Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 1
Friedrich von Raumer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Hauptstück.

I. Die Dänen.

Unter den Dänen, einem Volke deutschen Stammes, war nach längerem vergeblichen Bemühen, im Anfange des elften Jahrhunderts durch Kanut den Großen die christliche Religion herrschend geworden, und ein neuer Grund zu denjenigen Abstufungen gelegt, welche mit dem Lehnswesen in nothwendiger Verbindung stehen. Seine nächsten Nachfolger (oft in England und Norwegen beschäftigt) konnten jedoch weder alle, bereits im Süden angenommene Einrichtungen der katholischen Kirche, noch eine genügende bürgerliche Einigkeit und Unterwerfung unter die höchste Gewalt, durchsetzen. {1080} Beides unternahm Kanut der Heilige, Kanuts des Großen Enkel; aber eben deshalb ward auch die Ausführung doppelt schwierig. Er gab Ausländern, die sich im Reiche niederließen, Rechte der Eingebornen, er bestrafte Seeräuberei mit dem Tode, schärfte die peinlichen Gesetze, ließ sie ohne Ansehen der Person zur Vollziehung bringen, u. dergl.; welches alles die Vornehmeren sehr beleidigte, die in ungestrafter Übung mancher Willkür bisher ein Vorrecht gesehn hatten und jene gleiche Behandlungsart Tyrannei schalten. Ihnen schien es nicht angemessen, daß der König alle Streitigkeiten der Geistlichen und Gelehrten, alle Gegenstände, welche den Gottesdienst betrafen, dem allgemeinen weltlichen Gerichte entzog und den Geistlichen zur Entscheidung überließLiteratorum controversias, vulgaris fori conditione exemtas, ad ejusdem (der Geistlichen) professionis judicium relegabat. Saxo Grammat. XI, 336.  Broderus 576.; ihnen galt es für Verletzung 355 {1080} heiligen Herkommens, daß er Bischöfen den Vorrang vor Edeln einräumte. Leicht würde indeß der König den Zorn dieser letzten unwirksam gemacht haben, wenn ihm nicht zugleich das Volk, ohne Rücksicht auf anderweite Begünstigungen, der strengen Hebung neu eingeführter Zehnten halber, wäre abgeneigt worden. Niemand wollte eine jährliche Steuer von den Früchten für eine Religionssache gelten lassen; sondern alle hielten sie für eine schimpfliche Verbindlichkeit, und übernahmen, gegen des Königs Hoffnung, lieber eine, für den Augenblick härter drückende Geldstrafe, als jene dauernde Belästigung.

Unter solchen Umständen wollte der König, aufgereizt durch frühere glückliche Unternehmungen wider Kurland und Liefland, auch einen Feldzug gegen England wagen; in welchem Vorsatz ihn niemand mehr als sein eigener Bruder Olav bestärkte, weil dieser insgeheim die verrätherische Absicht hegte, sich nach Kanuts Entfernung des Reiches zu bemächtigen, oder ihn durch lange und kostspielige Feldzüge bei seinen Unterthanen noch verhaßter zu machen. Kanut entdeckte und vereitelte Olavs Plane, doch lenkten diese und andere lehrreiche Erfahrungen ihn nicht zur Vorsicht und Milde hin; vielmehr erhöhte er die Strenge gegen Ungehorsame, und seine Beamten trieben nicht allein ohne Nachsicht schwere Strafen für die rückständigen Zehnten ein, sondern reihten eigenmächtig daran noch manche andere Belastung. Deshalb haßten alle den König als den Untergraber ihrer alten Freiheit und Sitte, bis zuerst in Jütland eine Empörung ausbrach, welche ihn zwang nach Fühnen zu fliehen. Schon wollte er, weil man ihn verfolgte, von hier nach Seeland entweichen, als Blakkus, einer seiner Vertrauten sich erbot: er wolle die Bewohner durch angemessene Vorstellungen für ihn gewinnen. Statt dessen brachte er verrätherisch die Gemüther in den höchsten Zorn und rieth: man möge diese, nie wiederkehrende Gelegenheit zur Befreiung nicht ungenutzt 356 vorübergehen lassen und bedenken, daß die Strafe der versäumten Zahlungen sonst gewiß eintreffe. Dem Könige berichtete er hingegen: Erlaß der Strafen werde den Aufruhr leicht dämpfen, wozu sich auch Kanut sogleich verstand und beruhigt, mit seinen Brüdern Erich und Benedikt, dem Gottesdienst in der Kirche des heiligen Albanus zu Odensee beiwohnteChronic. Daniae No. 1 bei Ludwig reliq. IX, 23.. Unterdeß umringte das Volk, von Blakkus angeführt die Kirche, wagte jedoch, als sich die Begleiter des Königes zur Vertheidigung aufstellten, keinen Angriff auf das heilige Gebäude. Da drang Blakkus voran, aber der Treulose ward niedergehauen. Erich bahnte sich hierauf mit dem Schwerte den Weg durch die Feinde, Benedikt erlag ihren Streichen, Kanut endlich verschmähte alle Gewaltmittel oder erkannte deren Unzulänglichkeit: er beichtete und umfaßte kniend den Altar, bis eine Lanze, die durchs Fenster geworfen ward, ihn in dieser Stellung durchbohrteIrnerius 600.  Pagi critica zu 1081, c. 14.. Die Odenseer rühmten sich des gottlosen, am 10ten Julius 1086 vollbrachten Königsmordes, und lange wollte es den Geistlichen, aller Bemühungen ungeachtet, nicht gelingen, ihren eifrigen Beschützer als einen Heiligen darzustellen. Viele meinten: wenn Kanut auch den Tod vielleicht als ein Heiliger gelitten habe, so sey doch sein Leben frevelhaft und verderblich gewesen.

Die verwittwete Königinn entfloh zu ihrem Vater nach Flandern, Erich rettete sich nach Schweden, und Olav, welcher gegen Bezahlung ansehnlicher Summen aus seiner bisherigen Haft entkamEr hatte in Flandern gesessen., bestieg als ältester Bruder Kanuts den Thron. Anfangs freute sich das Volk über dessen, obgleich in vieler Hinsicht tadelnswerthe Regierung, und lebte mehre Jahre unbekümmert um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; da befiel aber Dürre im Frühlinge das Land, übermäßige Regengüsse zerstörten im Sommer die ärmlichen 357 {1095} Saaten und der Mangel stieg zu solcher Höhe, daß die Reichen verarmten und die Armen vor Hunger umkamen. Alle klagten: des Himmels Strafe treffe sie für ihre früheren Sünden. Selbst der König mußte ganze Güter verkaufen um nur Lebensmittel zu erhalten; und dennoch war am heiligen Weihnachtsfeste so wenig auf seinem Tische, daß der Hunger nicht gestillt werden konnte. Da ergriff ihn in solchem Maße Schmerz über das Elend seines Volkes und Reue über seinen früheren Wandel, daß er in dem Jahre starbPagi zu 1092, §. 9. und Baronius §. 13.  Saxo Gramm. Buch XII., wo der erste Kreuzzug begann.

