Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Peter Rosegger

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Der Jakob besucht seine früheren Nachbarn

So zogen sie davon und zogen sie davon.

Und wenn der Sonntag kam, da ging auch der Jakob hinaus der Sandach entlang, als müßte er seine Nachbarn suchen und zurückrufen.

Einmal besuchte er – es war auf wiederholte dringende Einladung – den Knatschel in seinem kleinen Hause, das neben der Kirche stand zu Sandeben.

Da sah er freilich Wunder.

Das Weib kam ihm mit gellenden Freudenbezeugungen entgegen: »Jessas, der Jakob! Und wie geht's denn in meinem lieben Altenmoos?« So hub sie an und fragte nach allem und jedem. Und wie er erzählte, daß auf dem Knatschelfeldgrund junge Bäumchen sproßten und das Haus kein Dach und kein Fensterglas mehr habe, da wendete sie sich ab und fuhr mit der Schürze über das Gesicht.

»Ihr werdet ja gar kein Hochwasser mehr haben zu Altenmoos«, rief der Knatschel in guter Laune.

»Warum?« fragte der Jakob.

»Warum? seit die Weiber ausgewandert sind. Na halt ja. Wie es jetzt bei mir da immer Wasser gibt des lieben Altenmoos wegen, so hat's dazumal – im Gebirg' drin – Augenwasser gegeben wegen Hagel oder Reif oder anderer Elendigkeit. Die Weiber! Unterhalten wir uns mit was anderem. Ein kleines Nachmittagsbrot wirst uns nicht verschmähen.«

Und er deckte den Tisch gar vornehm mit weißem Linnen, feinem, fast silberig schillerndem Besteck und geschliffenen Gläsern. Dann brachte er einen großen Laib Weißbrot, einen breiten Teller mit Aufgeschnittenem, brachte in blumigen Schalen Butter und Käse und eine bauchige Flasche mit Wein.

»Was man halt so im Haus hat«, sagte der Knatschel, indem er den Jakob an den Tisch drängte, »mußt schon fürliebnehmen. Sind halt nur Resteln. Wenn du einmal zum Mittagsmahl kommst, kriegst schon was Rechtschaffenes. Mach' dich dran, 's ist Eigenbau. Bis auf den Trunk. Gelt, so weiß wachst es halt nicht, das Brot, bei euch in Altenmoos. Trink', Nachbar, trink'!«

Zum Anstoßen war's mit den Gläsern, wie es die Herrischen machen. Der Jakob tat's, nippte aber nur ein Weniges. Der Knatschel leerte das Glas auf einen Zug und stellte es dann scharf auf den Tisch zurück. Auch verzog er das Gesicht, sog unter Zungenklatschen den Gaumen aus und sagte zu seinem Weibe: »Alte, du mußt einen Frischen anzapfen lassen, dem riecht man schon das Faß an. Das bin ich nicht gewohnt. Tröpfel muß ich ein gutes haben im Haus. – Laß dir's schmecken, Jakob; Kaltkälbernes ist gewiß seltsam bei euch drin.«

Ehrenhalber genoß der Jakob etliche Bissen, da war der Knatschel schon auch mit der Zigarrentasche da: »Such' dir eine aus, Jakob.«

Das ward dem armen Bauer aus Altenmoos alles auf einmal vorgeschüttet, und schon rief der Knatschel in die Küche hinaus: »Die Köchin soll uns einen guten Kaffee kochen!« Nebenbei guckte er seinen Gast so von der Seite an, welchen Eindruck diese Herrlichkeiten wohl auf ihn machten. Da der Jakob aber nichts desgleichen tat, sondern ganz ruhig eine Schnitte Brot aß, schlug ihm der Knatschel schon weinwarm plötzlich die Hand auf die Achsel und schrie: »Na, Jakob, was sagst dazu? He! So leben wir halt in Sandeben. Kümmerlichkeit leiden wir keine, daran haben wir zu Altenmoos satt bekommen. – Alte, was er nicht ißt, das schlag' ihm in ein Papier, soll's seinen Leuten heimbringen.«

Jetzt stand der Jakob auf und sagte: »Vergelt's Gott! Wir leiden keinen Hunger daheim, mich gefreut's, daß es euch gut geht, und ich wünsche viel Glück.«

Dann ging er davon. Lieber als das fürnehme Essen wäre ihm gewesen, wenn ihn der Knatschel in seinem Wirtschaftsgebäude umhergeführt hätte. Wie es mit den Korn- und Heuvorräten und mit dem Viehstand bestellt sei beim Knatschel, das hätte er wissen mögen. Nun, man kann sich's denken, wer ein solches Nachmittagsbrot aufzutischen hat, bei dem werden Kästen, Scheunen und Ställe erklecklich bestellt sein.

