Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 1
Friedrich von Raumer

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Zweites Hauptstück.

{600 bis 800} So wie das Christenthum in den Gemüthern Eingang fand, erzeugte sich auch die Liebe zu seinem Stifter, und die Verehrung der Stadt und des Landes, wo er geboren ward, lehrte, und für das Heil der Menschen starb. Denn alles Geistige will ein Aeußeres haben, woran es sich hängt, wodurch es sich bindet und befestigt; es ist und bleibt ein ertödtendes Bemühn, dem einen oder dem andern ein selbständiges Reich zu errichten und es getrennt, oder gar feindlich, dem zweiten gegenüber zu stellen. Aus solchen Gründen entstanden die Wallfahrten nach dem heiligen Lande; und nichts bedarf einer Rechtfertigung, was sich natürlich aus dem menschlichen Gemüthe entwickelt und heilsam darauf zurückwirkt.

Schon Konstantinus ließEuseb. vit. Const. III, 25., als erster christlicher Kaiser, in Jerusalem eine prachtvolle Kirche des heiligen Grabes aufführen; seine Mutter Helena wallfahrtete in hohem Alter dahin, und ihrem Beispiele folgten Viele während der römischen Herrschaft. Diese ward zuerst durch die EroberungenAbulfarag. 98.  Wilh. Tyr. 614.  Vitriac. hist. hier. 1052. des Königs von Persien Kosroes III unterbrochen, welcher auf einer Seite bis zum Hellespont, auf der andern bis nach Aegypten vordrang, Jerusalem im Jahre 614 einnahm und Mord und Zerstörung verbreitete, bis es dem Kaiser Heraklius gelang ihn zurückzuschlagen.

38 {600 bis 800} Von größern Folgen war esAbulfeda I, 228.  Wilh. Tyr. 629., als die Feldherrn des Chalifen Omar, Abu Obaida und Chaled das Schwert Gottes genannt, im Jahre 636 ganz Syrien eroberten und Jerusalem belagerten. Der Ehrfurcht vertrauend, welche auch die Muhamedaner vor dieser heiligen Stadt hegen, verlangten deren Bewohner, daß man ihnen nicht allein jede Begünstigung zugestehe, welche benachbarten Orten bewilligt worden sey, sondern daß der Chalif selbst erscheine und zu größerer Sicherheit die Vertragsentwürfe bestätige. Omar ließ Ali als Stellvertreter in Medina, empfing persönlich die Schlüssel Jerusalems und sorgte gewissenhaft für die Erfüllung aller Versprechungen. Zwar entband man die Stadt nicht von aller, aber doch von mancher Zinszahlung, und überhaupt war die Steuerrolle für das ganze Reich mit großer Billigkeit entworfen: zwar bekümmerte der Verlust christlicher Herrscher, allein ungeachtet der höchsten Begeisterung für Muhameds Lehre, verstattete der Chalif dennoch christlichen Gottesdienst und stellte den Tempel wieder her, welchen Titus zerstört hatteWilh. Tyr. 630.  Bernard. Thesaur. 665.  Oelsner 21. In den Fundgruben V, 68 steht der Vertrag zwischen Omar und dem Patriarchen abgedruckt.. Nach 500 Jahren bewunderte man noch diesen Bau, und arabische Inschriften nannten den Urheber, den Betrag der Kosten und die Zeit der Errichtung.

Die Lage der Christen blieb aber nicht gleich zu den verschiedenen Zeiten des Chalifats: günstiger als je wurden sie behandelt unter der Regierung Harun al Raschids, denn sein Gemüth und seine Freundschaft für Karl den Großen, verstatteten keinen Druck. Auch hatten die Araber damals die höchste Bildung erlangt, deren sie überhaupt fähig waren. Der Reichthum eines glänzenden Hofes, die Herrschaft über so viele Länder, ein nach allen Weltgegenden noch über jene Länder hinaus verbreiteter 39 {800 bis 933} Handel, mußte die Ansichten und Kenntnisse erweitern und die Wissenschaften befördern. Allein die freie Wirksamkeit kleiner Staaten, die unabhängige Kraft einzelner sich selbst treibender Männer, hat stets mehr gewirkt als reichliche Spendungen der Herrscher: – und außerdem ist der Muhamedanismus einseitig in Bezug auf die Wissenschaften, und feindlich gegen die Kunst. Langsamer regte sich der Geist des Abendlandes, aber was hat er nicht geleistet!

Haruns Söhne waren allerdings fähiger zu herrschen, als ihr Zeitgenosse Ludwig der Fromme; durch die von ihrem Vater angeordnete Theilung des Reichs entstanden jedoch, wie im karolingischen, innerliche Kriege und Schwächungen: auch die Herrschaft der Abbassiden nahte sich dem Untergange. Neunzehn Chalifen dieses Stammes vereinten während 180 Jahren, von 750 bis 933 nach Christus, die weltliche und geistliche Herrschaft der arabischen Welt. Sie verloren allmählich die erste, weil dem Volke nicht mehr der heilige Krieg als höchstes Gesetz Muhameds erschien, sondern Reinlichkeit, Gebet, Almosen, Fasten und die Wallfahrt nach Mekka. Sie beförderten selbst die allgemeine Auflösung durch eine kraftlose Regierung und durch Eigennutz; sie bereiteten sich gefährliche Feinde, indem sie viele Landschaften dem besten Zahler verpachteten, welcher sich dann nicht nach Willkür verdrängen ließ. Zuletzt sollten türkische Söldner die verlorne Macht wieder gewinnen helfen; allein jedes Reich ist in Todesgefahr, sobald es sich durch fremde Kräfte zu erhalten sucht, und nach der größten innern Umwälzung kann ein Volk eher verjüngt hervorgehn, als nach einem von außen herbeigeführten Sturze. Auch lösete sich das große Reich der Chalifen nicht, wie das abendländische Karls des Großen, in selbständige Theile auf, sondern es zerfiel: jeder Versuch einer neuen festen Begründung ward von eindringender Gewalt vereitelt, und die Geschichte der nächsten Jahrhunderte zeigt in raschem Wechsel, das Aufblühen und den Sturz von mehr als funfzig Herrscherstämmen. Niemals aber entwickelte sich bei 40 {900 bis 933} diesen zahllosen Umwälzungen unter den Arabern freibürgerlicher Geist; sie ahneten nicht, daß die unbedingte Alleinherrschaft durch Hinzufügung ständischer Rechte und Formen veredelt werden könne; sie glaubten im Morden ihrer Zwingherrn eine Hülfe zu finden, und setzten doch andere an deren Stelle, welche, wo möglich, noch argwöhnischer und grausamer waren.

Als der neun und dreißigste Chalif seit MuhamedAbulfeda zu 933.  Abulfarag. p. 199., der zwanzigste aus dem Hause der Abbassiden, Al Rahdi Moktaders Sohn, unvermögend den Parteien zu widerstehen (933 Jahre nach Christus, 300 Jahre nach Abubekr, 183 Jahre nach Erhebung des Hauses Abbas), die höchste Gewalt und alle Einnahmen des Reichs dem Statthalter von Bassora, Ibn Rajek als höchstem Emir übertrug, war fast alle Herrschaft schon in den Händen anderer Geschlechter. Nur die geistliche Gewalt, welche unbedeutend und nie von abendländischer Wirksamkeit war, blieb den Chalifen. Die Geschichte ihrer Wollüste und ihrer Armuth, ihrer Predigten, Gebete und religiösen Streitigkeiten verdient hier keine Erwähnung. Ungleich wichtiger ist dagegen die Geschichte der einzelnen Herrscherstämme, und weil zwei derselben, die Fatimiden und die Seldschuken, auf die später erzählten Begebenheiten den größten Einfluß hatten, so muß hier umständlicher von ihnen gesprochen werden.

Im Anfange des zehnten Jahrhunderts der christlichen Zeitrechnung begründete Abu Muhamed Obaidalla, (der gemeinen Meinung nach, ein Abkömmling des Ali und der Fatime

              Motalleb
      ┌──────────┴─────────┐
  Abu Taleb             Abdallah
      │                    │
     Ali                Muhamed
                           │
                        Fatime
, die Herrschaft der Fatimiden im nordwestlichen Afrika. Unter seinem Sohne Kajem und seinem Enkel 41 {900 bis 1095} Mansur vergrößerte sich das Reich, erhielt aber erst unter Moez, dem Sohne Mansurs, die höchste Ausdehnung. Dessen Heere fochten in Italien und Sicilien gegen die Griechen und Deutschen, in Spanien gegen die Ommyaden; sie drangen in Westafrika bis zum Weltmeere, eroberten Aegypten im Jahre 968 von den Thagagiden und später sogar Mekka, Medina und einen großen Theil von Syrien und Palästina. Moez erkannte, als Alide, nur den Ali als rechtmäßigen Nachfolger Muhameds anAbulfarag. 104 seq.  Abulfeda zu 968.  Wilh. Tyr. 631.  Dandolo 243. und verfluchte die drei ersten Chalifen; er führte in der von ihm erbauten Stadt Kairo Kirchengebräuche ein, welche von denen in Bagdad abwichen, und blieb aus religiösen und Staatsgründen ein steter Feind der sunnitischen AbbassidenSunnitisch, oder Anhänger nicht allein des Korans, sondern auch der Sunnah, der sonstigen Ueberlieferungen. Doch war die erste Trennung hauptsächlich politischer Art, und erst später entwickelten sich in beiden Hauptparteien Grundverschiedenheiten über die Lehre.. Deshalb hielt er sich auch durch die günstigen, von ihnen den Christen ertheilten Versprechungen, nicht für gebunden; doch war sein Sohn Aziz, unter dem die Macht der Fatimiden ungeschwächt blieb, duldsam gegen alle Religionsbekenner, ja sein Geheimschreiber war ein Christ und sein Schatzmeister in Syrien ein Jude. Hakem, des Aziz Sohn und Nachfolger, ein Zeitgenosse Ottos III und Heinrichs II, wüthete desto unverständiger gegen Einheimische, Fremde und gegen alle Religionsparteien; er zerstörte die Auferstehungskirche in Jerusalem und untersagte bei schwerer Strafe allen christlichen Gottesdienst. Da verschworen sich endlich einige Heerführer und sogar seine Schwester wider ihn, und erhoben seinen Sohn Taher, welcher sogleich die Herstellung jener Kirche und des Gottesdienstes erlaubte. Konstantinus Monomachus, der griechische Kaiser, sandte den Christen Geld und Künstler zur Unterstützung. Taher heilte durch eine funfzehnjährige 42 {900 bis 1095} löbliche Regierung manche Wunde des fatimidischen Reichs: unter seinem Sohne Mostanser verlor hingegen dasselbe an Umfang und Macht, und Mosta Abul Kasem, welcher im Jahre 1094 (ein Jahr vor dem Ausbruche der Kreuzzüge) den Thron bestieg, war nicht im Stande die vielen vorhandenen Uebel sogleich abzustellen.

