Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 1
Friedrich von Raumer

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Fünftes Hauptstück.

{1097} Als die Byzantiner ihren Kaiser Romanus Diogenes im Jahre 1070, wegen seines unglücklichen Krieges gegen die Seldschuken, blendeten, entfloh ein von ihm erhobener Armenier Philaretus, aus Furcht und Haß wider die Feinde seines Wohlthäters, und setzte sich in den Besitz von Antiochien, welche Stadt seit dem Jahre 968 in den Händen der Griechen war. Damit er jedoch von den übermächtigen Türken in seiner neuen Herrschaft nicht so, wie früher die Griechen, beunruhiget werde, nahm Philaretus ihren Glauben an, gerieth aber dadurch mit seinem Sohne in so großen Streit, daß dieser, rachsüchtig und eigennützig, den Beherrscher von Nicäa herbeirief und in nächtlichen Märschen gen Antiochien führte. Dieser eroberte die Stadt durch ÜberfallAbulfeda zu 968, 1084, 1095. Abulfarag. 207., ward hierauf von Thuthusch, dem Bruder Sultan Maleks, Thuthusch aber von seinem Neffen Borkeiarok besiegt, und Bagi Sejan, ein naher Verwandter des seldschukischen HerrscherstammesAbulfeda zu 1095 und 1097 nennt Bagi Sejan den Sohn Muhameds, den Enkel Alp Arslans; W. Tyr. einen nahen Verwandten Borkeiaroks., zum Befehlshaber in Antiochien erhoben. Bei den Streitigkeiten welche zwischen Rodvan und Dekak, nach dem Tode ihres Vaters Thuthusch, ausbrachen, war Bagi Sejan bald dem einen, bald dem anderen zugethan, und kehrte mit Rodvan von 131 {1097} einem Zuge gen Emesa und Schaizar zurück, als die Nachrichten von den großen Wallfahrten der Christen und dem Unglücke Kilidsch Arslans eintrafen. Sogleich forderte er und seine Söhne, mündlich und schriftlich, alle einzelnen seldschukischen Herrscher zur Hülfe auf; aber diese wollten um der gemeinsamen Gefahr willen, noch nicht den inneren Hader beenden, und auf eigene Thätigkeit blieb hier, wie immer, der sicherste Verlaß.

Deshalb ließ Bagi SejanKemaleddin bei Wilken II, Beilage 7., der übrigens um seiner Strenge willen nicht beliebt war, Lebensmittel und Kriegsbedürfnisse in Antiochien aufhäufen und alle Befestigungen verstärken. Mit Einschluß der, aus den benachbarten Gegenden Geflüchteten, stieg die Besatzung der Stadt auf sechs bis siebentausend Reiter, und funfzehn bis zwanzigtausend Fußgänger.

Die Christen welche daselbst bisher alle Gewerbe ungestört betrieben hattenWilh. Tyr. 689, 704., und nur von öffentlichen Bedienungen und dem Kriegsdienste ausgeschlossen waren, mußten itzt größtentheils die Stadt verlassen und gesellten sich später zu Boemund; ihre Weiber und Güter behielt man dagegen zurück, als Pfand für das friedliche Betragen der VertriebenenHist. belli sacri 161..

Im Rathe der christlichen Fürsten wurde nunmehr eine zweifache Meinung vorgetragen. Die erste ging dahin: man solle die Belagerung nicht vor dem nächsten Frühjahre unternehmen, sondern den Winter in fruchtbaren Gegenden zubringen, dann die, als Besatzungen vereinzelte Mannschaft heranziehen und mit überlegenen Kräften das Werk beginnen. Unterdeß werde auch Hülfe anlangen aus dem Abendlande, und Verstärkung von dem griechischen Kaiser.

Hingegen behauptete die zweite ParteiRaim. de Agil. 142.: durch 132 {1097} Gottes Eingebung und Hülfe habe das Heer bereits unsägliche Schwierigkeiten besiegt, durch Vertrauen und rastlose Thätigkeit müsse man solcher Gnade noch ferner würdig bleiben; jede Zögerung aber könne nur dazu dienen, daß Antiochien noch stärker befestigt und den Feinden Gelegenheit verschafft werde, zum Entsatze herbeizueilen. Diese Meinung welche unter anderen Raimund von Toulouse vertheidigte, behielt die Oberhand: mit ungeheurem Geschrei und unter dem Schall der Trompeten zog das christliche Heer am 21sten Oktober 1097 bis Antiochien; tiefe Stille herrschte dagegen in der Stadt, und menschenleer schien sie den PilgernAm 18ten Oktober 1097 nach W. Tyr. l. c. Am 21sten nach Robert. Mon. und Gesta Franc. 9..

AntiochienSanut. 142.  W. Tyr. 686 sq.  Strabo XVI, 750., diese erste Stadt des römischen Morgenlandes, liegt in einer wunderschönen Gegend, fast zwei Meilen entfernt vom mittelländischen Meere. Ein hohes Gebirge, welches die Alten den rhossischen Felsen nannten, läuft von Mitternacht herzu und bildet abendlich von der Stadt, eine, weit in die See ragende Landspitze; fast in gleicher Richtung, aber tiefer landeinwärts, streckt sich zwischen Antiochien und Aleppo ein zweiter Bergrücken. Von beiden strömen die Gewässer zu dem fischreichen See Ofrenus im Norden der StadtKinneir I, 229 nennt den See Ofrenus; Ali Bey II, 507–508 dagegen Caramort., dessen Umfang eine Tagereise beträgt und der durch einen Bach mit dem Orontes in Verbindung steht. Dieser Strom, in neuerer Zeit Farfar genannt, entspringt auf den Bergen nördlich von Damaskus und fließt in einem engen wilden Thale gegen Mitternacht, bis seine Richtung bei Antiochien durch morgenwärts vortretende Felsen und durch die westliche Senkung des Landes plötzlich verändert wird. Von Nordosten her naht er der StadtRaim. 143.  Bern. Thesaur. 688. – Der Orontes fließt auf der Westseite secus civitatis muros. Hist. belli sacri 160. Circa muros ejus. Fretellus in Baluz. miscell. I, 436. Diese Beschreibung des Laufes vom Orontes stimmt mit den alten Nachrichten und mit Niebuhrs, Reichardts, de la Roques Karten (voy. I. p. 188), endlich mit Oliviers Karte und Paultres trefflicher Karte der Feldzüge Napoleons in Syrien., berührt auf der Abendseite die 133 {1097} Mauern, wird hier schiffbar und wendet sich südlich zum MeereFulch. Carn. 390.. Das Gebirge, welches zwischen dem Orontes und dem Meere, von Damaskus her mit jenem fast in gleicher Richtung läuft, und ihn zwingt nach Mitternacht zu strömen, theilt sich unfern Antiochien in verschiedene ReihenW. Tyr. 713.  Montem ab Austro habet. Alber. 159.  Itinerar. Willebrandi in Leonis Allatii Symmict. I, 132., von denen zwei die Stadt auf der mittäglichen Seite erreichen. Die östliche Reihe senkt sich minder steil, und Weinberge und Gärten sind auf den reizenden Abhängen angelegt; die abendliche Reihe ist dagegen ungleich höher, und zwischen beiden streckt sich eine ungeheuer tiefe, schroffe Kluft; ein Bergstrom stürzt hier hinab in die Stadt, versorgt durch unterirdische Röhren alle Häuser und Gärten mit WasserOtter, Voyage I, 32.  Kinneir I, 204, 230., und eilt dann zu dem, hier ruhig und majestätisch hinfließenden Orontes. Auf jenem westlichen Felsen, von dem man die herrlichsten Aussichten bis zum See Ofrenus hat, steht, in Verbindung mit den Mauern Antiochiens, die überaus feste, von allen Seiten unzugängliche Burg; nur gegen Abend führt ein einziger gefährlicher Fußsteig, hinab in das schmale ThalGesta Franc. 23.. Doppelte Mauern, äußerst sorgfältig aus Quadern aufgeführt, umgeben die Stadt; sie sind von solcher DickeTott Denkwürdigkeiten Th. III. 193.  Dapper I, 119.  De la Roque Voy. I, 204., daß ein Wagen mit vier Pferden bespannt, ohne Gefahr auf ihnen gezogen werden kann; 450 geschickt vertheilte Thürme dienen zu 134 {1097} mehrer Befestigung. Auf der Mittagsseite, wo die Burg steht und die Berge bis in die Stadt dringen, findet sich kein Thor; gegen Abend, zum Orontes gewendet, das Georgsthor; gegen Mitternacht, an der Stelle wo sich jener Fluß Antiochien nähert, das Brückthor; dann nordöstlich das Herzogs-Zum Theil spätere Benennungen, so das Herzogsthor von Gottfried von Bouillon. Wilh. Tyr. 688. und das Hunde-Thor; gegen Morgen endlich das Paulusthor. Nahe bei diesem entspringt ein kleiner Bach, der sich zum Hundethore wendet und die Gegend morastig macht.

