Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Peter Rosegger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wie der Rodel vertrieben worden ist

So sank Zweig um Zweig, Ast um Ast – Glied um Glied von der Gemeinde Altenmoos.

Jakob Steinreuter stand fest. Er ließ keinen neuen Brauch in sein Haus, kein Lotterbett, keinen Prunkspiegel, wie man solcherlei jetzt zu wohlfeilen Preisen bekommen konnte. Er ließ bei dem Gewande der Seinen keine Seidenstoffe zu, kein flunkerndes Bänderwerk, wie diese Dinge anhuben, überall Mode zu werden. Er blieb bei der angestammten Einfachheit in allem. Etliche Dienstboten waren ihm deshalb freilich schon abspenstig geworden, um so heimlicher lebte er mit den übrigen zusammen. Den alten Luschelpeterl, der schon über dreißig Jahre lang im Hause war, achtete er wie einen Oheim, und von dem jungen Knecht, dem Bertl, den er erst vor kurzem ins Haus genommen, verhoffte er einen auf weitere dreißig Jahre. Der Jakob sah auf Fleiß und Treue, überbürdete keinen mit Arbeit, duldete aber auch keinen Müßiggang. Er gab jedem das Seine, und jeden, der in seinem Hause lebte und arbeitete, rechnete er wie zu seiner Familie. Ihm selbst verging die Zeit unter rüstiger, fruchtender Arbeit und in häuslicher Traulichkeit und Beschaulichkeit. Manchmal, wenn er rastete, blickte er die Wände, das Dach seines Hauses an und freute sich an diesem lieben, uralten Heim.

Lange hatte es mit dem Jakob der Nachbar Rodel gehalten. Des Rodels Sprichwort war: »Ich geh' nit. Mein Haus und Grund laß ich nit, und von Altenmoos geh' ich nit.« Auch er konnte es nicht vergessen, daß einmal eine Zeit gewesen zu Altenmoos, in der keine fremden herrischen Leute umhergestrichen waren, und als dahier der Mensch noch mehr wert gewesen, denn der Hirsch. Er war der Meinung, daß eine solche Zeit wiederkommen müsse, also: »Von Altenmoos geh' ich nit, und mein Vaterhaus verlaß ich nit.«

Er ging aber doch.

Seit altersher war es verstattet gewesen in Altenmoos: Der Hase, der Vogel, der Fisch, so mit freier Hand gefangen wird, gehört dem Fänger. Das Gesetz war gnädig, aber die Tiere waren es nicht, sondern liefen oder flogen der täppischen Menschenhand munter davon. Nur der Fisch, der wässerige Augen hat und keine Ohren und keine Ahnung von den Gefahren für ein Wesen, das Fleisch und Blut hat, und wäre es noch so kalt, nur der Fisch war sorglos. Und in Altenmoos gab es genug Hände, die ohne Angel oder Beren (Netz) oder sonstige Vorrichtung täglich die schönsten, oft pfundschweren Forellen aus der Sandach zogen. Die Tiere flüchten sich gerne unter Steine oder Uferrasen, bleiben dort ruhig stehen und meinen, weil sie den Feind nicht sehen, so sehe er sie auch nicht. Legt sich nun der Bauer auf den Bauch, greift mit den Händen sachte unter den Rasen, und zwar so, daß die eine Hand mählich nach dem Kopf des Fisches, die andere nach dem Schweife langt. Plötzlich ist der Forelle Haupt in der Faust, und da hilft alles Schwänzeln nichts mehr, sie wird aus dem Bach gezogen, in eine bereitete Wasserlagel getan oder an Ort und Stelle getötet. Dann liegt sie mit ihrem weißen, rotbesprenkelten Bauch und mit verglasten Augen auf dem Rasen; der Bauer weidet sie aus, bestreut sie mit Salz und wirft sie in die Glut eines mittlerweile angemachten Feuers. Nach zehn Minuten ist die Forelle gebraten, der Fänger schält die versengte Haut weg, löst das milchweiße Fleisch von den Gräten und verzehrt es mit schnalzender Zunge.

Ein solches Wohlleben kann nun aber der zunächst berufene Fischer oder Jäger nicht mit ansehen. Das Fischwasser hat der Kampelherr gepachtet und auf einmal ist's den Altenmooser Bauern verboten, Fische selbst mit den Händen zu fangen.