Erich der dritte ward nunmehr aus Schweden zurückberufen, und glückliche Ärnten hemmten nicht nur das Übel, sondern erzeugten auch Wohlstand. Das Volk liebte seinen neuen König, da er streng und gerecht, keineswegs aber grausam regierte. Auch war Erich nicht allein ein verständiger und beredter Mann, sondern zugleich der größte, schönste und stärkste Mann in seinem Reiche. Im Sitzen warf er den Stein und die Lanze weiter, als andere im Stehen; zwei der kräftigsten Männer bezwang er auf einmal im Ringen, und während er den einen mit den Knien am Boden festhielt, band er dem zweiten die Hände auf den Rücken. In jede Hand nahm er einen Strick, und zwei starke Männer zu jeder Seite konnten ihn nicht von seinem Sitze hinwegziehen, sondern er entriß ihnen das Seil, oder zog sie leicht zu sich hinan. Botilde, sein schönes Weib, verlangte nicht daß solch ein Mann ihr allein gehören solle; im Gegentheil nahm sie seine übrigen Geliebten freundlich und freiwillig in ihr Gefolge auf, schmückte sie mit eigenen Händen, zeigte ihnen niemals die geringste Abneigung und machte ihrem Gatten niemals deshalb Vorwürfe. Es ist leicht möglich, daß diesem Betragen keineswegs unverständige Gleichgültigkeit oder widrige Gemeinheit, sondern ein freier, großartiger Sinn zum Grunde lag, welcher 358 {1095} ausschließlichem Besitze entsagte, ohne das Gute und Schöne minder zu verehren; demungeachtet möchte es sich vor der höchsten, das heißt christlichen Gesetzgebung, nie rechtfertigen lassen.

Erich war, seiner Natur ganz angemessen, auch ein glücklicher Krieger, bezwang die Slaven welche Seeräuberei getrieben hatten, und unterwarf sich Julin, Ratzeburg, Wagrien, ja den größten Theil der Ostseeküste bis gen Polen. Als ihn der Bischof von Hamburg bald nachher, auf den Grund falscher Anschuldigungen bannte, eilte er nach Rom, wo man den Gehorsam und die persönliche Aufwartung von Königen zu schätzen wußte, und ihn nicht allein vom Banne löste, sondern auch für die Zukunft von aller fremden und mittelbaren geistlichen Gerichtsbarkeit befreite. Dagegen erschien ein päpstlicher Gesandter an Erichs Hofe und gründete zur weiteren und kräftigeren Verbreitung und Erhaltung des Christenthums und der geistlichen Macht, das Erzbisthum von Lund, dessen Sprengel sich selbst über Schweden und Norwegen erstreckte.

Gesellige Freuden und Künste wurden an Erichs Hofe geachtet, doch wollte er einem Tonkünstler nicht glauben, daß man Menschen durch die Gewalt der Töne bis zur höchsten Wuth reizen könneSaxo Gramm. XII, 358.; sondern befahl, daß jener an ihm selbst einen solchen Versuch mache. Nachdem vorsichtig alle Waffen hinweggebracht und Wächter aufgestellt waren, die nöthigenfalls zu Hülfe eilen konnten, begann der Künstler, und der König gerieth, so erzählt man, allmählich in solche Leidenschaft, daß er einige herbeieilende Soldaten tödtete. Nur nach großer Anstrengung konnte man ihn mit Betten bedecken und festhalten, nur langsam kehrte seine Besinnung zurück; dann aber ergriff ihn Reue über jene Blutschuld, und er gelobte, nach Palästina zu wandern. Vergebens stellten ihm seine Getreuen vor, er werde Gott durch tüchtige Verwaltung des Reiches besser 359 dienen, als durch Pilgerung; vergebens boten sie große Summen, damit andere für ihn wallfahrten könnten: er berief sich auf die Heiligkeit des Gelübdes, segelte, von seiner Gemahlinn und von den schönsten und größten Männern begleitet, nach Rußland und erreichte über Konstantinopel die Insel CypernAnonymi chronol. rer. Danic. in Ludwig. reliq. IX, 43; Geneal. regum Daniae ibid. IX, 739.  Annal. Esrom. bei Langebek I, 240 zu 1131.. {1105} Hier aber starb er nebst seiner Gemahlinn Botilde, in dem Jahre, wo sich Heinrich V gegen seinen Vater empörte.

Mit Übergehung der Söhne Erichs, bestieg sein Bruder Nikolaus den Thron: theils, weil eine solche Ausschließung jüngerer Personen aus der älteren Linie, um älterer Personen aus der jüngeren Linie willen, nicht ungewöhnlich war; theils, weil sich Harald, der erstgeborne Sohn Erichs, durch Raub und Plünderungen (besonders der reichen Stadt Roschild) verhaßt gemacht hatte, und Erich, dessen zweiter Sohn, als unächt mit einer geringen Abfindung zufrieden seyn mußte. Der dritte Sohn Kanut erhielt dagegen Schleswig und mehrte durch glückliche Kriege und eine verständige Regierung, seine Macht und sein Ansehn. Allein dies erweckte ihm auch Feinde und Neider, bis endlich selbst der König Nikolaus (von seinem Sohne Magnus angereizt) auf einer Reichsversammlung erklärte: »er und seine Brüder hätten ihre Berechtigung zur Herrschaft stets aus dem größeren Lebensalter hergeleitet, weshalb er, der jüngere, keine Ansprüche gemacht, so lange ein älterer gelebt habe; Kanut hingegen übertrete diese Sitte, lasse sich von den seinen schon itzt König nennen und suche ihm widerrechtlich die Herrschaft zu rauben.« – Der Herzog widerlegte indeß diese Beschuldigungen so gründlich und wies seine Verdienste um das Reich so klar nach, daß der König den Verleumdern zürnte. Dennoch hörten diese nicht auf ihm vorzustellen: »das Volk werde dereinst, bei freier Wahl, gewiß mit 360 Übergehung seines Sohnes Magnus, den Herzog von Schleswig auf den Thron setzen.« Im Vertrauen auf die, hiedurch erneute Abneigung seines Vaters gegen Kanut, verschwur sich Magnus mit mehren andern zu des letzten Untergang. Sie führten ihre Berathschlagungen an der Erde liegend, damit, im Fall einer frühzeitigen Entdeckung, alle nach hergebrachter Formel schwören könnten, weder stehend noch sitzend diesen Frevel gefördert zu haben. So scheut der innerlich verwirrte Sinn oft weniger die That, als das Wort, und wähnt von aller Schuld gereinigt zu seyn, wenn durch künstliche Mittel nur die äußeren Formen unverletzt erhalten werden!

