Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Peter Rosegger

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Jakob besucht seine Kinder

Die jungen Pächtersleute in der Gemeinau hatten ein Kind bekommen. Als ob das Töchterlein mit großer Absicht keine geborene Altenmooserin sein wollte, war es gerade drei Tage nach der Auswanderung ans Licht der Welt gegangen. In der Gemeinau, wo weit und breit kein Waldbaum stand, schien dieses Licht der Welt auch viel heller und wärmer, als in den Waldschatten der Sandach.

Die Angerl schrieb dem Vater Jakob, er möchte kommen und seine kleine Enkelin ansehen. »Ist er nur erst einmal da«, sagte sie zu ihrem Florian, »dann wollen wir es ihm hier so lieb und gut machen, daß er auf sein Altenmoos vergessen soll.«

»Dazu wirst du ein großes Glück vonnöten haben«, sagte der Florian.

»Wenn ich's auch nicht so auslegen kann, wie gern wir ihn haben, so meine ich doch, er müßt' es verspüren, wie man beim Ofen die Wärme verspürt, ohne daß man Feuer zu sehen braucht.«

Der Florian schaute seinem Weib ins Auge und war stolz darauf, daß sie so feine und gescheite Gedanken hatte. »Wenn die kleine Mirl auch so wird!«

»Die wird noch gescheiter«, sagte sie, »in der ist auch deine Gescheitheit dabei. Die wird erst einen Buckelkorb haben müssen, daß sie ihren Verstand ertragen kann.«

So neckten sich die beiden.

Dann richteten sie dem Vater Jakob das gute Stübel ein und sie selbst zogen mit dem Kinde in die Nebenkammer. Sie ordneten alles so an, wie sie wußten, daß es der Vater gewohnt war, nur daß sie es viel feiner und behaglicher zu machen gedachten, als es im Reuthofe je gewesen.

Der Jakob machte sich im nächsten Frühjahre denn auch wirklich auf und reiste nach der Gemeinau. Als er in das weite Tal hinaus kam, wunderte er sich, wie da alles schon so schön sommerlich war, während in Altenmoos noch überall der Schnee lag, der schmutzige, mit Fichtennadeln und Zapfenschuppen durchsetzte Schnee. Auf den schlechten Wegen waren noch die Eiskrusten oder rann das trübe Wasser. Hier im Tale der Gemeinau lagen die Straßen blendend weiß und trocken, und der Maiwind fächelte Staub empor. Auf den Feldern grünte die junge Saat, Apfelbäume blühten und auf den Wiesenrainen schnitten die Häuslerinnen schon junges frisches Futter.

Der Jakob freute sich an der schönen Welt und gönnte es den Leuten der Gemeinau, daß sie eine solche Heimat hatten.

Das Haus seiner Kinder war schwer zu erfragen. Überall stattliche Gehöfte, überall vielwissende Leute, aber von den aus dem Gebirge Eingewanderten wollte keiner gehört haben. Endlich erinnerte sich ein Weib, daß im Steinhäusel seit einem Jahre fremde Pächtersleute hauseten. Man sehe sie fast nie, sie wären immer daheim auf dem Anwesen und sehr fleißig, aber sie verstünden nicht recht zu wirtschaften, sie machten alles so, wie sie es im Gebirge, aus dem sie gekommen, gemacht hätten, und das tauge hier nicht und sie würden tüchtig zu tun haben, um sich aufrechtzuhalten.

Draußen hinter dem Dorfe war ein dürrer steiniger Bühel, fast der einzige Steingrund in diesem fruchtbaren Tale. Und dahinter duckte sich das Häusel, in welchem die Altenmooserleute lebten. Ein alter halbverdorrter Birnbaum ragte mit seinen starren Besen über den Dachgiebel auf, abseits war noch einiges Buschwerk und dann lagen die Äckerlein, auf deren fahlem Erdgrunde das Korn aufsprießte in rötlichen Spitzen. Das Häusel war viel kleiner, als der Jakob nach dem breiten, zu allen Seiten weit hinausstehenden Strohdach vermutet hatte, aber um dasselbe war Brennholz und Geräte in guter Ordnung geschichtet und gerichtet. Die Angerl war vor der Haustüre eben damit beschäftigt, weißen Federflaum auf ein Brett zu streuen und in der Sonne zu lockern.