»Fischer, Ihr macht Fischdiebe!« sagte da der alte Pechölnatz einmal.

»Wieso?« begehrte der Kampelherrische Oberförster, Wald- und Wildmeister Ladislaus auf.

»Wir hätten mit dem schlimmsten Willen nicht Fische stehlen können, wenn das redliche Nehmen erlaubt geblieben wäre.«

»Untersteht Euch nicht!« rief der Waldmeister.

Zur Ehre der Altenmooser Bauern sei es gesagt, sie unterstanden sich nicht, oder nur höchst selten, nämlich wenn sich einer etwa die Hände einmal im Bache wusch und es verlief sich zufällig eine Forelle zwischen seine Finger.

Einmal hatte der Waldmeister den schönen Gedanken, den Altenmooser Bauern die Wiesenbewässerung zu verbieten, die im Frühjahre nötig ist; er behauptete, daß durch die Wasserentziehung in der Sandach der Fischstand gefährdet werde. Da setzten die Altenmooser gegen den Kampelherrn ein bösartiges Schriftstück auf. In dem fragten sie höflich an, ob sie – falls einer durstig würde – noch Anrecht auf einen Schluck Wasser hätten, das aus dem Berge rinnt, oder ob sie die durstigen Mäuler gegen Himmel halten müßten, damit es hineinregne? Oder ob der gnädige Herr vielleicht auch das Regenwasser vorwegs in Beschlag genommen hätte und nur der Hagel den Bauern gehöre? – Der Kampelherr schämte sich ein wenig und ließ ihnen die nötige Bewässerung.

Nun war es im dritten Jahre der Auswanderungsseuche zu Altenmoos, an einem heißen Hochsommerabende, daß drinnen im Gebirge ein wildes Gewitter niederging. Es entwurzelte Bäume, trennte Lawinen los und wälzte ganze Felsblöcke in den Abgrund. In der darauffolgenden Nacht war in dem Tale von Altenmoos ein schreckbares Krachen und Brausen, die Leute gingen aus den Häusern hervor, sahen aber nichts in der dichten Finsternis, hörten nur das Krachen und Brausen. Einige stiegen mit Handlaternen zur Niederung hinab und kamen mit der Meldung zurück, unten auf den Wiesengründen sei der ganze Erdboden lebendig geworden und Berge schwämmen daher auf dem Wasser.

Als der Morgen aufging, sahen sie die Verwüstung. Alle Gründe, die in der Niederung des Baches lagen, waren überflutet. Nur der Boden des Reuthofers war zum Teile verschont geblieben, weil ein Steindamm, den die Vorfahren angefangen aufzubauen und der Jakob vollendet hatte, eine Schutzwehr bildete. Schlimm hingegen war der Rodel getroffen. Als er am Morgen von seinem Hof auf die Wiese hinabschauen wollte, war keine Wiese mehr da, hingegen an der Stelle ein schmutzig brauner See mit Schutt und Stein und zerrissenen Bäumen. Die Sandach wogte in hohen trüben Fluten und schoß zweimal so rasch dahin als sonst; an vielen Stellen trat sie über das Ufer und rann in den braunen See hinein und an anderen Stellen wieder hinaus.

Der Rodel stieß in der ersten Überraschung einen Klageruf aus. Seine Wiese! Sein Heu! Hernach ging er mit auf den Rücken gekreuzten Armen unten am Raine hin und her. Da kam auch der Reuthofer herbei, und sie schauten gemeinsam und wortlos die Verheerung an.

Endlich sagte der Rodel: »Was ist da zu machen?«

Da wäre nichts zu machen, als abzuwarten, meinte der Jakob. Wenn das Wasser abgelaufen, müsse scharf an die Arbeit gegangen werden. Es würde dann, wenn der Schutt nicht gar zu massig liege, ein fruchtbares Heujahr geben, denn wenn unser Herrgott mit Schlamm dünge, so wisse er warum.

»Du weißt einem immer ein gutes Wort«, sagte der Rodel.

»Besser als mein Wort sollen dir meine Knechte dienen, wenn du sie brauchst«, sprach der Jakob.