{1129} Magnus heuchelte nunmehr die größte Freundschaft für Kanut und berief ihn zum Weihnachtsfeste 1129 nach Roschild, unter dem Vorwande, er wolle bis Jerusalem pilgern und ihm die Vormundschaft seiner Kinder und die Verwaltung seines Vermögens übertragen. Schon war Kanut unterwegs, als Ingeburg sein Weib, durch entfernte Anzeichen erschreckt, ihm einen Boten mit Warnungen nachsandte; allein er sah darinn nur weibliche Furcht und eilte weiter. Auch ging das Fest ruhig und freundlich vorüber, der Herzog nahm Abschied von seinen Vettern und verweilte auf der Rückreise in Haralstadt bei Erich dem Statthalter. Hier traf ihn ein Bote von Magnus mit der Bitte: er möge sich zu einem zweiten nothwendigen Gespräche, an einem näher bezeichneten Orte einfinden. Ohne Bedenken brach Kanut mit wenigen Begleitern sogleich dahin auf und ward nur mit Mühe beredet, daß er sich mit einem Schwerte bewaffnete. Der Bote, welcher des Herzogs Vorliebe für die Deutschen kannte und selbst ein Sachse war, wünschte ihn zu retten, ohne den geleisteten Eid der Verschwiegenheit zu brechen; er sang ihm deshalb, angeblich zur Zeitkürzung, abschreckende Mähren von Untreue, Verrath und HinterhaltVon Chriemhildens Bluthochzeit u. s. w.: – allein Kanut war so unbefangen, daß ihm weder 361 diese Lieder, noch der, unter dem Kleide des Sängers verborgene, absichtlich gezeigte Panzer Besorgniß erregten. Sobald Magnus, welcher an der Spitze eines Waldes nachdenklich auf einem Baumstamme saß, Kanut erblickte, eilte er ihm entgegen und umarmte ihn mit verstellter Freundlichkeit. Der Herzog fühlte das Eisen und fragte: »warum bist du geharnischt?« – »Um die Güter eines Mannes zu verwüsten,« entgegnete jener, »der mich beleidigt hat.« Während Kanut vergebens den Vorsatz und den Zeitpunkt tadelte (man feierte das Fest der heiligen drei Könige), traten Magnus Begleiter aus dem Gebüsche hervor, und dieser sagte: »jetzt ist es an der Zeit, über Thron und Nachfolge zu verhandeln.« Kanut erwiederte: »er wünsche dem Könige Nikolaus ein langes Leben und eine glückliche Regierung, zu Gesprächen solcher Art erscheine aber Ort und Zeit unpassend;« – allein ehe er diese Worte geendet hatte, ehe er das Schwert zur Vertheidigung ziehen konnte, ward er von Magnus durchbohrtDen 7ten Januar 1130.  Pagi c. 51.  Broderus 580.  Acta Sanctorum zu diesem Tage I, 390.. {1130} Seine Freunde begruben ihn in aller Stille zu Ringstad; eine Quelle, welche bei seinem Grabe plötzlich hervorsprudelte, gab ihm den Ruf größerer Heiligkeit; im ganzen Lande wehklagte das Volk und verfluchte den Mörder.

Hierauf gründete sich die Hoffnung der Brüder Kanuts; sie eilten zur großen Versammlung nach Ringstad, erhoben Klage über die Unthat und setzten die Menge, durch Vorzeigung der blutigen Kleider des Erschlagenen, in Wuth. Nikolaus mußte, damit er nicht selbst in größere Gefahren komme, seinen Sohn verbannen und ward, als er eigenmächtig diesen Volksschluß aufhub, von Erich, dem zum König erhobenen Bruder Kanuts, mit Hülfe der Deutschen angegriffen. König Lothar nämlich, der Freund und Lehnsherr des ermordeten Herzogs, führte im Jahre 1131 sechstausend Mann zu Erichs Unterstützung herbei. Als ihm 362 {1131} aber Nikolaus eine, immer noch ansehnliche Macht entgegenstellte und sich erbot, er wolle Geißeln geben und 4000 Mark zahlen, so trat Lothar den Rückzug an und glaubte, für seine und des Reiches Ehre sey genug gethan, wenn er nur Nikolaus und Magnus nicht als deutsche Lehnsmänner anerkenneQuod et fecisset Lotharius, ni ei, cujus frater occisus erat, pepercisset. Bosov. annal.  Annal. Saxo.  Erfurt. chron. S. Petrin.  Pegav. chron contin.  Albert. Stad. 158.  Histor. Landgrav. Thur. Eccard. 372.  Lerbeke 499.. Nach seiner Entfernung blieb aber die deutsche Gränze von diesen nicht ungefährdet; sie zwangen Erich mit Hülfe seines eigenen Bruders Harald, zu dem Gemahle seiner Nichte, dem Könige Magnus von Norwegen zu fliehen. Dieser ließ sich aber (uneingedenk der doppelt heiligen Bande der Verschwägerung und Gastfreundschaft) von Nikolaus zu dem Versprechen verleiten: er wolle Erich bei der ersten bequemen Gelegenheit umbringen lassen. Mitleidiger gesinnt, gab die Königinn ihrem Oheim Nachricht von der bevorstehenden Gefahr; und dessen Aufforderung gehorchend, landeten heimlich mehre seiner Freunde aus Laland um ihn zu entführen. Sobald Erich hievon Kunde erhielt, fing er an mit den Männern, welche ihm unter dem Namen einer Ehrenwache beigesellt waren, zu zechen und zu spielen, bis ihnen der Trunk und die Freude des gern überlassenen Gewinnes, wo nicht die Besinnung, doch die Achtsamkeit geraubt hatte. Hierauf entfernte er sich gleichsam zufällig, erreichte nebst seinem Weibe das Meer, ließ die norwegischen Fahrzeuge durchbohren, damit man ihm nicht nachsetzen könne, und war im Begriff das Schiff zu besteigen. Da bemerkte man erschreckt, daß in der übermäßigen Eile Erichs kleiner Sohn zurückgelassen sey, und obgleich die Gefahr äußerst dringend erschien, siegte dennoch die Liebe der Ältern: sie sandten nach dem Kinde, es ward glücklich herbeigeholt und die Fahrt begann. Am anderen Morgen klopften Erichs Wächter an sein Schlafgemach und fragten, 363 ob er nicht endlich seinen Rausch ausgeschlafen habe. Es erfolgte keine Antwort. Nach lauterem Rufen und längerem Zögern, erbrach man endlich die Thüren und fand erstaunt – niemand! In großem Zorne befahl König Magnus, welcher die, ihm von Nikolaus versprochene Belohnung nicht verlieren wollte, dem Flüchtlinge nachzusetzen: aber Erich hatte schon einen großen Vorsprung gewonnen, und die Herstellung der durchbohrten Schiffe kostete so viel Zeit, daß jener glücklich entkam. Auch bemerkte Nikolaus sehr bald seine Rückkehr: denn er nahm Ubbo, den Statthalter der kleinern Inseln gefangen und erbeutete alles Geräth, welches der König nach Lund vorausgesandt hatte, um daselbst das Weihnachtsfest zu feiern. Doch geschah nichts Entscheidendes vor dem nächsten Sommer.