»Schau, schau, was in der Gemeinau die Schafe für eine feine Wolle geben!« Mit diesen Worten trat der Jakob vor und begrüßte seine Tochter.

Diese sprang ihm mit einem Freudenschrei an den Hals. So heftig war sie ihn in Altenmoos nie angesprungen. »Ja«, lachte sie hernach, »das ist aber keine Schafwolle, das sind Bettfedern.«

»So, Bettfedern! Hoch hinaus! Gefreut mich, daß euch schon die Federn wachsen. Hoch hinaus!«

»Ist nicht so vornehm, wie es ausschaut«, sagte die Angerl. »Fliegen tun wir noch alleweil nicht. Nein, wirkliche Federn, so weit haben wir es noch nicht gebracht, beileib' nicht. Das da ist nur der weiße Flaum, der im Herbst auf den Disteln wachst. Disteln haben wir genug auf unserem Grund, so nutzen wir sie und habe ich im vorigen Herbst den Flaum gesammelt, man liegt just so gut darauf, wie auf Federn. – Aber, Vater, so kommt doch in die Stube, Ihr müßt ja die kleine Mirl anschauen. – Mirl! Mirl!« rief sie in die Stube voraus, »der Ähndl (Großvater) kommt! der Ähndl ist da!«

Das kleine Mädchen hockte im Nest, guckte mit seinen blauen Äuglein ein wenig befremdet auf den großen Mann, der jetzt eintrat, den es im Leben nie gesehen hatte, von dem jetzt soviel Aufhebens war und dem es gar das Händel und einen Kuß geben sollte!

»Ganz dem Friedel seine Augen hat sie«, sagte der Jakob mit Befriedigung, »und das ist brav von euch, daß ihr der Kleinen den Namen von der Großmutter gegeben habt. Nur solltet ihr aus dem schönen Maria nicht das Mirl machen.«

»Mirl!« rief die Angerl lachend, »gefällt Euch das nicht! Da in der Gemeinau ist es halt so der Brauch und jede Maria heißen sie Mirl.«

»Nun ja«, murmelte der Jakob halb für sich hin, »wenn's so der Brauch ist in der Gemeinau, nachher ist's freilich was anderes.«

»Ich will sie Euch zulieb' aber gerne Maria heißen«, sagte die Angerl. »Was ich doch kindisch bin! Da schwatzen und Ihr habt nichts Warmes im Magen. Zuerst muß ich noch den Florian rufen, der tut auf dem Felde draußen Steine graben.«

»Steine graben!« sagte der Jakob, »auch hier müsset ihr reuten!«

Sie war schon fort und er saß im Stübel allein bei seiner Enkelin. Da wurde ihm ganz warm ums Herz. Und als er das weiche Händchen festhielt und als ihn das schöne blondlockige Kind so klug und treuherzig anblickte, da war ihm schier, als wäre er nach langem Irren in der Fremde heimgekommen.

So blieb der Jakob nun ein Weilchen im Steinhäusel. Am ersten Tage tat er nichts, als mit der kleinen Maria spielen und scherzen und in der kleinen Wirtschaft des Schwiegersohnes, sowie im Dorfe herumzugehen. Da sah er allerhand Neues. Manches gefiel ihm nicht übel, aber zu dem meisten schüttelte er den Kopf. – »Viel Schale und wenig Kern!« sagte er. Am zweiten Tag tat er sich nach einer Beschäftigung um, aber es gab nichts Rechtes und die Werkzeuge waren ihm unhandlich. Der Florian ging ins Tagwerk aus, das war sein Haupterwerb und er mußte bisweilen viel herumfragen, bis er Tagwerk fand. »Ist auch wieder was Neues«, bemerkte der Jakob einmal, »zu Altenmoos betteln arme Leute bloß ums Essen, dahier auch um Arbeit.«

Die Kost, welche die Angerl ihrem Vater versetzte, wollte ihm nicht recht schmecken. Gut war sie freilich und mit Fleiß gekocht; sogar Kaffee, Butter und Honig gab's. Aber der Jakob dachte bei jedem Bissen daran, daß er um teures Geld gekauft werden müsse, und ein richtiger Gebirgsbauer sieht in solcher Gebarung den Untergang, selbst wenn die gekaufte Kost mit den Einnahmen im Verhältnis stünde.

