Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Peter Rosegger

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Herrensünde – Bauernbuße

Auf und an,
Spannt den Hahn,
Lustig ist der Jägersmann,
Hörndel schallt,
Büchsel knallt,
Und das Hirschel fallt!

So gab es wieder muntere Weisen, und zur Jagdzeit, da ging es hoch her in Altenmoos. Im Frühjahre die Hahnenbalz, die einzige Jahreszeit, da der »Herr« früher aufsteht als der Bauer. Da ist keine Stunde zu finster, kein Weg zu weit, kein Vogel zu hoch, es wird geschossen. Nicht der Hunger nach dem Fleisch, nicht die Gier nach den Federn ist's, sondern die Weidmannslust, die Lust zu morden. Pulverknall in die leere Luft oder auf die Scheibe ist nicht lustig, da stirbt nichts.

Für die Rehe und Hirschen wurde das ganze Jahr gesorgt, alles Gute und Liebe wurde ihnen angetan, damit sie gesund blieben, bis man sie erschießen konnte. In den Wäldern und Gebirgskaren standen geborgene Heuhütten, und wenn die Fütterung war und das Heu und die aus weiter Ferne herbeigebrachten Kastanien ausgestreut wurden, da kamen die Tiere von allen Seiten herbei, anfangs ängstlich lauernd, mit hochgetragenen Häuptern schnuppernd und die Luft prüfend, bald aber kühner sich der Nahrung nähernd und endlich mit Gier auf sie herfallend, unter Knacken und Knuspern sich zu sättigen.

Zur Brunstzeit erschollen die Wälder vom Hirschgeröhr. Kein Liebeslied der Kreatur ist so schauerlich, so offen Elementargewaltiges kündend, als das wilde Röhren der Hirsche zur Brunstzeit. Im Jägerherzen wird bei solchem Schall zwiefache Lust wach: Die, zu beleben und die, zu töten...

Nahte die Jagdzeit, so wurden neue Wege angelegt, daß die Herrschaften fahren konnten, soweit es möglich war. Es kamen hohe Herrschaften, aber alle waren in verschossenem, verschlissenem Bauerngewand. Es gibt Leute, die am Werktage Herren und am Feiertage Bauern sein möchten. Und Feiertag machen sie, wann sie wollen. Es gibt Leute, die mit aller Stadtlust nicht genug haben, die auch noch das Beste vom Land haben möchten. Das Jagdvergnügen, es kostet den Herren viel und den Bauern noch mehr. Daß sich die Herrenjäger in Bauerngewand stecken, ist ein merkwürdiges Zugeständnis, als ob der natürliche Jäger – der Bauer wäre. Der rechte Bauer wird die Tiere töten, weil sie sein Feind sind. Bauer und Jäger in einem Bau, Acker und Hirsch in einer Au, Gott genade dem Gau! – Solche Gedanken hegte einer zu Altenmoos. – Hundegeläut', Hörnerschall, Büchsenknall, Gläserklang! Es ist ja nicht wahr, Jakob Steinreuter, daß es in neuer Zeit so traurig zugeht in Altenmoos!

Auf der Knatscheleben, die hoch oben mitten im Walde lag, wurde im Freien gekocht und geschmort. Schon tagelang früher waren Arbeiter beschäftigt gewesen, Hütten, Feuerstätten, Faßgestelle, Tische und Bänke aufzurichten. Alle Waldarbeiter und Häusler der Gegend – die Untertanen der Herrschaft geworden waren – wurden als Treiber aufgeboten. Auch dem Jakob war bedeutet worden, sich als Treiber zu stellen; der ließ zurücksagen, er sei selber ein Gehetzter. Die Treiber bekamen nach der Hetze auch ihr reichliches Essen und Trinken, aber seitab von der Gesellschaft, weit seitab. »Versteht sich ja«, meinte einer der Holzhauer, »wir Treiber sind zweibeinige Jagdhunde, nur daß wir nit bellen dürfen.«

Und diese zweibeinigen Jagdhunde, die nicht bellen durften, liefen so gut, wie die vierbeinigen, über Jakobs Wiesen, Felder und Saaten und stampften Gras und Korn in den Grund.

