Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Peter Rosegger

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Ein Weibchen und kein Nest dazu

Als der alte Sandler spät abends nach Hause kam, war der Sebast nicht mehr daheim. Der Sebast arbeitete in diesen Wochen, da der Heumahd vorüber und der Kornschnitt noch nicht da war, weit oben in den Wäldern der Herrschaft Rabenberg als Taglöhner. Um Montags rechtzeitig bei der Arbeit zu sein, pflegte er schon am Sonntag abends den stundenlangen Weg hinaufzugehen und in der Holzhauerhütte zu übernachten. Erst Samstags zum Feierabend kam er wieder heim.

Und da war's an diesem nächsten Samstag – ein stiller, sonnengoldiger Augustabend – daß der Sebast, ein Liedel pfeifend, mit seiner Kraxe (Rücktrage) niederstieg zwischen den Feldern des Guldeisnergrundes. Bei den zwei Ahornen genannt, wo die Grenze war zwischen dem Guldeisner- und dem Sandlergut, stand eine, die auf ihn wartete. Sie stand so da und nestelte etwas an ihrem Gewand und knüpfte am Scheitel das Tüchel fester, das sie heute ums Kinn gebunden, und hatte keinen rechten Gruß und keinen Dank für den herantretenden Sebast. Die Dullerl war's.

»Kann dich frei nimmer derwarten«, so redete sie ihn kleinlaut an.

»Gut ist's, da hast mich!« sagte er und wollte sogleich dort wieder beginnen, wo sie am Sonntage aufgehört hatten.

Sie wehrte seinen Kuß und sagte: »Kannst es nicht glauben, was ich Zahnweh habe!«

»Das ist auch ein neuer Brauch«, sprach der Bursche munter, »an einem so schönen Sommertag Zahnweh haben!«

»Zahnweh wär' noch nicht das ärgste«, sagte das Dirndel mit unsicherer Stimme.

»Na, freilich nit. Den reißen wir halt außer.«

»Das Blut steigt mir so zu Kopf – ich weiß nicht...«

»Geh', Tschapperl, wegen des bissel Bluts!«

Sie schmiegte sich an ihn und flüsterte: »Sebast! – Ich – ich hab' schon soviel Angst. Seit Irchtag (Dienstag) oder Mittwoch her hab' ich schon soviel Angst. – Ich weiß nit, Sebast, ob du dir's denken kannst...«

Er schaute sie an.

»Ob du's vermeinst, was es kann sein...«

Er schaute sie lange an und schwieg. Er konnte sich's denken.

Sie weinte und zitterte. Er nahm ihre beiden Hände in die seinen und sagte: »Dullerl! Wie Gott will. Ich verlaß dich nicht.«

»Und mehr brauch' ich nicht zu wissen«, sprach sie aufatmend, »das Zahnweh will ich leicht ertragen.«

»In sechs Wochen bist du Sandlerbäuerin!« sagte er.

»Dank' dir's Gott«, sagte sie.

Noch ein Händedruck. Sie lief den steilen Fußsteig hinab gegen das kleinwinzige Bachhäusel, das aber gar nicht einmal ihr und auch nicht ihrem Vater gehörte, sondern zum Steppenhof und mitsamt diesem dem Kampelherrn. Es war kein lustiger Aufenthalt gewesen in diesem Häusel; im Jahre nur sieben Wochen lang schien des Tages eine kurze Stunde die Sonne darauf, und Vogelgesang war niemals, weil die Sandach wild rauschte vor der Hütte. Mit Tagwerken und Kohlenbrennen und mit Beihilfe einer Ziege, in besten Zeiten einer Kuh, gewannen sie ihr armes Leben von Tag zu Tag. Aber jetzt soll es besser werden, beim Sandlerhof oben scheint die Sonne im Winter und im Sommer, singen die Vögel im Winter und im Sommer. – Das bissel Zahnweh duldet sie gern. – Nur ein kleines Heiratsgut hätt' ich ihm mögen mitbringen, dachte sie in ihrem stillen Glück. Er ist so gut und fragt nicht danach, er hat ja seinen Sandlerhof. Ich bin wohl glücklich, wenn ich's bedenke wie es anderen geht, die mit dem Kinde in harten Diensten umwalgen müssen, oder gar um was anhalten gehen müssen zu den Häusern. Mein Gott, was eine eigene Heimstatt wert ist! Das Zahnweh leid' ich gern.

Das war ihr leidvolles, freudvolles Denken.

Und unter ähnlichen Gedanken ging der Sebast seinem Hause zu. Nun, so wollen wir bald Ernst machen in Gottesnamen.