Noch weit ausgebreiteter als die Herrschaft der Fatimiden, war die der Seldschuken. Im Osten und in Nordosten des kaspischen MeeresWilh. Tyr. 633.  Vitriac. hist. hier. 1061.  Bernard. Thes. 667. zogen türkische Stämme umher mit Pferden, Vieh, Sclaven und Mägden; sie kannten keinen Ackerbau und keinen Handel, sie trieben nur Tauschgeschäfte und warteten ihrer Heerden. Hatten indeß die Weiden schon andre Eigenthümer, so gaben sie diesen für das Benutzen derselben gewöhnlich eine Vergütung, und brachen wieder auf, wenn es das Bedürfniß erheischte. Dukak und sein Sohn Seldschuk, tapfere Führer solcher StämmeAbulf. III, 103., dienten dem Chan der Chazaren Bigu mit Auszeichnung, bis ihm die großen Anlagen Seldschuks gefährlich erschienen. Zur Flucht gezwungen vereinigte dieser bald mehre StämmeCedrenus nennt diese Stämme Hunnen, Zonaras Hungern, Deguignes leitet sie von den Türken Hoeike her: gewiß ist, daß sie tatarischer, nicht mongolischer Abkunft waren. unter seiner Leitung, und beunruhigte von der Nordseite des Sihon her, die Länder des Chans mit Erfolg. Seldschuks Söhne mußten noch vertheidigungsweise verfahren; aber sein Enkel Togrulbek, begann die Laufbahn eines Eroberers durch Besiegung der Gasneviden, welche die gütliche Aufnahme jener Stämme bereuten und sie durch harte Besteuerungen zum Auswandern zwingen wollten. Zweierlei begünstigte übrigens Togrulbeks Siege: erstens, daß alle türkischen Stämme, nur die Anwohner Chinas ausgenommen, den muhamedanischen Glauben annahmen; zweitens, daß der mächtige Chan der Türken ScharfeddaulaAbulf. zu 1043. sein Reich 43 {1000 bis 1095} theilte und dadurch schwächte. So eroberte Togrulbek allmählich alle Länder vom Orus bis zum Euphrat, stürzte die Buiden in Bagdad1055., ward hier höchster Emir und beherrschte den Chalifen um dieselbe Zeit, als Kaiser Heinrich IV mit Sachsen und Päpsten stritt, Robert Guiskard Apulien und Kalabrien von diesen zu Lehn erhielt, Wilhelm der Normann England eroberte, und Komnenen in Konstantinopel ihre Herrschaft antratenNatürlich fällt nicht alles auf dasselbe Jahr, wohl aber in denselben Zeitabschnitt..

Alp Arslan, der Neffe und Nachfolger des kinderlosen TogrulbekAbulf. zu 1063., machte die Okailiden in Nisibis und die Mardasiten in Aleppo zinsbar. Da erhob Romanus Diogenes der griechische Kaiser im Jahre 1070 wider ihn KriegAbulf. zu 1170, und Elmacin 277., verlor aber durch eine unglückliche Schlacht Heer und Freiheit, und wurde erst gegen Uebernahme sehr lästiger Bedingungen los gelassenDas Nähere, zum Theil aber nicht übereinstimmend, siehe bei Abulfar. 227,  Guill. Appul. 264,  Wilh. Tyr. 635,  Alberic. 97,  Dandolo 247.. Die Griechen wälzten, damit ihre eigene Schwäche verdeckt bliebe, alle Schuld des Verlustes auf ihn, blendeten den Unglücklichen und ernannten Michael Dukas zu seinem Nachfolger. Schon zitterte man in Konstantinopel vor den weitern Fortschritten der Seldschuken, als Unruhen den Sultan in die Länder jenseit des Orus riefenAbulf. zu 1072.  Elmacin 278.  Abulfar. 228.. Hier ließ er einen ungetreuen Diener an einen Pfahl binden und wollte ihn mit eigener Hand strafen, aber dreimal fehlte sein Pfeil; da riß jener verzweifelnd sich los und stürzte dem Sultan entgegen, welcher, auf der Flucht strauchelnd, zu Boden fiel und von jenem tödtlich verwundet wurde. »Ich habe heut nicht gebetet (sprach Alp Arslan), ich habe mich beim Anblicke meines 44 {1072 bis 1095} Heeres erhoben als unüberwindlich, mit Recht trifft mich die Strafe Gottes!« – Der Sultan starb, und die Türken zerrissen den Mörder.

Unter Malek, dem größten unter allen seldschukischen Herrschern, welcher seinem Vater Arslan im Jahre 1072 folgte, wurde Kleinasien bis zu den Meeresküsten und Damaskus nebst einem großen Theile Syriens erobert, ja selbst auf Aegypten mehre Jahre lang ein bedeutender Einfluß ausgeübt. Als der Sultan im Jahre 1092, drei Jahre vor dem Ausbruche der Kreuzzüge starb, huldigte man ihm von den Gränzen Chinas bis zum Mittelmeere, und von Samarkant bis zu der südlichen Spitze Arabiens. Die oströmischen Kaiser waren ihm zinsbar, Ruhe beglückte das Reich, Gerechtigkeit wurde gehandhabt, die Städte kamen in Aufnahme, und die Wissenschaften blühtenMan gedenke z. B. an die meisterhafte Jahres-Berechnung Maleks oder Dschelaleddins.. Gleich nach seinem Tode aber brachen innere Kriege aus, in welchen sich Brüder und Verwandten nicht schonten, und Muhamedaner untereinander aufs äußerste verfolgten; wie viel weniger durften Christen und Pilger auf eine irgend gemäßigte Behandlung rechnen!

In dem Maaße aber als itzt, und überhaupt seit der türkischen Herrschaft im vordern Asien, die Gefahren für die Pilger zunahmen, wuchs die Liebe zu den Pilgerungen. Denn in christlichen Ländern fanden jene überall gastfreundliche Aufnahme und sicheres Geleit; auch war man mehr als je überzeugt, daß die Wallfahrten zum Heile der Seele dienten und als Bußübungen von großer Schuld lösten. Hierzu kam die ganz außerordentliche, selbst grobe Betrügereien übersehende Vorliebe für Reliquien aus Palästina und Jerusalem, so wie der Umstand, daß die italienischen Freistaaten, nebst den Seestädten des südlichen Frankreichs, einen wichtigen Handel nach den syrischen Küsten begannen, und die Pilger gern für einen mäßigen Lohn dahin 45 {1000 bis 1095} übersetzten. Aber wenn sogar diese Meerfahrt ihnen oft den Untergang brachte, wie viel gefährlicher war da nicht der Landweg! Im Jahre 1064 zogen der Erzbischof Siegfried von Mainz, die Bischöfe Günther von Bamberg, Otto von Regensburg, Wilhelm von Utrecht nebst vielen andern Begleitern nach JerusalemIch halte es für uberflüssig, hier alle Pilgerungen früherer Zeit zu erwähnen, siehe z. B. Pilger aus der Schweiz im siebenten Jahrhundert. Müllers Geschichte I, 148. Normannische Pilger Order. Vital. 459 u. 472. Pilgerung des Erzbischofs Thiemo von Salzburg und des Bischofs Gerhard von Konstanz. Petersh. chr. 354.  Thiemonis passio 108. Insbesondere Michaud Theil I. S. 50., und erreichten die Stadt, aber nicht ohne große Gefahr und vielfachen Verlust. Ja eine schöne Aebtissin, welche den Türken in die Hände fiel, litt vor den Augen Aller so lange Gewalt, bis sie den Geist aufgabChron. Saxo 256.  Hofmann ann. Bamb. 73.  Ursperg. chr. B. Altmanni vita 117.  Ruberti vita Altmanni 140.. Ein Jahr später traten 7000 Christen die Wallfahrt an, wurden aber von den Türken angefallenAlberic. 196, zu 1065. und in einer Burg belagert; nur 2000 retteten ihr Leben. Graf Theodorich von Trier, welcher den Erzbischof Kuno von Köln erschlagen hatte, mußte auf Befehl des Kaisers das Land meidenAlberic. zu 1068. und entschloß sich zur Pilgerfahrt nach Jerusalem; allein nie hat man von ihm und den Seinen wieder gehört.

Und diejenigen, welche alle Gefahren des Weges glücklich überstanden, fanden sich zuletzt am Ziele getäuscht. Schon unter der Regierung Alp Arslans war nämlich Jerusalem und RamlaAbulfeda zu 1070, und III, 280.  Greg. VII. epist. XI, ep. 81. durch Joseph, einen Chowaresmier, den Fatimiden entrissen worden; Orthok, ein Führer türkischer Stämme, beherrschte mit Bewilligung von Thuthusch (einem Bruder Sultan Maleks) die heilige Stadt. Unter 46 {1070 bis 1095} seinen Söhnen und Nachfolgern Ilgazzi und SokmanWilh. Tyr. 636.  Ursperg. chr. 176. nahm nun die Noth überhand und die Gewalt. Kein Altar, kein kirchliches Gefäß war den Türken mehr heilig, die Geistlichen wurden geschlagen und gestoßen, ja der Patriarch bei Haar und Bart zur Erde gerissenAlberic. nennt zu 1070 den Patriarchen Nicephorus; Euthymius nennt ihn Simeon.. Strenger als je forderte man von den Pilgern, deren Vermögen durch die Reise fast immer schon erschöpft worden, ein Goldstück für die Erlaubniß Jerusalem zu besuchen. Die Einwohner dieser Stadt konnten nicht Jeden unterstützen, allgemein verbreiteten sich Wehklage, Elend und Mangel. Es war die höchste Zeit, daß die abendländischen Christen ihren Glaubensgenossen zu Hülfe eilten; es war zweifelsohne ihre Verpflichtung, wenn anders Jeder Unrecht und Tyrannei abwehren soll, dem dazu die Kraft und das Geschick gegeben ist.

