Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 1
Friedrich von Raumer

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Drittes Buch.

Das Morgenland vom Tode Gottfrieds von Bouillon, bis zu dem Ende des zweiten Kreuzzuges und dem Tode König Konrads III.

(Von 1100 bis 1152.)

 

Erstes Hauptstück.

{1100} Mit dem Tode Gottfrieds von Bouillon schienen die traurigsten Verhältnisse für das jerusalemische Reich zu beginnen. Denn die Zahl der jährlich aus Europa anlangenden Pilger nahm ab, und denen, welche sich in Palästina angesiedelt hatten, fehlte es um so mehr an FrauenMan bekam später besonders viel apulische Frauen. Alb. Acq. 300.  Vitriac. hist. hieros. 1086. um ihr Geschlecht fortzupflanzen, als Vorurtheil und böser Wille die Verschmelzung mit den morgenländischen Christen erschwerten. Man mußte ferner befürchten, daß die Muhamedaner, von früherem Übermuth und späterer Furcht gleich sehr zurückkommend, eine allgemeine Verbindung gegen die Christen schließen, und daß diese, bei zunehmender Schwäche und Uneinigkeit, ihnen nicht widerstehen würden. Endlich wuchsen die bösen Parteiungen, welche früher nicht einmal König Gottfrieds Überlegenheit unter den seinen vertilgen konnte, itzt natürlich gar sehr, und die Frage, wie und durch wen er zu ersetzen sey, war für die Besonnenen und die Leidenschaftlichen gleich wichtig und gleich schwierig. Sollte Gottfrieds Empfehlung seines Bruders Balduin von Edessa allein entscheiden, oder doch mehr Gewicht haben, als die persönliche Tüchtigkeit eines anderen Thronbewerbers? Konnte von dem Erbrechte eines 414 {1100} Seitenverwandten in dem, kaum gegründeten Reiche die Rede seyn? Wer hatte andererseits ein Wahlrecht festgesetzt, durch wen sollte es geübt, durch wen etwaniger Zwiespalt entschieden werden? Schien es nicht räthlich, ja nothwendig, dem, aus geistlichen Beweggründen auf heiligem Boden gestifteten Reiche, nunmehr auch ein geistliches Oberhaupt zu geben? Mußte nicht nach dem anerkannten Grundsatze, daß der geistlichen Herrschaft allgemein der Vorzug vor der weltlichen zustehe, diese, mehr als irgendwo, in Jerusalem der ersten untergeordnet werden? Und ließ sich der Einwand: die Muhamedaner würden dieses geistliche Reich keineswegs als ein heiliges betrachten, und ihnen sey nur durch weltliche Ritterkraft zu widerstehen, nicht leicht dahin beantworten: daß die Ritter und Fürsten, welche längst der Fahne des Kreuzes angehangen hatten, auch ferner gegen die Ungläubigen mit dem Schwerte kämpfen könnten, wenn ein geistlicher Fürst sie um sich sammele und an ihre Spitze trete? – So standen also Recht und Gründe auf zweien Seiten, und es ließ sich voraussehen, daß nur Geschick und Macht jene Fragen entscheiden werde. Auch zeigten alle Parteien die größte Thätigkeit.

Zuvörderst verlangte der Patriarch DaimbertWilh. Tyr. 778.  Siehe Buch I, S. 230., daß ihm, nach Inhalt der früheren, vom Könige in seiner letzten Krankheit anerkannten und bestätigten Verträge, die Burg Davids eingeräumt und sein oberlehnsherrliches Recht nicht bestritten werde; allein Graf Werner von Greis verweigerte die Uebergabe jener, ihm anvertrauten Burg und sandte, aufgeregt von dem ehemaligen Patriarchen Arnulf, Eilboten an Balduin von Edessa, weil man versprochen habe nur dem Bruder König Gottfrieds, oder einem seiner nahen Verwandten die Herrschaft zu übertragen. Als der Patriarch hieraus abnahm, daß er seine Plane weder allein, noch im ganzen Umfange ausführen könne; so schloß er sich ganz an die normännischen Fürsten an, mit denen 415 {1100} er schon früher nähere Verbindungen eingeleitet hatte. – Nach langer, unwandelbarer Anhänglichkeit war nämlich Tankred mit dem Könige in Mißhelligkeiten gerathen, weil dieser nicht ihn, sondern den Ritter Waldemar Karpenel mit dem noch uneroberten Kaypha zu belehnen versprochen hatte. Seitdem betrieb Tankred die Belagerung dieser Stadt läßigAuch die Venetianer, welche Theil nahmen, verfuhren, bei der Aussicht auf nur geringen Gewinn, ohne Eifer.  Alb. Acq. l. cit.  Dandolo 258.  Cornelio Ecclesia Veneta IX, 22., bis es ihm während der letzten Krankheit Gottfrieds nothwendig schien, durch einen neuen festen Besitz seinen bevorstehenden Ansprüchen größeren Nachdruck zu geben. Vermittelst eines heftigen Angriffs eroberte er Kaypha und vertrieb Waldemars Mannen, ohne Rücksicht auf dessen Rechte. Bald nach diesem Ereignisse traf die Nachricht ein von Gottfrieds Tode, von dem Stande der Parteien in Jerusalem und der Absicht des Patriarchen seinen Schreiber Morellus nach Antiochien zu senden, damit Boemund eiligst als Beschützer der Kirche und als Thronbewerber auftrete. Tankred stimmte diesem Plane nicht allein bei, sondern eilte auch selbst nach Jerusalem; ward aber von den Anhängern des Hauses Bouillon nicht in die Stadt eingelassen, weil er sich beharrlich weigerte dem Grafen Balduin von Edessa den Eid der Treue und des Gehorsams zu leisten. In dieser, ohnehin schon bedenklichen Lage erhielt er die unangenehme Botschaft: Morellus sey vom Grafen Raimund in Laodicea gefangen, und sein Vorhaben entdeckt und vereitelt worden. Noch weit wichtiger, ja entscheidend war die bald darauf eingehende Nachricht: Boemund sey den Türken in die Hände gefallenFulcher Carn. 402.  Gesta expugn. Hier. 579.  Rad. Cadom. 199.  Abulfeda III, 325.  Boemund ward, nach Albert. Acq. 301, im August 1100 gefangen.!

Kameschtekin, der Sohn eines Schullehrers, hatte sich durch eigene Tüchtigkeit und günstige Umstände zum Fürsten 416 {1100} von Sebaste emporgeschwungen, und bedrängte Gabriel, den Beherrscher von Malatia oder Melitene in Armenien. Dieser suchte Hülfe bei Boemund und fand sie, weil die Gefahren gemeinsam und die Versprechungen anlockend erschienenWilh. Tyr. 775.. Kameschtekin aber, benachrichtigt, daß ein neuer Feind heranziehe, überfiel das christliche Heer, schlug es und nahm den Fürsten gefangen. Zwar eilte itzt Balduin von Edessa herzu, legte eine schützende Besatzung in Melitene und vereitelte die Absichten der Türken gegen Antiochien; allein seit dem Tode Gottfrieds, war ihm seines Nebenbuhlers Boemund länger dauernde Gefangenschaft, vielleicht sogar erwünscht.

Der ergangenen Ladung zufolgeHist. hier. II. pars. 596., und, wie einige behaupten, mehr erfreut über die Aussicht auf größere Herrschaft, als betrübt über den Verlust seines Bruders, trat Balduin im Oktober mit 200 Rittern und 800 Fußgängern den Zug gen Jerusalem an, nachdem er seinen Verwandten Balduin von Burg mit Edessa belehnt hatteBalduin von Burg hatte Boemunden als Lehnsmann gedient. Alb. Acq. 302.. In Antiochien, wohin ihn sein Weg führte, enthielt er sich, den größeren Zweck im Auge behaltend jeder tadelnswerthen Einmischung, welche bei den Häuptern und Lehnsleuten Argwohn und Feindschaft hätte erregen können. Weib, Gesinde und Gepäck sandte er zu Wasser nach Joppe, und folgte zu Lande auf der Straße, welche Gottfried und das Heer beim ersten Hinzuge gewählt hatten. Ohne Unfall erreichte man Byblus, fand aber die engen Pässe zwischen dem Berge Klimax und Berytus durch Dokak von Damaskus und Dschanaheddaulah von Emesa besetzt. Die Berge treten hier plötzlich bis an den Strand hervor, und nur ein schmaler, kaum vier bis sechs Fuß breiter, künstlich gehauener Weg führt über den, eine Viertelmeile langen, schroffen 417 {1100} Abhang. Aus ungeheurer Höhe ragen die Felsen über, fast senkrecht unter den Füßen rauschet das Meer, und selbst den friedlichen Wanderer ergreift hier ein Grauen über die Größe der Natur und seine eigene HülflosigkeitDapper I. 100.  De la Roque voyage I, 22.  Siehe eine schöne Abbildung dieser Gegend in der Voyage pittoresque de la Syrie. Die Länge des Feldweges setzt auf das Viertel einer deutschen Meile, Mariti, Reise II, 105–110.  Paulus Reisen I, 49.. Feinde traten nun dem Fürsten entgegen in diesem engen Wege, Feinde sah er über sich auf den Felsen, und aus den Schiffen wurden vom Meere her, unzählige Pfeile in die Höhe geschossen. Unter solchen Umständen war der Durchgang nicht mit Gewalt zu erzwingen, man mußte der List vertrauen. Mit Tagesanbruch ordnete Balduin den Rückzug, und war kaum in die Ebene hinabgekommen, als ihm die Türken, wie er wünschte, nachfolgten; sie wurden hier geschlagen und in der Verwirrung selbst durch die Pässe hindurchgetrieben. Nunmehr sammelten sich die versprengten Christen zu den angezündeten Freudenfeuern und zogen bei Berytus, Sidon, Tyrus und Ptolemais vorüber, nach Kaypha. Willig brachten ihnen hier die Bewohner Lebensmittel zum Verkaufe; Balduin erlaubte jedoch keinem der seinigen in die Stadt zu gehn, der alten Fehden bei Tarsus gedenkend und in Sorge über die neue Feindschaft Tankreds. Dieser hatte mittlerweile die Gegend von Jerusalem verlassen um Joppe zu belagern; begab sich aber itzt, Balduin ausweichend, auf Umwegen nach Kaypha zurück. Gleichzeitig hatte, selbst nach dem Tode Werners von Greis, der kluge und reiche Arnulf seinen Nebenbuhler, den Patriarchen Daimbert, so bedrängt, daß er sich auf den Berg Zion zurückzog und jedem öffentlichen Geschäft entsagte. Bei diesen Verhältnissen empfing Geistlichkeit und Volk den Grafen BalduinAlb. Acq. 505.  Caffari 249. im November 1100 mit großer 418 {1100} Feierlichkeit und Zuneigung; andere gewann er durch unbedingte Bestätigung ihrer Lehne, noch andere durch die Nachsicht, mit welcher er Rechnungen über das Erbe Gottfrieds prüfte und annahm.