»Wir sind selber schuld«, sagte der Pechölnatz zum Jakob.

»Wieso das?«

»Weil wir ein armer Kleinbauer sind und nicht zweihundert Joch Grund haben. Sonst könnten wir selber jagen.«

»Ein Bauer, der Wild hegt, um es nachher aus Lust totzuschießen, schändet seinen Stand.«

»Wir sind halt der niemand.«

»Nicht einmal mit meinem eigenen Hund darf ich über meinen eigenen Grund gehen.«

»Gar die Hauskatz' wird uns niedergepelzt, wenn sie fünfzig Schritt weit Jagd hält nach der Feldmaus.«

»Und das nennt man Eigentum!«

»Und das andere heißt, glaube ich, edler Jagdsport.«

»Wildhetzen, Wildhetzen!«

»Wenn wir nicht bald still sind, so werden wir auch noch eingesperrt«, kicherte der Natz, »das Gesetz versteht keinen Spaß.«

»Wer hat's gemacht?« fragte der Jakob.

»Der Bauer nicht, das sieht man.«

»Der Jagdfreund hat's gemacht und den Satz dazu geschrieben: Für ein Land ist es das größte Glück, wenn es recht viele Hirschen, Rehe und Hasen gibt.«

»Und weil es für den Wildstand das größte Unglück ist, wenn es Bauern gibt, so tun wir halt die Bauern ausrotten.«

So und ähnlich redeten sie manchmal miteinander, der Jakob und sein alter Genosse. Dem Kampelherrn, wenn er des Weges kam, wichen sie aus, der Jakob trotzig, der Natz scheu.

Der Kampelherr, ein schlanker, noch immer fast jugendlicher, blondbärtiger Mann, war überall, wo er sich zeigte, außerordentlich artig und fein, selbst gegen Untergebene beobachtete er eine glatte gefällige Form. Mit Grundbesitzern war er nachgerade herzlich und nahm jede Gelegenheit wahr, um ihnen gefällig zu sein. Wie es hieß, wollte er sich in den Reichsrat wählen lassen als Volksvertreter. –

Eines schönen Herbsttages hatte zu Altenmoos eine Hochwildjagd begonnen. Die Treiber hatten über Berg und Wald einen großen Ring gezogen, in welchem die Hirsche und Rehböcke, immer mehr in die Enge getrieben, angstvoll hin und her liefen. Das Gewehrfeuer knatterte und die schönen Tiere stürzten zu Dutzenden. Es war eine wahre Waldschlacht.

An demselben Tage wollte der Reuthofer mit seinen Schnittern in sein hinteres Haferfeld hinaufgehen, um den Rest einzuernten, denn die Luft, die vom Gebirge her zog, roch nach Schnee. Als sie gegen den Schachen kamen, durch den der Weg führte, stand dort der Waldmeister Ladislaus und deutete lebhaft mit dem Arm, sie sollten umkehren, heute sei es nichts mit dem Haferschneiden, heute sei dorten Jagd.

Jakobs Leute, besonders der Rotschiagl, wollten sich der Weisung widersetzen, sie begriffen es nicht, daß der Bauer auf seinem Grund und Boden nicht nach Belieben sollte seinen Hafer schneiden dürfen. Aber der Jakob sagte zu ihnen: »Ja, Leute, da läßt sich nichts machen. Der Jäger hat das Recht und es ist seine Schuldigkeit, daß er uns zurücktreibt, sonst kunnten wir niedergeschossen werden. In der Begier kennt so ein Stadtschütz Hirschen und Menschen nicht auseinander. Kehren wir um.«

Taten es, und der Hafer auf dem hinteren Felde wurde von Treibern, Jägern und Wild in den Boden getreten.