Um diese Zeit, im Jahre 1093, trat die Wallfahrt an Peter von Amiens, früher Einsiedler, itzt Priester. Seine Gestalt war klein und unansehnlichNach dem Chronic. Canonic. Landun., war Peter früher Mönch ap. St. Rigandum in Foresio. Siehe du Fresne ad Ann. Comn. p. 79. Anna 22. nennt ihn κουκουπετρος von cucullatus, woraus Unwissende schon Kukuk-Peter gemacht haben. Vergl. W. Tyr. 637.  Alb. Acq. 185 und 190. Alberic zu 1094. Dieser sagt Petrus de Pago Ambianensi.Alb. Stad. zu 1096 nennt ihn Hispanum. – Radulph. Cadom. 163.  Robert. mon. 32.  Hist. belli sacri 131., die Farbe seines Gesichtes dunkel, gering das Gewand und die Füße unbekleidet. Die größte Enthaltsamkeit in Allem zeichnete ihn, selbst in jener Zeit aus, und wenn ihm die Worte beredt von den Lippen strömten, ward auch sein Auge der Abdruck eines lebhaften Geistes. Er zahlte den Zins und betrat die heilige Stadt, er hörte, was die Christen litten, und sah selbst die tägliche Bedrückung. Da regte ihn der 47 {1093 bis 1095} Geist an: er möge Hülfe schaffen und für die Rettung der Verlassenen wirken. Der Patriarch Simeon erwies: daß die, zur Strafe ihrer Sünden gelähmten Kräfte der morgenländischen Christen, für die Befreiung nicht genügten, und die entnervten Griechen binnen wenig Jahren selbst das halbe Reich verloren hätten; – ärmer und einfacher, aber kräftiger und gläubiger sey das AbendlandVitriac. hist. hier. 1064.  W. Tyr. 638., und nur von dorther die Erlösung möglich. Peter verlangte jetzt Schreiben des Patriarchen an den Papst und an die abendländischen Fürsten: er werde das Geschriebene selbst bestätigen, und die Gläubigen aufmuntern zu freudigen Zügen. Gern bewilligte Simeon diese Forderung, und noch einmal eilte der Einsiedler in die Auferstehungskirche, um Christus anzuflehen für das Unternehmen, welches seine ganze Seele füllte. Er sah die ungeheuren Schwierigkeiten, die einem unbekannten Pilger entgegen standen, welcher sich vornahm eine ganze Welt in Bewegung zu setzen; es übermannte den Betenden der Schlaf. Da erschien ihm Christus und sprach: »stehe auf, Petrus, und eile, und vollbringe kühn was Dir auferlegt worden; ich werde mit Dir seyn, denn es ist Zeit daß das Heiligthum gereinigt und meinen Dienern geholfen werde.« Petrus erwachte gestärkt und geweiht, er fühlte die Kraft in sich, das Größte zu unternehmen; man hat dies Gefühl bald Betrug, bald Anmaßung, bald Schwärmerei gescholtenSchon Ursperg. chr. sagt: Petrum postea multi hypocritum fuisse dicebant; allein wir finden es durchaus nicht unwahrscheinlich, daß Petrus einen solchen Traum wirklich gehabt, und ihm als göttlicher Eingebung vertraut habe..

Nachdem ihn Kaufleute glücklich bis Bari geführt hatten, eilte er nach Rom zum Papst Urban; dann über die Alpen zu allen Fürsten, Prälaten und zu allem Volk. Seine Reden setzten die Gemüther in Bewegung und seine Hoffnungen wuchsen; denn der Papst war gewonnen für 48 {1093 bis 1095} den Plan, und das Schwierigste gelang in jener Zeit, wenn es vom Oberhaupte der Kirche befördert wurde. Bereits Gregor VIIGreg. ep. II, 37. Schon Sylvester II forderte die Katholiken auf, dem verheerten Jerusalem zu Hülfe zu kommen. Murat. ann. III, 400. hatte alle Gläubigen zum Beistande der Christen im Morgenlande aufgefordert; allein die Kriege gegen Heinrich IV hemmten die Ausführung dieser Plane, und erst jetzt bot sich eine dringendere Veranlassung und günstigere Gelegenheit. Auf einer Versammlung von hohen Geistlichen in Piacenza wurde, neben andern wichtigen Dingen, auch des heiligen Landes gedacht, und Gesandte des griechischen Kaisers traten hülfestehend aufAlberic. 144.  Berthold. Constant. Donizo II, 8, 10.  Campi I, 366.  Pand. vitae p. 353.  Bromton 992.  Concil. XII, 322. Anna Comn. erwähnt nirgends solcher Gesandten, und die ganze Sache bleibt zweifelhaft. Vor der Kirchenversammlung in Piacenza, war eine kleinere in Guastalla. Affo Guast. 96., weil die Ungläubigen schon die ganze asiatische Seite des Bosporus beherrschten.

Wichtiger war die große Versammlung von mehr als 300 Bischöfen und AebtenFulch. Carnot. 382.  Gest. expugn. Hier. 561.  Ekkeh. 515.  Corner 629.  Alber. 145. Es waren gegenwärtig 14 Erzbischöfe, 225 Bischöfe,. über 90 Aebte. Concil. XII, 767.  Marca dissert. III, p. 265.  Dachery spicil. III, 425., welche sich im November des Jahres 1095, nach Urbans dringender Ladung, zu Clermont in Auvergne einfanden: es war Hauptzweck des Papstes, hier die Rettung des heiligen Landes bewirken. Auf einem freien Platze, denn kein Zimmer konnte eine so zahlreiche Versammlung fassenRobert. mon. 31., sprach Urban von erhöhter Stelle und mit lauter Stimme:

»Die Lehre Jesu ChristiNach W. Tyr. 639,  Balderic. und Mansi concil. coll. vol. XX. p. 824. Die andern Quellen (besonders Guibert, nach dem unächten Briefe Alexius des ersten an den Grafen von Flandern, s. du Fresne ad Ann. Comn. p. 73) sind verfälscht und untauglich., welche das Abendland in 49 {1095}ursprünglicher Reinheit bewahrt, ist auch Jahrhunderte lang in Asien frei verkündet und bekannt worden. Zwar hat das gerechte Bestreben, jede falsche Ansicht und Deutung zu vertilgen, uns bisweilen in Zwiespalt erscheinen lassen mit den Bewohnern jener Länder; allein wir haben sie stets geachtet als Christen und nie vergessen, daß wir alle Brüder eines Hauses, Kinder eines Vaters sind. Soll ich wiederholen, was jeder weiß? Wie jene über das Heidenthum gewonnenen Länder den Christen wieder entrissen, und eine Beute der Ungläubigen geworden sind? Wer kann es hören ohne Jammer? – Und doch giebt es einen Schmerz, der noch tiefer, ein Unglück, das noch größer ist: denn auch Palästina und Jerusalem sind in den Händen der Feinde!«

»Der Erlöser unseres Geschlechts, welcher zum Heile Aller, menschlichen Leib und Gestalt annahm, wandelte in jenem auserwählten Lande. Jede Stelle ist dort geweiht durch die Worte welche er gesprochen, durch die Wunder welche er verrichtet hat; jede Zeile des alten und neuen Testamentes beweiset, daß Palästina als Erbtheil des Herren, und Jerusalem als der Sitz aller Heiligthümer und Geheimnisse, rein bleiben soll von jeder Befleckung. Und diese Stadt, die Heimath Jesu Christi, die Wiege unseres Heils, ist nicht mehr theilhaft der Erlösung! In dem Tempel, aus welchem Christus die Kaufleute vertrieb damit das Heiligthum nicht verunreinigt würde, wird jetzt des Teufels Lehre öffentlich verkündet. – Wer darf noch zu Maria der Jungfrau stehen, wer in der Kirche des heiligen Grabes andächtig den anrufen, welcher dem Tode die Macht genommen hat? Lastthiere stehn in den heiligen Gebäuden, und für die Erlaubniß solch Elend zu schauen, verlangen die Frevler sogar noch schweren Zins. Die Gläubigen werden verfolgt, Priester geschlagen und getödtet, 50 {1095} Jungfrauen geschändet und gemartert. Wehe uns, wenn wir leben und solchem Unheil nicht steuern; besser ist sterben als der Brüder Untergang länger dulden!«

»Jeder verläugne sich selbst und nehme Christi Kreuz auf sich, damit er Christum gewinne: kein Christ streite mehr wider den andern, damit das Christenthum selbst nicht untergehe, sondern verbreitet und gefördert werde. Es höre auf Mord und Feindschaft und Bedrückung; es beweise Jeder Muth und Tapferkeit, nicht wo sie den Fluch, sondern wo sie Vergebung der Sünden und die Krone der Märtyrer erwerben. Keiner fürchte Gefahr, denn wer für den Herrn streitet, dem sind die Kräfte der Feinde unterthan; Keiner fürchte Mangel und Noth, denn wer den Herrn gewinnt, ist überall reich; Keiner lasse sich durch Klagen der Zurückbleibenden vom Zuge abhalten, denn die Gnade des Herrn wird auch diese schützen!«

Noch hatte der Papst seine Rede nicht beendet, als die ganze Versammlung wie mit einer Stimme ausrief: »Gott will es!« Endlich ward die Ruhe wieder hergestellt und Urban fuhr fort: »Es gehen die Worte der Schrift in Erfüllung: wo auch nur zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, werde ich mitten unter ihnen seyn; denn nur des Herrn Einwirkung machte es möglich, daß der gleiche Eifer sich erzeugte in euch Allen, und das gleiche Wort ausgesprochen wurde von jedem Einzelnen. So möge dies Wort euer Feldgeschrei seyn in jeder Gefahr, welche ihr übernehmt für die Lehre Christi; das Kreuz aber euer Zeichen zur Kraft und zur Demuth. Des apostolischen Stuhles Fluch soll Jeden treffen, der sich unterfängt das heiligste Unternehmen zu hindern; sein Beistand dagegen im Namen des Herrn eure Bahn ebnen und euch geleiten auf allen Wegen!«

Sobald der Papst seine Rede geendet hatteW. Tyr. 642. Nach Rob. Mon. 32. erzählte man: die Kunde vom Geschehenen habe sich an demselben Tage in allen Landen der Christenheit verbreitet. Mailli II, 104., nahte 51 {1095} ihm Ademar von Monteil, Bischof von Puy, und bat niederknieend um die Erlaubniß, dem heiligen Zuge beiwohnen zu dürfen; ihm folgte Wilhelm, Bischof von OrangeGallia christiana I, 771; II, 701., dann die meisten von den anwesenden Laien und Geistlichen. Sie hefteten ein rothes Kreuz auf ihre rechte Schulter, als Zeichen des gemeinsamen Unternehmens und der neuen christlichen VerbrüderungAnna. 225.  Lupus Protospl. 47..

