Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Peter Rosegger

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Der Bertl wills einmal anderswo probieren

Im Reuthofe hatte es immer noch den gewöhnlichen Gang gehabt. Ein Räderwerk, das seit urlanger Zeit in größter Ordnung lief, steht nicht leicht plötzlich still; selbst wenn die Feder gesprungen ist, läuft es noch eine Weile nach. Aber endlich nützt sich am Rade ein oder der andere Zahn ab.

Eines Sonntags war's im Herbste, zur frühen Stunde, der Luschelpeterl lag noch zusammengekauert in seinem Bette. Er ahmte den Gesang der Lerche nach und wimmerte inzwischen: »Auweh! Auweh!« denn es setzte ihm wieder die Gicht zu.

Der Knecht Bertl war im Feiertagsgewand und lehnte in der Stube umher; er wartete auf das Frühstück. Heute war er früh aufgestanden, denn das ist der Unterschied: An den Werktagen wartet die Suppe auf den Bertl, an den Sonntagen wartet der Bertl auf die Suppe. Er brummte, denn die Bäuerin tat ihm zu lang um und er möchte schon auf dem Wege sein nach Sandeben. Der Bertl – das hatte der Jakob schon gemerkt – war auch keiner mehr vom alten Schlag. Die ganze Woche dachte er an den Sonntag, da er einmal aus dem Gebirgsgraben kommen und ein wenig Lustbarkeit halten kann in den Sandebner Wirtshäusern mit Kameraden. Und jetzt will ihm die dumme Milchsuppe ein Stück abzwicken von seinem Sonntag.

»Kommt die Laken nit bald, so geh' ich nüchtern davon, mir ist's nix um!« brummte der Knecht, da stand aber die Schüssel schon auf dem Tisch, und der Bertl löffelte sie mit großer Hast aus. Das ist auch wieder ein Unterschied: Werktags beim Essen alle halbe Minuten einen Löffel voll, damit man bei Tische länger rasten kann, Sonntags nur so hineinschaufeln was Platz hat, damit man bald zur Unterhaltung kommt.

Wie der Knecht nun seinen grünen Hut von der Wand nahm und mit zwei Fingern die weißen Schildhahnfedern glattstrich, kam der Hausvater und sagte: »Möchtest so gut sein, Bertl, und von der Sandeben ein paar Pfund Salz mit heimbringen? Es geht just aufs Neigel (auf die Neige) und den ganzen Stock bringt erst der Kohlenführer, bis der Talweg wieder fahrbar ist. Da wär' das Geld.«

Der Bertl griff das Geld nicht an, sondern sagte verdrossen: »Trag' du dir dein Salz selber heim, Bauer.«

Der Jakob schaute drein und fragte: »Was hast denn? Hat dich wer wild gemacht, Bertl?«

»Salz heimtragen«, murrte der Knecht. »Sonntags will ich ein' Fried' haben. Muß sich eh Werktags schinden genug in diesem verdammten Berggraben. Sonntags auch noch schleppen wie ein Vieh!«

»Bertl«, sagte der Jakob, »ich versteh' dich gar nicht. Jetzt sind wir über drei Jahr' lang gut miteinander ausgekommen, ich hab' über dich keine Klag' gehabt und du bist auch zufrieden gewest, soviel ich weiß. Ist das erstemal heut', daß ich dich um die Gefälligkeit bitte. Ginge ich nach Sandeben, so wollt' ich das Stückel Salz freilich wohl gern selber heimtragen, wenn man einem Dienstboten nicht einmal das aufgeben darf.«

»Wenn's dir nicht recht ist, Bauer, so mach's anders«, sagte der Knecht und ging zur Tür hinaus.

Nun mußte für die nächsten Tage beim Nachbar Hüttenmauser Kochsalz ausgeborgt werden. Der Jakob zerbrach sich den Kopf, was wohl seinem Bertl über die Leber gekrochen sein könne. Sonst ein braver, williger Mensch, jetzt auf einmal so stützig. Für die nächste Zeit trachtete er besonders, daß die Arbeit nicht zu schwer und die Kost nicht zu leicht ausfalle, was ja überhaupt stets seine Sorge war. Er wagte es nicht, des Morgens um vier Uhr das Holzscheit an die Wand der Knechtekammer zu stoßen, womit er sonst die Leute aufzuwecken pflegte; nur den Hahn ließ er recht schreien im Vorhaus, wartete des weiteren, bis der Bertl selber aufwachte und aufstand. Der Knecht dachte des Morgens: Ich arbeite dafür des Abends länger, wo ich beim Zeug bin, und jetzt bleib' ich noch ein bissel liegen. Und des Abends meinte er: Ich stehe lieber in der Früh etwas zeitlicher auf, wenn's kühl ist, und jetzt geh' ich schlafen. Zu Mittags, wenn die in Altenmoos seit Vorzeiten gebräuchlichen Roggenklöße auf den Tisch kamen, bemerkte nun der Bertl mehrmals, daß sie draußen in der Krebsau lauter Weizenes essen. Und des Abends, wenn die Bäuerin den Sterz auftrug, seufzte er: »Wer für sich selber sein kunnt! Ein Stückel Fleisch wär' mir zehnmal lieber als der Mehlbumpf.«

Indes gingen die nächsten Wochen hin, ohne daß eine besondere Klage war.