Bei Betrachtung dieser Lage Antiochiens bemerkten die Pilger sogleich, daß die mittägliche Seite der Stadt durch die Burg und den schroffen Abhang zweier Bergrücken geschützt, und keineswegs zum Aufschlagen eines Lagers geeignet sey; aber selbst von den fünf anderen, nach der ebenern Seite gerichteten Thoren, blieben zwei jenseit des Orontes, nämlich das Brückthor und das Georgsthor den Christen unzugänglich, und nur der größere Theil der Seiten gegen Morgen und Mitternacht ward eingeschlossen. Es lagerte sich vor dem Paulusthore Boemund; neben ihm bis zum Hundethore Robert von Flandern, Robert von der Normandie und Hugo der Große, mit ihnen Normannen, Franzosen und Bretagner; vor dem Hundethore standen der Graf von Toulouse und der Bischof von Puy, sie führten alle Gaskogner, Provenzalen und Burgunder; vor dem Herzogsthore endlich Gottfried von Bouillon, Eustathius sein Bruder, die Grafen von Toul, Montaigu u. a. m., mit ihnen die Lothringer, Friesen, Schwaben, Sachsen, Franken und Baiern. Der Oberbefehl wechselte, nach einem Beschlusse, unter den Fürsten; doch durfte nichts ohne Rath der übrigen Edlen unternommen werden, und einzelne kostspielige Vorkehrungen bestritt man aus gemeinsamen Beiträgen.

Die ersten Tage der Umlagerung verflossen ohne Kampf, aber die Christen vergeudeten sogleich die großen Vorräthe 135 {1097} der äußerst fruchtbaren, durch Ackerbau und Handel bereicherten GegendGesta expugn. Hier. 565. Ein Widder galt einen nummus, ein Ochse zehn nummos. Alberic. 159.; indem sie theils in thörichter Rachsucht vieles zerstörten, theils, uneingedenk der Zukunft, von den Lebensmitteln nur das Leckerste auswählten. Auch nahm man zur Erbauung der Schuppen für Menschen und ThiereWilh. Tyr. 690., die Bäume aus den herrlichen Lust- und Frucht-Gärten, so daß in kurzer Frist keine Spur ihrer früheren Schönheit übrig war.

Weil die Belagerten aber noch immer still blieben, so wagten sich Pilger, dadurch zu kühn geworden, von des Herzogs Lager aus weit über den Orontes, um Futter für die Pferde zu holen. Sie wurden indeß von den Feinden überrascht, konnten nicht schnell genug den Fluß durchschwimmen, und manche fanden den Tod. Deshalb beschlossen die Christen, in dieser Gegend eine Brücke zu erbauen: sie verbanden Kähne, – welche theils im Flusse, theils im oberen See gefunden wurden, – mit Stricken, fügten Balken ein und legten Rasen darüber, bis alles die erforderliche Festigkeit gewonnen hatte.

Mittlerweile thaten die Feinde mehre Ausfälle auf das christliche Lager vor dem Hundethore, wogegen sich die Pilger durch Zerstörung der steinernen Brücke sichern wollten, welche hier den einzig gangbaren Weg bildete, weil das, aus der Quelle am Paulusthore herzufließende viele Wasser, die übrige Gegend grundlos machte. Allein die Festigkeit der Brücke selbst und der heftige Widerstand der Belagerten, vereitelte jenes Unternehmen. Man näherte deshalb der Brücke ein festgefugtes, thurmähnliches Schirmdach, und stellte Bewaffnete darunter, deren Geschosse jeden neuen Anfall der Belagerten zurückdrängen solltenWilh. Tyr. 691.. Diese richteten aber sogleich ihre Wurfzeuge gegen den neuen 136 {1097} Schutzthurm und kaum hatten sich die Kreuzfahrer, der unzähligen Pfeile halber, etwas von der Brücke zurückgezogen, als die Antiochier das Thor öffneten, ihnen nachstürzten und während eines kurzen Schwertkampfes jenen Thurm in Brand steckten. Mit lautem Jubel kehrten sie hierauf zur Stadt zurückAlb. Acq. 228..

Die Pilger dagegen hofften daß ihr, nunmehr ebenfalls am Eingange der Brücke aufgestelltes Geschütz, den Verlust des Thurmes ersetzen und die Belagerten schrecken solle. Und in der That versuchten diese keinen Angriff, so lange jenes Wurfzeug in Bewegung war; kaum aber ruhten die Arbeiter, so erfolgten unverzüglich neue, Verderben bringende Ausfälle. Deshalb entschlossen sich endlich die, mehr belagerten als belagernden Pilger mit großen Felsenstücken den Eingang zur Brücke gänzlich zu sperren, wodurch beide Theile gleichmäßig gesichert wurden und die Feindseligkeiten an dieser Stelle ein Ende nahmen. – Öfter ward seitdem gefochten jenseits der, von den Kreuzfahrern über den Orontes erbauten neuen Brücke. So überfielen hier eines Tages die Belagerten dreihundert Pilger, und tödteten nicht wenige ehe Hülfsmannschaft aus Gottfrieds Lager anlangen und die Feinde zur Stadt drängen konnte. Beträchtlich verstärkt brachen diese jedoch von neuem hervor, und was itzt ihrem Schwerte entging, stürzte durch das große Gedränge an der Schiffbrücke in den FlußWilh. Tyr. 692..

Fast drei Monate der Belagerung waren nunmehr verflossen, und noch immer zeigte sich kein Erfolg: denn alle Tapferkeit in einzelnen Gefechten blieb unentscheidend, und die Belagerten wohnten um so sicherer hinter ihren starken Mauern, als die Pilger durchaus keine Fertigkeit besaßen Befestigungen dieser Art zu zerstören. Auch entstand im christlichen Lager statt des früheren Überflusses sehr großer Mangel, weil verständige Sparsamkeit zu spät an die Stelle 137 {1097} übermüthiger Vergeudung trat. Die Preise aller Lebensmittel stiegen bis auf eine unerschwingliche Höhe, und von 70,000 Pferden blieben nur noch 2000Die Provenzalen stießen den Pferden oder Maulthieren unbemerkt ein Eisen in den After, so daß sie bald nachher stürzten. Mancher ahnete Zauberei, anderen war das Fleisch gestorbener Thiere zuwider, nur jene Provenzalen aßen davon mit Freuden, und zeigten sich ausharrender bei schlechter Kost, als alle übrigen. Rad. Cadom. 152. – Die Ladung eines Esels an Getreide kostete acht Purpuratos, eine Nuß einen Denar, ein Ei zehn Denare. Alberic. 161.. Theils waren sie vor Hunger umgekommen, theils verzehrt worden; denn von der äußersten Noth bedrängt, verschmähte man auch nicht das Widrigste und Ekelhafteste. In der benachbarten Gegend fand man keine Vorräthe mehr, und die Türken beschützten alle entfernteren Orte so nachdrücklich, daß von mancher christlichen Schaar, die sich kühn vorwagte, auch nicht einer zurückkehrte. Regengüsse hatten die Zelte unbrauchbar gemacht, und so viele Pilger starben an Krankheiten, daß der Raum fehlte sie zu begrabenWilh. Tyr. 693.. Andere, die sich noch kräftiger fühlten, entflohen, nur auf ihre eigene Rettung bedacht, nach Cilicien, oder zu Balduin dem Fürsten von Edessa.