Nach der Rückkehr in ihre Heimath predigten die Bischöfe das Kreuz, und die Laien suchten Genossen und Begleiter, beide mit der größten Begeisterung und fast unglaublichem Erfolge. Denn es entstand eine allgemeine Bewegung in allem Volke, wie noch niemals: es trennte sich freudig der Mann von dem WeibeDe Man let den Ploch stan, de Herde dat Ve, dat Wief liep mit der Wige, de Munik ut dem Clostere, de Nunnen voren oc darmede. Lüneb. Chr. 1350.  Balder. 88.  Ursp. 175., das Weib von dem Manne, die Aeltern von den Kindern, die Kinder von den Aeltern; der Landmann gedachte nicht mehr des Ackerbaus, der Hirte nicht mehr seiner Heerde, Mönche und Nonnen verließen ihre Zellen; kein Stand, kein Alter, kein Geschlecht wollte ausgeschlossen seyn von dem großen Unternehmen, von der neuen Völkerwanderung.

Zwischen der großen Völkerwanderung im fünften Jahrhunderte und den Kreuzzügen, findet sich aber, bei aufmerksamer Betrachtung, hauptsächlich ein großer Unterschied: jene erzeugte der einfache Grund des äußern Bedürfnisses; – diese hingegen wurden herbeigeführt durch vielfache innere Anregungen. Deshalb bleibt es ein vergebliches Bemühen, die Kreuzzüge aus einem Gesichtspunkte zu erklären, nur einen Zweck, eine Triebfeder an die Stelle der mannichfaltigsten, verschiedensten nachzuweisen. Sehr Viele, voll heiligen Glaubens an denFulch. Carn. 384., der aller Welt 52 {1095} Sünde trägt, verließen gerne ihre irdischen Besitzthümer, um zu wandeln, wo jener gewandelt, und um in geistiger Freude sich zu erheben über alles Leid; nicht Wenigere wollten, zornig über den Andrang ungläubiger Feinde, ihrer Tapferkeit ein Feld eröffnen, das der, von neuem bei harter geistlicher Strafe anbefohlene GottesfriedeFulco 891.  Orderic Vit. 568.  Dandolo 255.  Ursperg. zu 1097., in christlichen Ländern immer mehr beschränkte. Einige trieb die Begierde fremde Länder und Sitten zu erkunden, Andere die Hoffnung der Beute oder des kaufmännischen Gewinns, Andere der Leichtsinn, oder die Lust an jeder Veränderung, und der Wahn, die neuen Verhältnisse müßten angenehmer seyn als die hergebrachten. Wem etwa jugendlich frische, damals die Masse noch belebende Begeisterung fehlte, den bestimmte oft der natürliche Trieb der Nachahmung und die Besorgniß für feige gehalten zu werden. Ja es fanden sich auch Einzelne, die das Kreuz nahmen1095 war ein Hungerjahr. Alberic. 143,  Annal. Saxo.  Siegeb. Gemblac. Concil. XII, 914. 1094 war große Sterblichkeit.  Berthold. Const. um dem augenblicklichen Mangel an Lebensmitteln, um dem Drucke ihrer Herrn, den Fesseln eines Ordens, den Forderungen der Gläubiger, der Strafe ihrer Verbrechen, oder der Pein eines bösen Weibes zu entgehn.

Selbst des Papstes Bestreben, nur die tauglichsten und waffenfähigsten unter den Weltlichen auszuwählen, und keinem GeistlichenDen Mönchen untersagte er die Pilgerung ganz. Bouquet XV, 311. ohne höhere Genehmigung das Lösen der kirchlichen Bande zu gestatten, blieben ohne Erfolg; und er konnte, obgleich von ihm die erste Regung ausgegangen war, diesen Wanderungen nach dem Morgenlande doch kein Ziel setzen. So erscheinen mächtige Gewässer, durch künstliche Dämme eingeengt, ohne Leben und 53 {1095} Bewegung; wenn aber Kühnheit oder Unverstand auch nur geringen Abfluß eröffnet, dann theilt sich rastlos wachsend die Bewegung mit, ungeahnete Kräfte reißen den Damm danieder bis auf den tiefsten Grund, und es breiten sich die Fluthen so lange ohne Schranken aus, als die Kraft welche in ihnen selbst wohnt, nicht ganz verschwindet. Zwei Jahrhunderte dauerte diese Bewegung, dann neigte sich Alles zum Gleichgewicht; zwei Jahrhunderte bestand hierauf Europa ohne ähnliche Erscheinung, da ward Amerika ein Ableiter aller überschießenden Kräfte.

Den größten Eingang fanden die Kreuzpredigten in Frankreich und ItalienBonoli 50 nennt zweiundzwanzig Pilger aus der kleinen Stadt Forli; Malavolti III, 26, tausend aus Siena., – wo manche innere Uebel jeden Wechsel erwünscht machten; – geringern Beifall in Deutschland, weil der Streit Kaiser Heinrichs IVEkkeh. 517.  Alber. 149. Doch waren z. B. viele Friesen unter den Pilgern. Wiarda Gesch. I, 154. und seiner Anhänger gegen den römischen Hof, noch fortdauerte. Spanien, durch Saracenen selbst bedrängt, konnte am wenigsten unmittelbar an den morgenländischen Pilgerungen Theil nehmen; leicht verbreitete sich hingegen der Eifer von Frankreich nach England, ja bis in den Norden Europas.

Weil nun aber, wie gesagt, Kaiser Heinrich IV den Papst befehdete; Philipp von Frankreich wegen der Trennung von seiner Gemahlinn im Banne lagOrder. Vit. 719. Philippus ventri magis, quam negotiis deditus. Wilh. Malmesb. 159. und auch sonst mehr den Genüssen als den Geschäften lebte; weil König Wilhelm II von England kein Freund weit aussehender Unternehmungen, sondern auf seine nächsten Pflichten und Vortheile bedacht war: – so konnte kein gekröntes Haupt an die Spitze des Kreuzzuges gestellt werden. Auch der Papst, obgleich feierlich zur Führung eingeladen, lehnte den Antrag abHist. belli sacri l. c.: denn es drohe im Abendlande der römischen 54 {1095} Kirche noch Gefahr, und ihm komme es zu für das Wohl der ganzen Christenheit zu wachen, nicht persönlich einzelne Unternehmungen zu vollbringen. Er ernannteSanut. 131.  W. Tyr. 765. den Bischof Ademar von Puy, zu seinem Stellvertreter bei dem heiligen Zuge.

In vielen Fürsten fand sich hingegen das Geschick und die Neigung ihre ansehnlichen, durch Gesetze oft eingeschränkten Kräfte, auf irgend eine Art mit freier Thätigkeit zu verwenden; und doppelt willkommen erschien ihnen eine so heilige Veranlassung. Von allen denen, welche das Kreuz nahmen, verdient zuerst Erwähnung, Gottfried, nach dem Stammschlosse seines Hauses, von Bouillon genannt. Seine Aeltern waren Eustathius, Graf zu Boulogne, und Ida, die Schwester Herzog Gottfrieds von Lothringen. Dieser nahm seinen Neffen, der durch weibliche VerwandtschaftTudebod. 772. praef. Gottfried war gebohren in Brabantia apud Basin juxta Genapium: Basy liegt zwei Meilen von Nivelle. Belg. chr. magn. 143. Ueber seine Mutter Ida, siehe Acta Sanct. 13ten April 139. Karl den Großen unter seine Ahnen zählte, an Kindes Statt an, und hinterließ ihm alles eigene Gut, als er selber in Antwerpen ermordet wurdeAlberic. und Siegeb. Gembl. zu 1076.. Mathildis, seine Wittwe und Bischof Heinrich von Lüttich, der Vormund Gottfrieds von Bouillon, beseitigten die Ansprüche, welche Albert Graf von Namur wegen anderweitiger Verwandtschaft auf den Nachlaß des Herzogs machte. Sobald Gottfried herangewachsen war, hielt er sich zur Partei Heinrichs  IV, und gewann binnen kurzer Zeit so allgemeine Achtung, daß man ihm, als dem Würdigsten, die Reichsfahne in der entscheidenden Schlacht wider Rudolf den Gegenkönig, anvertraute. Diesem Vertrauen entsprechend, drang er am 15ten Oktober 1080 kühn voraus in das feindliche Heer, und stieß Rudolfen den Schaft seines 55 {1095} Banners so tief in die Brust, daß er wenige Tage nachher in Merseburg starb. – Später begleitete Gottfried den Kaiser auf dem Zuge wider Gregor VIIAlb. Acq. 263.  Alberic. 180seq.  Corner 636.  Siegeb. Gembl. zu 1089., und erstieg zuerst die Mauern Roms; allein die Anstrengungen, die Hitze und die ungesunde Luft zogen ihm ein fast tödtliches Fieber zu. So treue Dienste belohnte der Kaiser zunächst durch Ertheilung der Mark Antwerpen, dann, im Jahre 1084, durch Ueberlassung des Herzogthums Lothringen. – Bald darauf gerieth der Herzog wegen beträchtlicher Besitzungen in Streit mit einem vornehmen ihm verwandten EdelnAccoltus IV, 391 nennt diesen Cymber. Ueber Gottfrieds Stamm siehe Miraeus I, p. 84, 162, 364 und Order. Vit. 639.. Die Richter erkannten auf den Zweikampf, welchen Gottfried, der Landessitte gemäß, auch annahm; obgleich ungern und, wie es scheint, nicht ohne Einsicht in die Unzweckmäßigkeit dieses Verfahrens. Die vorhergehenden Versuche der Aussöhnung schlugen fehl, und man mußte solche Männer vor den Augen des Volks der Gefahr aussetzen, für schuldig erkannt zu werden. Bald nach dem Anfange des Kampfs zersprang Gottfrieds Schwert an dem Schilde seines Gegners, worauf sich der Kaiser nach dem Rathe einiger Fürsten zur Vermittelung erbot; allein der Herzog wollte nicht mit zweideutigem Rufe aus dem Streite scheiden, und traf bei Erneuerung des Gefechts mit der verstümmelten Waffe den Gegner so heftig an die Schläfe, daß er für todt aus den Schranken getragen wurde. Gottfried gewann hiedurch nicht nur die streitigen Besitzungen, sondern auch Ruhm und ritterliche Ehre. In seltenem Vereine mit solcher Tapferkeit zeigte er sich keuschHist. belli sacri 133., mäßig, milde, fromm, freundlich und freigebig gegen Jedermann, unbeherrscht von der Liebe zu irdischem Besitze. Auch sein Aeußeres war einnehmend, das Gesicht schön, die Haare 56 {1095} eher blond als braun, ein hoher Wuchs, stark und doch gewandt.