An seiner Tochter sah er jetzt eine Art Leichtsinn, den er daheim nicht an ihr bemerkt hatte. Nur heiter sein und den Tag loben, es wird sich schon geben. Nicht beständig das Leben sich mit Sorgen und Grämen verkümmern. Klopft die Not an und man macht nicht auf, so geht sie wieder vorüber. – Das war so das Denken der Angerl. Dem Jakob gefiel das durchaus nicht. Die Weltleute trösten sich alle ähnlich, bevor sie zugrunde gehen. – Je besser sie es ihm meinte, je aufmerksamer sie ihn betreute und bediente, je unbehaglicher ward ihm.

Eines Tages fragte die Angerl ihren Vater, ob er nicht in Ägypten einen Bekannten habe.

»Wieso denn in Ägypten?« fragte er.

»Es ist keine müßige Frage«, sagte die Angerl.

»In Ägypten einen Bekannten? Wüßte keinen, es wäre denn der ägyptische Josef aus der Bibel.«

Nun erzählte sie ihm, daß vor kurzem ein Kapuziner mit einer Schmalzsammelbüchse in der Gemeinau umgegangen. Derselbe sei auch in das Steinhäusel gekommen, habe anfangs einen schönen Spruch aufgesagt, sich dann zum Tisch gesetzt und von einer weiten Reise erzählt, die er vor einem Jahr ins Heilige Land gemacht. Hernach habe es die Rede ergeben, daß sie, die Angerl, eine Altenmooserin täte sein und hierauf habe der Pater erzählt, daß er auf dem Roten Meer – das sei genau dasselbe, auf dem die Soldaten des Pharao ertrunken – mit einem Seemann bekannt geworden wäre. Der sei schier wild und braun gewesen, wie ein Mohr aus dem Ägyptenland, habe aber Deutsch geredet. Der Mensch habe von Sandeben gesprochen, sogar von Altenmoos gewußt und sich erkundigt nach dem Jakob Steinreuter und seinen Leuten. Er habe alle bei ihren Namen genannt, aber nichts weiter gesagt. Ob er – fragte die Angerl den Vater – sich nicht denken könne, wer dieser Mensch gewesen sei?

Ins Ägypterland, so weit könne er nicht denken, wenn er nicht die heilige Schrift vor sich habe, antwortete der Jakob, es sei wahrscheinlich einer der Auswanderer gewesen, die sich in der ganzen Welt zerstreut hätten und vor lauter Grimm und Ärger über ihr Mißgeschick allerlei Farben bekämen.

Solch sachtes Ineinanderweben von Heimat und Fremde war dem Jakob unheimlich. Und das Nichtstun machte ihn allmählich ganz müde und verdrießlich. Einmal nahm er den Spaten und ging an den Feldrain, um Steine auszugraben, es war aber keiner mehr drin. Dann ging er hinauf an den Bühel und hub dort an, Steine zu lockern. Es wird nicht schaden, wenn man den Bühel reutet, dachte er, wie sich's heute zeigt, haben sie in etlichen Jahren eine Stuben voll Kinder, da werden sie wohl neue Äcker brauchen. Aber je mehr Steine der Jakob ausgrub, je mehr waren noch drin. Und endlich kam der Eigentümer des Anwesens herbeigeschliffelt, der fragte den Jakob barsch, was er da mache! Er lasse auf seinem Boden nicht herumwühlen.

»Ihr solltet ja froh sein, wenn man Euch den Boden fruchtbar macht«, wendete der Jakob ein.