Am Leihkaufsonntag, das ist der Tag im Spätherbste, an dem sich der Altenmooser Bauer für das nächste Jahr die Dienstboten zu dingen pflegte und ihnen das bindende Angeld, den Leihkauf gab – an diesem Sonntage setzte sich der Jakob an den Tisch, wo der Knecht Bertl eben wieder seine Milchsuppe aß, und redete ihn an:

»Was ist's, Bertl, mit uns zwei, für nächst' Jahr?«

»Weiß nit«, antwortete der Knecht.

»Ich denk'«, sagte der Hausvater, »wir bleiben wieder beieinander. Kennen tust mich, und ich dich auch und soll weiter kein Unwillen sein. Brock' dir ein in die Suppen! Brock' dir ein besser. Wenn's dir recht ist, da wär' der Leihkauf.«

Er hielt dem Knecht einen Fünfguldenschein hin. Der Bertl schielte so ein wenig drauf und sagte hernach mit einem tiefen Atemzug: »Ich will's halt einmal anderswo probieren.«

Der Jakob war einen Augenblick ganz still. Endlich sagte er. »Ja, hast schon von anderwärts einen Leihkauf angenommen?«

»Das just nicht«, sprach der Knecht und warf eine Handvoll Brocken in die Suppe, »ich will einmal meines selber werden.«

»Deines selber!« sagte der Jakob, »deines selber. Ist auch recht, wenn du meinst, daß es dir deines selber besser gehen wird, als bei mir. Ich glaub', ich hätt' dich nicht zu kurz gehalten, und wollt' dir zur Aufbesserung noch gern ein paar Gulden dazugeben.«

»Ah na«, entgegnete der Knecht, »mich gefreut das Bauerndienen nit mehr. Ich will's einmal im Eisenwerk probieren. Da bin ich für mich allein und verdien' mir mehr in einem Monat, als im Bauerndienst das ganze Jahr.«

Der Jakob ist aufgestanden und geht in der Stube auf und ab. Seine Hände hat er hinter dem Rücken – eine muß die andere halten, denn sie möchten am liebsten dreinschlagen auf den Tisch.

– Ins Eisenwerk! Auch ins Eisenwerk! In einem Monat mehr, wie bei dem Bauer das ganze Jahr. Freilich wohl. Und vertrinken's. Schon Werktags müssen sie Bier haben, bei der Gluthitz. Sonntags den Rest dran. Auf einmal steht das ganze Gerümpel und sind ihrer ein Haufen arbeitslose Leut' da. Die Fabriken, wo sie Bettelleut' machen! – So denkt's in unserem Bauern, ganz gewaltsam denkt's in ihm. Aber er bleibt ruhig.

»Überleg' dir's, Bertl«, sagte er, »es wird dich nicht gereuen, wenn du mir folgst. Es geht dir für die Länge besser im Bauernhaus, als in der Fabrik. Bei mir hast Dach und Fach, Kost und Gewand, der Lohn ist freilich nicht groß, kannst dir ihn aber aufsparen. Hast eine gesunde Arbeit, hast deine Sonn- und Feiertage und weißt, wo du daheim bist. Überleg' dir's, Bertl.«

Der Bertl wischte mit dem Tischtuch seinen Löffel ab. »Möcht' just eins wissen«, sagte er vor sich auf den Tisch hin.

»Was meinst, Bertl?«

»Möcht' just einmal wissen, Bauer«, fuhr der Knecht mit leiser Stimme fort, wenn ich wollt' bleiben, was Ihr dazu sagen tätet, falls ich Euch wollt' fragen, ob ich in Eurem Haus die Stanzel bei mir haben dürft'? Ist eine fleißige Dirn, die Lunsel-Stanzel, als Stalldirn rechtschaffen tüchtig. Wohl, wohl.«

»Und wolltest mir nachher dableiben?« fragte der Jakob. »Weiß nit. Sein kunnt's. Wenn du ihr auch mit dem Lohn nit zu sparsam wärst.«

Der Jakob trommelte jetzt wieder einmal mit den Fingern auf der Tischplatte. Er trommelte lang, er trommelte so etwas, wie den Radetzkymarsch. Endlich hob er sachte den Kopf und sagte: »Was du aber gescheit bist, Bertl! Wie du dir's einrichten möchtest! Das wär' bequem! Vielleicht noch ein b'sunderes Stübel für den Herrn Knecht und seine Frau Schöne! – Nein, mein lieber Bertl, so tun wir nicht. Mein Haus ist in Ehren gestanden seit altersher. Lotterei hat's keine gegeben und wird's keine geben im Reuthof. Der Bursch' das Mensch im Haus! – Bertl, wir wollen bis Neujahr nichts mehr reden von der Sach'. Zu Neujahr kannst hingehen, wohin du willst.«

»Zu dem Rat brauch' ich Euch nicht«, entgegnete der Knecht und ging trotzig seines Weges.

»Weltgift, Weltgift!« murmelte der Jakob. »Nun, in Gottes Namen, wenn kein Dienstbot' mehr zu haben ist, dann muß man mit den Kindern allein wirtschaften. Gottlob, daß die Meinen frisch aufwachsen.«

 

Und so hatte es sich allmählich vollzogen, daß sie abfielen von Altenmoos. Fest standen auf heimischer Erde nur die von dem Stamme der Steinreuter.

In der Osternacht des nächsten Jahres hatte Maria, das Weib des Jakob, einen Traum, der sie wundersam bewegte. Es war Sonntagsmorgen, da traten zur Tür des Hauses drei schöne Männer herein. Der eine war der Bräutigam, der andere war der Kaiser, der dritte war der Jackerl. Und als diese Gestalten verschwunden waren, öffnete sich der Blick in das Felsental zum Gottesfrieden. In demselben stand ein Kreuz.

Ende des ersten Teiles



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