Sehnlichst erwartete man um diese Zeit die Ankunft von funfzehnhundert Geharnischten, welche Sueno der dänische Königssohn herzuführte; da erscholl die traurige Kunde: er sey nach heldenmüthigem Kampfe mit seinen Begleitern und seiner Braut Florine von Burgund, in Kleinasien von den Türken erschlagen wordenMichaud I, 246. Welcher Sueno es eigentlich gewesen, darüber siehe Langebek III, 631.. Tatikios der Grieche rieth deshalb, man solle die Belagerung aufheben und Winterlager in einer mit Lebensmitteln reichlicher versorgten Gegend aufsuchen; er selbst übernahm eine Reise nach KonstantinopelNach Anna 252, hatte ihn Boemund überredet: die Fürsten wären überzeugt, das türkische Heer nahe auf Veranlassung der Griechen, und würden ihn unfehlbar dafür tödten. Er floh über Cypern., um beim Kaiser die höchste 138 {1097} Beschleunigung der versprochenen Hülfe auszuwirken. Aber so löblich der Vorwand seiner Entfernung erschien, so traf doch weder die Unterstützung ein, noch kehrte Tatikios jemals zurück. Auch der Graf von der Normandie hatte sich, der langwierigen Anstrengungen überdrüßig, nach Laodicea begeben und stellte sich erst auf die strengste Anmahnung wieder ein; der Herzog von Lothringen endlich, die Stütze und Hoffnung des ganzen Heeres, lag danieder an schwerer KrankheitGesta Fr. 11.  Robert. Mon. 48.  Balder. 103.  Guib. 501..

In solchem Uebermaaße von Unglück aller Art, rathschlagten die Fürsten was zu beginnen sey? Die Belagerung nicht aufzuheben, war der einstimmige Beschluß! Lebensmittel aber sollten Boemund und der Graf von Flandern, aus dem Inneren des Landes herbeischaffen.

Kaum hörten die Belagerten von diesem Vorhaben und von der Krankheit des Herzogs, als sie aus dem Brückthore hervorbrachen, um über die Schiffbrücke in das christliche Lager zu dringen. Schon trieb sie der Graf von Toulouse zurück, als ein Pferd seinen Reiter abwarf, mehre dasselbe wieder fangen wollten, und dies Bemühen fälschlich dem Fußvolke als der Anfang der Flucht erschien; deshalb wandte es sich, und den Belagerten blieb der Sieg. Groß war dagegen anfänglich die Beute Boemunds und des Grafen von FlandernEnde December 1097. Hist. belli sacri 163.  Alb. Acq. 232.  Orderic. Vital. 733.; allein jener mußte das Gewonnene zurücklassen, um der Übermacht der nachsetzenden Türken zu entgehn, und die, von diesem in das Lager gebrachten Lebensmittel, reichten nur für wenige Tage.

Manchem sank itzt gänzlich der Muth. Wilhelm der ZimmermannWilh. Carpentarius vicecomes Meleduni. Alberic. 161., von seiner ungeheuren Stärke so benannt, 139 {1098} ein Verwandter Hugos des Großen, wollte entschlüpfen; selbst Peter der Einsiedler, welcher bei geringem Einflusse, in diesem Augenblicke viele Vorwürfe hören mußte, verzweifelte an der Vollführung des, mit so großem Eifer und Vertrauen begonnenen, Unternehmens. Beide wurden auf der Flucht von Tankred ergriffen und zum Heere zurückgeführt: sie beschwuren aufs neue ihr Gelübde, entgingen aber demungeachtet nicht dem heftigen Tadel Boemunds und der Geringschätzung aller muthig ausharrenden PilgerTudebod. 787. Wilhelm mußte zur Strafe eine Nacht im Freien vor Boemunds Zelt zubringen. Guib. 546.  Mailly II, 416.. Zu den letzten gehörte vor allen der Bischof von Puy: er sorgte, daß rings um Antiochien die Äcker gepflügt und besäet wurden, damit niemand in der Stadt wähne man wolle die Belagerung aufheben, und damit allen Türken die Überzeugung entstehe, der beharrliche Wille erzeuge in den Pilgern nunmehr auch die nöthige Vorsicht. Zu diesen irdischen Vorkehrungen, welche für den Augenblick immer noch ungenügend blieben, gesellten sich geistige Ermahnungen und Gebete, und ein dem Heere zur Buße auferlegtes dreitägiges Fasten erschien als höhere Verpflichtung, während man früher den, bloß von außen entstehenden Mangel, ungern ertrug. Das Würfelspiel ward verbotenGesta expugn. Hier. 566., die große Zahl der liederlichen Dirnen verwiesen, hart aber und öffentlich bestraft, wer sich dennoch in Sünden ertappen ließ.

Von allem dem, was im christlichen Lager geschah, blieb den Türken nichts verborgen. Kundschafter gingen aus und ein, bald unter dem ehrenvolleren Namen von Gesandten, dann als Armenier, Syrer oder Griechen. Als die Fürsten hiegegen kein Mittel auffinden konnten, versprach Boemund das Übel bald zu beseitigen. Er ließ gegen die Zeit des Abendessens zwei gefangene Türken tödten, braten, und öffentlich verkünden: künftig solle jeder Späher auf 140 {1098} diese Weise von den Fürsten verzehrt werdenWilh. Tyr. 996.. Da entflohen, erschreckt, die noch lebenden, und allgemein verbreitete sich im Morgenlande ein Gerücht: daß die Christen nicht bloß eroberten, plünderten und tödteten, sondern auch als Menschenfresser zu verabscheuen wären!

So nachtheilig nun die feindlichen Kundschafter erschienen, so großen Vortheil brachten die eigenen, welche itzt erzählten: es sammele sich bei der Burg Harem, etwa vierzehn Meilen von Antiochien, ein feindliches Heer. Unverzüglich brach ein großer Theil der Pilger auf und lagerte in der Ebene zwischen dem See und dem Orontes, auf einer Stelle, wo beide kaum eine Meile von einander entfernt sind. Schon mit einbrechendem Morgen erblickte man die, von Harem angelangten Türken, und der erste Pfeilregen that den Franken vielen SchadenDen 13ten Febr. 1098. Balder. 105. Den 10ten Febr. 1098. Hist. belli sacri 170. Den 9ten Febr. 1098. Gesta Franc. 12.. Weil aber Fluß und See und Bergrücken den Raum beschränkte, und ihrer geringeren Zahl den Vortheil brachte; weil der, den Türken ungewohnte Kampf mit dem Schwerte eintrat, so flohen diese, ungeachtet ihrer anfänglichen Übermacht. Boemund welcher den Nachzug führte, hatte nicht nur an jeder gefährlichen Stelle rasch Hülfe geleistet, sondern focht zuletzt an der Spitze aller mit der höchsten Tapferkeit. Zweitausend Türken wurden getödtet, tausend Pferde erbeutetDachery spicil. II, 432., die Burg Harem aber, deren sich armenische Christen während des Kampfes bemächtigt hatten, von den Siegern besetzt.

Die Antiochier, welche nicht ahneten, daß die Christen von der Annäherung jenes Hülfsheeres benachrichtigt wären, thaten gleichzeitig heftige Ausfälle auf das Lager; fanden aber von Seiten der, zur Besatzung zurückgebliebenen Pilger, den heftigsten WiderstandWilh. Tyr. 697–698. und geriethen 141 {1098} allmählich in große Besorgniß, weil sich nirgends die von ihnen erwartete Unterstützung zeigte. Endlich, als die siegenden Christen heranzogen, wähnten die Belagerten, hoch erfreut, ihre Retter zu erblicken; aber bald verkehrte sich diese Freude in tiefe Trauer, und zweihundert abgeschnittene Köpfe, welche in die Stadt geschossen wurden, bewiesen die Größe der türkischen NiederlageAlb. Acq. 236..