Einige Tage später begegnete dem Holzknecht Harschhans zu Altenmoos ein ähnlicher Fall, der aber anders ausging. Der Harschhans hatte aus seinem Pachthäusel seine drei Schafe verloren und indem er sie suchte, kam er auch in das Bereich der Treibjagd. Der Jäger wies ihn zurück. Der Harschhans begehrte auf, seit wann er seinen eigenen Schafen nicht sollte nachgehen dürfen? Der Jäger wurde scharf und schnitt ihm mit vorgehaltenem Gewehr den Weg ab. Der Bauer wurde grob, schlug mit dem Stock auf das Gewehr und hieß den Jäger einen Lumpen.

Der Jäger war plötzlich ganz geschmeidig und sagte: »Mein lieber Harschhans, den Lumpen wirst du teuer bezahlen.«

Der Kleinhäusler kehrte um und jeder Schuß, den er hörte, ging ihm ins Herz, weil er glaubte, derselbe habe eines seiner Schafe getroffen.

Es währte nicht lange – nicht so lange, als die Abschätzung eines Wildschadens auf sich warten zu lassen pflegt – so ward der Harschhans nach Krebsau zum Bezirksgericht gerufen und dort wegen Widersetzlichkeit und Jägerbeleidigung zu zehn Gulden Geldstrafe oder achtundvierzig Stunden Arrest verurteilt.

Als er mit diesem Urteil in der Tasche heimkam, ging er zum Nachbar Jakob und ersuchte ihn, ein wenig auf das Harschhäusel und die kleinen Kinder, die darin wären, achtzuhaben, während er sitze.

»Sitzen?« fragte der Jakob, »wer sagt denn, daß du sitzen sollst? Du kannst, wie ich da aus dem Urteil ersehe, die zehn Gulden zahlen.«

»Daß ich ein Narr wäre!« lachte der Harschhans.

»Wenn du sie nicht hast«, sagte der Jakob und langte nach seiner Brieftasche, »zufällig werden heute ihrer zehn drinnen sein, daß du dich damit loslösest. Sobald du kannst, gibst mir sie zurück.«

»Ich will sitzen«, entgegnete der Harschhans. »Ich kann mir nirgends so viel verdienen als beim Sitzen. Des Tages fünf Gulden. Und ausrasten. Ich will sitzen.«

Der Jakob starrte dem Hans ins Gesicht. »Bist nicht gescheit?« fragte er endlich.

»Ja«, rief der andere, »ich wäre nicht gescheit und alle Leut' wollten mich auslachen. Ich will sitzen.«

»Bist schon einmal gesessen?« fragte der Jakob.

»Gottlob, bis jetzt noch nie.«

»Gottlob, sagst! Und von jetzt an willst das nimmer sagen können!« rief der Jakob, dann nahm er jenen bei der Hand: »Nachbar! Ist dir denn an deinem guten Ruf gar nichts gelegen? Es ist ja wahr, die Ehre leidet durch den Fehltritt und nicht durch die Strafe; aber bedenk's, was sein wird. Der ist schon einmal gesessen, wird's heißen, und sie werden nicht sagen, warum. Der ist schon einmal gesessen! Die Nachrede wirst du nimmer wegbringen und noch deine Kinder werden es hören müssen: Euer Vater ist ja einmal eingesperrt gewesen! – Die zehn Gulden zahlst, Nachbar.«

»Diesem gottverfluchten Jager zehn Gulden zahlen! Der Esel bin ich nicht.«

»Zahlst du sie dem gottverfluchten Jager?« sagte der Jakob. »Kommt deine Geldstrafe nicht den Bezirksarmen zugut? Ist dir der Esel zu klein, so weiß ich dir noch ein größeres Vieh. Sei froh, daß du's in Geld abtun kannst. Der Dieb und Einbrecher kann's nicht. Willst mit dem Spitzbuben auf einer Bank sitzen? aus einem Krug trinken?«

