Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Peter Rosegger

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Das liebe Altenmoos

Am Vorabend zu Fronleichnam – das war neun Tage nach dem Schneesturm – leuchtete über den Bergen von Altenmoos der helle glühende Sommertag. Die frischgrünen Lärchen, die drüben am Hange in jungen Beständen prangten oder eingesprengt waren in die dämmernden Fichtenwälder, hatten – wer sie näher besah – auf ihren Zweigen purpurrote Kätzchen. Aber auch die Fichtenwälder waren zu solcher Zeit nicht so dämmernd als sonst, die weichen Triebe der Zweige und Wipfel, an denen auch manch rotes Blütenzäpfchen stand, hatten ein helleres Grün über die Wälder gehaucht. Auf den Wiesen, in deren Furchen unter Ampfer- und Lattichblättern klare Wässerlein dahingurgelten, standen in Gruppen Ahorne und Eschen, die erst auszutreiben begannen. An den Feldrainen und Gehöften schimmerte das weiße und rosige Geflocke der blühenden Kirsch- und Wildäpfelbäume, und der Duft von den weißen Blütenzapfen des Traubenkirschenstrauches erfüllte weithin die Luft mit seiner berauschenden Süße. Die Hafer- und Roggenfelder an den Lehnen schauten in ihrem schönen bläulichen Grün auf die Wiesengründe nieder. Dazwischen lagen Weideblößen, auf welchen weiße und scheckige Herden glockten; in eingezäunten Angern Schafe und Ziegen, die zu solcher Stunde schon satt waren und miteinander scherzten oder sich ein wenig faul auf dem Rasen sonnten.

Auf freien Höhungen und in traulichen Talmulden, aber auch an steinigen Lehnen, am Waldrande oder in geschützten Schluchten standen Gehöfte, größere und kleinere, teils von Kirschbäumen, Linden und Eschen schier überwuchert, teils frei mit ihren Bretterdächern wie Taubengefieder in der Sonne schimmernd, teils auch bestanden von einer Gruppe wuchtiger, in Stürmen starr und unbesiegbar gewordener Schirmtannen. An den Häusern kleine Gemüse- und Ziergärtlein, in welchen Reseden dufteten und Pfingstrosen flammten und inzwischen auch – selbst eine Blume, der Blumen pflegend – manch fröhlich Mägdlein. Von einem Gehöfte zum anderen führten Wege, die mit Büschen und Bäumen bestanden waren, über Feldlehnen hin zogen sich die weißen Fäden der Fußsteige, auf welchen jetzt zur Feierabendzeit junge Bursche zu zweien oder auch zu mehreren gesellt, langsam dahingingen und Jodler sangen.

Von dem Hügel aus, auf dem das Haus des Jakob, der Reuthof stand, konnte man in weiter Runde die Gegend übersehen. Man hörte aus der Ferne den Reigen der weidenden Herden und den halb in den Lüften verwehten Hall der Sänger. Man hörte auch aus dem engen Talgrunde herauf das traumhafte immerwährende Rauschen der Sandach. Diese Tiefgründe und dieses rauschende Wasser kamen aus hochgelegenen Wildschluchten, zogen sich hier im weiten Halbrund um den Hügel des Reuthofes, durchschlängelten die Gegend, Altenmoos genannt, um dann stundenlange Enggräben entlangzuziehen und bei dem Pfarrdorfe Sandeben in das Tal der Freising auszumünden. An der Sandach standen Getreidemühlen, an den höher gelegenen Halden duckten sich dort und da die grauen Hütten der Sommerstadeln und der Holzhauer.

Auf dem Hügel des Reuthofes stand man wie mitten in dem weiten felder- und wiesenreichen Bergkessel, und ein wellenliniges, in ferneren Höhen brauendes Waldrund schloß den Gesichtskreis. Wo sich so die Linie zog zwischen Erde und Himmel, da stand hier und dort aus jüngerem Waldwuchs das scharfe Zähnchen eines Tannenbaumes oder eines struppigen Lärchenwipfels in das Firmament auf, gleichsam wie Lanzen, die auf der Hochwacht die stille Berggemeinde Altenmoos einfriedeten. Von dem Dachfenster des Reuthofes aus konnte man eine Felsenspitze sehen, die hinter dem westlichen Höhenzug emporragte – ein Zeichen des nahen Hochgebirges.