Kluge und billige Männer suchten eine Aussöhnung Balduins mit dem Patriarchen zu Stande zu bringen; jener eilte aber, weil es seine nächste und höchste Pflicht so erheische, unverzüglich von Jerusalem hinweg um wider die benachbarten Feinde des Reiches zu streiten. Er zog gen Askalon, dann gegen räuberische Araber, endlich über Hebron nach Segor und der reichen Stadt Susum. Aus einem Orte hatten sich die Einwohner geflüchtet, an dem zweiten vertrauten sie der Stärke ihrer Stadtmauern, überall war jedoch die Beute groß. Andere Araber, welche in Höhlen wohnten und schon manchen Pilger erschlagen hatten, wurden durch Geschenke die man einzelnen bewilligte hervorgelockt, und dann, ungeachtet ihrer Klagen über die Arglist der Franken, getödtetFulcher Carnot. 406.  Gesta expugn. Hier. 580.  Alb. Acq. 307.  W. Tyr. 782.. Auf diesen Zügen gerieth das schwangere Weib eines arabischen Emirs in Balduins Gefangenschaft und gebar, dem Schrecken unterliegend, am Wege. Sogleich ließ ihr Balduin ein weiches Lager bereiten, Speise und Schläuche mit Wasser, Dienerinnen und Kameele übergeben, und bedeckte sie mit seinem eigenen Mantel. So fand der nachsetzende Emir am anderen Tage sein Weib, war von dem Augenblicke an ein treuer Freund ihres Erretters, und pries überall die Großmuth der Franken.

Als Balduin hierauf nach Jerusalem zurückkehrte, enthielt sich der Patriarch zwar alles äußerlichen Streites, wohl aber ward der frühere Zweifel erneut: ob es schicklich sey daß man an dem Orte einen Menschen kröne, wo Christus einst die Dornenkrone getragen habe? Zur Beseitigung dieses Zweifels führten Balduins Freunde an: »die Krone 419 {1100} sey Christus nicht aufgesetzt worden zur Ehre und Erhöhung, sondern zur Schmach; jetzt aber wo seine Lehre glänzend gesiegt habe, trete die göttliche Vorschrift mit ursprünglicher Kraft hervor, wonach man den König krönen solle, auf daß er mit der Krone die Verpflichtung übernehme, nach Recht und Gesetzen zu regieren. Außerdem werde das Ansehn der Christen dadurch in den Augen der Ungläubigen erhöht.« – Dieser Gründe halben ward Balduin am WeihnachtsfesteAlberic. 188.  Miraei opera diplom. III, p. 317, Urk. 34. – Ursp. zu 1100 erzählt, Balduin sey zu Pfingsten vom päpstlichen Legaten gekrönt, und dem stimmt auch Annal. Saxo bei; aber die anderen Stimmen überwiegen. Otton. Fris. chron. VII, 7. sagt, Balduin sey auctoritate summi pontificis erwählt worden. Alb. Stad. zu 1100. des Jahres 1100 vom Patriarchen gekrönt; um jedoch beide Ansichten zu vermitteln, nicht in Jerusalem, sondern in Bethlehem.

Balduin hatte sich in früher Jugend dem geistlichen Stande gewidmetGuibert. 548.  Orderic. Vital. 793.  Wilh. Tyr. 777. und einige wissenschaftliche Bildung erworben; er besaß Pfründen in Rheims, Lüttich und Cambrai. Bald aber trieb ihn seine Natur zu Krieg und weltlichen Unternehmungen. Er war ein schöner Mann, ungleich größer als Gottfried, seine Nase gebogen, Haar und Bart röthlich braun, die obere Lippe ein weniges vorragend, einfach und ernst in Kleidung, Gang, Worten, ja in jeglichem Beginnen. Nur die Keuschheit wird seinen Vorzügen nicht beigezählt; doch verursachte seine Neigung zum weiblichen Geschlechte keine Gewaltthätigkeit. Godehild, seine erste Frau, aus England gebürtig, war auf dem Zuge in Marasia gestorben; itzt hatte er die Tochter eines armenischen Fürsten Tafrok geheiratet, der am Taurus feste Schlösser und andere Reichthümer besaß, und dessen Feinde auch Feinde der Kreuzfahrer waren.

{1101} Das Mißverhältniß zwischen dem Könige und Tankred hatte sich mittlerweile nicht gelöset, sondern wurde doppelt 420 bedenklich, als Waldemar Karpenel diesen anklagte, daß er ihm Kaypha widerrechtlich vorenthalte. Auf dreimalige Ladung erschien der Fürst nicht, weil er keineswegs Balduin als seinen Lehnsherrn anerkannte, und eine spätere Zusammenkunft beider führte nur zu dem Beschlusse: man wolle nach vierzehn Tagen nochmals über die Bedingungen der Aussöhnung verhandeln. Schwerlich wäre man indeß darüber einig geworden, wenn nicht in diesem Augenblick eine Gesandtschaft Tankred eingeladen hätte die einstweilige Herrschaft von Antiochien zu übernehmen; worauf er sich endlich bereit finden ließ Tiberias und Kaypha unter der Bedingung zu räumen, daß der König ihn von neuem damit belehne, wenn er binnen einem Jahre und drei Monaten von Antiochien zurückkehreHugo von Falkenberg erhielt itzt Tiberias, Waldemar Karpenel aber Kaypha. Alb. Acq. 308.. Balduin wäre wohl noch härtere Bedingungen eingegangen, so sehr scheute er den tüchtigen Gegner, dessen Entfernung nicht allein jeder Edle, sondern auch das ganze Volk beklagte. Gleich nach dem Abschlusse obigen Vertrages eilte Tankred nach Antiochien, fand aber zu seinem Erstaunen die Thore verschlossen und ward erst aufgenommen, als er versprach, der Herrschaft zu entsagen, sobald Boemund aus seiner Gefangenschaft befreit seyHist. belli sacri 233..

Ein päpstlicher Gesandter und genuesische Pilger, welche mit einer Flotte bei Laodicea gelandet waren, hatten zur Herstellung der Einigkeit in Antiochien thätig mitgewirktTancredus in ordinatione Legati et Januensium Antiochiae principatum suscepit. Caffari 248., und segelten nun, auf des Königes Einladung, nach Joppe, um sich von hier zur Feier des Osterfestes nach Jerusalem zu begeben. Unter Freuden- und Ehrenbezeugungen holte sie Balduin selbst ein; aber die ängstlichste Besorgniß entstand, als sich am Feste das gewöhnliche 421 {1101} Wunder nicht erneuen, als sich die Lampe am Grabe Christi nicht von selbst entzünden wollte. Obgleich der Patriarch gar geschickt entwickelte, daß solch Wunder für gläubige Christen entbehrlich und nur in früherer Zeit für die Ungläubigen nöthig gewesen sey; so wollten doch viele sich dabei nicht beruhigen, und man suchte deshalb nochmals Hülfe im Gebet und in einem feierlichen Umzuge. Der König, der Patriarch, der päpstliche Gesandte, die Großen und das Volk nahmen daran Theil; und als sie zurückkehrten und die Thüren des Grabmals öffneten, siehe, da brannte die Leuchte und alle übrigen Lampen entzündeten sich im Umkreise der Kirche. Doppelt vertrauten nunmehr die Gläubigen dem unmittelbaren Beistande Gottes, während sich unter Zweiflern die Erklärung fortpflanzte: daß man den Draht, an welchem die Leuchte aufgehängt sey, mit Balsamöl bestreiche und dem, über das Dach hervorragenden Ende nur Feuer zu nähern brauche, um im Inneren des Tempels das Wunder der Selbstentzündung zu bewirkenAlulfar. 215-16..