Neuen Muth hingegen faßten die Christen: sie erbauten auf einem Berge, morgenwärts von dem Lager Boemunds, eine schützende Burg; südlich wurde sie durch die Stadtmauer und den Morast gedeckt, gegen Abend endlich und gegen Mitternacht durch den sich heranwindenden Fluß. Allein bei dem allen bezweckten ihre Vorkehrungen noch immer mehr die eigene Sicherung, als den Angriff, und man sah der Anstrengungen kein Ende.

Um dieselbe Zeit langten genuesische Schiffe bei dem Ausflusse des Orontes an, Pilger und Lebensmittel herbeiführendGuib. 225. Accolt. III, 191.. Äußerst groß war die Freude der Wallfahrer, neue Genossen ihrer preiswürdigen Unternehmung zu finden, und hier, so wie bei jedem günstigen Ereignisse, trat der Glaube hervor, eine fröhliche Entscheidung müsse schnell eintreten. Unvorsichtig aber eilten die Pilger vom Lager zum Meere und vom Meere zum Lager; weshalb Boemund und der Graf von Toulouse mit Bewaffneten nach der Küste gesandt wurden, um alle Ankömmlinge sicher in das Lager zu geleiten. Raimund führte den Vorderzug, Boemund deckte den Nachtrab. Da brachen plötzlich 4000 Antiochier aus einem Hinterhalte hervor, und erschreckt dachte der geringere Haufe der Christen so sehr auf Flucht und Rettung, daß der tapfere Widerstand der Fürsten und Ritter ohne Erfolg blieb.

Die Besiegten zählten dreihundert Todte1000Christen wurden getödtet, nach Bald. 106 und einem gleichzeitigen Schreiben in Dachery spic. II, 432. Die geringere Angabe ist aus W. Tyr. 699.; das 142 {1098} Gepäck und alle Lebensmittel fielen in die Hände der Türken. Kaum war indeß die Nachricht von dieser Niederlage durch die ersten Flüchtigen in das christliche Lager gekommen, so befahl Herzog Gottfried, der zu aller Heil die Gesundheit wieder gewonnen hatte, den Aufbruch des Heeres, damit ein unerwarteter schneller Anfall die Sieger erdrücke, und den Tod der Pilger rächeDies geschah im März 1098 nach Alb. Acq. 258.. An der Schiffbrücke begegnete man den Fliehenden; worauf sich Boemund und der Graf von Toulouse sogleich von neuem gerade gegen die Feinde wandten, während Gottfried mit seiner Schaar links zog, um einen Hügel nahe beim Brückthore zu gewinnen, welcher diese Gegend beherrschte. Von den Mauern sah Bagi Sejan die Gefahr der seinen und sandte ihnen Verstärkungen, aber ehe diese ankamen, waren die Türken von den Christen mit furchtbarer Eil bis zum Brückthore getrieben und von Gottfried plötzlich umringt worden; die meisten erlagen dem Schwerte, die übrigen fanden ihren Tod im Strome. Wäre die Nacht nicht eingebrochen, man hätte die Stadt wohl in diesem Augenblicke erobert.

Alle Fürsten bewährten ihren Muth in diesem KampfeWilh. Tyr. 700.  Dachery spicil. III, 431., doch konnte sich keiner dem Herzoge von Lothringen gleichstellen. Schon hatte er mehre Feinde erlegt, als ein Reiter von gewaltiger Größe rachbegierig auf ihn ansprengte; aber der Herzog fing dessen ersten Hieb mit dem Schilde auf, und spaltete dann, durch ungeheure Kraft seinen Feind in der Gegend des Nabels, daß die obere Hälfte zur Erde fiel, die untere aber auf dem Pferde sitzend, ein grauenvolles Schreckbild, zur Stadt sprengte! Groß war hier die Klage und das ElendRobert. Mon. 50.  Gilo 228.  Order. Vital. 735. Vergl. Plut. Pyrrhus cap. 24., und nur wenigen 143 {1098} Männern blieb diejenige Fassung, welche nöthig ist zur That. Deshalb gedachten sie in den nächsten Tagen nur der Begrabung ihrer Todten unfern des BrückthoresNach Gilo 228, war auch ein Sohn Bagi Sejans getödtet worden.: aber auch dahin drangen die Pilger und gruben die Leichname aus, um Gold, Silber und reiche Kleider zu gewinnen; sie schonten keines einzigen, und zählten dabei an 1500 feindliche Todte. Den Gesandten des ägyptischen Sultans, welche um diese Zeit ein Bündniß gegen die seldschukischen Herrscher anbotenTudebod. 790. Siehe unten bei der Belagerung von Jerusalem das Nähere über die Verhältnisse zu Ägypten., schickte man vier Pferde mit Köpfen der Erschlagenen beladen zum Meere, als ein Zeugniß des erfochtenen Sieges.

Ermuthigt kehrten itzt alle diejenigen Christen zurück, welche sich früher furchtsam in Bergschluchten, Höhlen und Wälder geflüchtet hatten; man berathschlagte wie der Sieg benutzt werden könnte, und beschloß endlich in der Gegend des Brückthors eine Schanze zu errichten, damit hier den Gefahr bringenden Überfällen vorgebeugt werde. Allein so bedenklich erschien dies Unternehmen, daß mehre Fürsten unter mannigfachen Vorwänden die Leitung und Beschützung ablehntenWilh. Tyr. 702.; da erbot sich endlich Graf Raimund von Toulouse: er wolle nicht allein die Arbeiter sichern, sondern auch sämmtliche Kosten des Baus aus seinem eigenen Vermögen tragen.

Lange Zeit war Raimunds Gesundheit so geschwächtRaimund. 150., daß er dem Heere nur wenig nützte, kaum Theilnahme an den Ereignissen bewies und sich den Vorwurf des Geitzes zuzog, weil er, obgleich der reichste unter den Fürsten, doch niemanden freigebig beschenkte: itzt verstummte jede übele Nachrede. Zu jenem Bau verwandte man übrigens die, in 144 {1098} den türkischen Grabmählern ausgebrochenen SteineGest. Franc. 13., und nach schneller Beendigung der Schanze legte man eine starke Besatzung hinein, so daß das Brückthor hiedurch den Antiochiern versperrt ward, und nur noch das westliche Thor zwischen dem Flusse und dem Bergrücken gangbar blieb. Allein bald wurde ihnen auch diese Freiheit beschränkt: denn Tankred gingRad. Cadom. 845., vom Grafen Raimund unterstützt, über den Orontes, erhielt wahrscheinlich aus dem gemeinschaftlichen Schatze 400 Mark Silber, und erbaute dafür eine ähnliche Schanze vor dem Georgsthore, wobei die Trümmer einer alten Burg und eines hochgelegenen zerstörten Klosters, zur Grundlage dienten.