Die Sandach wurde zwar bald wieder kleiner und zahmer, das Wasser auf der Wiese klärte sich, so daß man auf den grünen oder sandigen Grund sehen konnte; aber es verlief sich nicht. Es rann immer noch von der Sandach herein und es floß unten in einem Bächlein ab; aus der Wiesentalung, die, wie sich's jetzt zeigte, niedriger lag als die Sandach, war ein wahrhaftiger See geworden. Und in diesem See spiegelte sich gar lieblich der blaue Himmel, und in seinen klaren Tiefen schwammen unzählige Forellen hin und her.

Ist auch gut, dachte der Rodel, Fleisch ist feiner wie Heu. Und richtete sich Angeln her, baute ein schwimmendes Brücklein und begann zu fischen. Da kam denn einmal der Waldmeister Ladislaus gegangen. Der blieb hier stehen und schaute dem Fischer eine Weile zu. Endlich steckte er zwei Finger in den Mund, pfiff auf den See hinaus, der Bauer solle ans Land kommen. Der Bauer kam ans Land, der Waldmeister nahm ihm die Angel und die Fischlagel weg und goß diese samt den Forellen in den See aus. Der Rodel wehrte sich nicht, sondern sagte: »Beim Gericht werden wir's erfahren, wem die Fische auf meiner Wiese gehören.«

»Ganz schön«, entgegnete der Waldmeister und ging seines Weges. Weil er aber lieber Hammer als Amboß war, so verklagte er den Fischdieb.

Jetzt hub ein Prozeß an.

Der Rodel ging zum Gericht und brachte folgendes vor: »Die Sandach hat meine Wiese überschwemmt. Das Wasser rinnt zu und ab, und es ist ein See. Jetzt will des Kampelherrn Jägerknecht die Fische von meinem See haben. Ich sage aber: Der Kampelherr hat in der Sandach das Fischrecht, und nicht auf dem See. Für meinen Wiesengrund zahle ich Steuer. Das Heu ist hin auf Jahr und Tag, ich nutze die Fische und will sie zugesprochen haben.«

Der Kampelherr hatte drei Advokaten zum Prozeßführen, denn bei dem gab's fortwährend an allen Enden zu tun. Einen davon schickte er nun zum Gericht gegen den Rodel. Der Herr Doktor läßt sich's nicht nachsagen, daß er seinen Brotgeber lässig vertrete und gelernt hat er auch etwas. Er stellte bei Gericht folgendes: »Wir haben das Fischwasser der Sandach gepachtet, ob es jetzt im Bette rinnt oder über das Ufer tritt, wir haben es gepachtet. Das Gesetz hat der Sandach keinen Weg vorgeschrieben, auf dem es rinnen muß und die Bauern sollen Schutzwehren bauen, wenn ihnen das Wasser nicht recht ist. Sei das Wasser der Sandach klein oder groß, rinne es nach rechts oder links, wir haben in ihm das Fischerrecht und der Bauer Rodel, der uns die Forellen entwendet, soll bestraft werden.«

Hierauf entgegnete der Bauer Rodel: »Wer jetzt die Sandach messen will, sie hat in ihrem Bett so viel Wasser, als immer. Der See ist etwas Neues, ist im Regen vom Himmel gefallen und wenn der Kampelherr das Seewasser haben will, so soll er es pachten.«

Es handle sich ja nicht ums Wasser, hierauf der Herr Doktor sehr glatt, es handle sich um die Fische. Und die Fische seien nicht vom Himmel gefallen, sie seien aus der Sandach, seien dort mit Sorgfalt und Kosten gehegt und gepflegt worden, es sei an ihrem Eigentum kein Zweifel.

