Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Peter Rosegger

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Noch einmal paart sich's zu Altenmoos

In der Nacht, welche diesem unruhigen Tage folgte, ereignete es sich, daß der Florian Hüttenmauser nicht schlafen konnte. Er stand auf und zog sich an und ging hinaus und ging umher. So seltsam war das – in der kühlen Mondnacht umhergehen und nicht wissen warum.

Gegen den Reuthof ging er hin. Und als er an das Haus kam, sah er, wie dort an dem bekannten Fenster ein Mann stand und hineinwollte. Für nächtig Stunde ein Kreuzzeichen machen, ist allemal gut, aber besser noch denn eins mit dem Daumen über das Gesicht, ist eines vom Schmied im Fenster. Am Tage zuvor hatte sich der Florian darüber gefreut, daß am Reuthofe die Fenster kein eisernes Kreuzgitter hatten, jetzt in der Nacht bekümmerte ihn das. Er hätte ja hingehen können und den Mann vom Platze hinwegschleudern, aber er sah es zu seinem Schreck, es war der Waldmeister. Ein unbedachter Schritt konnte den Hüttenmauserhof kosten!

Über der Linde stand der Mond. Der machte ein Spitzbubengesicht, als er den ratlosen Burschen dastehen sah, starr wie eine Pappel. – Wenn dort der Kopf zum Fenster hineintrachtet, flüsterte der Mond ihm zu, so bleibt der übrige Kerl nicht zurück. Junger Mann, ändere deine Stellung! Geh' in den Moosbarren, dort drin hat der Luschelpeterl seine Liegerstatt, den weckst du, daß er Lärm schlägt, dann kommt der Jakob mit dem Haslinger und der Ladislausel kann seinen Knoten einmal auf eine andere Meinung machen. – So der Mond. Und in demselben Augenblick machte der Waldmeister Anstalt, sich ins Fenster zu schwingen.

Der Florian sprang an den Moosbarren, um den Peterl zu wecken. Wie das Brettertor sonst von außen anzuhängen gewesen, so war es heute nach innen festgemacht. Der Bursche riß mit einem Ruck das Kettchen entzwei.

»Wer ist da?« hörte er fragen in der Kammer. Eine Mädchenstimme! Der Florian stand wie an die Schwelle gewurzelt, über ihn schien sein Freund, der Mond hinein, um zu kundschaften; aber der kam nicht weit, hart vor der Tür legte er sich breit auf die Dielen, und was im finsteren Hintergrunde gerufen hatte, das war nicht zu sehen.

»Wer ist da?« rief es ein zweitesmal schneidig und nun brannte auch schon das Streichhölzchen, das sie hoch emporhielt, während sie die andere Hand als Blende über die Augen legte.

Der Florian konnte sonst die leichtfertige Ausrufung heiliger Namen nicht leiden, aber diesmal rief er selbst deren vier auf einmal aus: »Jesus, Maria, Josef – Angerl!«

Sie, die er hinter jenem Fenster in Gefahr wähnte, und die er heimlich schon verflucht hatte, daß sie alles hineinsteigen lasse – da saß sie auf dem Strohlager, und weil das Flämmchen schon ihre Finger bedrohte, so zündete sie rasch die Talgkerze an, die neben dem Bette auf dem Flötz stand. Und eilig hatte sie es, der Nachtluft wegen, das weiße Hemd über den Busen hinaufzuziehen.

»Angerl!« sagte der Florian und schier die Kammer begann mit ihm zu tanzen. Er vermochte in diesem Augenblicke nicht zu unterscheiden, ob er im Himmel oder in der Hölle sei. Erst sachte kam es ihm zum Bewußtsein: auf Erden.

»Angerl, wie kommst du daher?«

»Das will ich dich fragen?« antwortete sie, »wenn du dein Bett suchst, Florian, im Reuthof steht's nit.«

Hierauf entgegnete der Bursche gar verzagt: »Will ich mich halt draußen auf den nassen Rasen hinlegen. An mir liegt ja nichts.«

Ein wirksameres Wort kann keiner finden. Im Augenblick wurde sie übermannt, aber nur von Mitleid.

»Hättest sonst ja wohl Platz gehabt im Moosbarren«, sagte sie, »der Peterl liegt jetzt immer auf der Ofenbank. Ich täte auch in meinem Bett liegen, wenn heute nicht die alte Rebekka drinnen wäre.«

»Die alte Rebekka tut heut' schlafen in deinem Bett?« fragte der Florian und kämpfte ein wildes Lachen zurück.