Für die Sicherheit aller war durch diese Anstalten zwar viel gewonnen, aber zu große Sorglosigkeit brachte manchem einzelnen noch immer Verderben. Nahe bei einem Gehölze das bis zur Stadt reichte, spielte AdalbertAlb. Acq. 230. Er war aus dem Geschlechte der fränkischen Kaiser. Graf von Lützelnburg Würfel mit einem so edlen als schönen Weibe. Dahin schlichen sich die Türken, hieben dem Grafen den Kopf ab und führten das Weib gen Antiochien. Sie mußte hier den Lüsten der Sieger fröhnen, litt dann den Tod, und man schoß ihr Haupt mit dem ihres Freundes in das christliche Lager. – Am anderen Tage ward ein Pilger, Namens WaloRob. Mon. 53.  Balderic. 108., dicht bei den Mauern von den Feinden ergriffen und mit grausamer Wuth in Stücke gerissen. Als sein Weib Umberga diese That vernahm, blieb sie plötzlich erstarrt, einer Marmorsäule ähnlich, stehen, und ohne äußere Zeichen des Lebens. Nachdem sich endlich diese gewaltsame Spannung lösete, brach sie in unendliche Klagen aus, wälzte sich jammernd auf der Erde, und so wie früher die Erstarrung, waren itzt alle Bewegungen 145 {1098} gewaltsam und schrecklich. – Rainald PorchitusNach Gilo 229, hatten die Antiochier einen Waffenstillstand nachgesucht und erhalten, um sich zu berathen, ob die Stadt zu übergeben sey; und während dieser Zeit geschah die That. war den Türken in die Hände gefallen, und sollte nach ihrem Befehle von den Zinnen der Mauern herab um Auslösung flehenHist. belli sacri 174.  Tudebod. 791.; er rief dagegen mit lauter Stimme den Christen zu: »seyd standhaft und harret aus, denn alle Häupter der Feinde sind gefallen und keiner ist übrig geblieben, welcher sie mit Kraft und Verstand anzuführen vermöchte.« Dolmetscher übersetzten Rainalds Worte, und die Türken bedrohten ihn hierauf mit den härtesten Strafen, wenn er nicht binnen einer Stunde dem christlichen Glauben entsage; allein er verachtete ihre Drohungen gleich ihren Versprechungen, kniete nieder, betete um Stärkung und empfing freudig den Todesstreich.

In dem Maaße als um dieselbe Zeit unter den rings eingeschlossenen Antiochiern Mangel einbrach, mehrten sich die Lebensmittel bei den Christen: denn der Weg zum Meere war frei, das Frühjahr erlaubte den Schiffen ohne Gefahr zu segeln, der Boden trieb mancherlei eßbare Pflanzen hervor und durch den Eifer der christlichen Bewohner langte Zufuhr aus Armenien anMichaud I, 254.  Mathieu Eretz in den Notices IX, 308.. Auch verloren sich allmählich die Krankheiten, und Balduin von Edessa sandte große Geschenke, sowohl für die Fürsten, als für die GeringerenWilh. Tyr. 703.. Herzog Gottfried erhielt 50,000 Goldstücke, alle Einkünfte von Turbessel und der diesseits des Euphrats belegenen Gegend. Außerdem war ihm ein trefflich gearbeitetes, großes Zelt zugedachtNach Alb. Acq. 242, sandte Nikusus, ein armenischer Fürst aus der Gegend von Turbessel, das Zelt., welches aber Pankratius den Boten geraubt und an Boemund geschenkt 146 {1098} hatte. Sobald der Herzog hievon Nachricht erhielt, verlangte er die Rückgabe, heftiger als seine sonstige Festigkeit und Ruhe erwarten ließen; und anderer Seits widersprach Boemund hartnäckig jenem Verlangen, bis alle Fürsten sich mit Recht für Gottfried erklärten.

An der Freundschaft aller Fürsten war aber Boemund in diesem Augenblicke mehr gelegen als je: denn er wollte Antiochien für sich gewinnen, ohne Theilnahme der Übrigen. Schon längst hatte er nämlich Verständnisse mit PyrrhusSo erzählt Rad. Cad. 153; die Hist. belli sacri 177, nennt ihn dagegen einen Türken (ex genere Turcorum). W. Tyr. läßt ihn ganz christlich gesinnt seyn, allein er war gewiß äußerlich ein Moslem, sonst hätte man ihm nicht den Schutz eines wichtigen Postens anvertraut. Anna 252 nennt ihn einen Armenier., einem zu Muhameds Lehre übergetretenen Armenier, angeknüpft, welchem die Bewachung eines wichtigen Thurmes auf der Abendseite Antiochiens anvertraut war und der Bagi Sejan haßte, weil ihn dieser hart behandelt und gezwungen hatte, die, nur für seinen eigenen Gebrauch aufgehäuften Vorräthe, unter alle Bedürftige zu vertheilenPyrrhus de violata conjuge erat offensus. Alber. 163 und Chron. Saxo zu 1097; aber dies ist nicht wahrscheinlich, da Bagi Sejan sehr alt war; obgleich auch Kemaleddin (bei Wilken II, Beilage 7) bezeugt, jener habe den Pyrrhus foltern lassen und ihm seine Güter genommen.. Die Uebergabe jenes Thurmes (und damit der Stadt) an die Christen, zeigte dem Pyrrhus einerseits die Gelegenheit zu sicherer Rache, und die Aussicht auf sehr große Belohnungen; andererseits aber, für den Fall des Mißlingens seiner Unternehmung das unabwendbare Verderben seines ganzen Hauses. Wenn er jedoch nur mit einem, nicht mit mehren verhandelte, wenn die Stadt einem einzigen, nicht allen Fürsten zu gleichen Theilen übergeben wurde; so blieb die Gefahr des Entdeckens geringer, und die Aussicht auf eine ansehnliche Belohnung wurde desto sicherer. Deshalb richtete Pyrrhus seine Anträge nur an 147 Boemund, ihm allein wollte er die Stadt verrathen zu ausschließlichem BesitzeWilh. Tyr. 705.. Boemund, der diese Bedingung vielleicht nicht sowohl angenommen, als selbst in Anregung gebracht hatte, forschte nun: ob die Fürsten geneigt wären demjenigen künftig die Stadt allein zu überlassen, der sie durch seine Tapferkeit und Geschicklichkeit gewönne? Aber alle behaupteten ihr gleiches Recht auf eine Vertheilung, und der Graf von ToulouseSo Balder. 109.  Guib. 509.  Hist. belli sacri 177.  Tudebod. 792. Nach W. Tyr. l. c. widersprach allein der Graf von Toulouse; Gottfried, die Grafen von Flandern und von der Normandie, auch Hugo der Große erklärten sich geneigt., – welcher dem Normann aus mehren Gründen schon längst abgeneigt warRadulph. Cadom. 173., – fügte außerdem hinzu: durch solche Festsetzung eines ausschließlichen Eigenthums, würde man jenem in Konstantinopel geleisteten Versprechen untreuGest. Fr. 23.  Gest. expugn. Hier. 563., dem griechischen Kaiser, gegen Hülfe an Gelde und Mannschaft, alle eroberten, sonst zu seinem Reiche gehörigen Besitzungen, zurückzugeben. Aus diesem Beschlusse der Fürsten entstanden neue Zögerungen, die um so gefährlicher wurden, weil endlich mehre moslemische Beherrscher eingesehn hatten, daß die Feindschaft der Christen zuletzt alle treffe, also auch gemeinsamer Widerstand so gerecht als nöthig sey.

Die Fürsten Korboga von Mosul und Nisibis, Dekak von Damaskus, Dschanaheddaula von Emesa und viele andere Emirn und Große, sammelten ein furchtbares Heer, zogen gen Edessa und belagerten die Stadt drei Wochen lang ohne Erfolg. Da überzeugte sich Korboga zu spät, daß die Besiegung des Hauptheeres der Kreuzfahrer und die Rettung Antiochiens das Wichtigere sey, und Balduins Schicksal dadurch zugleich unabänderlich entschieden werde. Aber auch itzt wird der, sonst unbegreiflich langsame Zug 148 {1098} vom Euphrat her, nur dadurch erklärlich: daß die übrigen Fürsten wohl schon mit Korboga in Uneinigkeit gerathen waren, welcher, obgleich nicht ohne Kraft und HerrschergabenAlb. Acq. 241.  Abulf. III, 316 zu 1094, 1095., sich doch zu stolz und heftig gegen Männer zeigte, die ihm ursprünglich gleich standen und nur freiwillig folgten. Allerdings vergaßen sie hiemit, um einer kleinen empfindlichen Kränkung willen, die größere, nur scheinbar entfernte Gefahr!

Eine unsichere Kunde von der Annäherung des türkischen Heeres verbreitete zwar Schrecken im christlichen Lager, offenbare Furcht zeigte aber nur Graf Stephan von Blois; denn unter dem schlecht ersonnenen Vorwande seine Gesundheit herzustellen, eilte er mit vielen Begleitern nach AlexandretteWilh. Tyr. 706. und ließ, für den Fall einer Niederlage der Kreuzfahrer, Schiffe zum Absegeln nach Europa in Stand setzen. Die Fürsten, betroffen über eine so traurige Erscheinung, faßten den Beschluß: daß jeder des Todes sterben solle, wer künftig von Hohen oder Niederen ohne Erlaubniß aller, das Lager heimlich verlassen werde; sie schwuren, zur Befestigung ihres eigenen WillensGilo 230.  Gesta Franc. 15., noch vierzehn Jahre lang in der Belagerung Antiochiens auszuharren.