Als Urbans Ruf an alle Christen zur Pilgerung in das heilige Land erging, so erfüllten sich nur Gottfrieds frühere Wünsche. Denn schon als KindGuibert 485. und lange vor der großen Bewegung des Abendlandes, äußerte er die heftigste Sehnsucht nach Jerusalem, und schon in Rom gelobte er, während seiner schweren Krankheit, die Pilgerfahrt nach dem heiligen LandeBern. Thesaur. 724.  Columpna mare 353.. – Um indeß den Zug jetzt nicht unschicklich mit geringen Kräften anzutretenWilh. Tyr. 767.  Robert. Mon. 33. Doch gründete Gottfried vor dem Antritte des Kreuzzuges ein Kollegium von zwölf Stiftsherren in Antwerpen. Miraei op. dipl. I, p. 695., um zu zeigen wie alle Aussichten sich nur dorthin richteten, veräußerte Gottfried, mit Beistimmung seiner Mutter Ida, das Schloß Bouillon an den Bischof Albert von Lüttich für 1500 Mark SilbersAlberic. 147-182. cf. du Fresne ad Ann. Comn. p. 80.  Order. Vital. 764, hat 7000 Mark Silber. Belg. chr. magn. 145.  Gallia christ. X, pr. p. 38.  Miraei op. dipl. I, p. 353, 360, 364.; doch war den drei nächsten Nachfolgern des Herzogs das Recht zur Einlösung für die gleiche Summe vorbehalten. Die Ortschaften Mosay und Stenay überließ er dem Bischof Richer von VerdunMosacum et Sathanacum. Alberic. l. c., versöhnte sich (denn schon sollte Fehde zwischen ihnen ausbrechen) mit demselben, und zerstörte Falkenberg, ein, wider jenen erst vor kurzem errichtetes Schloß.

Zu Gottfried gesellten sich seine Brüder Balduin und EustathiusCamici Urk. XXII, zu 1093. p. 31.  Martene thesaur. I, 261.  Alber. 150, 231.  Guib. 485.  Iperius 632.  Accolti IV, 391.  Columpna 356., und Balduin von Rames oder Burg ihr Neffe, der Sohn Hugos von Retest.

57 {1095} Robert, Graf von der Normandie, Sohn Wilhelms des Eroberers, Bruder König Wilhelms des Rothen von EnglandRad. Cadom. 121.  Hist. belli sacri l. c.  Guib. 486.  Order. Vit. 724, 764.  Wilh. Gemetic. VIII, 1, 13.  Guil. Neubr. I, 2.  Simeon Dunelm. de reg. Angl. zu 1096.  Roger Hov. 466.  Wilh. Malmesb. 124, 154., war an Geschlecht und Reichthum größer als Gottfried, geringer aber an Herrschergeist und an christlichen Tugenden. Denn, so viel Lob auch seine Tapferkeit und sein gerader offener Sinn verdienten, so tadelnswerth erschien seine überwiegende Neigung für sinnliche Genüsse und seine, oft alle Thätigkeit hemmende Trägheit. Er war mehr verschwenderisch als freigebig, und versprach was man verlangte, ohne sich um das Erfüllen zu bekümmern. Durch übertriebene Milde und Nachsicht führte er selbst manche Frevel herbei, und so theilnehmend er mit den Leidenden auch weinte, so selten war er geschickt durch kräftige Hülfe Thränen zu trocknen, oder durch strenge Maaßregeln die Gründe des Unheils zu vertilgen. Für 10,000 Mark überließ er seinem Bruder Wilhelm die Normandie auf fünf Jahre, und der König trieb jenes Geld streng von seinen Unterthanen, selbst von Geistlichen bei.

Robert, Graf von Flandern, hatte schon vor zwölf Jahren das heilige Grab besuchtGuibert. 549.  Anna Comn. VII, 160. Diese behauptet, Robert habe damals dem Kaiser geschworen, Hülfsmannschaft versprochen, und gestellt. Aber nach Iperius 588 starb Robert der erste, welcher in Palästina war, schon 1093, und Robert der zweite nahm Theil am Kreuzzuge., von den Bedrückungen der Christen erzählt und zur Annahme des Kreuzes ermuntert. Manchen unterstützte er jetzt durch seinen Reichthum und strebte, wenig bekümmert um Feldherrngröße, nur danach, als erster Ritter zu glänzen.

Hugo, Graf von VermandoisHist. franc. fragm. ap. Duchesne IV, 90., der Bruder König Philipps von Frankreich, war dem Geschlechte nach der erste 58 {1095} unter den Pilgern, und stand auch an Rechtlichkeit und Sitte hinter keinem zurück, ob er gleich von einigen an Macht, Reichthum und Rittertugenden übertroffen wurde.

So viele Burgen, als Tage im Jahre sind, zählte Graf Stephan von Blois und Chartres zu seinem Eigenthume. Er war freigebig, obgleich nicht auf einnehmende Weise, mehr herablassend als fähig durch Kraft und Muth zu erheben; doch vertraute man nicht selten seinen Rathschlägen.

Der mächtigste und reichste Fürst Frankreichs, Raimund Graf von ToulouseRob. Mon. 34.  Hist. belli sacri 134, 136., veräußerte seine meisten Besitzthümer, damit er die große Unternehmung desto nachdrücklicher zu befördern im Stande sey. Weil er indeß von Natur und seines Alters halber, besonnen und mehr auf Erwerb bedacht als zum Verschwenden geneigt war, so mußte er Anfangs manchen Vorwurf der Pilger erdulden. Erst als sie ihr Vermögen ganz und nicht ohne Uebereilung erschöpft hatten und nunmehr, bei der wirklich drückenden Noth, von ihm reichliche Unterstützung erhielten, verwandelte sich ihr Tadel in Dank und in Lob seiner Vorsicht. Ueberhaupt zeigte sich Raimund mild und zuvorkommend gegen Nachgiebige, streng und heftig gegen Widerstrebende, und war, wo es nicht zunächst seine Person betraf, ein eifriger Rächer jedes Unrechts.

Boemund, Fürst von TarentSiehe die Beilage über die Geschichte der Normannen, und Anna Comn. 31, 240, 319., welcher seinem Vater Robert Guiskard in Allem ähnlich, in jeder Hinsicht ein Normann war, verband großen Muth und Kriegsgeschick mit noch größerer Gewandtheit und Verschlagenheit.

Tankred, sein Neffe, übertraf die jüngeren Genossen an Kühnheit der Waffenführung, die ältern Männer an besonnenem Ernst. Ein fleißiger Hörer des göttlichen Wortes, vergalt er Böses nicht mit Bösem, und war mehr 59 {1095} bemüht den Feind in offener Fehde, als durch listige Rathschläge zu besiegen. Niemals rühmte er seine eigenen Verdienste; aber indem er Wachen dem Schlafe, Arbeit der Muße, Anstrengung der Erhohlung vorzog, und alles Entbehrliche Ermattende zurückwies, hatte er sich den Weg zum ächten Ruhme gebahnt, welchen er bei der Mitwelt und, nach unparteiischer Geschichtserzählung, auch bei der Nachwelt zu erlangen wünschteEr forderte Radulf (Rad. Cadom. c. 12) zur Geschichtschreibung auf.. Noch zweifelte er, ob der geistliche oder der weltliche Stand sein eigenster Beruf sey, ob er in dem einen oder dem andern die höchste Entwickelung seiner Natur erwarten dürfe: da forderten die Kreuzzüge Rittertugenden zu geistlichen Zwecken, und vereint hatte er itzt gefunden, was früher auf immer getrennt zu seyn schien.

So waren die Häupter der Kreuzfahrer; und an sie schlossen sich nun unzählige Ritter und Edle an, so wie das Vaterland und äußere Verbindung es mit sich brachte, oder wie innere Uebereinstimmung der Gemüther es verlangte.

Der Winter des Jahres 1095Wilh. Tyr. 642. verfloß unter großen Vorbereitungen: Pferde, Waffen und Gepäck wurden angeschafft, und das Reisegeld durch Beiträge der Zurückbleibenden und durch den Verkauf eigener Besitzungen verstärkt. Aber alles von den Kreuzfahrern Anzuschaffende war theuer, alles von ihnen zu Verkaufende wohlfeil: indem die Zahl der ZurückbleibendenGuibert. 481–482., welche Erzeugnisse und Grundstücke erstehen mochten, gering erschien gegen die Zahl derer, welche sie veräußern wollten.

Sobald das Frühjahr eintratHistor. belli sacri 139. sah man keine Stadt, kein Dorf, wo sich nicht Pilger sammelten, kein Feld, wo 60 {1096} nicht Zelte aufgeschlagen waren; von allen Seiten ertönten Lieder zum Lobe der Wallfahrt und des heiligen LandesCantilenam de Ultreja (Ultra - eja) cantaverunt. Landulph. jun. 2.. Manche Familie hatte all ihre Habe in der Hoffnung bessern Erwerbes veräußert, und trat den Kreuzzug an, ohne Ausnahme eines einzigen Gliedes. Ein zweirädriger mit Ochsen bespannter Wagen trug die Kinder, den nächsten Bedarf an Lebensmitteln, und das sonst für unentbehrlich gehaltene, oder zum Zuge angekaufte geringe Besitzthum. Weiber, keusche und unkeusche, zogen bewaffnet und in Mannskleidern nebenherMulieres - qui naturalem habitum in virilem nefarie mutaverunt, cum quibus fornicati sunt. Berthold. Constant.. Unkundig über den Umfang und das Ziel des Unternehmens, fragten Viele bei jeder Stadt, bei jeder Burg, die sie erreichten: »ob hier nicht Jerusalem sey«Guib. 482.  Dodechin zu 1096.!