Unterdeß war der Chalif von Ägypten Mosta, im December 1101 gestorben und es entstand innerer Krieg zwischen seinem Bruder BerarElmacin 295.  Abulfeda. und seinem, vom Vezier Afdal unterstützten Sohne, Al Amer. Dieser Umstand und die Erklärung der Genueser, daß sie Balduin beistehn wollten, wenn man ihnen ein Drittel der Beute überlasse und in jeder eroberten Stadt einen Bezirk ausschließlich einräume, führten, nach Ablauf des Waffenstillstandes mit den Saracenen, zu einem neuen Kriege. Zuerst ward Arsuf umlagert und zwar nicht allein von der Landseite, sondern, – weil keineswegs, wie zu Gottfrieds Zeit, die Schiffe fehlten –, auch von der Seeseite. Fast hatte man die Stadt durch Sturm schon eingenommen, als die Einwohner sich zur Übergabe verstanden und freien Abzug bis 422 {1101} Askalon erhielten. CäsareaWilh. Tyr. 784.  Sicardi chron. 587.  Vitriac. hist. hier. 1067.  Caffari 251., in einer fruchtbaren mit Quellen und Weiden reichlich versehenen Gegend, vertheidigte sich länger. Die Einwohner warfen hier den Christen vor, daß sie, wider ihr Gesetz, Mord und Gewalt verübten; worauf der Patriarch jenen bewies, daß sie unrechtmäßig des heiligen Petrus Gut inne hätten. Bei diesen Gesinnungen mißlangen alle Versuche einen Vergleich einzuleiten; der Patriarch, nebst dem genuesischen Konsul Wilhelm ermahnten das Volk zum Sturm und verhießen glücklichen Erfolg: ja Wilhelm hatte allen zuvoreilend schon die Mauer erstiegen, als hinter ihm die Leiter brach und nur ein, dem Anschein nach menschenleerer Thurm, dem Vereinzelten Rettung zu bieten schien. Er eilte die Stufen hinauf, ein Saracene eilte hinab; sie begegneten und umfaßten sich. Laß mich frei, sprach der Saracene, damit wir beide uns retten! Es geschah, und während dieser entfloh, erstieg Wilhelm den Thurm und winkte den Christen; sie folgten und bald war die äußere, bald auch die innere Stadt erstürmtDie Einnahme fällt auf den 7ten September 1101 nach Oliv. Schol. hist. reg. 1360; wogegen Caffari richtiger von einem früheren Aufbruch Ende Julius redet, die Flotte aber doch erst im Oktober nach Hause kommen läßt. Auch Sarudsch wurde nach Abulfeda 1101 erobert.. Diese Eroberung glich der von Jerusalem, und nur die Begierde nach dem Lösegelde konnte hin und wieder die Grausamkeiten hemmen. Allein auf der anderen Seite mehrte diese Begierde auch wiederum die Frevel: denn viele Bewohner und Bewohnerinnen hatten Gold und Edelsteine verschluckt, oder an geheimen Theilen des Leibes versteckt um sie zu rettenAlb. Acq. 310.  Gesta expugn. Hier. 583.  foeminae quoque bisantios intra se occultabant, quod et nefas erat sic recondendum, et turpe est satis ad recitandum.  Fulch. Carn. 410.; wodurch sie sich Martern und die schmerzhaftesten Todesarten zuzogen. Das erste Geschäft nach diesen 423 {1101} Freveln und der Theilung der Beute, war die Reinigung der Kirchen und die Wahl eines neuen Bischofes.

Ein saracenisches Heer, welches die Stadt entsetzen wollteUrsperg. chron. zu 1101, welches auch 30 Schiffe und 12000 Pilger um diese Zeit bei Joppe landen läßt, wovon aber die Zeitgenossen nichts wissen., kehrte um, weil es sich zu schwach fand; nachdem aber neue Mannschaften aus Ägypten angelangt waren, betrat es, 11,000 Reiter und 20,000 Fußgänger stark, die Gränzen des christlichen Reiches. In Jerusalem erschrack man aufs äußerste: denn da die Genueser schon wieder in ihre Heimath zurückgesegelt waren, so konnte der König, trotz aller Anstrengungen, den Feinden bei Ramla nur 260 Ritter und 900 Fußgänger entgegenstellen. Zugleich verbreitete sich (der Sage nach aus aufgefangenen Briefen) das Gerücht: die Saracenen hofften, im Vertrauen auf erhaltene Weissagungen, zu siegen, und wollten dann Jerusalem zerstören, Christi Grabmal niederreißen, kurz jedes Andenken vertilgen und jeden Überrest aus früheren Zeiten ins Meer versenken, damit es unmöglich werde daran fernerhin einen Wahn zu knüpfen, der sich fromm nenne, jedoch nur verderblich wirke. Den König und seine tapferen Begleiter ergriff in dieser Lage keineswegs ungebührliche Furcht, sondern es erzeugte sich in ihnen der hohe MuthAlb. Acq. 312.  Gesta exp. Hier. 586.  Fulcher Carn. 412., welchen wir oft bei christlichen Märtyrern bewundern: sie besiegten am achten September 1101, nach hartem Kampfe, eine Abtheilung der Ägypter und trieben sie gen Askalon. An einer anderen Stelle konnten aber die Christen dem stürmischen Angriff ihrer überlegenen Feinde nicht widerstehenAnna Comn. 275., und die wenigen, welche dem Tode oder der Gefangenschaft entkamen, berichteten in Joppe: daß alles verloren und der König umgekommen sey! Bald nachher erschien eine Abtheilung saracenischer Reiter, bestätigte diese 424 {1101} Nachrichten, zeigte die wohlbekannten Rüstungen mancher erschlagenen Ritter und verlangte die Übergabe der Stadt. Allein die Königinn hatte die Fassung nicht verloren, sondern das Nöthigste sogleich zur Vertheidigung angeordnet und zu Schiffe einen Eilboten nach Antiochien an Tankred gesendet, daß er komme und die Beschützung des Reiches übernehme. Während alle so in Joppe zu gleicher Zeit höchst betrübt und höchst thätig waren, nahte Balduin mit seiner Schaar, überfiel und zersprengte diejenigen Ägypter, welche von seinem Siege nichts wußten, und ward nun in Joppe mit unsäglicher Freude von allen Christen und von seiner Gemahlinn empfangen. – Acht Monate lang ruhten hierauf die Waffen und das Reich schien befestigt; in der That aber litt es, nach der Rückkehr so vieler Pilger in ihre Heimath, an großer SchwächeAlberic. 190 und zu 1208. Peter starb 1115 oder 1117 im Kloster zu Huy oder Hoja. (Anselm. Gembl.  Pagi zu 1215 c. 21). Bouquet XIII, 607.. Zuvörderst war nämlich Peter der Einsiedler nebst den Grafen von Montaigu und Clairmont zurückgesegelt. In Sturmsgefahr gelobten sie ein Kloster in Huy bei Lüttich zu bauen, dessen Vorsteher Peter bis zu seinem, im Jahre 1117 erfolgten, Tode war. – Auch Robert von Flandern verließ Palästina, kämpfte nach seiner Rückkunft für die Ansprüche der Kirche gegen den Kaiser und die weltliche Macht, und gab willig eigene Rechte auf, wenn sie mit den Ansprüchen des römischen Stuhles im Widerspruche standenAegidii gesta Pontif. Leodiens. in Bouquet XIII, 607.. Im Jahre 1111 unterstützte er seinen Neffen, den König Ludwig VI von Frankreich gegen den Grafen Thibaut von BloisSiehe die Beweise bei Wilken II, 24. cf.  Miraei op. dipl. Vol. I. Urk. 40 und 41, und 70.  Bouquet XIII, 420. – 1108 zog Kaiser Heinrich gegen Robert. S. Pantal. Chron. Würdtw., stürzte aber, als die Königlichen weichen mußten, auf der Marnebrücke bei Meaux, und starb drei Tage nachher eines kläglichen Todes.

