Peter Rosegger
Das Geschichtenbuch des Wanderers
Peter Rosegger

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Der Kammerdiener.

Der junge Mensch war allenthalben bekannt, hier und dort. Daß man ihn aber auch irgendwo kennen gelernt hatte, dazu blieb er nicht lange genug auf einem Flecke. Er war hüben und er war drüben, und immer hatte er ein schwarzes Tuchgewand an und über der Weste eine goldene Uhrkette hängen, die mitunter ziemlich locker wog, es war eben nicht immer dieselbe. Die Hemdkrägen waren nicht immer so weiß, als sie zum schwarzen Anzuge gut gestanden wären, so daß es schien, der junge Mann wechsle öfter die Uhrketten, denn die Wäsche. Wohl trug er gerne gestreifte Hemden, denn wenn der Schmutz hübsch in Reihen und Quadrätchen eingetheilt ist, so hat er auf das Auge doch immerhin eine freundlichere Wirkung. Die Hauptaufmerksamkeit wendete der junge Mann wohl seinem Haar zu, das war von Natur fast pechschwarz und immer so fein gefettet und geglättet, daß es den Weibern als Toilettespiegel hätte dienen können.

Seine Eltern waren unbekannt; er selber soll, aus einem Dorfe an der galizischen Grenze stammend, sich in einem Erziehungsinstitute befunden haben, wo es ihm aber nicht gefiel, denn er floh daraus. Es war Jemand, der braverweise die Christenpflicht vorschützte, um dem Drange seines Herzens genüge zu thun und den jungen Menschen nicht versinken zu lassen. So wurde Julian wieder eingefangen und in ein anderes Institut gethan. Dort hatte man ihm das Entfliehen so gottlos schwer gemacht, daß er es vorzog, die Sache so einzurichten, daß sie ihn selber fortjagten. Er kam in die Gegend, wo die Sommerresidenz des Grafen Borgstam stand; der Graf war ein alter Sonderling, ein morscher Rest des alten Adelsgeschlechtes gleichen Namens, der fast einsam dasaß inmitten seiner ausgebreiteten Güter. Er interessirte sich für den hübschen, intelligenten Burschen, stattete ihn aus und half ihm in ein Militärinstitut. Das fand Julian nicht wohl gethan und eine Weile später sah man ihn mit einer Schauspielertruppe durch das Land ziehen. Da war er schon zwanzig Jahre alt; aber bald bekam er den Komödiantenteint im hohen Grade. Seine Wangen fielen ein, seine Gesichtsfarbe wurde fahl, fast grünlich-grau, seine Augen brannten absonderlich, wie scharfzackige Sternlein. Seine schlanke Gestalt war zweifach geknickt, einmal an den Knien und einmal am Nacken. Der schwarze Anzug wurde nicht mehr gebürstet.

Graf Borgstam, der sich nun einmal diesem Menschen zugewandt hatte, wollte ihn nicht mehr aus den Augen lassen. Ein so wohlgebildeter und wohlgearteter junger Mann! Er nahm den Julian zu sich als Kammerdiener. Der Graf war betagt und durch mancherlei Mesalliancen und abenteuerliche Lebensperioden hindurch glücklich dort angekommen, wo man müde und isolirt dasteht. Diese Einsamkeit war umso unheimlicher, je größer sein Reichthum und je mehr der Wohldiener ihn schmeichelnd umkrochen. Doch sammelt sich immer noch ein Restchen Weichmuth und Wärme in einem alten Herzen, wenn es scheinbar auch schon ausgebrannt ist, und dieses Restchen kam dem neuen Kammerdiener nicht schlecht zu statten. Julian erholte sich bald, seine Wangen blühten und sein Rückgrat strebte wieder der aufrechten Richtung zu. Bei der freundlichen Behandlung, die er im Schlosse genoß, kamen auch seine geistigen Anlagen rasch zum Vorschein. Die Lust zum Vagabundiren war weg und obgleich in eine gewisse Disciplin gesteckt – denn der Graf war ein alter Soldat – heimte sich Julian rasch ein, zeigte eine tiefe Anhänglichkeit zu seinem Herrn und nach zwei Jahren war er mehr oder weniger der Vertraute des Grafen, und der Kammerdiener bekam selbst wieder einen Diener zugetheilt.

Den Winter verlebte der Graf in der Hauptstadt, wo er eines der vornehmsten Palais besaß, das aber in seinen größten Theilen unbewohnt blieb, weil der Herr nur einen kleinen Hausstaat zu führen pflegte und es auch sein alter Adel und dessen Verhältnisse verlangten, daß das Gebäude nicht praktisch verwerthet werde, sondern mitten in der lebenslustigen Stadt still und ernst wie ein düstergewaltiges Monument, an das alte Herrengeschlecht erinnernd, dastehe.