Als der Jakob fort war, stürzte der Knatschel zum Teller hin und steckte mit beiden Händen die Reste in den Mund und verschluckte dieselben, fast ohne sie zu kauen. Dann wurden Teller, Gläser und Bestecke zum Wirt zurückgeschickt und dem Wirte sagen lassen: »Dazuschreiben.« –

Nicht lange hernach hatte der Jakob Anlaß, beim Guldeisner in der Krebsau vorzusprechen. Daheim in der zerfallenden Getreidemühle des ehemaligen Guldeisnerhofes lehnten zwei Paar Wagenräder. Man sah durch die morschende Wand schon auf sie hinein. Da sie zu den persönlichen Fahrnissen gehörten, so hatte der Verweser des Kampelherrn nicht davon Besitz ergriffen, und auch der Guldeisner, der solche Kleinigkeiten wohl vergessen haben mochte, ließ sie nicht fortbringen. So ging der Jakob an einem Sonntage denn einmal hinaus, um zu fragen, ob der Guldeisner die Räder ihm verkaufen wolle; es sei zu Altenmoos kein Wagner mehr, und obzwar sie auch keine fahrbaren Wege mehr hätten, an den Feldkarren brauchten sie doch noch Wagenräder.

Das Haus des Guldeisner, das »G'schlössel«, stand stattlich da und hatte viele Fenster, wovon aber die meisten mit grauen Läden verschlossen waren. Eine Pferdestallung mit Wagenschoppen, in welchem zwei glänzende »Kaleschen« standen, weiße Kieswege, ein rundes Lusthaus, und nebenhin ein großer Teich mit grün angestrichenem Kahn, waren das erste, was dem Jakob auffiel. Gepflegt waren die Anlagen nicht am besten, die breite Antrittstreppe vor der Haustür und diese selbst waren belegt mit dem Staube verschiedener Jahreszeiten. Das ganze feine Anwesen erinnerte an einen Herrn in Frack und weißen Handschuhen, der das Gesicht nicht gewaschen hat. Der Jakob stieg die Stufen hinan und drückte an der Türklinke. Das ging aber hier nicht so, wie bei anderen Türen, sie war verschlossen. Mehrmals klopfte er, anfangs bescheiden, später so stark, daß es drinnen widerhallte. Endlich sah er den Glockenzug; ja so, hier wird nicht geklopft, sondern geklingelt, wie in der Kirche an der Sakristeitür, wenn der Pfarrer kommt. Er tat's, bald darauf rasselte die Tür auf und ein Mann in dunkelblauer Kleidung mit großen Messingknöpfen fragte, was man wolle.

Der Jakob gab an, daß er mit dem Guldeisner sprechen möchte.

Wer bei der Herrschaft zu melden sei? fragte der Diener.

»Ich bin der Reuthofer aus Altenmoos und möchte dem Guldeisner gerne die Wagenräder abkaufen, die er in der Mühle stehen gelassen hat und vielleicht nicht mehr braucht.« So sagte der Jakob.

Der dunkelblaue Mann mit der Messingpracht machte dem Jakob die Tür wieder vor der Nase zu, und man hörte, wie er drinnen die Treppe hinaufstieg. Der Jakob setzte sich an die Treppenstufe. Weil er eine Weile so zu warten hatte, fiel es ihm ein, daß sie ihm drinnen am Ende gar einen Empfang herrichten wollten, so wie beim Knatschel. Er brauche das aber nicht, ein redlich Grüß' Gott und ein Trunk Wasser sei ihm lieber als das ganze herrische Getue.

Endlich kam der Diener zurück: »Der gnädige Herr läßt sagen, die Räder schenkt er ihm.« Klapps war die Tür wieder zu. Der Jakob stand da und wußte nun, wie er dran war. Nachdenklich ging er nach Hause, und daß wir der Zeit vorgreifen, die zwei Paar Wagenräder sind in der morschenden Mühle vermodert. –

Auch der Rodel hatte dem Jakob wiederholt sagen lassen, er möchte ihn doch einmal heimsuchen kommen unten im Mariental und seine Musterwirtschaft dort ansehen. Der Jakob dachte: Um den Rodel täte es mir am allermeisten leid, wenn ich die gute Meinung von ihm ändern müßte, und folgte den Einladungen nicht. Der Rodel war redlich bestrebt, auf dem kleinen Gute, das er für den Erlös des großen gekauft hatte, als Landwirt sein Bestes zu leisten. In Mariental war ein anderer Boden, als oben in Altenmoos, ein anderes Klima, es waren überhaupt andere Verhältnisse. Der Rodel verstand sie nicht, hatte sich aber in den Kopf gesetzt, den dortigen Bewohnern zu zeigen, wie ein Bauerngut zu betreiben ist; er wirtschaftete ihnen etwas vor nach Altenmooser Art, und als der Jakob endlich doch aus alter Treue den Besuch machen wollte, hatte der Rodel schon abgewirtschaftet.