425 {1101} Größer, aber auch verdienter, erscheinen die Unfälle Roberts von der Normandie. Während seiner Abwesenheit in Palästina hatte sein jüngerer Bruder, Heinrich I, ein Mann von großen Anlagen und ungemeiner Kraft des Charakters, den Thron von England bestiegen. Anstatt nun mit Nachdruck die eigenen Ansprüche geltend zu machen, oder ihnen bescheiden zu entsagen, reizte Robert die Besorgnisse seines Gegners durch stolzes Reden und erhöhte dessen Kühnheit durch lässiges Handeln. Schon in Apulien hielt ihn die Liebe zur Gräfinn Sibylla von Conversano, welche er heiratete, ein Jahr lang auf; ein zweites verfloß in der Normandie unter ungenügenden Rüstungen, und als er endlich nach England übersetzte, wo vielen seine Milde, ja seine Schwäche willkommen war, ließ er sich durch den Erzbischof Anselm von Canterbury bereden, dem Reiche für eine jährliche Einnahme von 3000 Mark zu entsagen, welche ihm später aber nicht einmal ausgezahlt wurden. Auch die Normannen, welche ihn so günstig aufgenommen hatten, lernten bald einsehen, daß er zur Herrschaft unfähig sey; und während Trägheit, thörichter Aberglaube und nichtswürdige Vergnügungen den Herzog täglich mehr und mehr erschlafften, nahmen in seinem Lande Frevel und Willkür gegen Kirchen, Klöster, Geistliche und Arme, unglaublich überhand. Wenn man ihn selbst beraubte, wenn seine eigenen Diener ihm die Kleider stahlen, und Untersuchungen und Strafen ganz abzukommen schienen, was mußten da nicht die hülfloseren Einwohner leiden? Deshalb kam Heinrich I, von den Normannen berufen, in das Land, schlug seinen Bruder im Jahre 1106 bei Tenchebray und nahm ihn gefangenHumes Heinrich I.  Bromton 998.  Radulph a Diceto abbrev. Chron. zu 1134.  Orderic. Vital. 778.  Roger. Hoveden 471.  Wilh. Malm. 154.  Guil. Neubr. I, 3.  Alberic. 187.  Order. Vital. 722.  Guil. Gemet. VIII, 1.  Morign. chr. 365.  Pagi critica zu 1134, c. 39.  Waverl. ann. zu 1106.  Hemingford I, 27.  Concil. XII, 1126.. Acht und zwanzig Jahre einer, jedoch keineswegs strengen Haft, füllte Robert mit den, ihm 426 {1101} gern bewilligten unbedeutenden Genüssen und Vergnügungen, und gab durch sein ganzes Leben den Beweis: daß persönlicher Muth, ohne Kraft des Willens und Charakters, eine geringe Gabe, Milde ohne Urtheil aber bloße Schwäche ist.

Diese Unfälle, welche einzelnen Anführern der Pilger erst in späteren Jahren zustießen, konnten indeß die große Vorliebe für die Kreuzzüge nicht mindern; im Gegentheil, nachdem das Schwerste gelungen war, schien keine Hoffnung zu kühn und jeder meinte, seiner warte im Morgenlande der größte Ruhm und ein reichlicher Besitz. Zu diesen inneren Anregungen gesellten sich noch manche äußere. Kaiser Heinrich IV ließ damals das Kreuz predigenCorner 636.  Alberic. 191.  Pagi crit. zu 1100, c. 19.  Concil. XII, 1089. um Gunst bei Weltlichen und Geistlichen zu erlangen; der Papst bannte alle die sich früher zum Zuge verpflichtet, ihn aber nicht angetreten hatten; Hugo der Große endlich und Stephan von Blois, welche übereilt zurückgekehrt waren, glaubten Spöttereien und Vorwürfe nur durch ein neues Unternehmen austilgen zu können. So sammelten sich drei Heere (denn einzeln versuchte kein Pilger mehr den gefährlichen Weg anzutreten): das erste in Italien unter dem Erzbischofe Anselm von Mailand, und den Grafen Albert und Guido von Blandrate; das zweite in Frankreich unter Hugo dem Großen, Stephan von Blois, den Grafen Wilhelm von Nevers, Wilhelm von Poitou, und Stephan von Burgund; das dritte in Deutschland unter dem Erzbischofe Themo von Salzburg, dem Herzoge Welf von Baiern und mehren anderenOtton. Fris. chr. VII, 7.  Ekkeh. 525.  Orderic. Vit. 789. spricht von 500,000 Pilgern; Alb. Acq. 317 mit Weibern und Kindern von 260,000 Menschen; Anna Comn. 260 von 50,000 Reitern und 100,000 Fußgängern; Ann. Saxo läßt während des Winters 1100, in Bulgarien 50,000 Longobarden lagern. Wir müssen das Einzelne über die Richtung und Vereinigung der Heere übergehn.. Nicht bloß Bewaffnete, nicht bloß 427 {1101} Männer nahmen an dem Zuge Theil, sondern auch Weiber und Kinder; und Wilhelm von Poitou, der an Tapferkeit keinem nachstand, als Sänger Ruhm verdiente und in leichtsinnigen Scherzen selbst die Schauspieler und Lustigmacher übertrafGuibert 547. nimiumque jocundus, facetos etiam histriones facetiis superans multiplicibus. Ord. Vit. 7. l. c.  Hist. hieros. pars 2. p. 602., soll Schaaren von Mädchen mit sich geführt haben. Es ist sehr natürlich, daß 150,000 Pilger, – denn das ist die geringste Angabe –, bei solcher Mischung, unter so vielen unabhängigen Führern, von Armuth bedrängt oder vom Übermuthe beherrscht, keineswegs Zucht und Ordnung hielten. Deshalb ertheilte Kaiser Alexius einerseits zwar den Bedürftigen Geschenke und Almosen; andererseits aber that er alles MöglicheAnnal. Saxo zu 1101., daß sie sich nicht im Lande zerstreuen, oder in ungeheurer Zahl nach Konstantinopel pilgern konnten. Die Gottesfurcht einzelner entschuldigte oder rechtfertigte Frevel der Menge nicht; und die Führer hätten durch ein offenes Benehmen und durch Handhabung angemessener Strenge, des Kaisers nur zu natürliche Besorgnisse vermindern und nicht, oft übertriebenem, Argwohne nachhängen sollen. In dieser Stimmung verwarfen die, zuerst anlangenden, Lombarden des Kaisers weise Rathschläge: »sie möchten die nachrückenden Abtheilungen von Deutschen und Franzosen erwarten, den sicherern Weg an den Küsten Kleinasiens erwählen, Vorsichtsmaaßregeln gegen die gefährliche Macht der Türken ergreifen u. s. w.« Zu kühn, und wahrscheinlich von dem Erzbischofe von Mailand aufgeregt, meinten die Lombarden: es sey nichts gethan, so lange man nicht die Thaten der ersten Kreuzfahrer übertreffe, in das Innere von Asien 428 {1101} eindringe, Chorasan erobere und das Chalifat in Bagdad zerstöre! Sorglos und allen Ausschweifungen fröhnend, zogen sie von Nikomedien nach AncyraEs ging eine Straße über Ancyra, Archelais und Tyana nach Cilicien; vielleicht wollte man diese anfangs einschlagen, ließ sich aber nachher unvorsichtig weiter fortreißen. Mannerts Geographie V, 2, 232., geriethen aber dann, der Wege, der Sprache, der fremden Völker ganz unkundig, in Verlegenheit und ließen den Kaiser ersuchen: er möge den Grafen von Toulouse (der Hülfe suchend nach Konstantinopel gekommen war) bewegen, daß er mit der heiligen Lanze zu ihnen stoße und ihr Führer werde. Nur ungern entschloß sich Raimund hiezu: denn er hatte gegen diese Art und Richtung des Zuges gewarnt, und durfte, so wenig wie der, von Alexius als Führer mitgeschickte Grieche Tzitas hoffen, daß man seine Rathschläge befolgen werde. Auch eilten die Pilger, ohne darauf Rücksicht zu nehmen und sogar ohne innere Einigkeit, zum Halys, verbrannten jenseits desselben eine Stadt und tödteten die meisten Bewohner, obgleich diese Christen waren und von ihren Priestern geführt, ihnen friedlich entgegenkamen. Noch tiefer wagte man sich itzt ins Land, bis nach Amasia, bis zum Pontus; aber nun brach über die Tollkühnen auch unermeßliches Unglück herein. Die Türken, welche alle vorliegenden Dörfer zerstört, die Lebensmittel hinweggeschafft, die Nahrung für die Pferde verderbt und die Quellen verschüttet hatten, umgaben das christliche Heer auf allen Seiten mit einer Überzahl von Reiterei. Von Tage zu Tage stieg deshalb die Hungersnoth, Kraft und Muth sanken, und die Hitze des Sommers raubte fast die Besinnung: theils hiedurch, theils in den schrecklichen, mehre Tage hindurch dauernden Gefechten, fanden fast alle Pilger ihren Tod!

Die, unter den Grafen von Nevers, von Poitou und dem Herzoge Welf von Baiern folgenden Abtheilungen, 429 {1101} erlitten, aus gleichen Gründen und bei gleichen Umständen dasselbe SchicksalChristianos, superbe et cum multis lenociniis saevientes, - dissipans etc. Liber de castro Ambasiae in Dachery spic. III, 279.; welches auch genügend erklärt ist, ohne daß man nöthig hätte Alexius eines unbewiesenen Einverständnisses mit den Türken zu beschuldigen, und die feierlichste Versicherung seiner Unschuld, für einen Meineid zu erklären.