»Bei uns armen Kleinhäuslern«, sagte nun der Hans, »bei uns ist's nicht so heikel. Uns haben sie nie groß zu Ehr' kommen lassen, müssen oft unschuldigerweis' Schand' und Spott tragen, da ist einer nicht mehr wehleidig. Ob ich zwei Tag' im Kotter sitz' oder im Wald umgeh', das ist mir alles eins.«

Jetzt griff der Jakob noch fester an und sagte: »Nachbar! Mir zu Lieb' laß dich nicht einsperren. Ich mag keinen eingesperrten Nachbar. Schau, gestern habe ich den alten Holzbartel sterben sehen, bettelarm, auf einem Bund Stroh. – Nit viel hab' ich genossen auf der Welt, hat er gesagt, aber in Ehren bin ich alt geworden. Das ist sein letztes Wort gewesen. – Hans, die Ehr' ist für arme Leute nicht weniger wert als für vornehme, eher mehr, weil sie sonst nichts haben. Und jeder brave Mann hält was darauf, daß er auch nach außen hin in Ehren dasteht. – Geh', mach' dich auf und wirf ihnen die zehn Gulden hin!«

»Mir tut's leid ums Geld«, sagte der Hans.

»Zum Teufel, so schenk' ich dir's!«

»Schenken?« schmunzelte der Kleinhäusler, »nachher wohl, nachher.«

Nahm das Geld, ging zu Gericht und sagte dort mit weinerlicher Stimme folgendes:

»O ihr lieben Herren! Ich bitt' um Gnad' und Barmherzigkeit! Geld hab' ich kein's zum Zahlen, und wenn ihr mich einsperrt, so verhungern dieweilen daheim meine Kinder. Ich bitt' untertänigst, schenket mir die Straf', die Herren Jäger sind lauter brave Leut', will's nicht mehr tun, nur für diesmal bitt' ich um Gnad' und Barmherzigkeit!«

Das Gericht hatte in der Tat Gnad' und Barmherzigkeit und verminderte die Strafe um die Hälfte. Der Harschhans ließ sich einsperren auf vierundzwanzig Stunden. Das Geld vertrank er. Dann kam er triumphierend heim.

»Jakob!« rief er, die halbe Ehr' ist gerettet, ich bin nur einen Tag gesessen!«

»Solche Leute hat man um sich!« seufzte der Jakob.

Das waren seine Freunde. Und ringsum der Feind – das wilde Tier und der weltkluge Eigennutz der Menschen. Da nahm der Jakob einmal sein Hausgewehr von der Wand und prüfte den Hahn. – Die Herbstjagden zu Altenmoos ergaben große Wagenladungen von Hasen, Rehen und Hirschen. Der Jakob atmete allemal auf, wenn der Troß mit seiner Beute abgezogen war.

Jedoch war die Wildhegung eine so vorzügliche, daß eine Jagd nicht viel ausgab. In jenem Sommer, da auf dem Schlachtfelde der Friedel gefallen war, trug es sich zu, daß zur Nachtszeit die Hirschen in den umzäunten Kohlgarten des Reuthofer drangen und die Blätter abfraßen. Als der Jakob von seinem Fenster aus das erstemal diese ungeladenen Gäste gewahrte, kam ihm der Gedanke: Niederschießen! Man schießt heutzutag die Kalbinnen nieder, man schießt die Leut' nieder, warum soll man nicht einen Hirschen niederschießen, wenn er in den Gemüsegarten bricht! –

Er tat's aber nicht, sondern ging am nächsten Tage hinaus nach Krebsau zum Verwalter der Kampelherrischen Besitzungen.

Der Verwalter war in einem grauen Schlafrock, hatte kleine freundliche Augen, eine große hübsch gerötete Nase, einen schönen falben Vollbart und war ein wohlgewogener Herr. Er hatte jetzt ein Bierglas vor sich stehen und eine langberohrte Pfeife im Mund, die, wie der Mann bei seinem Schreibtische saß, zwischen den Beinen bis auf den Fußboden hinabging, wo eine Bärenhaut lag.