Julian war also des Grafen rechte Hand geworden, so daß diesem der übrige Haustroß mehr oder minder überflüssig erschien und er sich von demselben räumlich abzusondern liebte. Der Graf pflegte allabendlich einen alten General bei sich zu sehen, mit dem er ein Tarockspielchen machte und ein paar Flaschen Wein ausstach. Vor Mitternacht wurde dem Gaste aus dem Hause geleuchtet und der Graf stieg bisweilen schon etwas schlaftrunken zu seinem Schlafzimmer empor. Julian verschloß alle Fenster und Thüren der Vorgemächer, hatte noch die Aufgabe, dem Herrn im Entkleiden zu helfen, ihm irgend ein Buch auf den Nachttisch zu legen zur Lectüre, damit sich's leichter einschläft, und sich dann im Vorzimmer selbst zu Bette zu legen.

Da war es eines Tages, daß, als der Graf schon im Bette lag und just das Buch weglegen wollte, Julian in's Gemach trat.

»Was willst Du?« fragte der Graf.

»Euer Gnaden das Licht auslöschen,« war die Antwort; da stand er schon am Bette und in seiner Faust hielt er den Griff eines scharfblinkenden Hirschfängers.

Der Graf richtete sich rasch empor, der Kammerdiener griff ihm an die Gurgel und preßte ihn rasch und mächtig auf das Kissen zurück.

»Sie wissen, Herr, um was es sich handelt,« sagte Julian ganz leise, indem er Sorge trug, daß die Spitze des Messers dem vor Schreck stöhnenden alten Manne vor's Auge kam. »Erschrecken Sie aber nicht so sehr, Sie werden Ihr Leben mit einem einzigen Worte retten. Sie waren mir stets ein guter Herr und ich bitte Sie inständigst, ja nicht den mindesten Schrei zu versuchen. In der Nothwehr bin ich Alles im Stande.«

Diese bodenlose Frechheit des Anfallenden gab dem Grafen das Bewußtsein der Ruhe wieder. Er wehrte sich nicht, er starrte dem Burschen nur wunderlich in's rollende Auge.

»Was – bedeutet denn das, Julian?« fragte er.

»Sagen Sie mir nun einmal ganz ruhig, wo Sie die Schlüssel zur Geldcasse haben.«

»Laß mich los, Unglücklicher!«

»Herr, wenn Sie lärmen wollen!« Der Bursche machte die Miene des Zustoßens.

»Ich meine nur,« fuhr der Graf fort, »wenn Du mich nicht losläßt, so kann ich nicht zu Worte kommen. Daß ich nicht Lärm schlage, magst Du glauben, dafür ist mir mein Leben zu lieb, und Du würdest zehnmal durch's Fenster entspringen können, bevor man zu Hilfe käme. Ich sehe Deinen Vortheil recht gut ein.«

»So werden Sie mir die Casse öffnen.«

Der Graf hatte sich nun vollends gesammelt. »Julian,« sagte er mit einem Humor, den man dem alten Herrn für eine solche Situation nicht zugetraut hätte, »da Du Dich so gut sichergestellt und auch, wie ich nun sehe, die Pistolen entfernt hast und selbst die Klingelschnur durchgeschnitten, da wir uns recht still verhalten und es noch viele Stunden dauert, bis im Hause der Erste aufwacht, so können wir die Sache ganz bequem machen und Alles miteinander wohl überlegen, denn Du mußt zugeben, daß es etwas Wichtiges ist, was Du vorhast. Ich versuche nicht, Dir davon abzurathen, aber ich gebe Dir zu bedenken, ob Dein Weg bis nach Amerika – und einen andern kannst Du wohl nicht wählen – auch vorbereitet genug ist, daß Du ihn von diesem Fenster aus schnurgerade nehmen kannst!«

»Das ist meine Sache, nur habe ich keine Zeit zu verlieren. Also!«

»Ach ja, die Schlüssel! Aber ich fürchte, daß, wenn Du die Casse geräumt haben wirst, Dir doch nichts Anderes übrig bleibt, als mich todt zu machen. Und insoferne ich väterlich für Deine Zukunft besorgt bin, sage ich Dir: Du könntest gar nichts Schlimmeres thun, als mich zu ermorden!«

»Sie höhnen mich!« knirschte der Kammerdiener, der als Angreifer nun weit erregter war, als der Angegriffene.

»Stoß zu!« sagte der Graf, immer noch ruhig auf seinem Bette liegend, »stoß zu, wenn Du's gratis thun willst!«

Das wollte der Bursche allerdings nicht und fast irre gemacht durch das Verhalten des Grafen, verlangte er in bittendem Tone die Schlüssel zur Casse.