Die geringen Überreste so ungeheurer Heere sammelten sich theils in Konstantinopel und erreichten zu Schiffe Syrien, theils kamen sie über Tarsus nach Antiochien zu Tankred: {1102} aber der Erzbischof von Mailand starb in Konstantinopel, Hugo der Große in Tarsus, Herzog Welf in Cypern, der Erzbischof von Salzburg und Ida, die Mutter des Markgrafen Leopold von Österreich, wurden gefangen, wenige von den Führern sahen Jerusalem, noch wenigere ihre Heimath wiederWeingart. mon. 784.  Alb. Acq. 321.  Gesta expugn. Hier. 587.  Landulph. jun. 2.  Admontense chr. zu 1101. Rauch Gesch. von Österreich I, 293.; – und so blieb diese zweite gewaltige Bewegung des Abendlandes, fast ohne alle Frucht für die morgenländischen Staaten.

Doch wagte Balduin, im Vertrauen auf die daher entstandene, obgleich nur geringe Vermehrung seiner Streiter, einem größeren ägyptischen Heere entgegenzuziehen, ward aber geschlagen und in Ramla von den Feinden eingeschlossenWilh. Tyr. 788.  Alb. Acq. 328.  Fulcher Carn. 415.  Hist. hier. p. 2. pag. 604.  Oliv. schol. hist. reg. 1361.. Keine Rettung schien für ihn möglich, als in der Nacht jemand an den Mauern erschien und ihn dringend zu sprechen verlangte. Er ward eingelassen, vorgeführt und sprach: »ich bin der arabische Emir, dessen Weib durch deine Milde erhalten worden ist, und will dich dankbar aus den Händen deiner Feinde erretten, sobald du mir folgest.« Der König vertraute dem Araber, und wollte die neu erhaltene Freiheit benutzen um ein Heer für den 430 {1101} Ersatz von Ramia zu sammeln; aber erst nach dreitägigem, mühsamem und gefährlichem Umherirren erreichte er mit zwei Begleitern Arsuf, während dessen jene Stadt erobert und ihre Besatzung niedergehauen wurde. Die Sieger zogen hierauf nach Joppe und zeigten den Bewohnern den Kopf des Ritters Gerbod, welcher dem Könige so ähnlich war, daß die Behauptung, dieser sey umgekommen, um so eher Glauben fand, da keiner von seinem Schicksal etwas wußte. Desto größer war die Freude, als er zu Schiffe in Joppe eintraf. Wahrscheinlich aber hätte man auch diese Stadt verloren, wenn nicht die saracenische Flotte von einer eben anlangenden christlichen besiegt worden wäre; worauf Balduin, durch die Schiffsmannschaft verstärkt, aus der Stadt hervorrückte, sich mit Hugo von Tiberias vereinte, die Feinde schlug und ihr Lager eroberte. Zwar konnte man nach diesem unerwarteten Siege nicht, wie man anfangs hoffte, sogleich Askalon einnehmen; allein in Augenblicken der höchsten Gefahr einen Waffenstillstand auf sieben Monate abschließen zu können, erschien in der That schon als ein großer Vortheil.

Wären nur nicht stets, neben diesen äußeren Gefahren, innere Zwistigkeiten unheilbringend hergegangen! Die alte Feindschaft zwischen dem König und dem Patriarchen Daimbert brach, wohl nicht ohne Anreizung des verschlagenen Arnulf, immer wieder aus; und da niemand ihre wechselseitigen schweren Anschuldigungen entscheiden konnte, berief sich Balduin auf den Papst Paschalis II, welcher seinem Gesandten, dem Kardinal Moritz, die Untersuchung übertrug. Vieles ward hiebei dem Patriarchen vorgeworfen: Meineid, Verrath am König, ein Versuch ihn tödten zu lassen, endlich, – damit ein Punkt, das Volk in Bewegung zu setzen, nicht fehle –, der Verkauf eines Theils von dem heiligen KreuzeAlb. Acq. 308: lignum minuit et dispersit. Vgl. 332.  Thomassinus P. I, lib. I, c. 26.  Conc. XII, 966.. Durch den König, die Geistlichkeit und das 431 {1101} Volk auf gleiche Weise bedrängt, konnte Daimbert sich nicht sogleich über alles ausweisen. Er wurde deshalb durch den päpstlichen Gesandten, bis auf weitere vollständige Rechtfertigung, von seinem Amte entfernt und ihm die Weihung des heiligen Öles auf dem Ölberge zum Osterfeste, untersagt. Diese letzte Zurücksetzung kränkte ihn besonders tief, und da Worte und Bitten die Aufhebung des Verbotes nicht bewirken konnten, so zahlte er dafür endlich dem König eine große Geldsumme, und gewann auch vielleicht den Kardinal durch ähnliche Mittel. Wenigstens wurden bald nachher beide so befreundet, daß sie sich in die Gaben der Pilger theilten, und gemeinsam Tag und Nacht schmausten und tranken, jedoch ohne Vorwissen des Königes. Als es aber diesem endlich hinterbracht wurde, überraschte er sie und stellte ihnen zornig vor: daß sie der Üppigkeit nachhingen, während er und die Krieger an allem Mangel litten und sich den größten Gefahren aussetzten; daß der Patriarch seine Schätze vergeude oder verberge, statt sie für das Beste des Reiches zu verwenden. Daimbert erwiederte heftig: »die Diener der Kirche müssen von der Kirche leben, sie selbst aber soll nicht herabgewürdigt werden zum Dienen und Gehorchen, und jede Zumuthung der Art werde ich mit apostolischer Hülfe abzuhalten wissen.« Da rief der König: »hütet euch, daß ich in unserer Bedrängniß den Soldaten nicht allein die Einnahmen der Kirche, sondern auch ihr ganzes Besitzthum vertheile. Erst, wenn die Macht der Saracenen gebrochen seyn wird, bleibt es mein Geschäft, die Kirche von neuem mit Gütern und tauglichen Dienern zu versorgen.«

{1102} Zu spät bewilligte der Patriarch Einiges und Ungenügendes; er mußte nach Antiochien entweichen, und seine Diener, welche der Gewalt nicht widerstehen konnten, verriethen dem Könige dessen aufgehäufte Schätze, an 20,000 Byzantiner. Den Kardinalgesandten hatte Balduin geschont und von seinem angeblichen Freunde zu trennen gewußt. Auf Tankreds Vermittelung ward indessen 432 {1102} Daimbert vorläufig noch einmal eingesetzt und die letzte Entscheidung dem päpstlichen Gesandten Robert vorbehalten, welcher nach Moritzens Tode in Palästina angekommen warCardella I, 61.. Dieser sprach an der Spitze der versammelten Geistlichkeit, auf den Grund der älteren, itzt noch vermehrten Beschuldigungen das Verdammungsurtheil über den Patriarchen aus, und an seine Stelle ward, mit Beistimmung des überall thätigen Arnulf, Ebremar gewählt, ein Mann von ansehnlichem Äußeren, löblichen Gesinnungen und tadellosen Sitten, aber nur von mittelmäßigen Geistesgaben.

Bei solchen Bewegungen im Inneren, solchen Gefahren von außen, bei der fast unübersteiglichen Schwierigkeit zu Lande Unterstützung aus Europa zu erhalten, würde die Macht der Christen in Palästina bald vertilgt worden seyn, wenn nicht die Freistaaten Italiens, Pisa, Genua und Venedig von itzt an ununterbrochen den lebhaftesten Theil an der Behauptung der morgenländischen Besitzungen genommen und ihre Erweiterung eifrigst gewünscht hätten. Zwar wurden sie wohl noch mehr durch Handelszwecke, als durch religiöse Ansichten, bestimmt; wenn aber auf lange Zeiten hinaus die Thätigkeit nach jenen Gegenden gerichtet bleiben sollte, so bedurfte es dazu in der That mehr als einer fortdauernd wirksamen Triebfeder. Leider geriethen indeß diese Staaten allmählich aus bloß weltlichen Rücksichten selbst in Fehden, und schon in diesem Augenblicke führte die engere Verbindung Venedigs mit dem griechischen Reiche dahin, daß Pisa und Genua dieses weniger achteten und alles, was davon leicht zu erobern war, für gute Beute hielten. Daher rüstete sich Alexius mit Recht, als erhörte, daß eine pisanische nach dem Morgenlande bestimmte Flotte, im Vorbeisegeln Korfu, Leukas und Zakynthos feindlich behandelt habe; zwischen Patara und Rhodus trafen die Griechen und Pisaner im Jahre 1103 auf einander. Jene hatten an dem Vordertheile ihrer Schiffe, scheinbar nur zur Zierde, 433 {1103} Löwenköpfe angebracht, welche aber durch eine künstliche Vorrichtung Feuer spienAnna Comn. 266.  Alberic. 193.  Caffari 253. und wodurch vielleicht, der Erwartung gemäß, die pisanische Flotte vertilgt worden wäre, wenn nicht ein Sturm die Kämpfenden getrennt hätte. In Rhodus fanden und tödteten die Griechen mehre Lateiner (unter ihnen einen Verwandten Boemunds), weil die Androhung der Sklaverei sie nicht zu schrecken schien; die Pisaner dagegen plünderten Cypern, bis sie zurückgetrieben wurden und dann in Laodicea bei dem, unterdeß befreiten Boemund, eine günstige Aufnahme fanden.

