Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Peter Rosegger

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Der Kaiser kommt!

Von dem Glücke seiner Tochter erfrischt, blickte der Jakob mit neuer Hoffnung in die Zukunft. Da wurde sein Sohn Friedel vorgerufen zur Soldatenstellung.

Es hatte zwar geheißen, der Bursche wäre als einziger Sohn des Hauses befreit; nun machte man aber geltend, daß sein Vater noch rüstig genug wäre, um die Wirtschaft zu führen, und daß nötigenfalls noch ein Schwiegersohn zuhanden sei, um für die alternden Leute zu sorgen. Friedrich Steinreuter, einundzwanzig Jahre alt, schlank, ohne Leibschäden, etwas zart gebaut, sonst gesund. Tauglich!

Der Friedel tat einen Juchschrei. Für Kaiser und Vaterland! Aber seine Augen standen voll Wasser. Für Kaiser und Vaterland! Er verstand die Worte und verstand sie nicht; sie haben einen so schönen Klang, einen aufrüttelnden Schall wie Fanfarenstoß, wie Kanonenkrachen! Für Kaiser und Vaterland!

Als die Nachricht auf den Reuthof kam – der Friedel brachte sie selber – er sei geblieben! entstand im Hause ein tiefes Trauern. Das war von den Kindern im Hause das letzte, der Liebling, die Freude, die Hoffnung.

»Es muß wohl so sein«, sagte der Jakob und seine Stimme wollte ihm versagen, als er die Hand dem Burschen auf die Achsel legte. Es muß wohl so sein. Du bist mein alles, Kind. Fürs Heimatland. Es ist schon recht. Es ist schon recht.«

Das eine hatte der Jakob immer gefürchtet, der Verlust des Sohnes würde seinem Weibe den Todesstoß versetzen. Er hatte sie manchmal darauf vorbereitet und gesagt, das Soldatenleben sei jetzt weit leichter als in früheren Zeiten, es dauere auch nur wenige Jahre. Und der Urlaub, wenn Friedenszeit ist! Er sieht die Welt, erfährt 'was und kommt wieder heim. – Maria sagte nichts, sie versteckte ihre Angst. Nun, als die Gewißheit vorhanden: er ist geblieben! zeigte sie sich nicht sonderlich erschrocken. Sie hat's erwartet. Einen solchen Burschen wie den Friedel lassen sie freiwillig nicht fahren, obwohl keiner auf der ganzen Welt zum Niedergeschossenwerden weniger paßt als der Friedel. Aber sie weiß, was sie tut, sie geht zum Kaiser. Sie wird Glück haben, sie weiß es gewiß; ja, das Glück kommt ihr entgegen. In Sandeben reden schon alle davon und ihr hat's der Gemeindevorstand gesagt: der Kaiser kommt! Auf der Kanzel ist's auch verkündet worden. Schon in nächster Zeit fährt er draußen auf der Landstraße durch Krebsau. Der hohe Herr besucht das Land, um dessen Zustände zu prüfen und auch diesen Teil seines großen Volkes wieder einmal zu sehen. Verdienste wird er belohnen; Not und Elend wird er lindern; Tränen wird er trocknen, wo es in seiner Macht steht. Er ist ein guter Herr, sein Volk jubelt ihm entgegen.

Wie von Flügeln getragen, so eilt die Maria über Berg und Tal und trifft Vorbereitungen. Der Schulmeister zu Sandeben setzt ihr die Bittschrift auf; die Bittschrift darf aber nur etliche Zeilen lang sein, die Bäuerin weiß nicht, wie sie es angehen soll, ihr ganzes, angstvolles, bittendes, hoffendes Herz hineinzubringen. Sie wollte dem Kaiser zu wissen tun, daß ihr ältester Sohn auf eine noch unaufgeklärte Weise ums Leben gekommen sei, und wie das noch immer und immer ihr unaussprechlicher Schmerz wäre. Sie wollte dem Kaiser sagen, daß sie wohl eine brave Tochter verheiratet habe an den Florian Hüttenmauser, daß es diesen Leuten freilich auch kümmerlich ergehe und sie daher für die Vaterleute nicht viel tun könnten, so gut die Angerl auch sei; und das um so weniger, als sie selbst Familienzuwachs erwarteten. Sie wollte dem Kaiser erzählen von ihrem Manne, wie liebreich und geduldig er sei, wie er arbeite und klügle (spare), wie er an dem Hause seiner Vorfahren hänge und nur das eine ertrachte, es auf seine Kinder zu überbringen. Wie der Jakob aber schon zu altern beginne, nicht mehr so kräftig wäre beim Pflug, wie ehemals, als ihm ein Tag mit sechzehn Arbeitsstunden zu kurz gewesen, immer im Sinne, nur ja recht viel für den Reuthof hausen und schaffen zu können.

