Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Peter Rosegger

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Ein Schreiben aus Neu-Altenmoos

Als der Hof still und nächtig stand, die Leute alle schliefen, zündete der Jakob bedächtig eine Kerze an, um den Brief zu lesen. Da hatte er freilich noch keine Ahnung, was ihm die nächste Stunde bringen sollte. Anfangs, da wollte er dem Papier nicht trauen, dann rieb er sich die Augen, dann putzte er die Kerze. An die heiße Stirn griff er sich. Daß ihm dieser Brief so wunderlich vorkam! Will ihn jemand foppen? Der Brief ist von ganz fremder Hand und mit seinem eigenen Namen unterschrieben. Einen anderen Jakob Steinreuter gibt es nicht, soviel er weiß. – Aus Neu-Altenmoos in Oregon. Wo ist denn das? – »Mein Vater!« begann das Schreiben. Da zuckte es dem Jakob durch die Seele. »Maria!« schrie er auf, aber sein Weib rief er vergebens, nur der Guldeisner regte sich auf seinem Stroh, knurrte ein paar unverständliche Worte und schlief weiter.

Der Brief war mit festen Zügen geschrieben und lautete also:

 
»Mein Vater!

Ihr werdet von diesen Zeilen wohl sehr überrascht sein. Wie ich höre, habt Ihr mich für tot gehalten und tausendmal bitte ich um Verzeihung, daß ich so viele Jahre nichts von mir habe hören lassen. Solange es mir schlecht ergangen ist, habe ich gemeint, es wäre besser, Ihr hieltet mich für gestorben, als für verdorben. Und ist in mir Scham und Trotz gewesen. Wohl arg ist es mir ergangen, und ich habe mein Davonlaufen von den guten Eltern und von der lieben Heimat hart büßen müssen.

Ich will alles kurz erzählen, es zittern mir die Hände und das Herz, wenn ich daran denke.

Von heim fort bin ich übers Hochgebirge und ins Land hinaus. Mit Rastelbinderleuten bin ich bis nach Triest. Dort als Schiffsjunge auf einem Schiff nach Ostindien. O Vater, die Welt ist weit! Anfangs ist mir gewesen: nur fort, recht weit fort. Endlich ist's mir zu weit worden. Als Matrose siebeneinhalb Jahre lang. Zu erzählen wüßte ich viel, gewesen bin ich auf allen Meeren und in allen Weltteilen. Einmal Schiffbruch, da hätten mich und noch ihrer drei die Wilden bald aufgefressen. Engländer haben uns gerettet. Zu Kapstadt, das ist in Afrika, habe ich einen Altenmooser getroffen, einen Grubbauernsohn; der hat mir von Euch erzählt, daß die Mutter gestorben ist und der Friedel bei den Soldaten, und daß ich als tot gelte daheim. Später habe ich erfahren, daß der Friedel gefallen ist und die Angerl geheiratet hat, wo ich mich kaum mehr erinnern kann an die zwei! – und Ihr zu Altenmoos schier allein wäret. Ich habe mir vorgenommen zu schreiben, aber alleweil auf das Besserwerden gewartet. Denn ich bin nach St. Franzisko in Amerika gereist, nach Kalifornien und habe angefangen, in Gemeinschaft mit zwei Russen auf einem Sparpfennig eine Goldmine zu betreiben. Nach ein paar Jahren habe ich soviel Gold gehabt, daß ich ganz Altenmoos hätte kaufen können. Ist mir aber zu wenig gewesen und ist das Goldfieber über mich gekommen. Gold, nur Gold, sonst habe ich an nichts mehr gedacht und meinen Namen habe ich Jaques geschrieben. Das ist meine unseligste Zeit gewesen, da vergißt man auf alles Christentum und auf alle Nächstenliebe. Bis an die Knochen abgemagert bin ich vor lauter Begier. Zum Glücke hat es nicht lange gedauert, bei einer Spekulation mit einem tauben Bergwerk habe ich alles verloren. Mehr als alles; meine Gläubiger wollten mich totschlagen, ich bin geflohen, so arm wie aus dem lieben Altenmoos, ohne Schuh' und Hemde. Landeinwärts bin ich in das Gebirge der Sierra. Unterwegs in einer Wüstenei habe ich zwei deutsche Familien gefunden, die von einem Spekulanten nach Amerika gelockt worden waren und hilflos hätten zugrunde gehen müssen. Ich habe sie mit mir geschleppt und nach zwei Tagen sind wir in ein Gebirgstal gekommen, das noch fast unbewohnt war, aber voller Eichen- und Föhrenwälder und auch Tannen und Fichten darunter, und viel schöne Weidegründe. Aber auch Granitfelsengebirge weitum. Es wäre fast vergleichbar mit unserem Altenmoos daheim, nur daß die Bäche im Sommer versiegen. Viele Marder und Wölfe gibt es, aber die werden ausgerottet. Hier haben wir uns auf Vermittlung eines Franzosen niedergelassen und Blockhäuser gezimmert und angefangen eine kümmerliche Wirtschaft zu betreiben. Wie mühevoll und wie kümmerlich, das ist nicht zu beschreiben. Wie die ersten Menschen nach Erschaffung der Welt, so haben wir anfangen müssen, kein Mensch kann's glauben, wie schwer eine Wildnis zu roden ist, und oft habe ich mir gedacht: das ist die Strafe, daß du deine Heimat so treulos verlassen hast, jetzt mußt du dir mit blutiger Not eine schaffen, die viel schlechter ist. Denn so war mein Wille: Das Umirren in der weiten Welt habe ich satt, ich will eine Statt haben. Die Wälder reuten, die Tiere zähmen, die wilden Fruchtbäume veredeln, die Hütten schützen vor Winter und Sturm und feindlichen Überfällen und dabei Krankheit und Entbehrung leiden aller Art – oft bin ich an der Verzweiflung gewesen.