{1104} Später erreichte auch eine genuesische Flotte ohne Unfall diese GegendenGuido Spinola führte nach Crescenzi I, 412 im Jahre 1102 eine genuesische Flotte; wahrscheinlich dieselbe, von der hier die Rede ist.; denn die griechischen Schiffe waren seitdem durch Stürme theils zerstreut, theils beschädigt worden. Allen neuangekommenen Kreuzfahrern schlug nun König Balduin vor: ihm bei der Belagerung von Akkon oder Ptolemais Hülfe zu leisten, welche Stadt er im Jahre 1103 zwar umlagert, jedoch durch die Tapferkeit und Übermacht der Feinde und nach einer erhaltenen schweren Wunde, nicht eingenommen hatte. Die Genueser versprachen Akkon von der Seeseite einzuschließen, sobald man ihnen den dritten Theil der Seezölle, eine Kirche und einen Antheil an der Stadt selber bewillige. Dies geschah und schon am zwanzigsten Tage der Belagerung erklärten sich die Bewohner zur Übergabe bereit, wenn man ihnen mit Weibern und Kindern und allen beweglichen Gütern, freien Abzug gestatte, denen aber, welche von dieser Begünstigung keinen Gebrauch machen wollten, erlaube, gegen eine jährliche Zinszahlung in der Stadt zu bleiben. Alles dies ward feierlich genehmigt, und im Vertrauen auf das gegebene Wort, zogen die Bewohner am 26sten Mai 1104 unbesorgt von dannenWilh. Tyr. 791.  Gesta expugn. Hier. 590.  Baluz. misc. I, 432.  Ursp. chr. zu 1104; Alb. Acq. setzt die Einnahme Akkons auf den Himmelfahrtstag, den 26sten Mai 1104; Oliv. Schol. hist. reg. hat dagegen den 9ten Mai.. Aber die Pisaner und Genueser, welche schon bei 434 {1104} den Berathungen, allen christlichen und staatsklugen Gründen für eine milde Behandlung widersprochen hatten, brachen itzt in freventlicher Geldgier den Vertrag, plünderten, mordeten und rissen durch ihr Beispiel viele von den anderen, nicht minder habsüchtigen und leidenschaftlichen Pilgern zu gleichen Unthaten fort. Balduin zürnte hierüber mit Recht gar sehr, und schwerlich würden die Frevler, trotz den Vorbitten des Patriarchen, einer harten Strafe entgangen seyn, wenn dem Könige nicht die hinreichenden Mittel zur Vollziehung gefehlt, und wenn er nicht befürchtet hätte, dadurch eine Entzweiung zu veranlassen und alle weiteren Eroberungen unmöglich zu machen.

Ehe aber von diesen weiteren Eroberungen die Rede seyn kann, muß die Geschichte der nördlichen Christenstaaten nachgeholt werden. Über den Besitz von Laodicea, über die Anrechte auf die syrischen Küstenstädte und auf Cilicien war, seit der Belagerung von Antiochien, Streit zwischen den Kreuzfahrern und den Griechen. Diese beriefen sich auf ihr altes Recht und den, seit Jahrhunderten nur kurze Zeit unterbrochenen Besitz, auf den Lehnsvertrag mit Boemund, und auf die eigenen Äußerungen der Pilger, daß ihr Ziel bloß geistlich und nach Jerusalem gerichtet sey. Aber so wenig konnten die Griechen ihre Gründe mit den Waffen unterstützen, daß Tankred, sogar während der Gefangenschaft Boemunds, mehre cilicische Städte und auch Laodicea eroberteOrder. Vital. 773.  Wilken hist. Comn. 370.. Graf Raimund von Toulouse, welcher sich um Hülfe gegen die normannischen Fürsten zu suchen, wie gesagt, nach Konstantinopel begeben und an dem unglücklichen Zuge der späteren Kreuzfahrer in das Innere von Kleinasien, Theil genommen hatte, ward, als er endlich zurückkehrte und in der Gegend von Antiochien landete, durch 435 {1104} Tankred gefangen genommen und nur für großes Lösegeld befreiet. Die Beschuldigung, daß er vorsätzlich zum Untergange jener Pilger in Kleinasien beigetragen habe, stimmt nicht mit dem Eifer, welchen die Überreste der letzten für seine Auslösung bezeigten, und ist wohl so wenig der Wahrheit angemessen, als daß Boemunds Befreiung durch feindselige Absichten des Kaisers Alexius herbeigeführt worden seyAlb. Acq. 335-339.  Sicard. chron. 587.  W. Tyr. 790.  Order. Vital. 796-799.  Dieser sagt: die Türken hätten Boemund parvum deum Christianorum genannt.. Wenigstens erwähnt der Normann, unter allen seinen späteren Vorwürfen gegen die Griechen, solcher Plane nicht. Alexius, so wird aber erzählt, bot große Summen an Kameschtekin, wenn er ihm Boemund ausliefere. Diese Summen verlangte der Sultan Kilidsch Arslan von Ikonium zur Hälfte für sich, und kündigte, nach erhaltener abschlägiger Antwort, Kameschtekin Krieg an, obgleich dieser unter andern Gründen des Weigerns, auch den sehr genügenden anführte, daß er selbst noch nichts wirklich erhalten habe. In solcher Bedrängniß fragte Kameschtekin den Fürsten selbst um Rath, und mit Hülfe der christlich gesinnten Tochter des EmirsNach Order. Vital. begleitete diese Tochter Boemund nach Antiochien und heiratete seinen Neffen Roger., vereinigten sie sich dahin: daß Boemund für seine Befreiung 100,000 Byzantiner an den Emir zahlen, beide aber sich gegen gemeinschaftliche Feinde vertheidigen wollten.

Als Boemund hierauf im Mai des Jahres 1104 nach Antiochien zurückkam, freute er sich sehr über die tüchtige Verwaltung Tankreds; doch regte sich einiger Verdacht, daß dieser die Verlängerung seiner Gefangenschaft nicht ungern gesehen habe, und fast wäre über die Frage: ob auch das neu Eroberte an Boemund zurückzugeben seyRadulph. Cadom. 203., heftiger Streit entstanden, wenn nicht andere Fehden zur Einigkeit 436 {1104} gezwungen hätten. Alexius erneuerte nämlich seine Forderungen und Vorwürfe, worauf aber Boemund ihm frühere Übertretung der Verträge Schuld gab und behauptete: von Seiten des Kaisers sey das Verlangen nach Besitzungen, welche ein anderer mit so großer Anstrengung gewonnen habe, zum mindesten unbillig; ganz thöricht aber würde die Einwilligung in ein solches Verlangen von seiner, Boemunds Seite, erscheinen. Eben so wies er den Griechen Butumites, welcher vorgeblich einen Frieden stiften wollte, als gerade pisanische Schiffe in Laodicea lagen, mit den strengen Worten zurück: »du bist nicht gekommen um des Friedens willen, sondern um heimlich die Schiffe anzuzünden; freue dich, daß wir dafür nicht harte Strafen an dir vollziehen.« Der Krieg gegen die Griechen begann also von neuem. Boemund gedachte Carium in Cypern zu erobern, welcher treffliche Hafen in griechischen Händen doppelt gefährlich war, weil alle Flotten des Abendlandes vorbeisegeln mußten und leicht überrascht und genommen werden konnten: aber diesmal kam ihm Alexius zuvorAnna Comn. 267.  Hist. belli sacri 234. und legte eine so starke Besatzung in die Stadt, daß der Fürst seine Unternehmung aufgab. Bald darauf eroberte Kantakuzenos, der griechische Admiral, Maraklea, Gibellum und mehre Küstenstädte bis in die Gegend von Tripolis; aber Laodicea widerstand allen Angriffen und allen Künsten der Verführung, und als endlich die Stadt nicht mehr zu halten war, vertheidigte sich noch immer die Burg, in der gerechten Hoffnung, daß Boemund zum Entsatze herbeieilen werde. Er kam und fragte Kantakuzenos: »ob er die Städte mit Geld oder mit Gewalt einzunehmen gedenke?« Stolz antwortete der Grieche: »das Geld haben meine Söldner empfangen, vor deren Tapferkeit du bald erschrecken wirst.« Ohne Zögern ließ Boemund hierauf zum Angriffe blasen, schlug die Griechen, befestigte die Burg aufs neue, und würde sein 437 {1104} Glück noch weiter verfolgt haben, wenn nicht gleichzeitig andere Gefahren hereingebrochen wären.