»Nur immer herein!« rief er, als der Bauer artig an die Tür geklopft hatte. »Ei, das ist ja der Reuthofer aus Altenmoos. Freut mich, daß Ihr mich einmal besucht, freut mich.«

»Freude wird nicht viel dabei sein«, sagte der Jakob und blieb mitten im Zimmer stehen. »Ist Unliebsames, Unliebsames!«

»Oho!«

»Ich muß mich beklagen der Wildschäden wegen. Die Hirschen fressen mir das Kraut.«

»Da ist kein Beklagen nötig, mein lieber Reuthofer«, entgegnete der Verwalter, »wie Ihr wisset, werden die Wildschäden abgeschätzt und vergütet.«

»Ist schon recht das«, sagte der Jakob, »es kommt halt darauf an, wer sie abschätzt, die Beschädigten oder die Jagdliebhaber. Tun's die Herren, so ist es für die Bauern schlecht –«

»Und tun's die Bauern, so ist es den Herren nicht recht, meint Ihr«, fügte der Verwalter leutselig bei, »na, setzt Euch doch nieder, Reuthofer.«

»Ich kann schon auch stehen«, sagte der Jakob ernsthaft. »Es ist eine wichtige Sache. – Wenn Ihr uns Bauern die Wildschäden wirklich vergüten wolltet – da käme es Euch halt teuer zu stehen. Mit Verlaub, da müßtet Ihr unsere Dienstboten löhnen und verköstigen, unser Vieh füttern und unsere Steuern zahlen. Das Wild frißt uns alles in Altenmoos d'rin, ich weiß mir nimmer zu helfen.«

»Na na, so arg wird's wohl nicht sein«, sagte der Verwalter und klopfte an der Tischecke die Pfeife aus.

»Gegen Diebe«, fuhr der Jakob fort, »kann man sich zur Not schützen und wehren, gegen Mißjahr und Hagel gibt's Versicherungen. Das Wild kommt jetzt schon jedes Jahr auf unsere Felder und Gärten und wir müssen zuschauen und warten, was es uns übrig läßt. Ein fremdes Vieh darf ich pfänden, wenn's auf meinen Grund kommt. Wollten wir einmal ein Reh abfangen oder gar niederschießen – gnade uns Gott!«

»Ja, lieber Bauer, das ist was anderes!« lachte der Verwalter. »Dürft' Ihr denn ein verkauftes Kalb schlachten?«

»Das nicht.«

»Nun also. Auch die Hirschen, Rehe und Hasen habt Ihr verkauft.«

»Wieso?« fragte der Jakob. »Wir haben keine Hirschen und Rehe und Hasen gehabt, so haben wir sie auch nicht verkaufen können.«

»Hat die Gemeinde Sandeben mit Altenmoos nicht das Jagdrecht verpachtet?«

»Ich bin nicht befragt worden, ob es mir recht ist«, sagte der Bauer. »Kürzlich hat mir der Sandebener Gemeindevorstand fünfundsechzig Kreuzer eingehändigt. Für was denn? habe ich gefragt. Ja, das wäre mein Jahresanteil vom Jagdpacht. So, sage ich. Daß die Herren Jäger beliebig über meine Felder und Wiesen steigen dürfen, daß sie mir Hund und Katze niederbrennen dürfen; daß ich um Äcker und Gärten hohe Zäune soll aufführen, daß ich zur Jagdzeit mein Vieh nicht darf auf die Weide treiben, nicht Holzhacken in meinem Wald, und erst noch den Schaden, dessentwegen ich die weiten Wege muß machen zum Amt – für alles das bekomme ich fünfundsechzig Kreuzer. Ich habe früher, so lange wir noch Vieh auf Eure Almen treiben durften, für das Stück auf drei Monate drei Gulden gezahlt. Daß der Jagdherr hundert Tiere, oder so viel der will, das ganze Jahr auf meinen Weiden äsen läßt, dafür kriege ich fünfundsechzig Kreuzer. Vorstand, habe ich gesagt zu dem in Sandeben, wir dürfen die Jagd nicht mehr verpachten!«

»Ja, versucht es nur einmal«, antwortete der Verwalter, »wird jeder Bauer mit der Büchsen umgehen, anstatt zu arbeiten.«

»Wenn jeder Bauer mit der Büchsen umgeht«, sagte der Jakob, »alsdann wird das Wild bald ausgerottet sein, dann ist Ruh'.«

Der Verwalter zuckte die Achseln.