Mittlerweile brachten Kundschafter nähere Nachrichten über das türkische Heer, und es trafen Abgeordnete von Korboga ein, welche sprachenRobert. Mon. 52.: »warum zieht ihr einher verwüstend und blutvergießend? dieses schickt sich nicht für Pilger. Wollt ihr friedlich nach Jerusalem wallfahrten, so soll euch nichts Böses geschehen, sondern jeder Bedarf dargereicht werden; bei längerer Widersetzlichkeit trifft euch aber unabwendbares Verderben.« Man antwortete: »die Christen welche friedlich als Pilger hieher zogen, sind 149 {1098} verspottet und mißhandelt worden; deshalb haben wir die Waffen ergriffen und werden mit Gottes Hülfe Jerusalem erobern und alle diejenigen Länder, welche uns nach angestammtem Rechte zustehen.« Alle diese Nachrichten und Verhandlungen wurden keineswegs öffentlich bekannt gemacht, damit der Muth des großen Haufens nicht noch mehr sänke; vielmehr rathschlagten die Fürsten in geheim über die zu ergreifenden MaaßregelnWilh. Tyr. 707.. Manche wollten mit dem gesammten Heere gegen Korboga ziehen und eine Schlacht wagen, andere einen Theil der Pilger im Lager lassen und nur den Überrest in den Kampf führen. Boemund aber, welcher den eigenen und den gemeinsamen Vortheil gleich sehr befördern wollte, rief den Herzog von Lothringen, die Grafen von Toulouse, von Flandern und von der Normandie bei Seite und sprachBalderic. 110 sagt zwar, Tankred sey gegenwärtig gewesen, allein glaubwürdiger versichert sein Geschichtschreiber Rad. Cadom. 157, daß er nicht von der Verrätherei unterrichtet war, und während dessen einen Streifzug vollführte. Nach Order. Vital. 737, stellte Pyrrhus seinen Sohn als Geißel an Boemund.: »lieben Brüder, ich sehe wie ihr in Sorgen seyd über die Ankunft des feindlichen Heeres, wie ihr bald dieses bald jenes vorschlagt, ohne doch das Richtigste und Beste zu treffen. Denn wenn wir alle dem Feinde entgegenziehen, so erobern die Antiochier das Lager, zerstören alle unsere Werke und erhalten Freiheit jedem Bedürfnisse abzuhelfen; wenn wir dagegen im Lager eine Besatzung zurücklassen und nur die Übrigen wider Korboga führen, so sind wir nach beiden Seiten geschwächt, und müssen, da die ungetheilten Kräfte kaum die Antiochier abhalten konnten, sowohl im freien Felde, als im Lager besiegt werden. Unvermeidlich ist also das Verderben in jedem Falle, – wenn wir nicht die Stadt vor der Ankunft Korbogas erobern! Es steht aber in meiner Gewalt, sie in jeder Stunde zu gewinnen, durch das Einverständniß mit einem Bewohner, welcher den festesten Thurm bewacht, doch 150 {1098} nur unter der zweifachen Bedingung: daß man ihm große Geschenke und Freiheiten bewillige, mir aber und meinen Nachkommen die Stadt ausschließlich überlasse. Weiß nun jemand von euch schnellere und bessere Rettung, so bin ich bereit jeden Anspruch aufzugeben.« Gern und eilig bewilligten die Fürsten itzt Boemunds Forderung, und auf den einzelnen Widerspruch des Grafen von Toulouse ward keine Rücksicht genommen.

Die BesorgnißWilh. Tyr. 708., welche in belagerten Städten Möglichkeiten oft als wirklich zeigt, hatte auch um diese Zeit in Antiochien, – ungewiß woher und auf welche Weise, – das Gerücht erzeugt: es möge wohl im Werke seyn, die Stadt den Feinden zu verrathen. Auch konnte man solche That von den christlichen Bewohnern mit Recht befürchten: denn die Reicheren, welche man allein in der Stadt als Geißeln zurückbehalten hatte, wurden so hart mit Diensten und Zahlungen bedrückt, daß sich ihr ursprünglicher Wunsch, die Herrschaft der Ungläubigen zu stürzen, dadurch noch erhöhen mußte. Boemunds Vertrauter Pyrrhus, gerieth ebenfalls in Verdacht und ward aufgefordert, sich vor Bagi Sejan und den moslemischen Großen zu rechtfertigen. Allein er verlor die Fassung nicht, beantwortete alle Fragen sehr gewandt und äußerte endlich mit großer Kühnheit: »nur von den Aufsehern der Thürme und Thore könne Verrath angestiftet werden, deshalb müsse man jene verwechseln und ihnen andere Posten anweisen.« Die türkischen Anführer wurden hiedurch beruhigt, und entließen den Pyrrhus; weil jedoch der Abend schon herannahte, blieb, durch ein ungünstiges Geschick, die Ausführung seines heilsamen Vorschlages bis zum nächsten Morgen verschobenWilh. Tyr. 709.  Gesta Franc. 14.: – und er hatte bereits alles mit Boemund für die nächste Nacht verabredet!

151 {1098} Dem gemäß zogen die Schaaren der Christen nach dem freien Felde, um keine Ahnung zu erwecken, daß man diesen Abend noch etwas gegen die Stadt unternehmen wolle; nur wenige Führer kannten den geheimen Befehl, mit dem Einbruche der Nacht ohne Geräusch in das Lager zurückzukehren. Pyrrhus spähte auf den Zinnen und neben ihm stand sein jüngerer, des Geheimnisses unkundiger Bruder. Da hub jener forschend anPyrrhus ist laut W. Tyr. heimlicher Christ (siehe oben), nach Guibert. 526, ließ er sich erst nach der Einnahme Antiochiens taufen, begleitete die Pilger gen Jerusalem, beredete dann viele ihm in seine Heimath zu folgen, wo er große Besitzungen habe. Diese Begleiter verrieth er aber den Türken und trat wiederum zum Muhamedanismus über. Ist diese Nachricht gegründet, so mag ihn früher auch schlechthin nur Eigennutz bestimmt haben. In der Erzählung folge ich Wilh. Tyr.: »O mein trauter Bruder, wie jammern mich jene Pilger unseres Glaubens, die noch so freudig und furchtlos dahinziehen! Keiner ahnet, welchen Gefahren er binnen kurzem erliegen wird!« Aber der jüngere Bruder antwortete ihm: »thöricht ist deine Sorge und dein Mitleid unnütz! Möchten sie doch alle bald von den Türken vertilgt werden, denn erst seit ihrer Ankunft ist unser Loos schrecklich, und nie können sie uns für alle erduldeten Leiden einen Ersatz gewähren.« Als Pyrrhus diese Worte hörte, schwieg er und verhehlte klüglich sein Vorhaben.