{1134} In dieser Zwischenzeit eilte Magnus, Nikolaus Sohn, zu Kaiser Lothar, bat um Verzeihung wegen der an Deutschen begangenen Frevel, zahlte große Summen, stellte Geißeln und schwur auf dem Reichstage zu Halberstadt: daß er und seine Nachkommen, nie ohne kaiserliche Genehmigung die Regierung antreten wolltenNach Anon. Saxo wurde Magnus förmlich lehnbar. Vgl. Bosov. ann.  Hildesh. ann.  Annal. Saxo.  Chron. mont. sereni.  Pegav. chr.  Hist. Landgr. Thur. Eccard.372.. Hienächst ward er, ohne Rücksicht auf Erichs Ansprüche gekrönt, trug am Osterfeste 1134 dem Kaiser das Schwert vor und eilte nach Dänemark zurück. Hier hatte Nikolaus viele Vorbereitungen zum Kriege getroffen und segelte, von seinem Sohne begleitet, auf der mit vielen Landsoldaten besetzten Flotte, über den fotanischen BusenFotanus, Gothanus, Cotanus, das Kattegat. Fotwich oder Flotwich in der Nähe von Lund. Annal Esrom. bei Langebek I, 240 und Hamsfortii chron. ibid. I, 272.. Schon war am 4ten Junius 1134 der größte Theil des Heeres nahe bei Flotwich ausgeschifft, als man in der Ferne große Staubwolken erblickte und erfuhr: Erich nahe an der Spitze seiner Reiterschaaren. Um 364 {1134} nun gegen diese nicht mit bloßem Fußvolke zu kämpfen, schien es räthlich dasselbe wiederum einzuschiffen. Ehe man jedoch hiemit zu Stande war, begann die Reiterei den Kampf so lebhaft, daß nur wenige an Widerstand gedachten, die Fliehenden aber auf den Schiffen keineswegs die gehoffte Sicherheit fanden, sondern zum Theil von ihren eigenen Genossen zurückgedrängt und denen die Hände abgehauen wurden, welche vollbeladene Schiffe festzuhalten suchten. In dieser gränzenlosen Verwirrung erfochten Erichs Mannen den vollkommensten Sieg; alle Bischöfe Jütlands bis auf einen kamen ums Leben, Magnus fiel tapfer fechtend, König Nikolaus floh nach Schleswig und wurde von der Geistlichkeit günstig aufgenommen; aber das, ihn hassende Volk, stürmte bald nachher seine Wohnung und erschlug ihn am 25sten Junius 1134 nebst allen seinen BegleiternLangebek I, 381 u. f. S..

Diese, nur dem Anscheine nach durchaus entscheidenden Ereignisse, setzten Erich noch keineswegs in den ruhigen Besitz des Reiches; vielmehr trat ihm sein Bruder Harald entgegen und verlangte die Krone, weil er der ältere Bruder und von Nikolaus zu seinem Nachfolger ernannt sey. Zwei Söhne Haralds erklärten sich indeß für ihren Oheim und wurden milde behandelt, bis der Verdacht entstand, sie verheimlichten Botschaften ihres Vaters. Doch versprach ihnen Erich die Freiheit, sobald es sich bestätige daß sie Harald gerathen hätten, er solle nach Norwegen entfliehen. Dies gütige, bei einem fröhlichen Mahle ertheilte Versprechen mißfiel den Rathgebern des Königs, und sie bewogen ihn, aus angeblich staatsklugen Gründen, seine beiden Neffen tödten zu lassen. Um dieses Frevels willen erneute sich der Krieg mit verdoppelter Wuth. Harald ward bei Scypetorp geschlagen und mit acht Söhnen gefangen. Den Bruder ließ Erich tödten, die Neffen in Fesseln umherschleppen, dann hinrichten und in eine Grube werfen. Von vierzehn 365 Söhnen Haralds entging nur einer, Olav, den Gefahren dieser Zeiten und rettete sich in Weiberkleidern zum Könige Swerker von Schweden. Drei Jahre nachher litt Erich die Strafe dieser und anderer Frevel: er ward am neunten Oktober 1137Bei Langebek II, 521 hat eine andere Quelle das Jahr 1139. umgebracht von Plog, einem Edeln, den er beleidiget hatte.

So sehr erschreckten diese furchtbaren Erfahrungen der letzten Zeit, – wo die Könige von dem Volke oder den Edeln erschlagen wurden, oder sich mit Verrath und wilder Grausamkeit unter einander ausrotteten –, daß niemand hervortrat um nach Recht oder durch Gewalt den dänischen Thron zu behaupten. Bei unbefangener Betrachtung hätte man es mithin wohl für einen Gewinn halten können, wenn die Dänen in einen engeren Bund mit den, ihnen verwandten Deutschen getreten wären, um unter deren Beistand gleichmäßig die Tyrannei der Häupter und die Willkür des Volkes zu brechen und zu zügeln. Während jener Zeiten der Leidenschaft ward aber dies Band von den Dänen verschmäht, und von den Deutschen nicht auf annehmliche Weise dargeboten; und nur in einer Richtung trafen beide Völker freiwillig zusammen, in ihrem Bemühen die Slaven zu besiegen und zu bekehren.

II. Die Slaven.

Die Slaven, ein osteuropäisches UrvolkDoch wurzeln sie freilich zuletzt auch in Asien. Siehe Gatterers Weltgesch. bis zur Entdeck. Amerik. S. 538., rückten nach dem Untergange der Hunnen und den südlichen Zügen der Deutschen, in die großen, wenn auch nicht menschenleeren doch fast herrenlosen Länder ein, welche sich von der Ostsee durch Preußen, Polen, Mähren, Böhmen, Steyermark u. s. w. bis zum adriatischen Meere erstrecken. Sie traten mithin später und in ungünstigeren örtlichen Verhältnissen auf den 366 Schauplatz der Geschichte, als die deutschen Stämme, und blieben, – ohne daß es nöthig ist, über ihre Naturanlagen abzusprechen –, schon deshalb überall hinter diesen zurück. Eine Schilderung der Slaven nach den Berichten ihrer Feinde (und diese sind allein auf uns gekommen) möchte so wenig ganz der Wahrheit gemäß seyn, als eine Schilderung der Karthager nach römischen Schriftstellern; und andererseits dürften günstigere Züge, deren Erwähnung geschieht, wiederum nicht auf alle Stämme dieses, so außerordentlich zahlreichen und weit verbreiteten Volkes passen. Daher beschränken wir diesmal unsere Darlegung auf die Slaven oder WendenDie Wenden sind eigentlich ein Stamm der Slaven. In jener Zeit wurde vorzüglich dieser Name gebraucht. im nördlichen Deutschland.