Erzählungen von Wundern erhöhten die Begeisterung des Volks und blutige Wolken, Gefechte in den Lüften, große Schwärme fliegendes Gewürms, Mißgeburten und alle Erscheinungen ähnlicher Art, galten für Andeutungen und Weisungen zu dieser neuen Völkerwanderung. Manche hatten sich sogar aus Eitelkeit, oder durch frommen Wahn bewegt, das Zeichen des Kreuzes mit glühendem Eisen eingebrannt, und die DeutschenAnnal. Saxo zu 1095: stultitia delirantes subsannabant. Ekkeh. 518. Alberic. 147. vel peste jactantiae vel bonae voluntatis halber, eingebrannt. Ursperg. chron. zu 1091., welche anfänglich die Thorheit verspotteten, den väterlichen Boden und das gewisse Gut für unsichere Aussichten hinzugeben, wurden zuletzt durch die Anmahnungen der Pilger und durch jene Wahrzeichen am Himmel, an Menschen und an Thieren, zu fast gleichem Eifer fortgerissen.

Die Fürsten waren nicht minder thätig als das Volk; doch mußten hier die Vorbereitungen umfassender, die 61 {1096} Ueberlegungen besonnener, die Entschlüsse gemeinsamer seyn, wenn der Plan, das Morgenland durch die Kräfte des Abendlandes zu retten, nicht mißlingen sollte. Viele Pilger, denen dies Verfahren der Fürsten nur als tadelnswerthe Zögerung erschien, oder die von ihnen als untauglich zu der Wallfahrt abgewiesen wurden, vereinigten sich aber in großen Schaaren unter selbstgewählten Anführern.

Schon im Mai des Jahres 1096 brach Walter, genannt HabenichtsSensaveir Wilh. Tyr. l. c.  Orderic. Vital. 723. auf, und zog mit Peter dem Einsiedler bis Köln; hier aber blieb dieser zurück um ein größeres Heer zu sammeln, während jener unvorsichtig nach Ungern voran eilte. Man fürchtete um so mehr daß diese Unternehmung mißglücken werde, da sich zwar viele Fußgänger aus Frankreich, aber nur acht Ritter seiner Führung anvertraut hattenAlb. Acq. 186.. König Kalmany von Ungern, (ein kluger, körperlich indeß sehr mißgestalteter Mann)Er war bucklich, lahm, schiefäugig, dichtbehaart und schnarrte. Engel Gesch. v. Ungern I, 196. bewilligte ihm friedlichen Durchzug und den Ankauf von Lebensmitteln; auch traf, die Plünderung eines vereinzelten Haufens abgerechnet, kein bedeutender Unfall das Heer.

Als aber die BulgarenMan lese bei Wilh. Tyr. 643. Save oder Saove statt Maroe; vgl. p. 653., deren Reich nordöstlich durch die Sau begränzt ward, den Verkauf von Lebensmitteln verweigerten, so griffen die Kreuzfahrer nothgedrungen Belgrad an, raubten und begingen manche Grausamkeiten; bis ein schnell gesammeltes bulgarisches Heer die Unvorsichtigen überraschte und besiegte: 140 wurden in einer Kapelle eingeschlossen und verbrannt. Walter konnte weder Einheit noch Ordnung mehr erhalten, sondern überließ die Feigern und Widerspenstigen ihrer Willkür und ihrem Schicksal, und zog nur mit den Auserlesenen durch die 62 {1096} bulgarischen Wälder über Nizza nach SternitzStralitzia W. Tyr. l. c.. Hier nahm sie der Fürst der Bulgaren günstig auf, bewilligte ihnen freien Handel und sichere Führer durch das griechische Reich.

Kaiser Alexius erschrak zwar bei den ersten Nachrichten von den Bewegungen der Abendländer, und hielt sie für nicht minder feindlich und gefährlich als die Züge der Normannen; aber selbst nachdem Urban von dem größern Umfange der Wallfahrten Nachricht gegebenUrbani II. epist. 16.  Concil. XII, p. 731. und um Unterstützung für die Pilger gebeten hatte, glaubten die Griechen noch nicht, daß eine scheinbar so geringe Veranlassung so große Folgen haben könne. Doch sandte der Kaiser angesehene Beamte nach Aulon und Dyrrachium, und befahl: man solle die Ankömmlinge auf der festgesetzten Heerstraße verpflegen und weiter führen, durch Dollmetscher allen Streitigkeiten vorbeugen und die, zu Plünderungen oder andern Gewaltthaten vom Wege Abschweifenden, mit Güte, oder höchstens durch mäßige Zwangsmittel zurechtweisenAnna Comn. 225.. Bei Konstantinopel empfing Alexius die Pilger mit großer Milde, erlaubte ihnen ein Lager aufzuschlagen und sorgte, daß sie gegen baare Zahlung Lebensmittel erhielten. Sie beschlossen hier die Ankunft Peters des Einsiedlers abzuwarten..

Dessen Ansehn wuchs täglich unter dem VolkeHaare seines Maulthiers sollen als Reliquien aufbewahrt worden seyn: - non ad veritatem, sed vulgo referimus amanti novitatem, sagt aber Guibert 482., er ward geehrt gleich einem Heiligen und schlichtete durch sein bloßes Wort den hartnäckigsten Streit. Schon am Rheine hatte er 15 000 PilgerAnn. Saxo 1096.  Ursp. chr. 174.  Anna Comn hat p. 226 die übertriebene Zahl von 80,000 Fußgängern und 100,000 Reitern (ἀνδρων ἱππεων). Wahrscheinlich beruht die letzte Zahl auf einem Schreibfehler. durch rastloses Predigen um sich 63 {1096} versammelt; sie mehrten sich auf dem Zuge durch Franken, Baiern und Oesterreich bis auf 40,000. Weil aber Peter dieses freiwillige Anwachsen nicht mit Einsicht und Nachdruck beschränkte, so fanden sich Untaugliche, schlecht Gesinnte und Weiber zweideutigen RufesFalsos fratres et inhonestas foeminei sexus personas intermiscere. Ann. Saxo l. c. in sehr großer Zahl ein. König Kalmany ließ sich ordnungsmäßigen friedlichen Durchzug versprechen, und ergriff zu gleicher Zeit Vorsichtsmaaßregeln für den Fall, daß jene Bedingung übertreten würde; anderer Seits suchten mehre Ungern eine Veranlassung, einen Vorwand, um den Kreuzfahrern ihre Reichthümer abzunehmenColon. chr. St. Pantal. p. 911.. So entstand gegenseitig Argwohn in den Gemüthern, doch erreichten die Pilger die Gegend von SemlinMalavilla nördlich der Sau, gegenüber von Belgrad. ohne Unfall oder Gewaltthat. Aufmerksamer und besorglicher machte sie das Gerücht: während des Uebersetzens über die Sau, werde der König von Ungern von einer, die Bulgaren von der andern Seite des Stroms angreifen und das Heer zu vertilgen suchen. In solcher Stimmung erblickten sie plötzlich auf den Mauern Semlins, zu Spott oder Warnung, die Kleider und anderen Besitzthümer derjenigen Kreuzfahrer aufgehängt, welche sich von Walters Heere vereinzelt hatten und durch die Einwohner geplündert waren. Da ergriff Alle der höchste Zorn, unaufhaltbar erstürmten sie die Mauern der Stadt, schlugen die, auf solchen Anfall nicht vorbereitete Besatzung in die Flucht, und hieben grausam an 4000 Einwohner nieder. Nur Wenige retteten sich zu Schiffe über den Strom. Fünf Tage lang verweilte hierauf das Heer in dieser Gegend, Beute vertheilend und die Vorräthe fröhlich verzehrend; da schreckte ein in Ungern ansäßiger Franke Alle durch die Nachricht: König Kalmany eile mit Heeresmacht herbei, um die Zerstörung seiner Stadt zu rächen. 64 {1096} Schnell sammelte man deshalb die vorhandenen Schiffe, verband Balken zu FlößenAlb. Acq. 187. und setzte über die Sau, jedoch nicht ohne allen Verlust: denn Manchen riß der Strom mit sich fort und Manchen tödteten die Bulgaren, welche in kleinen Kähnen umherschwärmten und Pfeile auf die Pilger abschossen.

Belgrad fand man von den Einwohnern verlassen: so sehr hatte das Schicksal Semlins die ganze Gegend in Furcht gesetzt. Nach acht Tagen erreichten die bereits Mangel leidenden Pilger NizzaW. Tyr. 644., wo die Bulgaren gegen Geißelstellung den Einkauf von Lebensmitteln erlaubten, und selbst mehre Arme mit Almosen und Geschenken unterstützten. – Schon hatte Peter am andern Morgen nach freundlicher Rückgabe der Geißeln mit den Meisten den Zug wieder angetreten, als etwa 100 zurückgebliebene Deutsche (erzürnt wegen eines sehr unbedeutenden Zwistes mit einem Bulgaren) sieben Mühlen in Brand steckten und in unverständigem Eifer mehre Häuser zerstörten, welche vor der Stadt lagen. Noch hatten sie indeß hinwegeilend, die übrigen Pilger nicht wieder erreicht, als sie schon von den nachsetzenden Bulgaren eingeholt und zur Strafe ihres Frevels und ihres Undanks niedergehauen wurden. Unschuldige litten hierbei allerdings mit den Schuldigen: denn die Feinde erbeuteten viele Wagen mit Lebensmitteln, sie tödteten oder ergriffen mehre Alte und Kranke, Weiber und Kinder, welche sich im Nachzuge des Heeres befanden. Sobald Peter durch den, zu ihm eilenden Ritter Lambert diese Trauerbotschaft erhielt, kehrte er mit dem Heere umBernard. Thesaur. 671. und bezog zum zweiten Male ein Lager vor der Stadt. Als sich indeß bei näherer Prüfung ergab, daß kein Grund zur RacheWilh. Tyr. 645., sondern vielmehr zur Entschuldigung und 65 {1096} Genugthuung vorhanden sey; schickte Peter Abgesandte in die Stadt, welche seine Unschuld bezeugen, die Herausgabe der Gefangenen und des Gepäcks bewirken, und wo möglich einen neuen festern Bund schließen sollten, ohne welchen man wechselseitig stete Beunruhigung fürchten müsse. Die Gesandten fanden zwiespaltige Meinungen unter den Bewohnern. Einige von diesen drangen nämlich auf einen neuen rächenden Angriff, während andere die Herstellung des Friedens verlangten; doch hätte wahrscheinlich die letzte Meinung obgesiegt, wenn nicht neue Feindseligkeiten von Seiten der Wallfahrer, die Berathschlagungen unterbrochen hätten. Denn obgleich Peter streng jeden Angriff untersagte, zogen doch an 1000 Männer über die steinerne Brücke gegen die Stadt, und ließen sich weder durch milde Vorstellungen, noch durch Drohungen zu Besonnenheit und Gehorsam zurückführen. Sobald aber die Bulgaren bemerkten, daß jene Schaar vereinzelt und gegen Peters Willen angreife, brachen sie schnell hervor, drängten die Pilger zur Brücke, tödteten etwa die Hälfte und stürzten die Übrigen in den Fluß. Diesen schrecklichen Untergang ihrer Brüder wollten die übrigen Kreuzfahrer nicht unthätig mit ansehn; allein die Ungeordneten, des Krieges Ungewohnten flohen bald vor den günstiger gestellten, geübtern Feinden, und die Tapferkeit einzelner Ritter genügte nicht den Sieg zu erringen. Von neuem suchte itzt Peter durch einen Bulgaren, der das Kreuz genommen hatte, um einen Waffenstillstand nach, und er wurde bewilligt. Ehe jedoch die weitern Verhandlungen zum Schluß gebracht waren, entfernten sich die Pilger schon mit ihren Gütern ohne Ordnung und gegen alle Befehle; was die Bulgaren auf die Vermuthung brachte, man gehe nur damit um, sich fliehend zu sichern und Zeit zu gewinnen. Sie griffen nochmals an, und erfochten einen vollständigen Sieg. An 1000 Pilger wurden getödtet, eine große Zahl (darunter viele Weiber und Kinder) gefangen, 2000 Wagen und zugleich alles Geld erbeutet, welches Peter aus milden Beiträgen 66 {1096} der Gläubigen, für die armen Pilger gesammelt hatteVitriac. hist. hier. 1065.  Sanut. 133.. In den Wäldern und Bergschluchten fanden diese zwar eine Zuflucht vor gänzlichem Untergange; allein die Sammlung der Zerstreuten ward auf der andern Seite dadurch auch gehindert.