Balduin von Burg, der neue Graf von Edessa, hatte nämlich Morsia, die Tochter des Fürsten Gabriel von Melitene geheiratet, gerieth aber hiedurch in noch verwickeltere Verhältnisse zu den benachbarten Staaten: wenigstens schien es ihm vortheilhaft, seinem Vetter, dem Grafen Joscelin von Courtenay, die Orte Tellbascher und RavendanWilh. Tyr. 790.  Abufeda zu 1103–1105., kurz das Land diesseits des Euphrats, nur mit Ausnahme von Samosata anzuvertrauen. Joscelin war ein kluger, tapferer, einfacher und sparsamer Mann; aber seine Sparsamkeit führte ihn bisweilen zur Habsucht, seine Festigkeit zum Starrsinn und seine Tapferkeit zu unruhiger Kriegslust. Wären die Türken einig gewesen, hätten sie ihren Unterthanen vertrauen können; so möchte ihnen gegen die, so oft ebenfalls uneinigen Christen und deren übelgesinnte Unterthanen, weit mehr gelungen seyn. Aber die Brüder Muhamed und Borkeiarok, die Häupter der Seldschuken, bekriegten sich mit kurzen Unterbrechungen, bis der letzte 1104 starb; und sein Sohn Malek mußte der Übermacht des Oheims weichen, so wie in Damaskus der Sohn Dokaks, dem Atabeken Togthekin. In Mosul war auf Korboga, Dschekermisch gefolgt, und Sokman der Ortokide hatte wieder Ansehn gewonnen. Beide rüsteten sich itzt, wahrscheinlich im Einverständnisse mit Sultan Muhamed, gegen die Franken von Edessa, und Boemund zog mit Tankred diesen zu Hülfe um wo möglich Harran zu erobern, ehe jene wirklich ins Feld rückten. Auch waren die Bedingungen schon festgesetzt, unter welchen die, durch Hunger bedrängte, Stadt sich ergeben wollte, als Boemund und Balduin von Edessa in Streit geriethen: wem Harran zu übergeben und wessen Fahne voranzutragen sey? Schrecklich war die Strafe dieser Zögerung: denn am anderen Morgen sahen sich die Christen von 30,000 Türken unter jenen Anführern umringt, und 438 {1104} wurden, weil viele nur mit geringem Muthe fochten, gänzlich geschlagen und Balduin von Edessa nebst dem Grafen Joscelin gefangen. Boemund nahm des letzten Besitzungen in Schutz und Tankred vertheidigte mit Erfolg Edessa gegen die Türken; alle neuen Eroberungen am Euphrat und in der Gegend von Antiochien gingen aber verloren. Geschickt wußten endlich auch die Griechen aus diesen unglücklichen Umständen Vortheil zu ziehen, und eroberten unter der Führung von Monastras, die Städte Tarsus, Adana, Mamistra, Longinias, ja fast ganz Cilicien.

In solcher Bedrängniß, wo es an Geld und an Kriegern fehlte, ja fast alle Hoffnung verschwand, beschloß Boemund persönlich Hülfe im Abendlande zu suchen. Tankred, dem er einstweilen die Verwaltung Antiochiens anvertrauen wollte, fand seine Entfernung in diesem Augenblicke sehr bedenklich, aber dem Anerbieten, die Reise selbst zu übernehmen, stellte Boemund die Bemerkung entgegen: daß kaum die Bemühungen des Angesehenern hinreichenden Erfolg haben würden, und die Hoffnungen, welche er im Stillen von einem neuen Kriege in Europa gegen Alexius hegte, waren so glänzend und verführerisch. daß er sie keinem anderen abtreten mochte. Um nun aber den Griechen nicht bei dem Übersetzen nach Europa in die Hände zu fallen, ließ er sich, als sey er gestorben, in einen Sarg legen und feierlich zu Schiffe tragenNach Anna 270 ließ er sogar einen todten Hahn neben sich legen, um durch Geruch zu täuschen.. Erst bei der Landung in Korfu entsagte er nicht bloß dieser ängstlichen Vorsicht, sondern ließ sich auch durch seinen Haß zu vielen Drohungen gegen Alexius verleiten, welche dessen Argwohn bestärkten und ihm Veranlassung gaben zur Befestigung von Dyrrhachium, zur Aufstellung einer Flotte an den Küsten, und zur Sammlung eines Heeres bei Thessalonich.

Boemund landete im Jahre 1105 in Apulien und zog durch Italien nach FrankreichChron. Barense.  Alberic zu 1103. Hist. francicae fragm. ap. Duchesne IV, 98.  Fulcher Carn. 852.  Order. Vital. 589. Boemund war auch in Genua. Folieta zu 1100.; überall als einer der 439 {1105} ersten Helden des Kreuzes mit der größten Begeisterung aufgenommen. Auch König Philipp I von Frankreich blieb hierin so wenig zurück, daß er nicht verschmähte sich mit dem neuen, aber durch große Thaten schnell gehobenen Geschlechte zu verbinden: er gab seine schöne Tochter KonstanzeAnna Comn. Buch 12. – Boemundus tam donis, quam promissis copiosus. - Constantia moribus faceta, persona elegans, facie pulcherrima.  Suger vita Ludov.  I, c. 9. p. 288.  Pagi crit. zu 1106, c. 7.  Concil. XII, 1123., welche wegen Verwandtschaft von ihrem ersten Gemahle Hugo von Champagne geschieden war, an Boemund, {1106} und sandte die zweite, Cäcilie, nach Antiochien für Tankred. So mit der weltlichen Macht befreundet, vom Papste durch einen Gesandten unterstützt, mußten Boemunds feurige Reden von den Verdiensten, dem Ruhme und dem Glücke der Kreuzfahrer, von den Freveln der Türken und von des griechischen Kaisers Feindschaft, großen Eindruck machen und viele zur Annahme des Kreuzes bewegen. Vor allem aber suchte er, denn so erforderten es seine nächsten Plane, gegen Alexius aufzureizen: er sey der Urheber aller Unfälle der Christen, ein Wortbrüchiger, ein wahrer Heide! Zur Widerlegung so harter Beschuldigungen erließ dieser Schreiben an Pisa, Genua und Venedig, und viele, aus der ägyptischen Gefangenschaft durch seine Verwendung befreite abendländische Ritter, verkündeten sein Lob. Und in der That konnte der Kaiser nicht geringere Gegenbeschuldigungen aufzählen und das vortheilhafte Zeugniß des Grafen Raimund von Toulouse, dem nachtheiligen Boemunds gegenüber stellen. Denn der Normann war Hauptursache, daß das Verhältniß zwischen den Griechen und den Pilgern zu beiderseitigem Unglücke sogleich feindselig ward; und wenn jene, eine natürliche Folge der Schwäche ihres Reiches, nicht überall große Mittel anwandten, so läßt sich behaupten, daß man, im 440 {1106} Falle dieselben zu Gebote gestanden hätten, gewiß strenger gegen die Unbilden verfahren wäre, welche sich die Pilger unter allerhand Vorwänden zu Schulden kommen ließen. Blieben doch kleine Mittel, wohin wir Schmeicheleien, Geldvertheilungen, Geschenke u. s. w. rechnen, keineswegs ohne Erfolg, gingen doch alle abendländischen Fürsten darauf aus, Landbesitz zu erwerben. Wie natürlich also, daß Alexius bei diesen Umständen nicht bloß fromme Begeisterung erblicken konnte; und wenn wir das Wichtigere zugeben, daß die Griechen überhaupt damals keiner Begeisterung mehr fähig waren, so wird der Tadel keineswegs unbillig erscheinen: daß die Kreuzfahrer nicht begreifen konnten oder wollten, was der sorgsame Pfleger eines kranken Staates, in solchen Lagen zu thun, sich für verpflichtet halten mußte.

Während Alexius den dalmatischen Fürsten Bolkan, und den Herzog Gregorius Taronites von Trapezunt bekriegen, während er die Verschwörung des Senators Soloman und der Brüder Anemas unterdrücken mußte, {1107} konnte Boemund ungestört seine Kriegsrüstungen fortsetzen. Dem Kaiser erschien es als ein genügender, ja als der größtmögliche Vortheil, wenn seine Flotte nur die Landung der Normannen verhindere; aber der griechische Feldherr Isaak Kontostephanos wollte noch mehr thun, er griff die apulische Stadt Hydrunt an, welche Boemund gehörte und wo eine Verwandte desselben den Oberbefehl führte. {1108} Listig begann diese, in äußerster Bedrängniß, Unterhandlungen und gewann dadurch Zeit, bis die Normannen herbeieilten, die Griechen schlugen und in ihre Schiffe zurückdrängten. Bei dieser Gelegenheit nahm man einige Petschenegen gefangen, welche Boemund eiligst dem Papste Paschalis vorstellte um ihm zu zeigen: welche Heiden, schrecklichen Anblickes, der griechische Kaiser wider die Christen aussende, und wie es nicht minder verdienstlich sey, gegen ihn das Kreuz zu nehmen, als gegen die Saracenen.