Alles das und noch viel mehr wollte die gute Maria auf dem Papier haben und endlich mit kniender Seele aus heißem, weinendem, blutendem, zuversichtlichem Herzen die Bitte um Befreiung des Sohnes Friedel von dem Soldatenleben. – Aber der Schulmeister bedeutete ihr, das gehe nicht. »Der Kaiser«, sagte er, »hat vierzig Millionen Kinder und soll auf jedes hören, da kann er sich bei einem nicht lange aufhalten.« Der einzige Sohn, das Altern der Eltern und die Beschwerlichkeit des Reuthofergrundes kam kurz gedrängt auf das Blatt, und in einer einzigen Zeile die Bitte um Befreiung. Ja nicht einmal, daß sie auf den Knien mit aufgehobenen Händen flehe und dem Kaiser für Frau und Kind alles erdenkliche Glück erbitte von der Muttergottes zum kalten Brunn, nicht einmal das wollte der Mann aufschreiben. »Nur kurz und bündig die Tatsache«, sagte er immer, »alles weitere täte eher schaden als nutzen.«

So ward endlich die Bittschrift sorgfältig zusammengerollt und mit einem grünen Bande umwickelt. Grün bedeutet Hoffnung. Schuldig sei sie nichts dafür, sagte der Schulmeister auf ihre Frage, wenn die Schrift 'was ausrichte, so könne die Bäuerin einmal ein Körbel Waldkirschen bringen aus Altenmoos.

Die Maria nahm das Papier mit sich, und ein Priester kann das Sakrament nicht ehrfurchtsvoller tragen, wenn er zum Kranken geht, als sie die Bittschrift trug, leicht mit ihrer Schürze umwickelt, daß sie selbe mit der rauhen Hand nicht versehre.

Der Tag, an welchem der Kaiser durchs Land reisen sollte, kam heran. Schon am Vorabende brannten auf vielen Bergen des Freisingtales schöne Höhenfeuer, wobei auch Pöller krachten und allerlei Lustbarkeit stattfand. Dabei hatte es der Waldmeister Ladislaus besonders wichtig. Auf den Höhepunkten der Kampelherrischen Ländereien, soweit sie vom Tale aus gesehen werden konnten, brannten nicht weniger als sechzehn große Feuer; eines davon war gar künstlich gemacht und stellte einen glühenden Kaiseradler dar. Bei demselben gab es noch spät in der Nacht Musik und hoch ins Firmament hineinfahrende Feuerkugeln. Sollte der Kampelherr eine Auszeichnung erhalten, so wird's auch des Waldmeisters Schade nicht sein.

Der Kampelherr selbst war dem Monarchen entgegengefahren, um ihn am Eingange des Gaues zu empfangen. Die erste Frage des Kaisers war nach der Bevölkerung, wie die Verhältnisse der Landwirtschaft bestellt seien und wie es im Gebirge mit dem Bauernstande stehe?

»Leidlich, leidlich, Majestät!« war die Antwort, und rasch erlaubte man sich, den Blick des Landesvaters auf die Ehrenbögen, Fahnen und Freudenfeuer zu lenken, die von allen Seiten festlich winkten.