»Julian!« sagte der Graf und wollte den Burschen an der Hand fassen, während dieser aber durchaus nicht gesonnen war, von seiner wehrhaften Stellung auch nur den geringsten Vortheil aufzugeben.

»Du hast Recht, Julian,« fuhr der Graf fort, »ich gestatte Dir, daß Du mich fesselst, aber den Mund laß mir frei, denn ich habe Dir Einiges zu sagen, was für Dich nicht unwesentlich ist. – Dort in der Ecke steht die Casse, die Schlüssel kann ich Dir auch angeben, ja selbst die geheimen Kunstgriffe, ohne welche das Ding nicht zu öffnen ist, möchte ich Dich lehren, allein Du würdest über den Inhalt des Schrankes enttäuscht sein. Zumeist sind es Papiere, mit denen ein Flüchtling nichts anzufangen weiß, das vorhandene Baargeld dürfte Dich zur Noth nach New-York bringen, aber nicht weiter. Und in diesem Lande wird nach meinem Tode das Gericht ein Testament öffnen, das schon seit sechs oder sieben Monaten geschrieben ist und in welchem der unglückliche Graf Borgstam, als der letzte, seinen Kammerdiener Julian Zellenbach zum Universalerben einsetzt. Ein Duplicat des Testamentes wirst Du in der Casse finden.«

»Wir werden uns überzeugen.«

»Gut Junge. Aber was nützt das? Ich sehe es ein, Du meinst, Du könntest jetzt nicht mehr zurück.«

»Sie sehen es selbst ein, Herr Graf.«

»Vielleicht aber doch, wenn wir die Sache erörtern. Denn es wäre jammerschade, wenn Du über die Flucht wegen der Kleinigkeit die Dir einst rechtmäßig zufallenden Güter im Stiche lassen müßtest.«

»So thöricht bin ich nicht, daß ich mich durch solche Märchen hinhalten lasse,« sagte der Kammerdiener in verschmitztem Tone.

»Es thut mir leid,« fuhr der Graf fort, indem er sich unter dem drohenden Messer nun einmal ein wenig zurecht rückte, »ich würde Dich gerne von der Richtigkeit meiner Worte überzeugen, aber Du bist ein toller Junge und stoßest aus Angst schließlich doch noch Deinen leiblichen Vater nieder.«

Das Bekenntniß war heraus, allein es wurde darum die Unterhaltung nicht wesentlich gemüthlicher.

»Ich habe mancherlei an Dir erlebt, mein Sohn,« fuhr der Graf fort, »und ich habe Dir außerdem noch mancherlei zugetraut; allein ein Raubmörder, das berührt mich unangenehm. Man kann Leute tödten und Güter confisciren, so viel man will, aber auf ritterliche Weise, wie wir's gethan haben. – Doch Dir mangelte die standesgemäße Erziehung und ich habe Dich leider aus den Augen gelassen und jahrelang aus den Augen verloren; was ich konnte, habe ich ohnehin gethan.«

Nun war denn doch der scharfe Hirschfänger in der Faust des Kammerdieners etwas locker geworden. Er trat einen Schritt vom Bette zurück und sagte mit heiserer Stimme: »Erheben Sie sich und zeigen Sie mir das Document, denn Sie werden begreifen, daß ich mich sichern muß.«

»Daran thust Du wohl. Nur möchte ich wissen,« sagte der Graf und machte Anstalten, aufzustehen, »ob Dir niemals eine Ahnung gekommen ist von unserer – Zusammengehörigkeit?«

»Mag sein,« antwortete der Bursche, »momentan handelt es sich aber darum, daß ich mich assecurire. Hierher, wo ich Sie jetzt habe, dürfte ich Sie sobald nicht mehr kriegen.«

»Das Vernünftigste ist, Du gehst zu Bette,« so nun der väterliche Rath, »und keine Seele soll wissen, was in dieser Nacht zwischen uns vorgefallen.«

»Aber Sie werden umso sicherer daran denken, mein Herr, und werden mich enterben oder mich aus dem Wege schaffen, auf welchem ich Ihnen nun unbequem sein muß.«

»Ich sehe, daß Du klug bist, mein Sohn. Doch dürftest Du beruhigt sein, wenn ich Dir meine, Deine Geschichte, insoferne Du sie nicht kennst, mittheile.«

»Die kümmert mich nicht und möchte für mich dabei kaum mehr Ehre herauskommen, als am heutigen Tage. Sie haben ein schönes, armes Weib in's Unglück gebracht, damit wird's beginnen.«

»Ich habe sie versorgt.«

»Sie ist verachtet worden und zu Grunde gegangen.«

»Weißt Du's?«

»Das ist leicht wissen, weil es der natürliche Gang ist. Und die Leichtsinnigsten kommen immer noch am billigsten.«