»Froh sein!« lachte der Eigentümer schrill auf, »das auch noch! Und sich recht schön bedanken bei den Herren Gebirgsdodeln, daß sie zu uns herabkommen. Schön bedanken dafür, daß sie uns mit ihrer vorweltlichen Bergwirtschaft die Felder verderben und den Pacht schuldig bleiben schon im ersten Jahr. Jawohl, ich bedank' mich schön für solche Leut'!«

»Jetzt ist von nichts als von den Steinen zu reden, die ich Euch aus dem Grund gegraben habe«, sagte der Jakob.

»Ich will sie wieder drin haben!« schrie der Eigentümer. »Nächste Wochen kommen die steueramtlichen Grundausmesser und da braucht man Steinboden.«

»Ich verstehe schon«, sagte der Jakob, »es ist eine schöne Wirtschaft. Es ist eine schöne Wirtschaft.«

Von diesem Tage an wollte es ihn gar nicht mehr freuen in der Gemeinau. Auch sagte er, es sei ihm die Luft zu schwül, er habe immer die Empfindung, als liege ein Gewitter im Himmel. Daß die Leute hier anders gekleidet waren und anders wohnten als in Altenmoos, daß sie im Sprechen viele Worte anders betonten, das war ihm gleich anfangs aufgefallen. Jetzt hub derlei nachgerade an, ihm ein Gefühl des Ekels zu erregen, und an den lauen Abenden, wenn die Mairosen dufteten und die Nachtigall schlug, da wurde ihm übel. Niedergeschlagen, erschöpft und krank war er an manchem Tage.

Und als der Frühling so seine ganze Herrlichkeit entfaltet hatte, ja hochsommerlich geworden war im Tale, da sagte der Jakob zu seiner Tochter: jetzt wird wohl auch zu Altenmoos der Auswärts gekommen sein. Jetzt will ich halt in Gottes Namen wieder heimgehen und Korn und Erdäpfel und Kohl anbauen.«

Sie wollte ihn schon fragen, ob er sich's denn nicht überlegt hätte? Ob es ihm nicht in dem schönen Tal besser gefalle als im Hintergebirge? Ob ihm die guten Wege und Stege hier nicht recht wären? Und das Stübel mit der kleinen Maria! Und anderes, was bequemer und besser wäre, als im Gebirg. Aber der Vater kam ihr zuvor und sagte: »Ehe ich wieder fortgeh', Angerl, hätte ich noch gern ein Wörtel mit dir geredet. Mit dir und deinem Mann. Ich muß mich tausendmal bedanken für alles Gute, was ich bei euch genossen habe. Und was mich am allermeisten gefreut, daß ihr so glücklich und zufrieden miteinander lebt. Ihr seid brave, fleißige Leut' und tut's mir deswegen um so weher...«

Ob er etwas auf dem Herzen habe? fragte sie ihn.

Da rückte er heraus und sagte: »Ich möcht' euch nicht beleidigen, nichts weniger als das, aber ich sag's aufrichtig und muß es sagen: Eure Wirtschaft da, die gefällt mir gar nicht. Ja freilich ist es schön und lustig in der Gemeinau, wer hier heimgesessen ist und einen eigenen Hof hat. Aber wie ihr da lebt, das taugt nicht. Solange dein Mann noch als Taglöhner Erwerb findet und tüchtig arbeiten kann, solange ihr alle gesund seid, mag's zur Not noch gehen. Sobald aber Mißgeschick kommt – und es bleibt nicht aus, es kommt! – seid ihr Bettelleute. Dann wird's heißen: Nach Altenmoos! Und in Altenmoos wird's heißen: Bei uns ist nichts mehr. Ja, solange sie gesund und stark gewesen, haben sie von daheim nichts wissen wollen, haben es fürnehm gegeben, haben seidenes Gewand getragen und Kaffee getrunken. Jetzt als Bettelleute sind sie da, jetzt wissen sie die Heimat zu finden. – Nein, Kinder, solches wollt' ich mir nicht nachsagen lassen, da wollt' ich mich beizeiten besinnen und hausen und bauen daheim und mich von niemand knechten und spotten lassen. Schau, Angerl, ich meine, noch tät's bei euch früh genug sein. Packt eure Sachen zusammen – heißt das die kleine Maria und die Wiege, sonst habt ihr ohnehin nichts – und kommt mit mir auf den Reuthof. Seid klug und kommt. Wir werden uns gut miteinander vertragen, ich bin ja nicht rechthaberisch, ihr sollt Herr sein, auch deinen Kaffee sollst haben, Angerl; es steht noch nicht so schlecht daheim. Meine Kinder, ich möcht' euch um mich haben. Kommt mit!«