Im entlegenen Altenmoos brannte kein Feuer. Der Jakob versammelte seine Leute an der Kapelle des heiligen Jakobus – wie das nur zu besonders feierlichen Gelegenheiten geschah – und sprach mit ihnen ein Gebet für das Kaiserhaus. Der Friedel betete mit heller Stimme, Kaisers Sache war nun ja auch seine Sache und der junge Kaiserjäger fühlte sich ordentlich geehrt in den Ehren, die dem Landesfürsten dargebracht wurden. Was die Mutter vorhatte, darauf legte er kein Gewicht. »Ich glaub' dir's wohl«, meinte da einmal der Luschelpeterl, »so lang' einer noch fein daheim sitzt im warmen Nest, ist das Soldatenleben ein guter Spaß. Namla frei wahr auch!«

Am nächsten Morgen war in Sandeben Zapfenstreich der Dorfmusikanten. Auf dem Kirchturme und den Dachgiebeln einiger Häuser wehten Fahnen. Der Knatschel wollte auch mittun und sein Haus mit roten Bettdecken beflaggen, bis man ihm zur Not beibrachte, daß solche Farben nicht an der Zeit wären. Des Kaisers Lieblingsfarben seien schwarz und gelb. Als die Sonne aufging, läuteten die Glocken, dann war feierlicher Gottesdienst mit Kaiserlied und Tedeum. Die Holzleute der Kampelherrnwälder waren ausgerückt in ihrer Gebirgstracht und stellten sich in der Kirche zweireihig auf, vom Eingangstor bis zum Altare hin, so daß die Maria, die selbstverständlich schon da war, ihre Bittschriftrolle in der Hand, vor Erwartung kaum stehen konnte, weil sie der Meinung war, der Kaiser müsse jeden Augenblick hereintreten und mit seiner goldenen Krone auf dem Haupt zwischen den Reihen zum Altar schreiten. Sie stellte sich vor, wie der für gewöhnliche Menschen unsichtbare Gott vom Altare steigen, dem Kaiser entgegengehen und ihn brüderlich begrüßen werde. »Und daß ich nicht vergesse, Bruder«, werde Gott sagen und dabei den hohen Herrn immer an der Hand halten, »eine arme Bäuerin ist da, die Reuthoferin aus dem Altenmoos; sie will dir eine Bittschrift übergeben, daß du ihren einzigen Sohn vom Soldatenleben befreien möchtest. Sie hat schon so viel gebetet deswegen und ich wollt' ein gutes Wort bei dir einlegen. Geh', laß ihr den Buben.« –

Aber der Kaiser kam nicht in die Kirche zu Sandeben. Es hieß, daß er um elf Uhr vormittags draußen in der Krebsau vorüberfahren würde. Ein Aufenthalt in der Gegend sei nicht vorgeschlagen worden. Der Maria wurde geraten, sie solle sich beim Müllerkreuz, wo hinter Krebsau die Straße bergwärts geht, aufstellen, dort müsse der Wagen langsam fahren und dort solle sie ihm die Bittschrift in den Wagen hineinwerfen.

So ging sie nach Krebsau. Die Straße dahin war belebt von Wägen und Fußgehern, die alle in die Krebsau wollten. Dort gab's Leute, wie an einem Jahrmarkt und die Hausdächer sah man vor lauter Fahnen nicht. Etliche Herren strichen um in kohlschwarzen Röcken, die hinten zwei Schweife hatten, und trugen auf dem Kopf buttenförmige schwarzglänzende Hüte. Auch der Guldeisner aus Altenmoos war so, aber die Maria erkannte ihn auf den ersten Blick und mußte lachen, so bange ihr ums Herze war.

Einer von solchen, die hinten am Rock zwei Schweife hatten, mischte sich beständig unter das Volk und sprach einmal da-, einmal dorthin: »Ich bitt' euch, liebe Leute, haltet euch brav! Nicht drücken und drängen! Und wenn Seine Majestät erscheinen, die Hüte schwenken und Hoch rufen! Nur recht laut! Ihr Steirer pflegt sonst in solchen Sachen stimmfaul zu sein. Wäre eine Schande! Nur recht laut Hoch! schreien, verstanden?«

Da stand unter der Menge einer, der war nicht stimmfaul, sondern entgegnete dem feinen Herrn: »Wir Steirer lassen uns nicht vorschreiben, was wir machen sollen, wir wissen schon eh' was sich schickt. Eine beständige Treu' ist besser, als ein bestelltes Geschrei. Verstanden?«

Der geschäftige Herr hatte sich in der Menge verloren.