Drei Tage vergingen ehe die Unglücklichen, durch den Schall der Trompeten geleitet, sich wiederum bei ihrem Führer einfanden; dennoch erklärten gegen 30,000 den beharrlichen Entschluß, aller Unfälle ungeachtet, weiter zu ziehen. In Städten und Dörfern fand man aber keine Bewohner mehr, überall mangelte es an Lebensmitteln und nur die reifende Saat auf den Feldern stillte den äußersten Hunger. Endlich erreichte das Heer Sternitz und traf hier Abgeordnete des griechischen Kaisers, welche das Verfahren der Pilger anfangs zwar heftig tadelten, dann aber, zu allgemeiner Freude, die Führung bis Konstantinopel und die Sorge für die nöthigsten Bedürfnisse unter der Bedingung übernahmen, daß das Heer nie länger als drei Tage an einem Orte verweileAlb. Acq. 190.  W. Tyr. 646., und sich aller Gewaltthaten enthalte.

Vor KonstantinopelGest. Franc. I. Hist. belli sacri 140. fanden die Pilger den Ueberrest der Schaaren, welche Walter Habenichts angeführt hatte, und bezogen mit ihnen ein gemeinsames Lager. Alexius –, begierig den Mann zu sehen, welcher im Abendlande so große Bewegungen zu erzeugen vermochte –, ließ Peter den Einsiedler rufen, vernahm mit Theilnahme die Erzählung seiner Unglücksfälle, gab seinen feurigen Reden über die Größe und Heiligkeit des Kreuzzuges, Beifall, fügte aber den Geschenken für ihn und seine Begleiter, die Warnung hinzu: sie möchten nicht vereinzelt nach Asien aufbrechen und den Kampf mit den mächtigen Türken wagenRaim. 142, behauptet, Alexius habe die Pilger vorsätzlich nach Asien geschickt, damit sie den Türken erliegen möchten; dem widersprechen Alb. Acq. 191.  Anna Comn. 226 und Order. Vital. 724 mit Recht. Alexius war damals den Kreuzfahrern nicht feindlich gesinnt, und hoffte von ihnen Hülfe zu erhalten.. 67 {1096} Dennoch wiederholten die Kreuzfahrer ihre Bitten um schleuniges Übersetzen, erhielten auch Schiffe, und lagerten bei Kibotus unfern HelenopolisHelenopolis früher Drepanum. du Fresne ad Annam l. c. in Bithynien. Nicht lange dauerte hier ihre Einigkeit: die Deutschen und Lombarden trennten sich von den, durch Anmaaßung verhaßten Franzosen, bezogen ein eigenes Lager und erwählten Rainald zu ihrem AnführerGuib. 322.  Tudebod. 778.. Zwei Monate wartete man seitdem auf die Ankunft der übrigen Kreuzfahrer; welche zwei Monate, verlebt in Unthätigkeit und durch der griechischen Kaufleute Vorsorge auch im Wohlleben, das Vermögen der Pilger so ganz erschöpften, daß sie gewaltsamen Erwerb für nöthig, ja für erlaubt hielten. Zuerst plünderten sie die umliegende Gegend, dann blieben sogar die Kirchen nicht verschont, und wenn anderes Besitzthum mangelte, nahm man das Blei von den Dächern und verkaufte es an die GriechenGest. Franc. I. Robert. Mon. 33.  Balderic 89.. Peter welcher tief betrübt war, daß er diesen, unter seinen Augen vorgehenden Freveln nicht steuern konnte, eilte nach Konstantinopel, um wo möglich billigere Verkaufspreise der Lebensmittel zu bewirkenGuib. 484.. Weil aber die Noth und der Mangel, trotz jener gewaltsamen Hülfsmittel fortdauerten, so verbanden sich in seiner Abwesenheit 7000 Fußgänger und 300 Reiter aus dem französischen Lager, zogen, unbekümmert um das Verbot aller Feindseligkeiten, gen Nicäa, trieben aus den benachbarten Orten die Heerden zusammenAnna Comn. 226 erzählt die verübten Grausamkeiten, nennt aber Normannen als die Thäter., verübten schreckliche Grausamkeiten an den Bewohnern und erreichten glücklich das 68 {1096} christliche Lager, nachdem sie einen Angriff der Türken zurückgeschlagen hatten.

Die Vorwürfe womit man die Zurückgekehrten überhäufte, entsprangen nicht aus dem Gefühl einer Nothwendigkeit des Gehorsams und der Einheit in allen Unternehmungen; sondern vielmehr aus Verdruß, daß die reiche Beute nur Wenigen zu Theil geworden war. Deshalb versammelten sich 3000 deutsche Fußgänger und 200 Reiter unter Rainalds Anführung zu einem ähnlichen Zuge; auch sie wollten sich einen Namen erwerben und ihre Dürftigkeit in Reichthum verkehren.

Etwa vier Meilen von Nicäa, an dem Fuße eines Berges, lag Xerigordon, eine kleine StadtSo nennt Anna den Ort. Alberic. 149 Exerogorgo, vielleicht war es nur ein Schloß.. Diese ward von jenen Deutschen eingenommen, geplündert und die meisten Einwohner ermordet. Angezogen durch die schöne Lage und die Fruchtbarkeit der Gegend, beschlossen die Pilger den Ort zu befestigen und die Ankunft der Fürsten hier zu erwarten. Allein ehe noch jenes Geschäft beendigt war, sahen sie sich unerwartet von Elchanes, einem Emir des Sultans von Ikonium eingeschlossen und geriethen, weil alle Versuche sich durchzuschlagen keinen glücklichen Erfolg hatten, in solche Noth, daß man beim Mangel an Nahrungsmitteln und an Wasser, das Ekelhafteste genoß, das Blut getödteter Thiere trank und frische Erdschollen zur Kühlung auf die erschöpfte Brust legteGest. Franc. 2.  Balderic. 90.  Guib. 483.  Hist. belli sacti. Man trank seinen eigenen Urin.. Deshalb schloß Rainald einen heimlichen Vertrag mit den Türken, und ging, unter dem Vorwande eines Ausfalls, nebst einem Theile der Besatzung zu ihnen über; wogegen alle Zurückgebliebenen und alle gewissenhafteren Bekenner ihres Glaubens, umkamen oder in Gefangenschaft geriethen. Als die traurige Kunde dieses Unfalls das Lager der übrigen 69 {1096} Pilger erreichte, waren die Einsichtsvollern, und an ihrer Spitze Walter Habenichts, keineswegs geneigt, durch einen neuen Angriff die Gefahr und den Verlust zu verdoppeln: die Geringern aber, solche Vorsicht Feigheit scheltend und sich auf den Beistand Gottes berufend, gehorchten nur der Heftigkeit ihrer LeidenschaftNach Anna 226 ließen die Türken durch Kundschafter im christlichen Lager verbreiten, Nicäa sey von Pilgern eingenommen und große Beute gemacht worden; dies habe alle zum Aufbruch verleitet.. 25,000 Fußgänger und 500 gerüstete ReiterEquites, bisweilen nur Reiter, nicht Ritter. führte Gottfried Bürel durch einen dichten Wald, in welchen gleichzeitig die Türken eingerückt waren, um das christliche Lager zu überfallen. Unerwartet hörten diese zur Seite die Stimmen vieler Menschen, den Schall von Trompeten, das Wiehern von Pferden; sie ahnten die Annäherung des christlichen Heeres, zogen sich deshalb schnell zurück und lagerten in Schlachtordnung auf der weiten, ihrer Überzahl günstigen Ebene, welche den Wald begrenzte. Sobald nun die Christen aus diesem hervortraten, erblickten sie zu ihrem Erstaunen das große Heer der Feinde, scheuten indeß den Kampf nicht, sondern schickten die Reiter und einige Schaaren des Fußvolks voraus, während die Übrigen sich ordneten. Ungestört ließen die Türken jenen Vortrab immer weiter und weiter vorrücken, schwenkten aber dann plötzlich von beiden Seiten ein, umringten dadurch die Unvorsichtigen und schnitten sie von dem größeren Heere ab. Vergeblich durchbrachen jene die hintern Reihen der Türken und gewannen das freie Feld von Nicäa; sie blieben vereinzelt, und erlagen den wiederholten Angriffen ihrer Gegner. Mittlerweile begannen auch die übrigen christlichen Fußvölker den Kampf mit der größten Tapferkeit; weil sie jedoch nicht verstanden in geschlossenen RottenSanut. 134.  Alberic. 150. die Angriffe der weit zahlreichern türkischen Reiterei zurückzudrängen, wurden sie aus einander gesprengt und niedergehauen; auch Walter fand hier seinen Tod.