Mittlerweile war die Nacht schon halb verflossen, und Boemund sandte einen Getreuen zum Thurme, nach den verabredeten Zeichen zu horchen. Ein herabgeworfener Stein deutete auf Gefahr; mehre nach einander fallende verkündeten dagegen günstige Bereitschaft. Es fiel aber weder ein Stein noch mehre; der Bote sah nur Bewegung auf dem Thurme im blassen Lichtscheine, er ward unruhig, ängstlich, da hörte er endlich die leisen Worte: »schweig und sey still, bis der wachthabende Führer mit 152 {1098} der Begleitung und den Fackeln vorüber istRad. Cadom. 155.  W. Tyr. 710..« Diese nahten, Pyrrhus wurde gerühmt wegen seiner Wachsamkeit, der Fackelglanz verschwand. »Jetzt ist die rechte Zeit,« rief jener hinab, der Bote eilte ins Lager, und bald waren die Fürsten mit ihren Begleitern angelangt. Pyrrhus ließ ein Seil in die Tiefe hinab, daran ward eine Strickleiter gebunden, hinaufgezogen, befestigt, kein Wort aber gesprochen. Da ergriff die Christen große Angst, ob nicht der Verrath ihnen gälte, bis Fulcher aus ChartresRad. Cadom. l. c. Es ist doch nicht unwahrscheinlich, daß dieser Fulcher und der Chronist Fulcher dieselbe Person ist. (nach dem Ausdrucke des alten Geschichtschreibers), »wie ein Adler, der seine Jungen zum Fliegen auffordert und über ihnen schwebt,« kühn den übrigen voranstieg. Nun folgten mehre, der Graf von Flandern, auch Boemund. Sie fanden in einem anstoßenden Gemache den Bruder des Pyrrhus ruhig schlafen, und zuerst von allen Feinden ward er niedergestoßen: solchen Lohn hatte jener Verräther nicht erwartetNach Wilh. Tyr. und Bern. Thes. 694, der jenem durchaus folgt, tödtete Pyrrhus den Bruder selbst, »fromm und schändlich zugleich« (so die Worte). Ferner stieg Boemund zuerst hinauf und rief, aber keiner wagte zu folgen, weil man fürchtete die Stimme wäre nachgeahmt, er mußte zurücksteigen und nun erst faßten alle Muth. Die im Text aufgenommene Erzählung bestätigen dagegen, mit geringen Abweichungen, Rob. Mon. 54. Gesta Fr. 15. Balder. 110. Raim. 148. Hist. belli sacri 179. Alb. Acq. 246. Tudeb. 793. Rad. Cad. 156. Gilo 241., und es mochte ihn einen Augenblick lang seine That gereuen. Kaum aber entging Pyrrhus selbst der Todesgefahr: denn durch übermäßige Last war die Leiter gerissen und keine zweite aufzufinden; man fürchtete von neuem Verrath. Die Zahl der Christen erschien zu gering gegen die etwa andringenden Feinde, und Pyrrhus sollte entgelten was er weder bezweckt, noch bewirkt hatte. Endlich sprengten die übrigen, hievon benachrichtigten Christen 153 eine kleine Pforte, die zur linken des Thurmes lag, aber lange in der Dunkelheit nicht gefunden werden konnte; sie drangen in großer Zahl ein, nahmen zehn Thürme, hieben die Besatzung nieder, eilten zum Brückthore, besiegten die Wache und öffneten auch hier den Eingang für das ganze Heer. Zu spät hörten die Bewohner Antiochiens den Lärm, und erst mit dem Anbruche des Tages erkannten sie die Ursache: blutrothe christliche Fahnen wehten von den Mauern herab! Vergeblich war nun aller Widerstand der Türken, vergeblich ihre Bemühung sich zu verbergen: denn auch die armenischen und syrischen Christen ergriffen die Waffen, führten die Kreuzfahrer in die Häuser der Reichsten und Vornehmsten und zeigten jeden Schlupfwinkel. Man verschonte weder Greise, noch Weiber, noch Kinder, allgemein und schrecklich war Mord und Plünderung: zehntausend sollen gefallen seyn an diesem einzigen Tage. Schamseddaula, Bagi Sejans Sohn, rettete sich mit einer Schaar der Tapfersten in die Burg, seine Mutter und zwei Neffen wurden gefangenW. Tyr. 733. Tankred verfolgte die Türken, nach Anna 253., Bagi Sejan selbst entfloh vereinzelt auf ungebahnten Bergpfaden. Hier begegneten ihm syrische Christen, und ahneten das GescheheneAlb. Acq. 247.  Order. Vit. 738.  Abulf. zu diesem Jahre.. Vergeblich suchte er sie zum Mitleiden zu bewegen: Haß und Hoffnung des Gewinnes und Vorliebe für die neuen Herrscher, überwogen: sie tödteten ihn und brachten jauchzend sein Haupt und Wehrgehenk zur Stadt. Hier fand man fast gar keine Lebensmittel, und nicht mehr als fünfhundert abgemattete Pferde. Heldenmüthig und mit der größten Ausdauer hatten die Türken Antiochien vertheidigt, vom 18ten Oktober 1097 bis zum 3ten Junius 1098Chron. Fossae novae 867.  Vitriac. hist. Hier. 1065.. Ohne die Verrätherei des Pyrrhus wäre dem Schicksale der Stadt, aller Kreuzfahrer, ja der Geschichte ganzer Jahrhunderte vielleicht eine veränderte Richtung gegeben wordenSo wichtig erschien schon früher die Belagerung und Einnahme Antiochiens, daß man den ersten Kreuzzug auch den antiochischen nannte. Alberic. 316. Ähnlich ist die Eroberung Roms durch Totilas; aber der Gothe hielt weit bessere Mannszucht, als die Anführer der Kreuzfahrer. Procop. III, 20 de bello gothico.; wenn 154 {1098} es anders erlaubt ist, über den Gang der Weltbegebenheiten willkürliche Betrachtungen solcher Art anzustellen.

Endlich hatten Mord und Plünderung, Gebete und Dankfeste ein EndeWilh. Tyr. 713.  Martene thesaur. I, 271.. Man erkannte, zur Besinnung kommend, daß eine dreifache Gefahr die Freude und das Wohlleben zu zerstören drohe, welchem sich, – eine natürliche Folge der langen Entbehrung, – mehre voreilig überließenWenige dürften es jetzt so gottlos finden, als der Kapellan Fulcher aus Chartres, daß die Pilger concubuerunt cum foeminis exlegibus.. Es hielt nämlich Schamseddaula, Bagi Sejans SohnSensadolus bei den Abendländern., die feste Burg Antiochiens noch besetzt, es zeigte sich daß die Lebensmittel nur auf kurze Zeit hinreichten, es kamen Nachrichten über Nachrichten von der Annäherung des türkischen Heeres. Die Fürsten beschlossen, allen diesen Gefahren rüstig entgegen zu treten, und führten zuerst das Heer wider die Burg: allein nach einem langen KampfeRob. Mon. 56., in welchem auch Boemund verwundet ward, überzeugten sie sich, daß persönliche Tapferkeit nicht hinreiche so künstliche Befestigungen zu erstürmen, und bloß der Hunger die Besatzung zur Uebergabe zwingen könne. Anfälle der Türken auf die Stadt selbst sollte eine, in der Eil gegen die Burg angelegte Verschanzung abhalten.

Gleichzeitig wurden Schaaren leichter Soldaten nach allen Richtungen, insbesondere auch nach dem Meere gesandt, um Lebensmittel jeder Art herbeizuschaffen: aber selbst bei der eifrigsten Bemühung blieb der Erfolg nur gering, weil durch die neunmonatliche Anwesenheit eines so großen Heeres, fast alle Vorräthe gänzlich erschöpft waren. 155 {1098} Herzog Gottfried sorgte, daß das östliche Paulusthor gegen etwanigen raschen Überfall gehörig gedeckt wurde, und sandte eine starke Besatzung nach der, von Boemund vor dem Hundethor angelegten Burg.

In solchen Beschäftigungen war der zweite Tag nach der Einnahme Antiochiens fast verflossen, als die Thurmwächter anzeigten: daß sich dreißig türkische Reiter der Stadt näherten, und beschäftigt schienen die Lage und die Umstände zu erforschen. Erzürnt über diese Kühnheit, eilte Roger von Barneville mit funfzehn Rittern ihnen entgegen: jene aber flohen, bis die Christen in einen Hinterhalt von 300 Reitern geriethen, wandten sich dann um, tödteten Roger mit einem Pfeile, schnitten ihm das Haupt ab und kehrten hierauf freudig zu den ihrigen zurück. Die Pilger brachten den Leichnam in die Stadt, und begruben ihn mit großen Klagen; denn Roger war, seines freien edlen Sinnes und seiner Gewandtheit wegen, beliebt bei Christen und Türken, und oft mit Erfolg zu Unterhandlungen abgesandt worden.