»Gut!« rief der Rodel, dem der Mut wuchs, je stärker sich der Feind zeigte, »und wenn der See austrocknet, was geschieht? Werden die Fische so brav sein und in ihr Revier, in die Sandach, zurückschwimmen? Ich denke, sie werden auf meiner Wiese liegen bleiben und zu stinken anheben, und da wird der gnädige Herr auf einmal keinen Anspruch drauf machen.«

Der Herr Doktor blätterte fortwährend in Büchern und Schriften um; der Rodel hatte immer zu wenig Urkunden bei der Hand, heute fehlte dies, morgen das. Es zog sich schon in die Monate hinein, die Protokolle gingen hin und her, auf und ab, und die Gesetze wurden gedreht über und über. Es schien von Anfang an klar zu sein, daß der Rodel an den Fischen kein Anrecht hatte, aber der Bauer kam immer wieder mit neuen Einwänden, die der Richter zu beachten hatte. Er sah es wohl, nach dem Buchstaben des Gesetzes war seine Sache verloren, doch der Jakob hatte ihm gesagt, daß das Gesetz nicht allein einen Leib, den Buchstaben, sondern auch einen Geist habe, und nur der Geist des Gesetzes könne unter Gottes Namen entscheiden über Recht und Unrecht. Unbegreiflich blieb es allen in Altenmoos, daß der Rodel auf seinem Wiesengrund, wo er das Wasser nicht verkauft und nicht verpachtet hatte, nicht sollte fischen dürfen! Daß bei dem großen Unglück der Überschwemmung ihm nicht einmal der winzig kleine Vorteil, den ihm Gott zugewandt, gegönnt werden sollte! Es wäre himmelschreiend! Und lieber den ganzen Hof verprozessieren, als von der Sache lassen!

In einer der vielen schlaflosen Nächte, da der Rodel über den Handel nachsann und grübelte, fiel ihm etwas ein. – Ja, dachte er, der Kampelherr ist also Eigentümer der Fische. Und wenn er nicht Eigentümer des Wassers ist, wieso darf er seine Fische drin schwimmen lassen? Und wenn er Eigentümer des Wassers ist, so muß er mir doch den Schaden vergüten, den mir sein Wasser angerichtet hat! – Alsogleich stand er auf und ging in eitler Nacht hinaus nach Krebsau zum Gericht. Er wartete ungeduldig am Tore, bis die Herren ins Amt kamen, schon von weitem schmunzelte er ihnen entgegen: Ich hab's! Wir Bauern sind nicht so dumm, wie wir ausschauen.

»Heute«, sagte er, »mit Verlaub, heute komme ich mit einer neuen Geschichte. 's ist eine zuwidere Sach'! Wollt' sie vorbringen, wenn's verstattet wäre.«

»Ist verstattet.«

»Ich hab' einen Hund«, gab der Rodel an, »ein böses Rabenvieh, aber ich hab' ihn an der Kette. Da reißt er gestern los und beißt die Nachbarin. Jetzt will mich die Nachbarin verklagen, ich kann aber nicht dafür, daß das Biest die Kette abgerissen hat.«

»Ja, lieber Bauer, da wird Euch nichts helfen«, sagte der Beamte, »Ihr müßt der Nachbarin den Schaden ersetzen, Schmerzensgeld zahlen und noch die Strafe. Ihr seid verantwortlich für Euren Hund und hättet eine stärkere Kette haben sollen.«

»Vergelt's Gott für das Urteil!« sagte der Bauer und verneigte sich. »Wenn der Herr Christus in Gleichnissen gesprochen hat, so wird's einem armen Bauern auch erlaubt sein. Der Kettenhund, mit Verlaub, ist die Sandach. Die Sandach ist des Kampelherrn Kettenhund; der hat sich losgerissen und mich gebissen, der Kampelherr muß mir Schaden, Schmerzensgeld zahlen und noch die Strafe. Gottlob, daß wir endlich einmal fertig sind!«

Der Amtmann klopfte dem Bauer auf die Achsel und sagte: »Lieber Alter, laßt Euch nicht auslachen und geht ruhig heim. Ist über Jahr und Tag das Wasser Eurer Wiese nicht verlaufen, so wird Euch für den Fleck die Steuer abgeschrieben werden. Achtet Ihr auf Eure Felder und Halden; Wasser und was drin ist, geht den Bauern nichts an.«

Der Rodel entgegnete schneidig: »Wenn Wasser und was drin ist, den Bauern nichts angeht, so geht den Fischer das Land und was drauf ist nichts an. Und wenn er das Gras zertritt, so wird er sehen, was geschieht!«

»Basta!« sagte endlich das Gericht, »die Fische gehören dem Kampelherrn.«

»So soll er sie haben«, knurrte der Bauer zweideutig, und nun erinnerte er sich wieder einmal des alten Sprichwortes: Herrenwill' ist stärker als Bauernrecht.