Die Maria hielt sich im Orte nicht weiter auf. Eine Bekannte hatte ihr geraten, beim Fleischhauer einen Löffel warmer Suppe zu sich zu nehmen, da sie von Altenmoos her gewiß noch nüchtern sei. Der Maria war heute aber nicht ums Essen, sie wagte auch nicht, sich von der Straße zu entfernen, sie fürchtete derweil den Kaiserwagen zu verfehlen. Sie ging hinaus zum Müllerkreuz. An der steilsten Stelle, wo die Straße bergwärts geht und das Kreuz steht zum Gedächtnisse an den Müller, der dort vor Jahren unter die Wagenräder geraten, wählte sie ihren Platz. Sie berechnete, wie sie auf dem Stein stehen und das Papier in den Wagen werfen werde, aber ja nicht etwa ungeschickt, daß es auf der anderen Seite wieder hinausfliege.

Sie wartete eine Stunde und länger. Schnurgerade konnte sie hinabsehen auf die Gassen von Krebsau, und wie dort die Aufregung immer größer wurde. Mehrmals fuhr ein Wagen durch, der die Menschenmenge in ein großes Hin- und Herwogen brachte, aber es war allemal nicht der rechte. Ein den Berg heranfahrender Wagen war so vornehm, daß die Maria ihre Schrift schon wollte hineinwerfen; noch rechtzeitig sah sie, daß zwei Frauen darin saßen. Jetzt betrachtete die Maria einmal ihr Papier; sie erschrak, wie die Rolle schon arg zerknittert war, an ein paar Stellen sah man sogar die Spuren der Finger. Was er sich denken müsse? An Ordnung und Sauberkeit muß sie nicht die erste sein, die Reuthoferin zu Altenmoos... Aber mein Gott, eine Bauernhand ist das Festangreifen gewohnt und solches leidet so ein feiner Bogen nicht. Wenn der Kaiser nicht nachsichtiger tät' sein, als andere Leut', dann wäre freilich wenig Hoffnung.

Plötzlich huben auf dem Krebsauer Kirchturme alle Glocken an zu läuten und Pöller krachten, daß es weitum in den Bergen widerhallte. Gleichzeitig sah die Maria auf der Straße eine lange Reihe von Wagen, die jetzt schon durch den Reisigbogen hereinfuhren. Einige derselben waren geschlossen, andere offen. In einem der offenen, dem zwei Schimmel vorgespannt waren, saß ein blauer Mann mit einem grünen wallenden Federbusch; er fuhr fortwährend mit der Hand an das Haupt, als die Menschenmenge nun anhub, die Hüte zu schwenken und Hoch zu rufen. Der ist es! – Unserer Maria wollen die Knie brechen vor Angst.

Der Wagenzug bewegt sich schon über die Brücke und beginnt den Berg heranzusteigen. Die Menschenmenge – wie Hochflut, der die Schleusen geöffnet sind – kommt in Fluß, wogt hinter und neben dem Zuge her, die Flinkeren gewinnen Vorsprung und stellen sich den Berg heran neben der Straße auf. Weiber brechen Blumen ab, um sie in den Wagen zu werfen; etliche sammeln Erdbeersträußchen, drängen sich damit vor, um sie dem Kaiser zu überreichen. Die Maria steht wie angewachsen auf ihrem Stein am Kreuze, die Papierrolle schon gehoben in der Hand, tut sie im Herzen ein Gebet. Jetzt sind plötzlich Reiter da, die auf ihren hohen Rossen mit blankem Säbel die Leute zurückdrängen. Gerade gegen den Stein hin trabten die Rosse, martialisch schnaubend und strampfend, als wollten sie alles unter ihren Hufen zermalmen. Die Maria weicht nicht. »Zurück!« schreit der Reiter, sie strebt gegen den Wagen. »Zurück!« Ein sinnbetäubendes Lärmen braust heran. »Zurück in des Dreiteufels Namen!« schmettert der Reiter. Die Maria fühlt in ihrem Gesichte das Schnauben der Rosse, an ihrem Haupte das Klingen des Säbels – sie taumelt in den Hintergrund. –

Als sie zu sich kommt, ist der Kaiserzug vorüber. Zusammengeknittert unter ihren krampfigen Fingern hat sie noch die Bittschrift. Sie will sich erheben, greift mit einer Hand in der Luft umher, als lange sie nach einer Stütze. Leute eilen herbei, um ihr aufzuhelfen. Sie sinkt wieder zusammen.


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