Aber unablässig und unablässig haben wir gearbeitet und nach etlichen Jahren ist es so weit gewesen, daß wir uns sagen konnten: Wir sind hier daheim. Nöten und Plagen haben freilich fortbestanden, ich kann sie nicht schildern, es ist ja auch besser geworden. Ein paar Engländer haben sich bei uns angesiedelt und selbst eine Rothautfamilie; wir vertragen uns miteinander. Meine Hütte steht auf einer Anhöhe, unten ist ein Bachbett, gegenüber am Berge ist Wald. Wir haben auch einen Weg angelegt talwärts bis zum nächsten größeren Gut Fort Fremont, das einem Franzosen gehört. Ich habe Arbeiter genommen und mein Anwesen vergrößert; ich treibe Viehzucht, die erträglich ist und etwas wenigen Ackerbau. Mein Haus habe ich Reuthof genannt und nebenan habe ich eine Kapelle gezimmert und für die aus Ahornholz eigenhändig das Bild des heiligen Jakobus geschnitzt. Und das Tal heißt Neu-Altenmoos. Wir kommen wöchentlich zweimal zusammen in meinem Hause, um unsere deutsche Sprache zu pflegen, die sonst in Gefahr wäre, vergessen zu werden, um deutsche Lieder zu singen, aus deutschen Zeitschriften und Büchern zu lesen und die Sitten der alten Heimat zu halten. Vor sieben Monaten habe ich von einer meiner deutschen Nachbarsfamilien ein Mädchen geheiratet und ich hoffe nach den Anzeichen, daß man mich in Neualtenmoos Jakob den Ersten nennen wird.

Das, mein Vater, ist in flüchtigen Zeilen mein bisheriger Lebenslauf. Und jetzt – so glaube ich – jetzt darf ich schreiben. Wie gerne möchte ich Euch sehen, aber nun bin ich hier festgenagelt, wie Ihr dort. Jetzt verstehe ich das Festgesessensein freilich besser, wie dazumal. Es ist ja wahr: Gottes ist die Erde überall und Pilger sind wir alle. Doch der rechte Mensch – ich weiß es jetzt – muß eine Heimat haben, daß er und sein Geschlecht stark sei.

Wenn es aber wäre, daß Ihr doch kommen wolltet, Vater, um das Neu-Altenmoos zu sehen, welches fast nach dem Muster des alten ist: Ihr geht einen Tag zu Fuß, fahret zwei Tage auf der Eisenbahn, eilf Tage auf dem Meere, dann wieder sieben Tage auf der Eisenbahn und endlich drei Tage mit Wagen, oder reitet auf dem Pferde, dann seid Ihr bei mir. Ich schreibe Euch noch den näheren Reiseplan. Und es könnte ja sein, daß bei dem, wie es Euch jetzt dort sein soll, die neue Heimat besser gefiele als die alte. Denn meine Gertrud ist ein braves Weib, die keinen anderen Fehler hat, als manchmal Heimweh nach dem deutschen Vaterlande. Und sind doch alle ihre lieben Leute hier. Aber liegt nur erst, so Gott will, das Kind in der Wiege, daß sie vor sich schauen muß, statt hinter sich, dann wird auch das gut sein. Und bei Euch sollte es auch so sein, Vater. Die kleinen Kinder sind bei den Eltern daheim, und die alten Eltern bei den großen Kindern. Kommt zu uns, Vater, und überzeugt Euch, daß Euer Jackerl doch nicht so ganz umsonst davongelaufen ist. Meine Gertrud bittet mit mir, daß Ihr uns alle liebhabet.

Und vor allem – ich bitte Euch – schreibst mir, daß Ihr mir verziehen habet und meinetwegen keinen Kummer mehr leidet. Und schreibet recht viel, wie es Euch geht, und von der Angerl und ihrem Mann, die wir vielmals grüßen. Meine Adresse ist zu machen: An Herrn Jakob Steinreuter, Besitzer des Reuthofes in Neu-Altenmoos bei Fort Fremont in der Sierra. Oregon in Nordamerika. Und nun, mein teurer Vater, lebt wohl. Und es hofft ein Wiedersehen Euer dankschuldiger Sohn

Jakob

Neu-Altenmoos, den 15. August 188*.«


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