»Ich will nicht sagen«, fuhr der Jakob erregt fort, »unser Herrgott hätte das Wild nur für die Armen erschaffen. Wer jagen kann, der kann sich das Brot auch anders verdienen. Ich sage das: Im Bauernland ist das Wild ein Ungeziefer. Wer es auf seiner eigenen Haut hegen und jagen will, der mag's tun, auf meiner leide ich keines.«

»Wirst wohl müssen, mein lieber Bauer!« versetzte der Verwalter ruhig.

»Zwölf Bauern sind heute so viel wert, wie ein Hirsch«, rief der Jakob, »aber ganz entraten wollen sie des Bauern doch nicht, er soll für ihr Spiel das schöne Nebenspiel sein und für das Wild Futter anbauen. Eine Schande, daß sich der reiche Herr seine Hirschen und Böcke von den Bauern mästen läßt! Eine Schande für die Kavaliere, daß sie ihr Vergnügen auf Kosten armer Teufel treiben!«

»Ihr habt recht«, entgegnete der Verwalter und nahm einen wackeren Schluck aus dem Bierglase, »da möcht' der Teufel armer Teufel sein!«

»Da ist kein Spaß zu machen«, sagte der Jakob. »Was die Herren auch anfangen, allemal geht der Schaden auf die Bauern aus. Sie sollen zufrieden sein mit ihren Jagdrevieren in Auen und Steppen, in Hochwäldern und auf Gemsgebirgen, da haben sie Jagd genug, kein Mensch wird's ihnen neiden. Aber die Bauernschaft sollen sie nicht schädigen.«

»Wisset«, sagte nun der Verwalter, schlug den Bierglasdeckel zu und strich sich vom Barte die Tropfen, »das versteht Ihr nicht. Ich an Eurer Stelle wollte mir's anders machen. Den ganzen Krempel von Wirtschaft würfe ich dem Kampelherrn an den Schädel. Jetzt schert Ihr Euch drum, würde ich sagen, ich will Euch keinen Narren machen! – Reuthofer, ein Glas Bier müßt Ihr mit mir trinken. Ihr werdet Durst haben, der Weg ist weit von Altenmoos her. Setzt Euch doch zu mir, so! – Wie gesagt, Reuthofer, Ihr solltet Euch's bequemer machen. Der Mensch lebt nur einmal auf der Welt. In einer wegsameren Gegend solltet Ihr Euch gut sein lassen.«

»Mir wäre nicht gut, Herr Verwalter«, sagte der Jakob traurig.

»Ah was, wenn man Geld hat, ist's überall gut.«

»Daheim ist's am besten«, sagte der Jakob.

»Was klagt Ihr denn nachher, daß Euch daheim so schlecht wäre?«

»Ich mag von der Fremde nichts hören!« rief der Jakob.

»Was Fremde! Man ist überall fremd, wo es einem schlecht geht. Eure Nachbarn haben das besser verstanden.«

»Meine Nachbarn? Das wären schlechte Beispiele zu Eurem guten Rat, Herr Verwalter!«

»Es mag sein, daß sich mancher nicht zu betten verstanden hat. Wie Ihr dran seid, Reuthofer, Ihr könnt nichts mehr verlieren, Ihr könnt nur gewinnen. Und Ihr werdet sehr viel gewinnen, ich sage es Euch, ich bin Euer Freund, glaubt es mir.«

»Ihr sprecht als Diener Eures Herrn«, sagte der Jakob.