Als er gegen den Hof kam, trieb der alte Sandler just das Vieh zur Tränke. Die Ochsen standen der Reihe nach am langen Brunnentrog und schlurften mit ihren großen Schnauzen denselben bis zur Hälfte leer. Der Jodel war auch dabei, aber dem ging's mehr nach Allotria, als nach Wasser. Er legte seinen klotzigen Kopf auf die Rücken der anderen und sprang gelegentlich gar mit den Vorderfüßen hinauf, so daß der Alte mehrmals rief: »Gehst hinteri, du Sackra!« und den übermütigen Stier mit der Peitsche zurückscheuchte.

Als der alte Sandler jetzt seinen Sohn daherkommen sah, den er seit acht Tagen nicht mehr gesehen hatte, wurde ihm etwas ungleich zumute. Er war sich nicht klar, wie er dem Sebast die Neuigkeit mitteilen sollte, falls der noch nichts davon wußte. – Einverstanden wird er doch wohl sein? dachte der Alte, ist zwar ein Trotzkopf, manchmal. Na, er ist ja gescheit. Gefreuen wird's ihn.

»Bist da, Sebastel?« rief er ihm mit einem schmiegsamen Stimmlein entgegen.

»Gottlob ja, daß ich wieder daheim bin«, antwortete der Bursche und legte seine Rücktrage auf eine Wandbank.

»Müd' wirst sein, gelt!« sagte der Alte. »Ist kein Leichtes, das Holzhacken die ganze Woche. Und nachher daheim wieder die harte Arbeit. Denk' mir oft – gehst hinteri, verfluchter Pölli! – denk' mir oft, kunnt'st es besser haben. Und derbarmen tust mir. Im Krebsauer Eisenwerk draußen, sagen sie, müßt' sich der Mensch lange nicht so plagen und hätte einen besseren Lohn, einen viel besseren. Ja. Da tut man sich's – wart', du schwarzes Ludervieh, ich will dir helfen, wenn du sie nicht trinken laßt! Die verdammte Remmlerei alleweil! – Da tut man sich's, hab' ich wollen sagen, besser machen, wenn man kann.«

»Bin schon zufrieden wie es ist«, entgegnete der Sebast.

»Ist eh recht, ist eh recht«, sagte der Alte.

»Mag ja sein, daß ich mir manche Sach' ein bissel bequemer einricht auf dem Hof.«

Der Alte horchte so ein wenig hin. »Auf dem Hof, sagst? Ist nicht viel Freud' zu machen. Überall geht's uns besser, als auf dieser alten Krammel. – Drei Tausender gibt er, der Kampelherr, für den Sandlerhof. Sebast, was sagst dazu?«

»Wenn's auf mich ankommt: Das Sandlerhaus ist nicht feil«, sagte der Bursche kurz und wollte in das Haus treten. Der Alte hastete ihm nach, legte ihm zärtlich die Hand auf den Arm und kicherte: »Lachen wirst, Sebastel, lachen wirst. Wir zwei sind keine Bauern mehr, wir zwei, hi, hi. Sind Herren jetzund. Haben Geld im Sack.«

Der Sebast blieb stehen, starrte den Alten an und sagte heiser, schier ganz heiser: »Vater! Das Reden wird doch nichts bedeuten!«

»Ja, mein braver Sebastel«, rief der Alte mit krampfhafter Fröhlichkeit, »ich habe dir die Sorgen aufgeladen und hab' sie dir auch wieder abgenommen. Es ist nichts mehr zu machen in Altenmoos. Alle sagen's. Es ist nichts mehr zu machen. Und rechtschaffen gut hab' ich verkauft. Sagen's alle.«

Der Sebast trat von der Türschwelle zurück, taumelte an die Wand hin, als wäre ihm ein Schlag geschehen. – »Da – da hat man's!« stöhnte er endlich.

»Gelt, die Überraschung, Sebastel! Gelt!« keifelte der alte Bauer. »Willst das Geld sehen? Bar hat er mir's auszahlen lassen, bar. Und den Winter über, wenn wir wollen, dürfen wir noch im Hause bleiben.«

»Dürfen wir?« rief der Bursche. Dann fuhr er wild auf: »Der Teufel hat Euch geritten! Ein schlechter Vater, der seinem Kind das Haus vertut! – Oh, Gott, mein Haus!« Er lehnte sich an die Wand und legte einen Arm über sie hin, als ob er das Haus umfangen und halten wollte.

Der Alte hatte sich auf einen Holzblock gesetzt und wieder in sich zusammenbrechend, wie dazumal am Lindentisch, murmelte er: »Ich hab' mir's gedacht.«

Plötzlich sprang der Sebast hin gegen den Vater und mit geballten Fäusten rief er: »Ich muß ein Haus haben! Ich muß heiraten. Ich hab' eine, der ich's schuldig bin worden!«

Der alte Sandler zuckte ein. Dann schlug er die Hände zusammen: »Aus ist's! Vorbei ist's! – Schuldig worden ist er's einer...«


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