Klüger in seiner Art hatte es der Klachel angestellt. Damit er nicht abwirtschaften könne, hatte er gar keine Wirtschaft mehr gekauft, sondern im Wirtshaus zu Sankt Ulrich eine Stube gemietet. Dort vertat er still und bescheiden sein Geld. Und als es vertan war, kam er zum Jakob nach Altenmoos, nannte ihn seinen liebsten Freund, den er nicht vergessen könne und wollte von ihm Geld ausborgen. Der Jakob entgegnete: »Klachel! Jetzt könnte ich dir meine Meinung sagen und dir dann fünf Gulden schenken. Aber ich sage nichts und ich schenke nichts. Eine warme Suppe, wenn du magst?«

»So schenke mir doch wenigstens etwas auf Branntwein! Es ist ein Hundeleben auf der Welt.« Dieser Ansicht war nun der einmal so lustige Klachel.

Vom Sepp in der Grub, der weit fortgezogen war, hörte man anfangs, daß es ihm und seinen Leuten gut ergehe, nur magere er stark ab, trotz der fetten Gegend, in der er wohne. Nicht lange darauf hieß es, er sei gestorben.

Der Steppenwirt, der – weil in Altenmoos keine trinkenden Leute mehr vorhanden – ebenfalls fortgezogen war, hatte in einer kleinen Stadt eine Schenke gepachtet, aber das, was er gleichwohl mit seiner unerschöpflichen Spruchweisheit gewürzt ausbot, mundete den Gästen nicht recht. Daß es ihnen nicht mundete, war noch nicht das Schlimmste, daß sie allmählich ausblieben, war schlimmer.

»Schlechte Zeiten!« meinte der Wirt achselzuckend und setzte bei: »Man muß die Zeit nehmen, wie sie kommt, und geht zu Weihnachten in die Haselnüsse.« – Er ging ins Straßenkehren.

Von vielen anderen Ausgewanderten hörte man gar nichts. Hingegen stand ein ehemaliger Knecht des Stindel im Stein in der Zeitung, die der Sandebner Pfarrer hielt. »Aus dem Gerichtssaal« hieß das Stück.

Auch weiteren Bauernknechten, die aus Altenmoos ausgewandert, um in schönen Gegenden Dienst zu nehmen, erging es nicht aufs beste. Sie fanden angestrengtere Arbeit, aber schmälere Nahrung. In Altenmoos hatten sie stets zur Familie ihres Dienstgebers gehört, in den neuen Dienstorten wurden sie als notwendige Übel angesehen, mitunter schlechter als die Haustiere behandelt. Natürlich, ein schlecht behandeltes Haustier verliert an Geldwert; der Dienstbote, wenn er die Kraft verliert, kommt ins Armenhaus – wo sie eins haben. Die geborenen Altenmooser haben keins, sie dürfen betteln gehen. Von den langen Feierabenden, von der üppigen Festtagskost wie einst in Altenmoos war draußen keine Rede, und ihre eigenen Herren durften sie selbst an den Sonntagen nicht sein. Immer und immer hinhorchen auf den Wink des Herrn! Ein alter Knecht wollte seiner Gewohnheit, allsonntägig mit den Hausgenossen laut den Rosenkranz zu beten, auch draußen gerecht werden; darob wurde er verlacht und verhöhnt, bis er wieder ins Gebirge zurückging, wo man auch noch ein wenig Zeit für seine Seele hat. Der Verkehr mit dem anderen Geschlecht war draußen völlig frei. Wie es Monatsdienste gab, so auch Monatsheiraten in wilder Ehe. Das kostete Geld, kostete Gesundheit. Beging der Dienstbote einen Verstoß, alsbald die Gendarmen! Dann im Alter in den Winkel mit ihm – ein verbrauchter Besen.

Was schrieb doch die Tochter des Fock zu Altenmoos, die nach Graz gegangen war, um eine Frau zu werden? »Herrendienst ist wohl hart«, schrieb sie einer Freundin nach Hause, »seit einem Jahr der dritte Dienst. Arbeit vom frühen Morgen bis in die Nacht. Und Essen nur, was vom Herrentisch übrigbleibt. Alle vierzehn Tag' einmal ein paar Stunden frei zum Ausgehen. Derspart noch nichts, geht alles fürs Gewand auf. Aber viele Soldaten, saubere Leut'. Die Gnädige ist ein Drach', der Herr ist gut. Wenn's nur bald Ernst tät' werden mit dem Hausmeister, alsdann bin ich eine gemachte Frau.«

Ein früherer Knecht des Steppenhofes war in ein großes Walzwerk gegangen, der schrieb seinem Vetter nach Altenmoos verworrenes Zeug von einer neuen Gerechtigkeit, von der roten Welt, von Besiegung des Kapitals, von Gleichteilung der Güter usw. »Sparen tun wir nicht«, schrieb er, »wenn's kracht, kriegen wir eh genug.«

Derlei und anderlei war von den Ausgewanderten zu erfahren. Der Jakob wollte nichts davon hören. In Altenmoos, wie war das anders gewesen, wie könnte es noch so sein! Kein Herr und kein Sklave, keiner reich und keiner arm war Altenmooser Art. Nun, sie sollen liegen, wie sie sich gebettet hatten. Selber getan, selber gelitten. Wem nicht zu raten, dem ist auch nicht zu helfen! – Ach, was nutzen die guten Sprichwörter! Das Weltgift haben sie getrunken. Dem Jakob blutete das Herz.


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