»Ich brauche ihm nicht zu schaden, um Euch zu nützen. Ich gestehe es ja, daß dem Kampelherrn noch immer an Eurem Gute gelegen wäre, er möchte sich natürlich den Besitz abrunden.«

»Mir ist es hart, zu denken, daß ich ein Scherben in seinem Fleisch bin«, sagte der Jakob, »aber mein Gott, was soll ich tun? Ich kann ohne meinen Reuthof nicht leben.«

»Auf Euer Wohl, Jakob!« sprach der Verwalter und hob sein Glas. »Trinket, alter Freund. Schaut, Ihr habt Mißtrauen gegen uns, und das ist nicht recht. Wir handeln nach den Verhältnissen der Zeit und haben nichts gegen den Bauernstand. Er wird auch nicht untergehen, aber er wird sich verändern. Und solchen Naturen, wie der Euren, Jakob, tut das Verändern weh, ich begreife es. Aber Ihr sollt Euch nicht beklagen dürfen, daß Euch der Verwalter Ebner schlimm mitgespielt hätte. Auch ich habe eine Heimat gehabt und weiß, was das heißt, und werde sie nie vergessen. Ich habe Euren Willen, auf dem Gute Eurer Väter fest zu bleiben, sehr geachtet. Jetzt ist's anders. Ich habe gehört, daß Eure Tochter ausgewandert ist, Euer Sohn ist auf dem Felde geblieben. Gebt mir Eure Hand, Jakob, seid überzeugt von meiner herzlichen Teilnahme. Aber man muß mit den Tatsachen rechnen und ich sage es Euch, Reuthofer, es ist nicht möglich, Euch allein in Altenmoos zu behaupten. Seid klug, Freund!«

Der Jakob schwieg eine Weile und dann entgegnete er: »Wenn ich jetzt nein sage und wieder nein, so wird's heißen: Trotz und nichts als Trotz. Aber beim lieben Herrgott im Himmel: Ich kann nicht fort von Altenmoos, ich bin angewachsen. Den reichen, vornehmen Herren, was kann ihnen liegen an diesem steinigen Bauerngut! Sie sollen mich in Ruh' lassen, mir ist alles dran. Wenn ich einmal gestorben bin und mein Kind meldet sich nicht drum, nachher meinetwegen mag mit dem Reuthof geschehen was will.«

Seltsam zitterte die Stimme, als er die letzten Worte sprach.

»Ich wiederhole noch einmal«, sagte der Verwalter, »daß mich Eure Anhänglichkeit rührt, man wird eine solche Treue sobald nicht wieder finden. Es war nur ein Rat, daß Ihr für die alten Tage in eine bessere Gegend ziehen solltet, etwa zu Eurer Tochter. Ihr könnt ja auch auf dem Reuthofe bleiben so lange Ihr lebt, es wird Euch an nichts mangeln. Wir werden erkenntlich sein. Der Kampelherr bietet Euch für den Reuthofgrund, wie er heute liegt und steht –«

»Ich will nichts hören!« unterbrach ihn der Jakob und wehrte mit beiden Händen ab, »mein Haus verkaufe ich nicht. Ich bin gekommen, um meinen Wildschaden anzugeben und dafür entschädigt zu werden. Sonst will ich nichts.«

Der Verwalter stand auf und hatte eine veränderte Stimme, als er nun sprach: »Man wird den Schaden von Sachverständigen abschätzen lassen und die Entschädigung wird Euch auf Amtswegen zukommen.« Damit ging er in das Nebenzimmer.

Der Jakob machte sich wieder auf den Weg nach Altenmoos, den er tausendmal schon gegangen war, den seine Vorfahren in ihren jungen und in ihren alten Tagen, in Glück und Not, unzählige Male gegangen waren. So ging auch heute den steinigen Weg in die uralte geliebte Bergheimat Jakob Steinreuter – Jakob der Letzte.


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