von Euch nichts wissen. Ich erwarte hier die Rückkehr meiner Leute. Ist keiner gefallen und gefangen, so gebe ich Euch frei, sonst bleibt Ihr meine schlechte Geißel.«

Sie sprach noch, als im Hofe die Hörner klangen. Hallogeschrei und Gejauchze überall. An den Fenstern vorbei schwankten die großen Ballen der gemachten Beute, flatterten lustig die vom Feinde eroberten Fähnlein; der Gefangene verbarg sein Gesicht mit den Händen. Nun flog die Thür des Saales auf und Meinhard stand da, Eichenlaub auf dem Sturmhut und mit blutigen Waffen. Die Verbeugung, welche er vor der Frau des Edelhofes machte, war nicht die eines Knechtes, sondern die eines Ritters. Sie lächelte ihn an, reichte ihm ihre Hand und sprach: »Ich grüße Dich, ritterlicher Meinhard. Ich verdanke Dir das Gut meiner Väter, ich verdanke Dir mein junges Leben. Du hast den Feind aus meinem Gau verjagt.«

»Schöne Frau,« sagte Meinhard, »ich habe ihn aus Deinem Gau verjagt, ich habe ihn verfolgt in seinen Gau; ich habe ihm vergolten, denn ich habe seine Dörfer zerstört, ich habe seine Unterthanen zerstreut, ich habe seine Burg in Brand gesteckt.«

Der Gefangene that einen Aufschrei.

»Du bist in sein Gebiet eingebrochen und hast die Häuser geplündert?« So Frau Johanna.

»Ich habe Marthelm den Samgunder gezüchtigt!«

»Du hast Feuer gelegt?«

»Herrin, wie Du es befohlen.«

Da wurde die Gestalt der Frau Johanna noch größer und königlicher und sie sprach: »Was habe ich befohlen? Ich habe befohlen, daß – wenn's die Noth erheischt – mein Hof in Brand gesteckt werde, ehe er dem Feind in die Hände falle, ich habe Dir befohlen, die Samgunder aus meinem Gau zu vertreiben. – Ich habe Dir nicht befohlen, in ihr Gebiet einzubrechen und jene Schandthaten zu verüben, die mir angethan oder zugedacht waren. Du kennst meinen Abscheu und meinen Haß gegen den gewaltthätigen Samgunder, und nun hast Du mich selbst zu dem gemacht, was ich hasse und verabscheue. Mein Edelhof, er war so hoch gehalten in Nah und Fern, weil kein ungerechter Heller in ihm war; mir ist er so lieb und werth gewesen, weil kein blutiger Makel an ihm war – und Du hast ihn geschändet. Mein Edelhof, er war ein Muster der Arbeitsamkeit, der Redlichkeit, der Tapferkeit – Du hast ihn geschändet. Du hast meine Leute zu Räubern und Brandlegern gemacht. Du hast den Haß gegen mich gesäet. Wenn wieder Feinde nahen, wo soll ich Schutz und Recht suchen, wenn ich selber Leid und Unrecht streute? Du hast in meinem Namen das Gesetz beleidigt, Du hast den Stolz meiner Väter, die Kraft meines Herzens vernichtet, denn Du hast meinen Leitstern, die Gerechtigkeit gestürzt.«

»Ich habe Böses mit Bösem vergolten, das ist Gerechtigkeit,« sagte Meinhard.

»Schweig!« rief sie, »wenn Böses immer mit Bösem vergolten werden müßte, so käme ein Elend in die Welt, das die Menschheit in kurzer Zeit zu Grunde richten müßte. Ist das ein Protest gegen die Gewaltthat, wenn ich Gewaltthat übe? Das ist ein Rechtfertigen der Gewaltthat. Soll ich das Unrecht, das ich über Alles hasse, vermehren, indem ich es thue? – Ich muß nicht leben, der Edelhof muß nicht stehen, die ganze Welt mag vergehen, aber das Recht muß sein.«

»O, wie christlich!« murmelte der Gefangene.