441 {1108} Endlich hatte Boemund seine Vorbereitungen beendet, und im Oktober 1108Wilh. Tyr. 798 spricht vom Oktober 1107, dagegen Sicard. chr. 588, Alb. Acq. 354, Fulcher Carn. 420 vom Oktober 1108, womit auch das Chr. Barense übereinstimmt, welches obige Zahl der Schiffe nachweiset. segelte die normannische Flotte von Brundusium ab, 200 größere und kleinere Schiffe und dreißig Galeeren. Isaak Kontostephanos stellte sich krank und übergab den Oberbefehl an Landulf: aber auch dieser wagte nicht die Mächtigeren anzugreifen, und so landete ohne Hinderniß bei Aulon ein Heer von wenigstens 33,000 MannWilh. Tyr. hat 5000 Reiter oder Ritter und 40,000 Fußgänger, Anon. Barensis überhaupt 33,000 Ritter und Fußgänger, Fulcher Carn. II, 26, 5000 milites u. 60,000 Fußgänger, Alb. Acq. X, 39, 12,000 milites und 60,000 Fußgänger, Dandolo 260, 4000 milites und 40,000 Fußgänger.. Ein Eilbote lief nach Konstantinopel, fiel vor Alexius, der eben von der Jagd zurückkehrte, fast erschöpft nieder und rief laut aus: »Boemund ist gelandet!« Alle verstummten vor Schrecken, so sehr wurde der Normann gefürchtet, nur der Kaiser behielt äußerlich die Fassung und sprach: »erst laßt uns essen, dann das Weitere wegen Boemund überlegen.« Dieser umlagerte Dyrrhachium und ließ alle Frachtschiffe verbrennen, damit die Soldaten nicht an die Heimkehr dächten, oder das Heer durch die nothwendige Besetzung der Schiffe zu sehr geschwächt würde. Mit Eifer fertigte man hierauf ein Sturmdach, aber dessen Theile lösten sich auseinander, als der darunter angebrachte Widder mit zu gewaltiger Kraft gegen die Mauern getrieben ward. {1109} Höher als diese Mauern reichte ein viereckiger, auf Rädern ihnen genäherter Thurm, von welchem man Fallbrücken niederlassen konnte. Allein des Kaisers Neffe, Alexius, welcher in Vertheidigung der Stadt soviel Klugheit als Ausdauer bewies, stellte dem normannischen Thurm einen ähnlichen gegenüber und steckte jenen in Brand. Boemund wollte hierauf durch einen, unter den Mauern gegrabenen 442 {1109} Hohlweg in die Stadt eindringen, und schon glaubten die Belagerer, das Ziel sey erreicht, als sie auf einen vorsichtig gezogenen Quergraben stießen, und griechisches Feuer ihnen mit Blasebälgen furchtbar ins Gesicht getrieben wurde. Während dieser Zögerungen hielten die Griechen alle Pässe zum inneren Lande besetzt und bewachten mit Hülfe der Venetianer sorgfältig das Meer; so daß Boemund nur sehr selten und mit großen Schwierigkeiten, Lebensmittel oder Verstärkungen aus Apulien an sich ziehen konnte. Hieraus folgten Mangel, Krankheiten und Unzufriedenheit mehrer Barone, deren Treue Boemund ohnehin in Zweifel zu ziehen veranlaßt war. Ein angeblicher Überläufer händigte ihm nämlich Briefe aus, welche von Kaiser Alexius an Guido, den Bruder des Fürsten, an Robert von Montfort und andere angesehene Männer geschrieben waren, und Antworten auf frühere zutrauliche Schreiben zu seyn schienen. Boemund war überaus erschrocken und wußte nicht, welche Maaßregeln er ergreifen sollte; denn Tadel und Entfernung der Ersten und Tapfersten seines Heeres schien so gefahrvoll, als die Nähe der Verräther: auch mußte er zuletzt zweifeln, ob wirklich ein Verrath zum Grunde liege und nicht alles auf einer List der Griechen beruheNach Anna Comn. 306 war dies bloß eine List des Kaisers; nach Order Vital. 823 waren die Genannten wirklich von ihm gewonnen, und nach einem fragm. hist. franc. bei Duchesne IV, 95 bekannte Guido auf dem Todtenbette sein Vergehen an Boemund, der, ihn verfluchend, davonging. – Über das Verhältniß der Venetianer zu den Griechen und Boemund, siehe Marin. III, 24-30.. Deshalb berief Boemund die Angeschuldigten zu sich, und legte ihnen die Anzeichen ihrer Vergehen mit der Versicherung vor: er vertraue dennoch ihrer Treue und ihrem Eifer für die gemeinsame Sache, und lasse sie in ihren bisherigen Ämtern und Würden. Die Unschuldigen, die Dankbaren, die Furchtsamen wurden durch dies Benehmen gleichmäßig gewonnen, und mehre glückliche Gefechte gegen die 443 {1109} Griechen würden vielleicht einen allgemeinen Sieg herbeigeführt haben, wenn nicht Alexius mit großer Geschicklichkeit die Vortheile des Bodens benutzt und das tiefere Eindringen in das Land oder in die Ebenen gehindert hätte. Boemund konnte die daraus entstehenden, schon bezeichneten Übel nicht vertilgen, und in seinem bunt zusammengesetzten Heere verbreitete sich die Meinung: das ganze Unternehmen sey eigennützig, gottlos und gegen die ächten Gelübde. Deshalb wünschte er den Frieden; und nicht minder Kaiser Alexius, um die schweren Anstrengungen zu beenden und um sich von der Sorge zu lösen, daß manche seiner unzufriedenen Großen in Boemund eine Stütze feindlicher Unternehmungen gegen seine Person, suchen und finden möchten.

Eine griechische Gesandtschaft sollte den Fürsten zu einem Gespräche einladen, und nebenbei den Zustand seines Heeres ausforschen; aber der letzte Zweck wurde dadurch vereitelt, daß jener ihr entgegenritt und außerhalb des Lagers die Verhandlungen begann. Als die Griechen hiebei des früheren Eidbruches, der jetzigen Strafe des Himmels u. s. w. erwähnten, fiel Boemund rasch ein: »genug solcher Reden; ich will nichts hören, als was der Kaiser euch über die vorliegenden Angelegenheiten aufgetragen hat.« So kam man nun überein, daß zur Sicherheit Boemunds Geißeln in das fränkische Lager gesandt und von jedem Theile beschworen werden sollte, es walte keine Hinterlist ob: und damit schien den Gesandten das Nöthige und Genügende bewilligt zu seyn. Unerwartet aber begehrte Boemund: daß der Kaiser bei der Zusammenkunft aller früheren Verträge durchaus nicht erwähne, ihn als freien Fürsten behandele, seine Verwandten zum Einholen entgegensende, ihm die Hand reiche, an der oberen Seite seines Thrones einen Platz anweise, vor ihm aufstehe und weder Beugung des Hauptes, noch des Knies verlange. Die Griechen, welche eher ihr Reich als ihre Förmlichkeitsordnungen antasten ließen, erhoben über diese unerhörten Ansprüche die lautesten BeschwerdenAnna 319., 444 {1109} bis Graf Hugo, des Hin- und Wider-Redens überdrüssig, mit Heftigkeit erklärte: »noch habe man keine Schlacht versucht, diese werde schneller als Worte zum Ziele führen.« Hierauf gaben die Gesandten in den meisten Punkten nach, und der Kaiser wurde nur vom Aufstehen entbunden. Bei der Zusammenkunft beider wußte Boemund jede, auf Vorwürfe anspielende Rede desselben, geschickt abzulenken, verwarf aber die vorgelegten Bedingungen und war schon im Begriffe, nach seinem Lager zurückzukehren, als durch Vermittelung des Cäsar BryenniusBryennius hatte Anna, die Tochter des Kaisers geheiratet., folgender Vertrag zu Stande kam und von beiden Theilen mit zwölf Eideshelfern beschworen ward:

»Boemund erhält Antiochien und die umliegende Gegend (nicht aber Laodicea, Gibellum, Antaradus oder die cilicischen Städte) auf Lebenszeit, jedoch ohne Anrechte für seine Erben, und verspricht Tankred mit Güte oder Gewalt dahin zu bringen, daß er dem Kaiser wegen seiner Besitzungen ebenfalls den Lehnseid schwöre. Beide sind zu allen Pflichten eines Lehnsmannes, insbesondere zum Kriegsdienste gegen Feinde des griechischen Reiches verbunden, und dürfen keine Verbindungen eingehen, welche diesen Bestimmungen widersprechen. Sollte Boemund Länder erobern, welche ehemals zum griechischen Reiche gehörten, so hat er darauf kein Eigenthumsrecht, sondern Alexius belehnt mit denselben, wen er will: sollte er Länder gewinnen, welche nicht zum griechischen Reiche gehörten, so behält er sie zwar, aber er wird auch in ihrer Hinsicht dem Kaiser lehnspflichtig. Dieser ernennt den Patriarchen von Antiochien aus dem Schooße der griechischen Kirche, und Boemund erhält jährlich von Alexius 200 Talente nach dem Münzfuße des Kaisers Michael.«

So wurden also die Hoffnungen Boemunds und aller seiner Begleiter in Hinsicht auf den Ausgang dieses europäischen Krieges sehr getäuscht; aber auch dem Kaiser blieb 445 {1109} zuletzt nur der Vortheil, einen gefährlichen Feind aus Griechenland vertrieben zu haben, denn seine Aussichten auf Syrien gingen nicht in Erfüllung. Ja der rastlose Boemund mochte schon an neue und gefährliche Unternehmungen denken, als er etwa sechs Monate nach jenem Friedensschlusse, im Jahre 1110 in Apulien starbÜber abweichende Nachrichten, die Zeit seines Todes betreffend, siehe Dufresne zu Anna 106, und Dandolo 261 über venetianischen Beistand.  Benevent. chr. 260.  Nach Murat. ann., Pagi zu 1111, c. 8 und Baluz. misc. I, 266 starb er erst im März 1111. Er liegt in Canosa begraben. Giustin. dizion.  Swinburne I, 510. 517.  Stollberg III, 163., und nur einen minderjährigen Sohn Boemund II hinterließ. 446

 


 


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