Unterwegs nach Hause begegnete ihm der alte Pechölnatz.

»Rodel!« rief dieser ihm zu, »du kommst mir heute jämmerlich für.«

Der Bauer erzählte, was ihm geschehen war. »Was meinst du?« fragte er zum Schluß.

»Wenn ich was meinen soll, so muß ich mich niedersetzen«, sagte der Pechölnatz, »beim Gehen wird mir für die Meinung der Atem zu kurz.«

Sie setzten sich aufs Moos. Der Natz trocknete seine Stirne. »Heiß ist's«, seufzte er. Und dann zum Rodel: »Bauer! Wenn deine Kuh den Zaun durchbricht und lauft in den Kampelherrnwald hinein, was geschieht?«

»Was wird geschehen«, brummte der Bauer, »gepfändet wird mir das Vieh.«

»Gepfändet wird's«, sagte der Natz und nickte mit dem Kopf, zum Zeichen, daß es auch so in Ordnung sei. »Und was wirst du machen, wenn des Kampelherrn Forellen auf deine Wiese kommen? He, was schaust mich so groß an? Pfänden wirst sie.«

Das war wieder ein neuer Standpunkt. Aber der Schulmeister zu Sandeben riet dem Rodel, er sollt's gut sein lassen. Gepfändete Sachen müsse man ja doch wieder zurückstellen, was wäre da anzufangen? Eine gepfändete Kuh könne man melken, eine gepfändete Forelle könne man nicht melken. Und den Herren komme der Bauer nicht auf, er könne machen, was er wolle.

Nun, so hat sich der Rodel dreingegeben, aber er hat sich's auch gemerkt. Etliche Tage nach der Entscheidung war's, daß er mit seinen Knechten unten am Rain dürres Gestrüpp verbrannte. Mit langen Hakenstangen krauten sie das Struppwerk in das Feuer und merkten es nicht, wie der Waldmeister Ladislaus an den nahen See kam, das schwimmende Brücklein losband, hinausschiffte und mit der Angel fischte. Er wollte das absichtlich vor den Augen des Rodel tun, um ihn zu ärgern. Doch zeigte es sich bald, daß der Mann auf der schaukelnden Plätte nicht so stramm stand, als auf dem festen Waldboden, und weil auch ein fürwitziger Herbstwind stoßweise mitruderte, so ging die Sache uneben. Der Waldmeister trachtete, mit dem Ruderbrett gegen das Ufer zu steuern, da stieß die Plätte an einen Felsblock und – patsch! lag er im Wasser.

Wer denkt daran, daß ein Forstjäger im Gebirge schwimmen lernen sollte? Als der Mann nach dem ersten Untertauchen seinen Kopf pustend und schnappend wieder an die Luft reckte, hub er ein Geschrei an und beschwor die Bauersleute, mit ihren Hakenstangen ihm zu Hilfe zu kommen.

Die Knechte sahen es. »Uh je, der Lausel! der Lausel!« riefen sie und wollten alsbald dran. Da hielt sie der Rodel zurück und sagte strenge: »Buben, was treibt's denn? Daß's g'straft werd's! Wißt's es denn nit? Wasser und was drin ist, geht den Bauern nix an.«

Sofort zogen sie sich vom Wasser zurück gegen das Feuer und schauten dem Waldmeister Ladislaus zu, der verzweifelt mit den Wellen rang und dessen Haupt immer seltener auftauchte. Endlich schlug er nur noch einen Arm empor, da sagte der Rodel zu seinen Knechten: »Jetzt, Buben, lauft's mit den Stangen, jetzt geht's über den Spaß. Ich hab' gemeint, der Kerl wär' zu dumm zum Ertrinken, jetzt seh' ich's, er ist gescheit genug dazu. Auf, Buben, das Fischen ist erlaubt!«

Sie sprangen ins Wasser bis an die Hüften und hakten den Ladislaus hervor; aufgespießt am Rockrücken, so hielten sie ihn jetzt mit der Stange hoch in die Luft, daß das Wasser davon niederplätscherte, wie von einem übergossenen Pudel.

»Einen Stockfisch haben wir auf der Angel!« riefen die Knechte.