»Auch Du wirst Dich nicht zu beklagen haben.«

»O klagen, Papa! Lieber nehm' ich mir meinen Theil und schweige.«

»Schweigen, das glaube ich.«

»Ich könnte ja in der That eine Rührscene aufführen,« meinte nun der junge Mann, »und ausrufen: Tausendmal besser für mich, ein Bauer hätte mich auferzogen, als daß ich hin- und hergeworfen worden bin zwischen Dorf und Stadt, zwischen Schule und Kaserne, einmal Geld im Ueberfluß, einmal gar keins, verkommen, verdorben – verdorben!«

»Vergißt es wohl nicht, daß ich Dich in mein Haus nahm und hielt wie ein liebes Kind?«

»Warum haben Sie das nicht gethan, so lange es noch früh genug gewesen? Sie haben mich verhehlt. Sie haben Ihr eigen Herz und Gewissen bis an's Lebensende betrügen können, weil es das Decorum verlangt. – Ha, so könnte ich Komödie spielen, wenn mir die ganze Teufelei nicht verflucht gleichgiltig wäre. Nur, wollen Sie keine kindliche Liebe, oder wie das Zeug heißt, von mir verlangen!«

»Ich verlange gar nichts von Dir, mein Junge, als Klugheit,« unterbrach ihn der Graf, »aber Du wirst dieselbe auch an mir erklärlich finden. Wir befinden uns jetzt Beide in einer schlimmen Situation. Oeffne ich Dir die Casse, um die Urkunde zu zeigen, so wirst Du fürchten, ich könnte nach solchem Zwischenfall das Testament gelegentlich widerrufen und wirst das mit geeigneten Mitteln bei Zeiten zu verhindern suchen. Ja, ja, Du verstehst mich vollkommen.«

»Und Sie werden die Nothwendigkeit begreifen, daß ich für meine persönliche Sicherheit sorge und zwar radical . . .« So der Kammerdiener.

Mittlerweile hatte sich der Graf in's Nachtkleid gehüllt, an der Wand umhergetastet, um scheinbar nach den Schlüsseln zu suchen. Der Kammerdiener folgte jeder seiner Bewegungen und dabei war er doch rathlos und wußte nicht, was er unter sothanen Verhältnissen zu thun hatte. Sie waren gegenseitig gebunden, wo sich's um Convenienz, Decorum und materiellen Vortheil handelte, aber nicht gebunden, wenn es auf Leben und Sicherheit ankam. Der Augenblick war kritisch und Julian umklammerte wieder fest und entschlossen die Mordwaffe.

Da pochte es draußen an eine Thür.

»Auftreten die Thür! Rasch herein!« rief der Graf mit voller Stimme. Da krachte das Getäfel. Julian erblaßte, die Waffe entsank seiner Hand. Das vom Grafen durch einen heimlichen Druck an der Wand gerufene Gesinde stürzte herein, der Portier voraus.

»Kommt uns zu Hilfe,« sagte der Graf, »dem Julian ist schlecht geworden. Bringt ihn in's Krankenzimmer, schafft ihm Beistand, und es sollen die Nacht über Leute bei ihm sein.«

Den Hirschfänger hatte er, während er den Befehl gab, mit dem Fuße unter das Bett geschnellt. Der auf ein Fauteuil gesunkene Kammerdiener ließ sich hinaustragen und der Graf schloß die Thür und war nun allein in seinem Gemache.

Am nächsten Morgen fühlte sich Julian wohl, aber der Graf sah ein, für ihn, den Julian, der etwas schwächlich angelegt, sei die Kammerdienerstelle wohl doch zu anstrengend. Er rathe ihm ein südliches Klima, besonders könnten die Aerzte das so gesund gelegene Hochland von Brasilien nicht genug empfehlen. Die Mittel dafür waren bald beschafft und Julian war's zufrieden. Beim Abschiede sagte der Graf zum jungen Auswanderer: »Mein Sohn, ich segne Dich! Bleibe brav und klug, damit Du Dich finden lassen kannst, wenn das Gericht für die Güter des Grafen Borgstam einen Erben sucht. Wüßte ich einen Andern mit Sicherheit aufzutreiben, so würde ich Dich mit der Angelegenheit wahrlich gerne verschonen.« –

Ueber die weiteren Schicksale Julian's kann nichts berichtet werden. Der Graf lebte in Polen. Als er starb, sind die Aufzeichnungen dieser kleinen Geschichte bei ihm gefunden worden und auch das Testament; dieses doch war überflüssig, denn die Gläubiger haben alle Güter des alten Herrn confiscirt.



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