Diese waren, so lange sie nicht etwa zum Zorne und zur Rache aufgereizt wurden, ein gutmüthiges, fröhliches, leichtsinniges Volk; mild gegen Arme, voll Ehrfurcht gegen Bejahrte und gastfrei bis zur Verschwendung, ja bis zu der AnsichtHelmold I, 82; II, 12.: daß man eher behufs der Pflege eines Fremden stehlen, als ihn abweisen dürfe. Schon früh wandten sie sich von einer unstäten Lebensweise zu Ackerbau und GewerbenInsbesondere trieben sie Weberei.; mithin fehlten wenigstens die Bedingungen nicht, auf welche jede höhere Bildung sich gründen muß, und eben so wuchs der Handel allmählich vom Eintauschen der unentbehrlichsten Gegenstände, bis zur Anlegung eigentlicher Handelsstädte und zu kühnen Seefahrten. – In einzelnen Fällen hielt man das Band der Ehe für so untrennbar, daß die Frau ihrem Manne, nach indischer Weise, in den Tod folgte; öfter trat die, selbst durch das Christenthum nicht sogleich vertilgte Ansicht hervor, ein Mann dürfe gleichzeitig mit mehr Weibern in Verbindung treten. – Die Liebe der Slaven für Musik und Gesang, steigerte sich nicht bis zur Erzeugung großer dichterischer Kunstwerke; das 367 Ritterthum bildete sich weder in Beziehung auf Krieg und Staat, noch in Beziehung auf die Frauen unter ihnen so aus, wie unter den Deutschen; und eben so wenig erwuchs im Lehnswesen ein Mittel zu reicherer, mannigfacher Gestaltung der geselligen Verhältnisse. Daher fehlte ihren öffentlichen Einrichtungen in früherer Zeit oft Haltung und Verband, sie legten, – und das Gleiche sahen wir bis in die neuesten Zeiten an den Polen –, in ihren überzahlreichen, ungegliederten Volksversammlungen, viel zu viel Gewicht auf die Einstimmigkeit der, mit gleichem Anrechte Berathenden; was aber oft so weit führte, daß die Widersprechenden geprügeltSi quis contradicit, fustibus verberatur. Ditmar. Merseb. VI, 56., und ihre Besitzungen verwüstet wurden. Und von hier aus begreift man wie sich, ungeachtet jener scheinbaren, schrankenlosen Volksfreiheit, die Leibeigenschaft unter den Slaven noch fester als unter den Deutschen einnisten konnte, und warum ihre Anführer abwechselnd zu wenig Gewalt erhielten, oder eigenmächtig zu viel nahmen. Den Krieg führte man ohne Kunst und beschränkte sich auf List, Raub, Überfall, Benutzung von Schlupfwinkeln u. dergl. In der Regel zeigten sich die Slaven beim Angriffe so kühn als verzagt im Unglück; doch betrachteten sie den Verlust ihrer, leicht aus Reisig zusammengeflochtenen Wohnungen als unbedeutend, vergruben alles Kostbare und verbargen, bis zu einer günstigen Änderung der Umstände, Weiber und Kinder an festen Orten oder in dichten Wäldern.

Die Lehre von einem höchsten Gotte war den Slaven vor Einführung des Christenthums nicht ganz unbekannt; indem sie aber damit die Ansicht verbunden hattenHelmold I, 83.  Saxo Grammat. XIV, 498., daß aus ihm alles entstehe und, nach Maaßgabe der näheren oder entfernteren Abstammung, mehr oder weniger von der göttlichen Natur an sich trage, mußte nothwendig eine mythologische Welt entspringen, welche, dem Grundsatze nach nicht 368 beschränkter und ärmer als die hellenische zu seyn brauchte, aber freilich in Hinsicht der Kunst und Phantasie keinen Vergleich mit ihr aushält. Auch scheint, ungeachtet der, bei einzelnen Stämmen verschiedenen Benennung und Bezeichnung der Götter, eine zweitheilige Sonderung, ein gutes und ein böses Wesen, ein SvantevitÜber die Legende, daß aus Sanctus Vitus der Götze Svantevit geworden, Helmold II, 12. Wir können uns hier nicht auf die Herzählung der Götzen jedes Stammes einlassen. Siehe Gebhardi Geschichte der Wenden I, 23. und ein Czernebog, an der Spitze gestanden zu haben. Diese wurden in Tempeln verehrt; geringere Götter, für freudige und leidige Verhältnisse erdichtet, bevölkerten dagegen Wälder und Fluren.

Die wichtigsten jener Tempel befanden sich in Rhetra und aus ArkonaVon Arkona wird bei der Geschichte der Belagerung dieser Stadt mehr gesagt werden.: der letzte zwar nur aus Holz erbauet, sonst aber trefflich gearbeitet und reich geschmückt. Halb erhabene Arbeiten und glänzende Malereien zierten die äußeren Wände; das Innerste des Heiligthumes ruhte dagegen auf vier Säulen, deren Zwischenräume mit Teppichen und Vorhängen zierlich ausgefüllt wurden. Das, hier aufgestellte Bild Svantevits hatte, zum Zeichen seiner alles umfassenden Einsicht, vier nach vier Seiten gerichtete Köpfe. In der rechten Hand trug der Gott ein, aus mehren Metallen künstlich zusammengesetztes Horn, unter dem linken Arme hielt er einen mächtigen Bogen und ein gewaltiges, mit Silber ausgelegtes Schwert, zierte seine Seite. Von anderer Holzart als der Körper war das Kleid gebildet, und schloß sich so geschickt den Beinen an, daß die Zusammensetzung des Ganzen kaum zu bemerken war; die Füße schienen im Boden verborgen zu seyn, und mancherlei Sinnbilder standen in der Nähe umher. Nur der Opfernde oder Zuflucht Suchende durfte den Tempelhain, nur der Oberpriester das Allerheiligste betreten. Sorgfältig reinigte dieser dasselbe mit belaubten Zweigen; aber verboten war es ihm, 369 hiebei Athem zu holen oder auszustoßen, und so mit sterblichem Hauche die Gegenwart des Gottes zu verunreinigen. Er mußte jedesmal zur Thür eilen, und daselbst die Luft aushauchen und wieder einziehen.

Der Eintritt des Frühjahres und der Ärnte, wurde am feierlichsten begangen. Bei diesen Festen nahm der Oberpriester das Horn aus der Rechten des Gottes und prüfte genau, ob etwas an dem Weine fehle, welcher im letzt vergangenen Jahre eingegossen worden. Solchen Mangel deutete man auf ein unfruchtbares Jahr und hielt die Vorräthe ängstlich beisammen; im entgegengesetzten Falle überließ man sich sorgloser dem Genusse. Den alten Wein goß der Priester opfernd zu den Füßen des Gottes aus, leerte niederkniend hierauf das neugefüllte Horn in einem Zuge auf das Wohl des Volkes, und gab es endlich wiederum gefüllt dem Gotte in die Hand. Ferner stellte man einen runden Kuchen zwischen dem Volke und dem Priester in die Höhe und dieser fragte: ob man ihn hinter dem Kuchen sehen könne? War dies, ungeachtet der gewaltigen Größe desselben möglich, so wünschte er, daß ihn im nächsten Jahre, nach Maaßgabe einer größeren Ärnte ein noch größerer Kuchen ganz verdecken möge. Mit dem Versprechen des Glückes, Wohlstandes und Sieges für den Fall unwandelbarer Verehrung Svantevits, entließ der Priester das Volk, und ein Mahl beschloß den Tag, wo mäßig zu seyn für undankbar und sündlich galt.