Die Angerl fand anfangs auf solche Vorstellungen keine Antwort. Endlich fuhr sie sich mit der flachen Hand über das Gesicht und sagte: »Es ist halt gar so traurig, Vater! Ihr kränkt Euch um uns und wir kränken uns um Euch. Wir möchten gern beieinander leben und werden doch zur Zeit, wo wir uns beistehen sollten, weit auseinander sein und verlassen sterben müssen...«

»An mir ist die Schuld nicht«, sagte er und seine Stimme war heiser. »Ich bin verblieben, wo mich Gott hat hingesetzt.«

Einen Tag später nahm er im Steinhäusel Abschied. Der kleinen Maria steckte er einen alten doppelten Silbertaler hinter das Kopfpolsterl, weiter machte er nicht viel Worte und Zärtlichkeit. Dem Florian sagte er noch: »Wenn ich weiß und gewiß weiß, es ist euch recht so, wie es ist und wie es kommen wird, so will ich mir auch nichts mehr draus machen. Haltet euch in Ehren, das ist die Hauptsache.«

Mit diesen Worten hat er sich abgewendet und ist davongegangen.

Heim! Heim! Schon sonst, wenn er des Morgens von Altenmoos nach Sandeben gegangen, kehrte er am Nachmittage mit einer Freude und Sehnsucht heim, als wäre er jahrelang in der Fremde gewesen. Um wieviel mehr erst an diesem Tage! Als ob er daheim alles noch so fände, wie früher...

Unterwegs gegen das Gebirge traf der Jakob mit dem Staudenhuber zusammen. Der Staudenhuber, das war ein Viehhändler, als solcher überall und auch zu Altenmoos bekannt. Der Jakob kannte ihn als Ehrenmann, nur daß man sich bei einem Handel hüten müsse vor seiner Pfiffigkeit. Nun, das gehört zum Geschäft. Ein Schelm, der beim Viehhandel nicht Spitzbub' ist! geht das Sprichwort. Der Viehhändler hat auf seinen Vorteil zu schauen. Daß sein Vorteil des anderen Nachteil ist, wer kann dafür? – Der Staudenhuber hatte ein rotes Gesicht, das immer lächelte; ein solches Gesicht soll jeder Viehhändler haben, es trägt Geld ein.

Die beiden Männer gingen eine Strecke lang miteinander und plauderten über allerlei. Begonnen hatte das Gespräch der Staudenhuber mit dem Ausdruck der Befriedigung über das schöne Wetter und wie das eine gute Kornernte verspreche. Aber ein Viehhändler wird nicht lange beim Wetter und Korn verweilen, bald sprang er über auf das Vieh, und für das braucht er freilich auch schönes Wetter, beständig trockenes Wetter, Dürre, welche die Viehpreise allemal niederdrückt und sein Geschäft hebt. Er fragte, wer etwa zu Altenmoos junge Zuchtochsen stehen habe, oder saubere Kalben?

»Zu Altenmoos wird nimmer viel stehen!« antwortete der Jakob, »außer Rehe und Hirschen, wenn du willst!«

»'s ist schade ums Altenmoos«, sprach der Staudenhuber und trocknete sich mit dem blauen Sacktuch das Gesicht, nicht weil er etwa um Altenmoos weinte, sondern weil er schwitzte und zwar bis in den Nacken hinüber. Das war einer, der immer schwitzen mußte, obschon er seit langem im Trockenen saß. »'s ist alleweil viel sauberes Vieh gewesen zu Altenmoos«, sagte er. »Etliche Altenmooser, die sich auf der Ebene draußen angekauft haben, wollen freilich auch dort den Gebirgsschlag züchten, geht aber nicht recht. Will nicht gehen. Ein Gebirgsschlag ohne Gebirg. Überhaupt stinkt's bei den Leuten, wie man hört.«