»Junge Leute müssen den Alten das Vorrecht lassen«, meinte die Angerl, »voraus, wenn die Alten so krank sind, wie die Rebekka. Für mich ist's da auch gut, ich will auf Glasscherben liegen, wenn ich schläferig bin.«

»In deinem Stübel ist die Rebekka?« fragte der Bursche. Seine Füße hatten mittlerweile ein paar ganz bescheidene Schrittchen gemacht hin gegen den Strohschaub.

»Erlaubt es denn dein Vater, daß du Licht brennst in der Strohkammer?« so fragte er.

»Sonst täte ich ja den jungen Hüttenmauser nicht sehen«, spottete sie, »so saubere Leut' muß man sich anschauen.« Sie fühlte eine ihr wohltuende Überlegenheit, seit sie am Tage zuvor die erste Probe glücklich bestanden.

»Wenn du mich sehen willst, so müssen die Haare aus dem Gesicht«, sagte er und beugte sich zu ihr nieder, um die Locken, die ihr verworren über Antlitz und Busen rollten, mit seinen fleißigen Händen zu ordnen.

»Oho!« sagte sie, »Haarmachen, das kann ich schon selber! Gestern hast mich überlistet, heut' bin ich gescheiter!« Sie faßte mit ihren Händen die seinen und hielt ihn fest. Dem Florian wäre es freilich ein Leichtes gewesen, sich loszumachen, aber die Gefangenschaft tat ihm wohl. Er kniete vor ihr und von ihren Armen gefesselt, schaute er ihr in die Augen.

In diesem Augenblick ging zur offenen Tür der Jakob herein. Jetzt ließen sie sich los. Die Angerl verdeckte mit ihren Händen Busen und Gesicht, der Florian starrte trotzig, aber mit zuckenden Wimpern auf den Reuthofer. Der Jakob stand in seinem Nachtkleide völlig sprachlos da und schaute sie an.

»Angerl«, sagte er endlich mit gedämpfter Stimme, »das hätte ich nicht von dir gedacht. So falsch gegen deinen Vater!«

Sie tat einen Schrei, wendete sich und wimmerte in ihr Kopfkissen hinein.

»Wenn du«, fuhr der Vater fort, »deine Kammertür nicht willst absperren, so wird dir viel Unglück hereingehen über Nacht.«

Jetzt richtete sich der Florian auf und sagte: »Sie hat die Tür versperrt gehabt. Ich habe sie aufgebrochen.«

»Hüttenmauser! »rief der Jakob, »ich rate dir, daß du sogleich deine Beine probierst.«

»Fortgehen tu' ich jetzt nicht«, antwortete der Bursche. »Wie es mit uns zwei steht, das könnt Ihr Euch denken. Wir haben uns gern. Und ich will wissen, wie ich dran bin. Kann ich sie haben oder nicht?«

Der Jakob wollte solch herrischem Werber die passende Antwort geben, tat es aber nicht, sondern dachte: Im Grunde hat er recht. Ich habe um mein Weib auch nicht viel gebeten. Wer ein's ernähren kann, der hat das Recht auf eins. Wer mit einem so gute Bekanntschaft gemacht, wie es hier der Fall zu sein scheint, der hat die Pflicht zu ihm. Was soll's da viel bitten!

So fragte der Jakob nur: »Und du, Angerl? Was wirst du dazu sagen?«

Es ging lange her, bis sie ein Zeichen der Antwort gab. Das Gesicht noch verbergend, streckte sie ihre Hand nach dem Burschen aus.

»Wenn's Gott haben will«, sprach jetzt der Jakob. »Sie ist noch jung. Das Zusammenhalten ledigerweis', das leide ich nimmer. Wenn es dein Ernst ist, Florian, und daß du von Vaters wegen auf dein Haus heiraten kannst, so komm' in einer Woche ehrsam zu mir und meinem Weibe und sage dein Begehr. Wenn bishin keines was dagegen hat, nicht dein Vater und nicht mein Weib und nicht ich und nicht sie selber, so kann es uns gefreuen, daß zu Altenmoos sich wieder einmal etwas paart in Ehren. – Und jetzt, Angerl, mach', daß du mit mir ins Haus kommst.«

Der Florian gab dem Mädchen einen raschen Händedruck, berührte auch ein wenig Jakobs Hand, dann taumelte er hinaus und vermochte kaum zu fassen, wie so plötzlich das hatte kommen können. Er war soviel als Bräutigam. Das, wozu er seit länger als einem Jahre vergeblich Mut gesammelt hatte und wozu reichlich ein weiteres Jahr nötig schien, das war auf einmal angerichtet. Er war soviel als Bräutigam. Und dazu mußte erst der Waldmeister Ladislaus kommen und am Fenster stehen!

Wo war denn aber der Waldmeister? Der stand jetzt dort hinter der Kapelle des heiligen Jakobus, fuhr sich mit dem Taschentuche über das Gesicht und fluchte einiges in die Bretter hinein.