Eine Kirche hatte die Gemeinde Altenmoos nicht, sie war eingepfarrt zu Sandeben. Für den Hausgebrauch hatten alle größeren Höfe ihre Kapellen oder Kreuzsäulen, davor die Leute, die nicht zur Pfarrkirche kommen konnten, ihre Andacht zu verrichten pflegten. Mit den Vorgegenden war die Gemeinde Altenmoos durch einen einzigen Fahrweg verbunden, der an den Hängen und Wänden der Sandachschluchten hin angelegt über zahlreiche Stege und Brücklein führte.

Wenn man vom Reuthofe aus der Sandach entlang aufwärts ging, so kam man durch Wald und Geschläge, an welchen manch rauchende Kohlenstätte stand, dann kam man in Haselnuß- und Erlengebüsche, und dann kam man in Sand- und Steinhalden, wo zwischen der wildwuchernden Pflanzenwelt moosige Felsblöcke lagen, die herabgekommen sein sollen von dem Hochgebirge, das sich hinter diesen Vorbergen gewaltig erhebt. An den beiden Hängen ziehen sich einengende Felsrippen nieder. Hier klettert der kümmerliche Fußsteig über einen Steinwall, der mit Wildfarn, Dornsträuchern und Schierling bewachsen ist. Das Wasser gräbt sich unten schäumend und schreiend durch eine Kluft, die tief und finster und so eng ist, daß ein Mann mit ausgespreizten Beinen zugleich an beiden Rändern stehen könnte. Heute greift hier das Geflecht der Baumwurzeln und Sträucher, das Gefilze der Moose von beiden Ufern schon so sehr ineinander, daß die unten durchfließende Sandach an dieser Stelle kein Tageslicht mehr hat.

Hinter dem Steinwall weitet sich die Schlucht und der Fußpfad schlängelt von dem rauhen Schutthügel nieder in einen stillen Grund, der von nackten Felswänden umstanden ist. In dem kleinen sandigen Tale wuchert kein Gestrüppe, stehen nur in Gruppen schlanke und üppige Fichtenbäume. Das Wasser rieselt im breiten Bette fast lautlos und so klar, daß man jedes Goldfünklein sprühen sieht in seinem Sandgrunde. In diesem Wasser ist keine Forelle zu sehen, im Gefelse kein Vogel zu hören; aber Eidechsen pfeifen, wenn man ihnen auf den Schweif tritt. Wir biegen um eine Fichtengruppe, und es liegt ein See da. Er ruht in einem Kessel und hat mehrere Buchtungen. An seinem Rande, wo bemooste Felstrümmer hervorragen, ist er durchsichtig, an tieferen Stellen grün wie der reinste Smaragd; gegen die Mitte hin dunkelt sich die Farbe, dort soll – so spricht die Sage – das Wasser unermeßlich tief sein.

Hinter dem See – wenn wir unsere Schritte weiter lenken – hebt ein dumpfes Tosen an. Schreiten wir zehn oder zwölf Minuten lang dahin in diesem kühlen Grunde, so werden unsere Kleider feucht von einem feinen Wasserstaub; auch an allen Bäumen hängen Tropfen. Dann stehen wir vor dem Wasserfall. Der springt turmhoch von einer Felsenrinne nieder, macht zwei große Absätze, in denen er schneeweiße Bänder bildet, und stürzt sich in einen Tümpel. In diesem Tümpel schäumen, kreisen und kochen die wild herabgeworfenen Wellen, daß aus den eisigen Quirlen ein Nebelqualm aufsteigt, der alles Gestein und alle Pflanzen betaut, die im Grunde stehen. Der ebene Sandgrund mit seinen grünen Säumen ist hier zu Ende, hinter dem Wasserfall heben die hohen Felswüsten an.

Das kleine Hochtal war von den letzten Häusern des Altenmoos nur eine Stunde weit entfernt, aber selten kam ein Altenmooser hinauf. Es hatte niemand dort etwas zu suchen, und wer doch einmal über das Hochgebirge mußte, der rastete wohl auf einem Stein am See, aber nicht lange. Der Grund war ihm zu leblos und zu still. Das Hochtal war benannt: Im Gottesfrieden.

Also ist das Berg- und Waldrund beschaffen, das unsere Gemeinde umgibt und in welchem der Jakob Steinreuter sein Haus hat. Das liebe Altenmoos.


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