Jeder legte einen jährlichen Zins und den dritten Theil der gemachten Beute in den Schatz Svantevits nieder, wodurch der, zur Aufsicht bestellte Oberpriester so reich ward, als er in anderer Beziehung mächtig war. Eine besondere, von diesem angeführte Leibwache schützte den Gott; ja sie zog. dessen Befehle gehorchend, oft nach Raub und Erwerb umher. Auf einem geheiligten weißen Pferde, welches der Oberpriester allein warten durfte, führte Svantevit (so glaubte man) Krieg gegen seine Feinde; denn ob es gleich Abends rein in den Stall gebracht wurde, fand man es doch nicht 370 selten des Morgens schwitzend und bespritzt, zum Zeichen daß der Gott es in der Nacht bestiegen und weite Reisen darauf zurückgelegt hatte. Durch dieses Roß gab Svantevit seinen Verehrern Orakel: wenn es nämlich über je zwei und zwei schräg am Boden befestigte Lanzen, mit dem rechten Fuße zuerst überschritt, so beglückte günstiger Erfolg das Unternehmen; schritt es zuerst mit dem linken Fuße, so unterblieb das, vom Gotte verworfene Vorhaben. Doch mußte jenes günstige Zeichen dreimal aufeinander folgen, ehe man es wagte eine gefährliche Seefahrt anzutreten. Weissagungen geringerer Art wurden ebenfalls nicht verschmäht. Das Begegnen von Thieren deutete man z. B. nach gewissen Regeln; im Ergreifen eines schwarzen oder weißen Looses aus verdeckten Gefäßen, suchte man tiefen Sinn; Weiber zogen auf dem Heerde, ohne zu zählen, viele Linien durch die ausgestreute Asche; fand sich nachher eine ungerade Zahl, so galt dies für ungünstige, eine gerade Zahl dagegen für günstige Andeutung. – Sehr selten riefen die Slaven bei Eidschwüren die Götter an, denn sie fürchteten ihren Zorn und schwuren lieber bei Steinen, Bäumen, Quellen u. dergl.; als sie Christen wurden, untersagte man zwar diese Berufungen, aber lange Zeit traten an ihre Stelle die, eben so wenig zu rechtfertigenden Feuer- und Wasser-Proben.

Überhaupt ward den Slaven das Christenthum nicht selten auf gewaltthätige Weise und in so mangelhafter Gestalt dargeboten, daß sie nicht ganz ohne allen Grund äußerten: die Christen wären die ärgsten Räuber und der katholische Gottesdienst abergläubiger, als der ihrige. Nur mit der größten Vorsicht und Milde hätte der Deutsche den Slaven bilden und erziehen können; weil diese aber gleichzeitig in Hinsicht auf Sitten, Gebräuche, Abgaben, Staat und Kirche in Anspruch genommen, überall zurückgesetzt, geschmäht und verachtet wurden, so erzeugte sich naturgemäß ein solcher Haß zwischen beiden Völkern, daß selbst die Gesetze ihren wider einander gerichteten Zeugnissen vor Gericht alle Glaubwürdigkeit absprachen. Sehr langsam, und erst 371 nach vielen Freveln und Rückfällen, siegte endlich das Bessere, was in dem Dargebotenen, vorzüglich im Christlichen, unzweifelhaft vorhanden war.

Schon in der Mitte des elften Jahrhunderts hatte Gottschalk ein slavisch-wendisches Reich gegründet, welches sich von der Bille bei Hamburg bis zur Peene erstreckte; er hatte, im Einverständniß mit den benachbarten deutschen Fürsten und Bischöfen, das Christenthum ausgebreitet und neben dem Bisthume von Oldenburg an der Ostsee, zwei neue in Ratzeburg und Mecklenburg errichtet. Die meisten Slaven sahen aber hierin einen unerträglichen Verlust ihrer Freiheit und Religion: sie erschlugen Gottschalk im Jahre 1066, gaben seinem Weibe, der dänischen Königstochter Siritha, den Staupbesen, weihten die Altäre ihrer Götzen von neuem mit dem Blute christlicher Geistlichen, verstümmelten den Bischof von Mecklenburg an Händen und Füßen, und opferten ihn zuletzt dem Radegast in RhetraIn der schwachen Zeit der Minderjährigkeit Heinrichs IV. und überhaupt während seiner Regierung, waren die Deutschen weder einig noch kräftig genug, Übel solcher Art zu verhindern, oder zu bestrafen.. Überall wurde das Christenthum ausgerottet, vier und achtzig Jahre lang blieb der bischöfliche Sitz in Oldenburg unbesetzt. Kruko, ein heidnischer Fürst der Rugier, erhielt die Oberleitung der öffentlichen Angelegenheiten und herrschte, da die sächsisch-deutschen Fürsten anderweit beschäftigt waren, ungestört bis zum Jahre 1105, wo ihn Heinrich, der Sohn Gottschalks, bei einem Gastmahle erschlug und dessen Wittwe Slavina heirathete, welche des alten grausamen Mannes längst überdrüssig und mit jenem im Einverständnisse gewesen war.

Heinrich wirkte nach dem Sinne seines Vaters für das Christenthum, und trat in freundschaftliche Verbindungen mit den Herzögen Magnus und Lothar von Sachsen; weshalb sich die östlicheren Stämme der Slaven mehre Male 372 {1110} empörten, und furchtbare Grausamkeiten auch gegen die Deutschen ausübtenAnnal. Saxo.  Hildesh. ann. zu 1110.  Helmold I, 38.  Lerbeke 498.  Corner 650.  Saxo Gramm. XIII, 359.  Harzheim conc. III, 257.  Concil. coll. XII, 1153.  Martene ampliss. coll. I, 625., zuletzt aber so geschlagen wurden, daß sich des Siegers Einfluß bis Brandenburg und Havelberg erstreckte, {1113} und sogar die Rugier eine Zeitlang gehorsamen und Zins entrichten mußten.