Hierauf erzählte er einiges von ausgewanderten Altenmoosern und daß sie kein Glück fänden. Die einen hätten sich angekauft und abgewirtschaftet. Die anderen hätten sich gar nicht mehr ankaufen können, seien als Dienstboten eingestanden oder in Fabriken gegangen. Viel Erfreuliches höre man von keinem. Dem Knatschel zu Sandeben habe man kürzlich das Haus vergantet, er sei mit seinem Weibe fortgegangen – er ein Handbündel, sie ein Handbündel – sonst nichts. Der Guldeisner habe sein Herrnschlössel verkauft, treibe jetzt einen Pferdehandel, sei aber die längste Weile besoffen.

Auf derlei Berichte empfand der Jakob eine eigentümliche Befriedigung, die ihn aber im nächsten Augenblick schon betrübte. – Bist doch ein schlechter Mensch, sagte er zu sich selbst, dich über das Unglück anderer zu freuen, pfui Teufel! Bleibe du selbst auf der Hut, daß es dir und den Deinen nicht etwa auch so ergehe!

»Es muß ein jeder, der jetzt noch in Altenmoos verbleiben will, eine andere Wirtschaft anheben«, sagte der Staudenhuber, »weniger Getreidebau, mehr Viehzucht.«

»Ist so, ist so«, bestätigte der Jakob. »Das Getreide frißt ohnehin der Hirsch. Mein Friedel, wenn er heimkommt vom Militär, der muß mir mehr mit der Viehzucht arbeiten.«

»Ei richtig, Reuthofer, du hast ja einen Sohn bei den Soldaten«, sagte der Staudenhuber, »wie steht's mit ihm, ist er wieder wohlauf?«

»Wieso?«

»Hat er es überdauert?«

»Er hat mir schon eine Weile nicht mehr geschrieben, aber soviel ich weiß, ist er gesund und geht's ihm gut.«

»Gestern«, fuhr der Viehhändler fort, »gestern habe ich in der Krebsau mit dem Torbacher geredet, der hat ein paar feiste Ochsen, ich will sie wegtreiben, wird aber der eine noch schwerer, wenn er noch ein paar Wochen beim Trog steht. Gut, ja, daß ich erzähl', dem Torbacher sein Sohn, der ist beim Militär, sie sollen beisammen sein, der deinige auch – der hat geschrieben und daß dein Friedel so arg die Heimkrankheit tät' haben. Im Spital wär' er gewesen, wär' wohl wieder heraußen, aber da sein tät' von ihm nur mehr Haut und Knochen, hat er geschrieben, der Torbacherische. Übertreiben wird er, denk' ich. Was hätt' jetzt ein Soldat Zeit und Weil zur Heimkrankheit! Jetzt wird's lustig für die Soldaten. Krieg gibt's, sagen die Leute.«

Das leidige Hörensagen! Man weiß, was man davon zu halten hat und doch sitzt der Gifttropfen. Traurig war der Jakob vom Steinhäusel geschieden und mit einer schweren Bangigkeit vom Staudenhuber, als die Wege sich trennten.

So kam er heim auf den stillen öden Reuthof. Dort erwartete er einen Brief vom Friedel zu finden und hatte sich vorgenommen, wenn der Brief nicht da sei, alles für erlogen zu halten und den Reuthof noch fester zu hüten und den jungen Weichselbaum noch sorgfältiger zu betreuen als bisher.

Es war in der Tat kein Brief gekommen, aber der Jakob hielt seinen Vorsatz nicht. Es wurde ihm sehr bang. – Warum schreibt er nicht? Ist er krank? Heimweh! Wie könnte es auch anders sein. Es kann freilich anders sein, wer stark ist. Wenn ich in der Fremde bin und weiß, das Daheim steht mir fest und ich komme zurück – was soll einer da viel Heimkrankheit kriegen? Ein Viehhändler lügt, so oft er den Mund auftut.

Und da er sich so trösten wollte, kam ihm der Gedanke: Wenn es am Ende noch schlimmer stünde, als der Viehhändler angedeutet! Wenn es noch schlimmer stünde!


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