»Christlich,« fuhr Frau Johanna fort, »mag sein. Aber ich brauche es nicht. Hasset Eure Feinde, verachtet sie, aber thut an ihnen das Unrecht nicht! diesen Grundsatz haben meine Vorfahren auf den Schild geschrieben, den Du zertrümmert hast. Meinhard, soll ich Dir den Lohn nach Deiner Weise messen, so tödte ich Dich.«

»Frau!« schrie jetzt der junge Mann und sprang einen Schritt nach rückwärts. Und dann sagte er leise: »Ich hab's aus Liebe zu Dir gethan.«

»Geh' weg, hinweg von mir. Ich will Dich nimmer sehen!«

»Herrin –«

»Hinweg, Ungeheuer, das aus Liebe mordet!«

Ihr Zorn war gewaltig. Blaß wie ein Todter wankte der Eichenbekränzte dem Ausgange zu. Gottfried stand an der Thür, dem blies Meinhard zu: »Sie ist wahnsinnig!« Er antwortete: »Sie handelt nach dem Gebote.«

»Was soll ich thun?« fragte Meinhard in Wuth und Rathlosigkeit.

»Früh Morgens an diesem Tage hätte ich das beste Mittel für Dich zur Hand gehabt, aber ich habe es zum Fenster hinausgeschüttet.«

»Wie meinst Du's?«

»Geh und mache Dich bald zu Ende, dann bist quitt.«

Er ging und wurde in diesem Gaue nicht mehr gesehen.

Als Meinhard den Saal verlassen hatte, befahl Frau Johanna, daß man die Festkränze von den Gesimsen reiße. In demselben Augenblicke rief der Gefangene mit heller Stimme: »Du herrliche Frau! Dein Sieg ist größer, als alle Siege, die ich je gesehen habe, so sei auch großmüthig!« Er warf seine Lappen, warf seine Maske ab und stand als Marthelm der Samgunder vor der Frau Johanna.

Lange hielt ihre Verblüffung nicht an. »List!« hauchte sie.

Er war ein stattlicher Mann. Aber in einer Art von Ehrfurcht stand er nun vor Der, die er gestern noch bekriegte.

»List, Frau Nachbarin,« sagte er, und seine Stimme war tief und schwer, »nein, List nicht. Nennt es Klugheit. Um im Kampfe sicherer zu sein, habe ich mich in diese Gestalt vermummt. Die Begierde trieb mich vorwärts, so bin ich in die Hände Eurer Knechte gefallen. Daß ich mich Euch nicht entdecken wollte, erklärt sich auch. Ihr hättet mich nun freigelassen, ich wäre heil aus dem Hause der Feindin entkommen. Aber – wie ich Euch jetzt – jetzt kennen gelernt habe, Frau Johanna, so will ich Eure Verzeihung oder sterben. Wendet Euch nicht von mir. Zu dieser Stunde, wo meine Burg in Flammen niederbricht, bitte ich Euch, verzeiht mir!«

So sagte nun Frau Johanna: »Ich wollte, ich könnte vergeben, ohne selbst um Vergebung bitten zu müssen. Mein Haus steht noch, das Eure ist zerstört.«

»Es wird schöner und größer, als es war, wieder gebaut werden, denn ich werde in dasselbe eine Hausfrau einführen.«

»Gott mit Euch!« sagte sie.

»Ihr mit mir!« rief er und wollte ihre Hand ergreifen, »das Verlangen nach Euch, welches mich zu rücksichtslosen, wilden Thaten verleiten konnte, ist in diesem Saale Eures Edelhofes zu Ernst geworden. Euer Hochsinn wiegt meinen Stammbaum auf. Ich bitte Euch zur ehelichen Genossin meines Lebens, ich mache Euch zur Trägerin meines uralten Namens, ich mache Euch zur Herrin meiner weiten Gebiete.«

»Und ich danke Euch,« antwortete Frau Johanna. »Kehrt in Frieden heim. Und wenn Euch die Spuren der Gewaltthaten begegnen, so laßt sie Euch zur Lehr' und Warnung sein.«

»Und Ihr?

»Ich befolge Euren Rath und gehe in's Kloster. Aber nicht in das Eurer seligen Mutter, damit die böse Welt nicht sage, mein Edelhof wäre doch ein Opfer Eurer Habsucht geworden. Lebt wohl«

Sie war davon. Der alte Diener stand noch da, der mitten unter aller Bedrängniß durch seine Philosophie des Indifferentismus zu einem so runden Bäuchlein gekommen war. Der behäbige Gottfried sagte nun zu Herrn Marthelm: »Macht Euch nichts d'raus. Bis Ihr todt seid, wird Euch die Schmach nicht mehr wurmen, die heute Frau Johanna dem edlen Herrn Marthelm von Samgund angethan hat.«



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