Minder glücklich war Heinrich in den Kriegen, welche er gegen die Dänen über das, seiner Mutter Siritha vorenthaltene Heiratsgut begann; denn er bekam zwar vom Könige Nikolaus, auf Vermittelung Herzog Kanuts von Schleswig, zuletzt eine Geldsumme, mußte aber diesen (angeblich wegen der geringen Anlagen seiner eigenen Kinder und der gefährlichen Nachbarschaft Deutschlands) zum Nachfolger einsetzen. Doch herrschten Heinrichs Söhne Kanut und Zwentebold nach seinem Tode (er starb 1121) anfangs ungestörtAnnal. Saxo zu 1121.  Gebhardi Geschichte der wendisch-slavischen Staaten I, 150.; und erst als beide, als auch Heinrichs einziger Enkel Zwinicke getödtet und dadurch dessen unmittelbarer Stamm ausgerottet wurde, traten doppelte Thronbewerber hervor. Erstens Pribislav und Niklot, wahrscheinlich die Söhne von Heinrichs erschlagenem Bruder Buthue, und dann Kanut der Herzog von Schleswig. Diesen krönte Kaiser Lothar, jedoch wahrscheinlich erst nach Bezahlung großer Geldsummen, zum König der ObotritenCorner 679.  Gebhardi Geschichte von Dänemark I, 467.  Böttiger Heinrich der Löwe 71.; {1130} nach seiner Ermordung durch den dänischen Prinzen Magnus, gelang es aber jenen beiden, anfangs zurückgesetzten Brüdern Niklot und Pribislav, die Herrschaft über die Obotriten, Wagrier und Polaber zu erhaltenAlbert. Stad. zu 1134.  Helmold I, 52.  Lerbeke 500.. Damit man indeß einen festen Punkt für den Einfluß der Deutschen und die 373 Verbreitung des Christenthumes gewänne, legte Kaiser Lothar im Holsteinischen auf dem Siegberge eine Burg an und erbaute daselbst ein Kloster. Wir werden später sehen, welche Kämpfe in diesen Gegenden gefochten wurden, und mit welcher heldenmüthigen Ausdauer der Bischof Vicelin nebst seinen Genossen für Christi Lehre wirkte. Dasselbe Verdienst erwarb sich Bischof Otto von Bamberg um die, in der Mark wohnenden Slaven und WendenIn das Einzelne der Begebenheiten dürfen wir durchaus nicht eingehen, weil alsdann das richtige Verhältniß unserer Geschichte zerstört und das Ganze viel zu weitläufig würde.; vor allem aber um die Pommern, als deren wichtigster Apostel und Bekehrer er mit Recht genannt und gerühmt zu werden verdient.

III. Die Normannen.

Der Ausbruch des ersten Kreuzzuges befreite den Grafen Roger von SicilienBuch I, S. 87., den mächtigsten unter den normannischen Herrschern, einerseits zwar von der Sorge, welche ihm sein unzufriedener Neffe Boemund und manche Barone verursachten; andererseits aber ward er durch den Verlust von so vielen Kämpfern dergestalt geschwächt, daß ihm zur Unterwerfung widerspenstiger Orte, insbesondere KapuasOrderic. Vital. 764.  Ganfred. Malaterra IV, 27., die päpstliche Vermittelung so nöthig als nützlich war. Als um dieselbe Zeit die Macht König Konrads in Italien sank und die seines Vaters, Kaiser Heinrichs IV, wiederum stieg, mußte Urban dem zweiten mehr als je daran gelegen seyn, Rogers Ansehn aufrecht zu erhalten und seine Freundschaft für den römischen Stuhl zu verstärken. Deshalb ertheilte er ihm am fünften Julius 1098 einen FreibriefBaronius hat in den Annalen und in dem Werke de Monarchia Siciliae mit vielem Scharfsinn die Gründe entwickelt, warum die Urkunde, so wie sie spät erst vorgebracht ward, falsch seyn müsse. Was wir in den Text aufnahmen, beruht auf dem Zeugnisse von Malaterra IV, 29; wiewohl es zweifelhaft bleibt, ob nicht manches erst von Anaklet bewilligt wurde. Gewiß hat man im 12ten und 13ten Jahrhunderte sehr selten danach verfahren und sich nie auf ein unzweifelhaftes Recht berufen., daß er keinen Gesandten ohne des Grafen Beistimmung nach Sicilien senden werde, und ihm die 374 Entscheidung überlasse, welche Bischöfe er zu allgemeinen Kirchenversammlungen senden und welche er zum Dienste des Reiches zurückbehalten wolle.

Dreizehn Jahre nach dieser Erhöhung seiner geistlichen Rechte, im Jahre 1111, starb Graf Roger I, und ihm folgte sein Sohn gleiches NamensChron. Cavense 914.  Cassin. monach. Giann. X, 10.  Grimaldi XVI, 132.  Pagi zu 1127, c. 1. Wir übergehen das Einzelne., welcher, als im Jahre 1127 mit Wilhelm, dem Enkel Robert Guiskards dessen Stamm ganz ausstarb, die, zeither getheilten Besitzungen in seiner Hand vereinte. Sehr wohl erkannten alle noch unabhängigen Barone und Städte, daß sich die Gefahr für sie theils durch die so verstärkte Macht, theils durch die Persönlichkeit Rogers II verdoppele. Eine hohe Gestalt, ein fester, ja finsterer Blick und eine gewaltige Stimme kündigten in ihm schon den Herrscher an, dessen Ernst sich nur für einen engeren Kreis in Freundlichkeit verwandelte. Er war ordentlich in den Geschäften, pünktlich im Zahlen, treu im Halten aller Zusicherungen, und nichts haßte er so sehr wie Lügen. Er verstand, je nachdem es nöthig erschien, sowohl ruhig fremden Rath anzuhören, als auch schnell und aus Gründen zu entscheiden. Nie riß ihn seine rastlose Thätigkeit zu Übereilungen hin, nie beherrschte ihn Freude oder Schmerz bis zur schädlichen Lähmung seiner Kräfte; und wenn er sich in dem Verhältnisse zu den Weibern freier gehen ließ, so war er in allen Dingen, welche sich auf öffentliche Angelegenheiten bezogen, doppelt streng gegen sich und andere. Viele nannten die Art und Weise, wie er Verbrechen bestrafte, Grausamkeit, und es läßt sich nicht 375 leugnen, daß seine Härte bisweilen zu schroff heraustrat und fast mehr durch Geldgier als durch Gerechtigkeitsliebe herbeigeführt zu seyn schien: auf der anderen Seite konnte aber das neu gegründete Reich vielleicht nur dadurch zur Ordnung und Einigkeit gezwungen und vor Auflösung bewahrt werden, daß sich Furcht der Liebe zugesellte.

Gegen dieses ihr neues Oberhaupt suchten und fanden alle Unzufriedenen einen Verbündeten an Papst Honorius II, {1127} welcher sich darüber beschwerte: daß der Graf mehre, früher von Boemund dem römischen Stuhle zur Obhut anvertraute Orte besetztAlex. Telesinus I, 12., keineswegs die Belehnung nachgesucht und Salerno und Amalfi als Eigenthum behandelt habe, obgleich diese Städte seinen Vorfahren früher nicht einmal als Lehen überlassen worden. Roger machte hierauf Anerbietungen mancherlei Art; sie schienen aber dem Papste um so weniger genügend, da Robert von Kapua, Grimoald von Bari, Sergius von Neapel und andere mißvergnügte, mit ihm verbundene Barone, einstimmig behauptetenDandolo 273.: Roger sey nicht im Stande sein Reich zu vertheidigen. Deshalb sprach Honorius kühn den Bann über diesen aus und sicherte jedem, der im Kriege wider ihn umkomme, Vergebung aller Sünden, jedem, welcher beichte und am Leben bleibe, Vergebung der Hälfte seiner Sünden zu. So durch Glauben und Hoffnungen gestärkt, rückte das Heer des Papstes und der Verbündeten in Apulien ein; allein Roger hielt sich, jede Schlacht vermeidend, in festen Plätzen und auf hohen Bergen; bis der Mangel, die Hitze des Sommers, das Ausbleiben des Soldes alle Niederen unzufrieden machte und die Vornehmeren nicht minder des Krieges überdrüßig wurden. {1128} In seinen Erwartungen getäuscht, berief Honorius nunmehr selbst den Grafen nach Benevent und belehnte ihn (gegen Entsagung der Ansprüche auf Benevent und KapuaBonon. histor. misc.  Cassin. monach.  Falco Benev.), mit Apulien und Kalabrien. Nach dieser 376 Aussöhnung mit dem bedeutendsten seiner Feinde, konnten die minder mächtigen Barone dem Grafen Roger nicht länger widerstehen, sondern mußten eidlich und bei Vermeidung harter Strafe versprechenAlex. Telesin. I, 21.: sie wollten Friede halten, niemand berauben, Reisende und Kaufleute nicht beunruhigen, Geistliche ehren und Übelthäter vor Gericht stellen.