»Heraus damit!« sagte der Rodel, »das Feuer ist angemacht, wir wollen ihn braten.«

Der Waldmeister brachte zur Not die Hände so nahe zusammen, daß er damit bitten konnte. Sie ließen ihn nieder auf den Rasen, wo er wie eine überschwemmte Fliege eine Weile liegen blieb und aus Mund und Nase das Wasser hervorstraukelte.

Von dieser Zeit an hatte der Rodel an dem Waldmeister einen Todfeind, mit dem er sich nicht zu schämen brauchte.

Wenngleich der Ladislaus die Rettung vergaß, die ja selbstverständlich und verfluchte Pflicht und Schuldigkeit gewesen, den Stockfisch vergaß er nicht. Als er nur wieder recht trocken war, begann er dem Rodel an allen Enden und Ecken den Krieg zu erklären, und jetzt merkte es der Bauer erst, wie dicht er von der Kampelherrschaft bereits umgarnt war. Er zappelte wie eine Mücke im Netz der Kreuzspinne.

Endlich half auch aller Zuspruch des Jakob nichts mehr.

»Ich sehe es«, sagte der Rodel und fuhr mit der flachen Hand in die leere Luft hinein, »in Altenmoos ist nichts mehr zu machen, auf dem Kornfeld grasen die Hirschen, auf der Wiese schwimmen die Fische. Da gibt's für den Bauer keinen Platz mehr.«

Er verkaufte sein Haus an den Steppenwirt, dieser an den Kampelherrn. Vom Steppenwirt war es nur eine Komödie gewesen, er hatte dafür sein Spielgeld.

Der Reuthofer blickte dem fortziehenden Nachbar und bisherigen Lebensgenossen mit Trauer nach. Als der Rodel, die Angehörigen hatte er vorausgeschickt, mit seinem letzten Siedelwagen an dem Bachhäusel vorbeifuhr, trat ihm ein junges, abgehärmtes Weib mit einem Kinde in den Weg und bat ihn, daß er sie mitnehmen möchte hinaus nach Krebsau.

»Du bist es, Dullerl«, sprach der Rodel, sie mitleidig anblickend, »ja, wo willst denn hin mit deinem Kindel?«

Da begann sie zu schluchzen und konnte nicht sprechen.

»Mußt nicht weinen«, sagte er und ergriff ihre kühle Hand, »es ist eine harte Zeit für uns alle. Mußt du auch fort?«

»Dem Vater reisen wir nach.«

»Ist dein Vater davon?« rief er.

»Nicht der meine«, hauchte sie, und deutete auf das schlummernde Kind, das sie im Arme hielt, »dem seiner.«

»Ah so, so«, sagte der Rodel, »na, setzt euch nur auf. Holpern wird's, aber fortkommen werden wir schon. Wo ist er denn, derselbige?«

»Im Krebsauer Eisenwerk«, antwortete sie. »Muß hart arbeiten, der Sebast.«

»Ah, der Sandlersebast«, erinnerte er sich. »Hat ja das Haus gut verkauft!«

»Ist nicht so gut ausgegangen, wie man meinen kunnt«, berichtete die Dullerl. »Dreitausend ist ein schönes Geld. Jetzt sind aber viel Steuern und Gebühren zu zahlen gewesen, auch an die Sparkasse ein Posten und andere Schulden. Sind nachher Verwandte gekommen, die noch Anspruch auf den Heimgang (das Heimatsrecht) hätten beim Sandlerhof, haben auch eine Abstattung kriegen müssen und sind dem Sandler nicht viel über achthundert Gulden in der Hand geblieben. Seinen mühseligen Vater hat er mitgenommen, jetzt muß er halt arbeiten. – Wir zwei«, fuhr sie weinend fort, »sind verlassen, und es ist ein harter Weg zu ihm, wo ich wohl weiß, daß es ihm selber nicht gut geht. Nun, in Gottes Namen, davonjagen wird er uns nicht.«

Als sie nach Sandeben kamen, sagte der Rodel zu der Dullerl: »Hier wollen wir ein wenig einkehren und ein Glas Wein trinken miteinand. Sonst schaut's gar zu trübselig aus auf der Welt.«


 << zurück weiter >>