Am nächsten Tage fiel es den Leuten auf, daß der Waldmeister ein zerschundenes Gesicht hatte.

»Soll's einmal ein anderer probieren mit den Lämmergeiern. Wie sie über mich sind gefahren! Ihrer drei gegen einen!« rief der Ladislaus. Der Florian, der von solcher Mär vernahm, dachte: Wenn ich schon einmal Jäger bin und kann lügen, wie ich will, so lüg' ich gescheiter.

Die Heiratsangelegenheit verlief regelrecht. Der alte Hüttenmauser hatte ja gesagt, der Jakob und sein Weib hatten ja gesagt, die Verwandten hatten ja gesagt, es war keiner, der die Sache zu hintertreiben gesucht oder böse Umrede besorgt hätte, wie das sonst bei Heiraten, gleichsam als zu den Hochzeitsgebräuchen gehörig, üblich ist. In seiner Herzensfreude war der Florian ungeschickt genug, es der Angerl zu gestehen: »Daß ich dich so leicht sollt' kriegen, das hätt' ich nicht gedacht.«

»So!« entgegnete die Braut, »wer sagt denn, daß du mich kriegst? Die anderen, die ja gesagt haben, wenn du sie heiraten willst! Mich hast noch nicht!«

So ernsthaft brachte sie das vor, daß ihm Hören und Sehen verging. Da dauerte er sie und sie hing ihm auch schon lachend am Halse.

Der Florian, durch die Liebe und die zukünftige brave Hausfrau neu ermutigt, wollte nun sein Gütel wieder aufrichten. Unter anderem trachtete er etwas zu ändern, was ihm schon lange ein Dorn im Auge oder vielmehr im Ohr gewesen war. Der Name »Hüttenmauser« war ihm nicht recht. Er behauptete, sein Hof müsse ursprünglich zum Hüttenmoser geheißen haben und wollte ihn wieder so nennen lassen. Der Jakob riet ihm, bei seiner ehrlichen Vorfahren ehrlichem Namen zu verbleiben.

Es verblieb aber nicht lange, daß der Hof zum Hüttenmauser hieß. Wir werden es sehen.

Die Trauung fand in Sandeben statt, das Hochzeitsmahl aber bereitete die Maria auf dem Reuthofe.

Auf der Heimkehr von der Trauung ging – was selbstverständlich ist – das junge Ehepaar abgesondert von den Hochzeitsgästen. Als es auf die Sandlerhöhe kam, wo die Stiegel über den Zaun war, ritt auf diesem Zaun der Waldmeister und machte ein Hochzeitsgesicht, als ob er dazu gehörte.

»Hier rückt was Doppeltes an«, schmunzelte er dem Paare entgegen, »und da muß man am Grenzzaun den Mautgroschen einheben, wer über die Stiegel will. Ein Küssel, denke ich, wird nicht zuviel sein.«

»Gern!« sagten die zwei und küßten sich.

»So ist's nicht gemeint«, sprach der Waldmeister, »ich will das Küssel haben.«

»Gern!« sagte der Florian, packte den Mann und gab ihm einen unguten Schmatz auf die Wange.

Mittlerweile waren auch andere herbeigekommen und da wollte der Förster nicht der Überlistete sein. Er stellte sich aufrecht und sagte: »Die schöne Braut ist sehr bekümmert, daß ihr Herr Bräutigam an diesem Tage einen Kuß an den Jäger verschenkt hat. Ich bin ritterlich genug, ihr das Eigentum zurückzustellen.« Damit wollte er der Angerl einen Kuß geben, im Augenblick war der Florian dazwischen. »Oho!« rief er und suchte den Förster beiseite zu schieben. Dieser stemmte sich, es hub ein Ringen an zwischen den beiden Männern und die Umstehenden lachten. Das Lachen währte nicht lange, bald gewahrten sie, das Ringen war kein Hochzeitsspaß, sondern Ernst. Der Waldmeister hatte seine Faust dem Gegner an den Hemdkragen gekrampft, um ihn zu würgen; daraus erkannte der Florian, daß Krieg erklärt war, er nahm ihn auf als einen Kampf mit dem Nebenbuhler, und nach einigem Hinundherfahren auf dem Rasen schleuderte er den Ladislaus auf den dröhnenden Boden.

Scheinbar gelassen erhob sich dieser, nahm vom Zaune sein Gewehr und schritt finster davon.

»Der Waldmeister ist gefallen!« jubelten die Leute.

Da wendete sich der Florian langsam zu ihnen und sagte ernsthaft: »Der Hüttenmauser ist gefallen.«

Zur Stunde wußten sie nicht, wie das gemeint war. Später haben sie es wohl verstanden.


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