Die Benennung eines Großgrafen, welche Roger bisher führte, erschien seinen Freunden und Verwandten itzt viel zu gering für den Inhaber so großer und schöner Länder; sie behaupteten, er sey durch seine Macht und Trefflichkeit berechtigt und verpflichtet, nach dem Beispiele früherer Beherrscher Siciliens, den Königstitel anzunehmen. Diesem Vorschlage war Roger keineswegs abgeneigt; doch schien es ihm nöthig, vor dem Ergreifen weiterer Maaßregeln, einige der erfahrensten Geistlichen und die angesehensten unter den Baronen darüber zu hören. Sie entschieden auf einer Versammlung in Salerno ganz seinen Wünschen gemäß. Jetzt blieb nur die Frage übrig: ob man den Papst werde für den Plan gewinnen können, oder ob (im Fall jener widerspräche) Roger sich die Krone aus eigener Macht aufsetzen solle? Ehe hierüber das Nöthige versucht und ein fester Entschluß gefaßt war, änderten sich, {1130} nach dem Tode Honorius des zweiten, die Verhältnisse ganz zu Gunsten der Normannen. Anaklet nämlich, welcher sah daß sein Gegner Innocenz außerhalb Italien obsiege, mußte Rogern als seine mächtigste Stütze betrachten; und wiederum war dieser entschlossen, ihm auf alle Weise beizustehen, sich dafür aber auch so viele Vortheile auszubedingen, als nur immer möglich sey. Deshalb erneuerte Anaklet nicht bloß die frühere Belehnung, sondern dehnte sie auch auf Kapua und Neapel aus; er überließ Rogern die Besetzung aller Bisthümer und Abteien, erkannte ihn endlich als König an, und bevollmächtigte einen Kardinal um seine Stelle bei dessen Krönung zu übernehmen.

377 {1130} Nunmehr berief Roger alle Prälaten und Lehnsmannen um Weihnachten 1130 nach Palermo und alle traten, nach wiederholter Prüfung seiner Ansprüche und seiner Würdigkeit, der früheren Entscheidung ihrer Genossen beiÜber die Frage, ob Roger zweimal gekrönt sey, siehe Giannone Buch XI die Einleitung und Dufresne zu Cinnamus 146. Die Erzählung des Textes, welche zwei Berathungen, aber nicht zwei Krönungen annimmt, scheint mir am wahrscheinlichsten. Siehe Falco Benev.  Cassin. monach.  Romuald. II, zu 1130.  Alexander Telesin. II, 1.  Pagi zu 1130, c. 29. - Meo appar. 353 nimmt auch nur eine Krönung an.. Eben so ungetheilt, nur noch lauter war die Beistimmung und Freude des Volkes, welches sich selbst wichtiger fühlte, indem man seinem Beherrscher eine höhere Würde beilegte. Mit der größten Pracht ward alles zur Krönung vorbereitet, aus ganz Sicilien strömten theilnehmende Zuschauer herbei. Den feierlichen Zug nach der erzbischöflichen Kirche eröffneten glänzend geharnischte Ritter auf reich geschmückten Pferden, dann folgte die gesammte Dienerschaft in lauter Seide gekleidet, zuletzt wogte das Volk, dessen Putz zwar minder reich, aber desto mannigfaltiger und phantastischer erschien. Der Kardinal salbte den König, der Fürst Robert von Kapua setzte ihm die Krone auf. Nach Beendigung der geistlichen Handlungen zog man in den Palast zurück, dessen Wände überall mit reichen Tapeten bekleidet, und dessen Fußböden und Söller mit bunten Teppichen belegt waren. Bei dem hierauf folgenden Mahle, war das Geräthe der ersten Tische wo nicht golden, doch vergoldet, und selbst für alle Geringeren hatte man so gesorgt, daß keinem irgend etwas an diesem Festtage zu fehlen schien.

Günstige Stimmungen, welche auf diese oder ähnliche Weise entstehen, dauern jedoch selten lange oder allgemein fort; auch war der neue König ein Mann von solchem Ernst und solcher Kraft, daß er nicht bloß seine unzweifelhaften Rechte gegen jede Willkür der Barone geltend machte; sondern auch seine Ansprüche über alles frühere Herkommen 378 {1130} hinaus steigerte und die nicht ausbleibenden heftigen Widersprüche, selbst an Grafen und Baronen mit Einziehung der Güter und Gefangenschaft, ja mit Blendung der Augen bestrafte. Um diese, an ihren Verwandten ausgeübten Gewaltthaten zu rächen und einem ähnlichen Schicksale zu entgehen, erhoben Rainulf von Avellino, Robert von Kapua, Sergius von Neapel nebst mehren andernAußer den oben genannten Quellen zu 1132, siehe Dufresne zu Cinnamus 142.  Chron Cavense 924.  Chron. fossae novae 868., offenen Krieg gegen den König. Am 25sten Julius 1132 kam es bei Nuceria zu einer Schlacht, welche Roger, des tapfersten Widerstandes ungeachtet, verlor. Anstatt diese Vortheile ununterbrochen und mit der höchsten Anstrengung zu verfolgen, begaben sich Rainulf und Robert in der Hoffnung nach Rom, vom Papste Innocenz und Kaiser Lothar die nachdrücklichste Unterstützung zu erhalten. Diese konnten aber, wie wir sahen, damals nicht einmal Anaklet aus der Stadt vertreiben, wie viel weniger im südlichen Italien entscheidend einwirken. Auch hatte König Roger inzwischen ein neues Heer von Christen und Saracenen zusammengebracht und bereits alles Verlorne wieder gewonnen. Mit Hülfe der Pisaner (welchen die Entstehung einer großen Macht in Apulien und Sicilien bedenklich erschien), führten Rainulf und Robert zwar noch einige Jahre die Fehde fort; weil ihnen aber trotz aller Anstrengung und Ausdauer, das Glück ungünstig blieb, eilte Robert im Jahre 1136 nach Deutschland und erhielt vom Kaiser Lothar das Versprechen: er werde den unterdrückten apulischen Baronen und dem rechtmäßigen Papste Innocenz, gegen Roger und Anaklet mit einer großen Macht zu Hülfe kommen. 379

 


 


 << zurück weiter >>