70 {1096} Viele flüchteten jetzt durch den Wald zurück, allein die Türken setzten ihnen nach, eroberten leicht das unbefestigte Lager und tödteten Männer und Greise und Geistliche ohne Unterschied; nur Knaben und Mädchen wurden gefangen hinweggeführt. Auch die Beute war beträchtlich, an mannigfachen Gütern, an Lastthieren, Pferden und Schlachtvieh. Von 25,500 Pilgern, retteten sich nur etwa 3000 in eine alte halbverfallene menschenleere Burg am Meere, nahe bei KibotusRobert. Mon. nennt die Burg Civitot und läßt sie von den Türken einnehmen; ihm stimmen bei: Hist. belli sacri 142,  Balder. 90, und Guib. 484. Nach W. Tyr. 648,  Alb. Acq. 193,  Tudeb. 778 und Anna Comn. 227, wurde die bei Kibotus liegende Burg von Griechen entsetzt. Peter wohnte nach der letzten der Schlacht bei; dem widersprechen aber alle lateinischen Geschichtschreiber.; sie wären aber auch hier von den nachsetzenden Feinden durch Feueranlegung zur Übergabe gezwungen worden, wenn nicht ein günstiger Wind die Flammen von der Burg abgehalten, und Alexius Mannschaft zur Hülfe nach Asien gesandt hätte.

Die Türken hoben itzt die Belagerung auf, und die wenigen, nach Konstantinopel zurückkehrenden Pilger, verkauften ihre Waffen dem Kaiser und erwarteten die Ankunft neuer Genossen. Alexius erinnerte, daß die Uebertretung seiner Rathschläge ihr Verderben herbeigeführt habeAnna Comn. 227.  Order. Vital. 725., worauf Peter, sich entschuldigend und tröstend, antwortete: »der Herr hat die Ungehorsamen, die Räuber, nicht würdig befunden das heilige Grab zu schauen, seine Macht hat sie vertilgt.« Doch wäre dieser Ausgang wohl vermieden worden, wenn Peter neben der Anlage zu begeistern und Bewegungen zu wecken, auch das Geschick besessen hätte diese Bewegungen zu leiten und zu regeln.

Doch wollte er unläugbar daß Zucht und Ordnung vorhanden sey, welcher Wille hingegen den Anführern mehrer nachfolgenden Schaaren offenbar mangelte, und sie 71 {1096} desto schneller ins Verderben stürzte. So führte GottschalkAnnal. Saxo und Chronogr. Saxo zu 1096.  Ursp. 174., ein deutscher Priester, aus den Ländern am Rheine 15,000 Pilger durch Ostfranken nach Ungern, und es geschah ihnen kein Leid solange sie die festgesetzten Bedingungen erfüllten; bald aber überließen sie sich zügellosen Räubereien, wurden von den Ungern eingeschlossen und, wegen ihres heftigen Widerstandes, zwar nicht sogleich besiegt, aber doch bald nachher überlistet. König Kalmany ließ ihnen nämlich sagen: »im Kampfe geht der Unschuldige mit dem Schuldigen zu Grunde; deshalb legt die Waffen nieder, damit ich nur die Verbrecher zur Strafe aussondere, alle Übrigen aber ungestört ihres Weges weiter ziehen lasse.« Man vertraute den Worten des Königs und fürchtete seine Macht; kaum waren jedoch die Waffen ausgeliefert, so erging Rache über Alle, und nur Wenige entflohen nach Deutschland, das Unglück verkündend und vor eigenem Frevel, wie vor fremder Hinterlist warnend.

Aus ähnlichen Gründen und auf ähnliche Weise fanden die Schaaren welche ein LaienbruderLaicus et prius inclusus. Chronogr. Saxo 272. Volkmar durch Sachsen und Böhmen führte, bei der ungerischen Stadt Neitra größtentheils den Tod oder die Gefangenschaft, und vom gänzlichen Untergange, so erzählt die SageAnnal. Saxo 1096.  Engel Gesch. v. Ungern I, 196–198., rettete sie nur ein, am Himmel erscheinendes Kreuz.

Bisher hatten die Pilger geglaubt, daß das Gelübde sie nur zum Kriege gegen die Ungläubigen verpflichte; jetzt aber bezeichnete ein falscher Religionseifer und weit mehr noch Habsucht, die Juden als zu vertilgende Feinde des Christenthums. Während diese der Wallbrüder Sehnsucht nach dem heiligen Lande theiltenJehudah Hallevi, Seufzer nach den Denkmälern des heiligen Landes. Herders Schriften zur Gesch. u. Phil. Th I, S. 20., und in Liedern über die alten Leiden ihres Volkes klagten, brachen neue auf sie 72 {1096} ein, schrecklicher fast als je zuvor. Zahlreiche Schaaren, meist niedrigen Gesindels zogen, besonders am Rheine umher, sie beraubend und ermordend. In Köln wurden ihre Bethäuser und Wohnungen niedergerissen, viele getödtet und selbst 200 fliehende, welche man aus dem Rheine ergriff, nicht verschont. In WormsAuch in Böhmen zwang man die Juden sich taufen zu lassen, aber sie traten bald wieder zu ihrem Glauben zurück. Cosmas 2076. wo man von ihnen Annahme des Christenthums verlangte, versammelten sie sich unter dem Vorwande darüber Berathungen anzustellen; tödteten sich dann aber selbst, weil sie nicht den Glauben ihrer Väter verläugnen wollten. In Trier sprangen aus gleichem Grunde sogar mehre Weiber ins Wasser, nachdem sie ihre Kleider mit Steinen angefüllt hattenGesta Trevir. Marten. 183.. In Speier fochten sie tapfer gegen die angreifenden Pilger, und erhielten endlich für Zahlung einer Summe Geldes den Schutz des BischofsDeshalb nannten manche den Bischof bestochen. Berthold. Constant.. In Mainz hatte Rothart der Erzbischof die Unglücklichen vergeblich in eine feste Behausung aufgenommenIn der Woche vor Pfingsten. Ann. Saxo 1096. Siegeb. Gembl. Dodechin.: sie ward erstürmt und weder Mann, noch Weib, noch Kind verschont; so daß in furchtbarer Verzweiflung die Mütter ihre eigenen Söhne und Töchter mordeten, damit sie nur nicht durch das Schwert ihrer Feinde fallen möchten. Ueber 1000 kamen allein in dieser Stadt ums Leben. Erst als Kaiser Heinrich IV im folgenden JahreEt Judaeis qui baptizati fuerunt, judaizandi ritum concessit. Chronogr. Saxo zu 1097.  Alber. 148. Doch sagt der Anonym. Saxo Menck. p. 98: der Kaiser habe die Güter der Juden in Beschlag genommen, welche von den Kreuzfahrern erschlagen worden. Lamb. Addit. zu 1096. Hildeshem. annales. aus Italien zurückkehrte, verstattete er den mit Gewalt Getauften, wiederum ihren vorigen Glauben zu bekennen, und 73 {1096} stellte Untersuchungen an gegen die Urheber dieser Frevel. Man fand Verwandte des Erzbischofs von Mainz unter den SchuldigenUrsp. chr. 174.; ja dieser entging selbst nicht dem Verdachte heimlicher Theilnahme, und floh deshalb mit jenen nach Thüringen zu den Feinden des Kaisers.

Endlich gelang es Emiko, einem mächtigen, aber wegen früherer Gewaltthaten schon berüchtigten rheinischen GrafenAlb. Acq. Ann. Saxo 1096., viele zerstreute Schaaren angeblicher Pilger für eine Richtung zu vereinigen; allein er zeigte sich weder als weisen Ordner, noch als kräftigen Feldherrn, sondern bloß als Theilnehmer und Beförderer ihrer SchandthatenMaleficiorum particeps et incensor. W. Tyr. 649.. Auch mußte er die Oberleitung mit einer Gans und einer Ziege theilen, welche man, als des heiligen Geistes voll, ehrte und zu Führern nach Jerusalem erkorAlb. Acq. 196. Lüneb. Chron. 1350. Viele meinten, Karl der Große sey auferstanden und werde sie anführen.. So zogen an 20,000 Menschen, worunter jedoch nur 3000 Reiter waren, durch Böhmen nach Ungern, ihren Weg mit Gräuelthaten und Grausamkeiten aller Art bezeichnend. Herzog Wratislav von Böhmen war unglücklicherweise mit seiner Kriegsmacht in Polen abwesend, und die geistlichen Ermahnungen des Bischofs Kosmas von PragAnnal. Saxo 1096. machten keinen Eindruck. König Kalmany, durch schwere Erfahrungen belehrt und Rache fürchtend wegen Gottschalks Niederlage, versagte den Pilgern um so mehr den Durchzug, da man ihm hinterbracht hatte, daß sie gesonnen wären, Ungern und Ungläubige gleich feindlich zu behandelnEbendaselbst.. Die Zurückgewiesenen umlagerten hierauf MeßburgEkkeh. 520. Ungerisch Altenburg. Michaud I, 135.  Engel Gesch. von Ungern I, 196–198.  Nibelungen v. 5521., zwischen der 74 {1096} Donau und der Leitha gelegen, bauten eine Brücke über diesen Strom und bestürmten endlich die Mauern. Schon war der Ort fast eingenommen, schon bereitete sich König Kalmany zur Flucht, als das ganze Heer der Pilger von einem unbegreiflichen Schrecken ergriffen wurdeW. Tyr. 650.  Annal. Saxo 1096. Viele nannten itzt das ganze Unternehmen insanum atque frivolum. Ursp. 1097., und mit Zurücklassung aller Habe und in der größten Verwirrung entfloh. Viele kehrten in ihre Heimath zurück, andere schlossen sich in Deutschland und Apulien an die größeren Heere an, und jeder sah in ihrem plötzlichen Unglücke nur die Strafe des Himmels für zahllose Frevel. Graf Emiko wurde, so erzählt die spätere SageCorner 667., nach seinem Tode mit vielen anderen in der Gegend von Worms gesehn, umherirrend, mit glühenden Waffen bekleidet und flehend, daß man durch Almosen und Gebete die großen Strafen mindere, welche ihm, seines sträflichen Lebens halber, zuerkannt wären. 75

 


 


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