Fast gleichzeitig hatte Korboga die Brücke über den Orontes erstürmtAlb. Acq. 248.  Gilo 244.  Wilh. Malmesb. 139. Nach Kemaleddin (bei Wilken II, Beilage 7) kam Korboga am 8ten Junius vor Antiochien an., und die christlichen Vorposten niedergehauen; mit dem Anbruche des dritten Tages hörte man in Antiochien das dumpfe Geräusch eines nahenden Heeres, und sah es bald daraus zahllos in geordneten Schaaren heranziehen. Viele Pilger glaubten in fast unbegreiflicher TäuschungMir nicht mehr unbegreiflich, seitdem ich gesehn und gehört daß 1806 die ersten in Berlin einrückenden französischen Jäger von manchem für Russen gehalten wurden, daß einzelne im Volke glaubten, es werde in der Nähe eine Schlacht gefochten zwischen Preußen, Russen und Franzosen, als zu Ehren des Einzugs Napoleons in Charlottenburg, die Kanonen gelöset wurden., Alexius der griechische Kaiser nahe mit der versprochenen Hülfsmacht, und erst als keine 156 {1098} freundschaftlichen Boten ankamen, als die Türken, soweit das Auge trug, die Ebene bedeckten und sich lagerten, da verkehrte sich jene Hoffnung in desto größere Furcht! Besonders schrecklich erschienen dreitausend Agulanen, welche vom Kopfe bis zu den Füßen gepanzert, und für den Angriff mit einem Schwerte bewaffnet waren. – Sogleich nach seiner Ankunft verlangte Korboga von Schamseddaula die Uebergabe der großen Burg, zum Zeichen seiner aufrichtigen Gesinnungen; und dieser bewilligte die Forderung, weil er allein durch dessen Beistand hoffen durfte sich zu rettenGesta Franc. 15.  Balderic. 112.. Nunmehr umlagerten die Türken Antiochien von dem östlichen bis zum westlichen Thore, und zwar auf der Mittagsseite, um mit der Burg in näherer Verbindung zu bleiben; sie bestürmten heftig die morgenwärts gelegene Schanze Boemunds. Zum Entsatze derselben brach der Herzog von Lothringen mit zahlreicher Mannschaft hervor, mußte aber der Übermacht weichen und sich glücklich schätzen, daß er nebst der Besatzung jener in Brand gesteckten Schanze, die Stadt erreichte. Doch wurden hiebei an zweihundert Christen getödtet, gefangen, oder im Gedränge beim Thore erdrückt. Fast gleichzeitig erfolgten heftige Ausfälle aus der Burg; weshalb die Kreuzfahrer einen tiefen Graben um dieselbe zogen, stärkere Verschanzungen ausführten, und hiedurch die Gefahr für die Stadt minderten, aber noch immer nicht ganz hoben: denn bei einem neuen unerwarteten Anfalle, wäre Boemund nebst vielen wachehaltenden Edlen besiegt und gefangen worden, hätten nicht der Herzog von Lothringen und Robert von der Normandie, in höchster Eile Hülfe herzugeführt.

Bei näherer Berathung schien es dem türkischen Feldherrn ungenügend, die Stadt nur von einer Seite zu bedrängen, ohne auf den anderen die Gemeinschaft der Christen mit dem offenen Lande abzuschneiden; überdies boten die Berge auf der Südseite, für die Reiterei nur sehr 157 {1098} unbequeme Lagerstellen, und es mangelte an hinreichendem Futter für die Pferde. Deshalb ließ Korboga eine hinreichende Besatzung in der Burg, und verlegte sein Heer rings um die ganze Stadt. Der erste Angriff nach dieser veränderten Stellung, erfolgte auf die Schanze Raimunds am Brückthore, welche Robert von Flandern mit 500 Pilgern besetzt hielt. Vom Morgen bis zum Abend, einen ganzen Sommertag hindurch, vertheidigte sich dieser mit heldenmüthiger Tapferkeit, bis die Türken sich zurückzogen. Da diese aber entschlossen waren, den Kampf am folgenden Morgen mit größerer Macht zu erneuenAlb. Acq. 250., und Robert einsah, er könne wiederholten Angriffen nicht immer mit so glücklichem Erfolge widerstehn, so zerstörte er während der Nacht die Schanze und zog sich in die Stadt zurück.

Hier mehrte sich täglich die HungersnothGesta Franc. 19.  Guib. 518.  Rob. Mon. und Alb. Acq. l. c.  Wilh. Tyr. 716., und es zeigte sich kein Mittel ihr abzuhelfen: denn die Türken bewachten den Weg zum Meere, tödteten die Seefahrer und verbrannten deren Schiffe, so daß kein Handelsmann aus Cypern, Rhodos, Isaurien oder Cilicien mehr einlaufen und Waaren feil bieten wollte. Selbst Vornehme konnten die nöthigen Lebensmittel nicht bezahlen, und dankbar nahmen die, sonst so reichen Grafen von Ascha, Gottfrieds Erbieten an, ihnen freie Zehrung zu bewilligen. Man aß Pferde, Kameele, Esel, Mäuse, gekochte Thierhäute und Baumrinden; alle Sitte und Ordnung hörte allmählich auf, denn das dringendste aller Bedürfnisse löste jede Rücksicht. So ward auch die Wachsamkeit geringer, und dreißig Türken hatten schon in der Stille der Nacht einen Thurm erstiegenAlb. Acq. 251.  W. Tyr. 717., – demjenigen nahe, welcher den Kreuzfahrern den Eingang eröffnet hatte, – als glücklicherweise eine Runde diese Gegend erreichte, die Gefahr bemerkte und 158 {1098} Lärm erhob. Zuerst eilten Graf Heinrich von Ascha und zwei seiner Verwandten aus Mecheln, Siegmar und Franko, zur Hülfe; allein die Türken, welche sich itzt unmöglich retten konnten, wollten wenigstens nicht ungerächt sterben, verwundeten Franko tödtlich am Kopfe, und stießen Siegmar das Schwert durch den Leib. Erst als die Christen in größerer Zahl herbeieilten, wurden die Türken theils niedergehauen, theils von dem Thurm in die Tiefe hinabgestürzt.

So von allen Seiten mit Gefahren umringt, durch Hunger und Noth ermattet, verloren nicht bloß die geringeren Pilger, sondern auch viele Edele den Muth. Zu diesen gehörten: Wilhelm von Grantemaisnil Boemunds SchwestermannWilh. Tyr. 715.  Anna Comn. 256.  Henr. Huntind. 376.  Von Guido Trussel, der wahrscheinlich herunterfiel, heißts in Sugeri vita Ludov. VII, c. 8, p. 286: Paschalis II befahl später, die von Antiochien hinweggelaufen wären, sollten im Banne bleiben, und die trotz des Gelübdes zu Hause blieben, infames haberi decernimus. Bouquet XV, 20., Alberich dessen Bruder, Guido Trussel, Lambert der Arme und Wilhelm der Zimmermann, dessen geistiger Muth so gering als seine körperliche Stärke groß war. Sie ließen sich an Stricken von der Mauer hinab (deshalb zur Schande Strickläufer genannt), und gelangten, theils auf ungebahnten Pfaden und unter großen Beschwerden, theils mit der zur Flucht verführten Flotte nach AlexandretteAlb. Acq. 251.  Tudebod. 799.  Fulco 892.  Alberic. 165., wo sich Graf Stephan von Blois schon seit geraumer Zeit aufhielt und das weitere Geschick der Wallbrüder unthätig erwartete. Andere Pilger, welchen die Flucht bis in die christlichen Länder zu gefährlich schien, gingen zu den Türken über, Christi Lehre abschwörend, und, zu eigener Entschuldigung, die Noth der Pilger in ihren Erzählungen noch vergrößernd.

Um solchen Übeln zu steuern, übertrugen itzt die 159 {1098} Fürsten, nach dem Antrage des Bischofes von Puy, den Oberbefehl an Boemund, versprachen ihm auf die Dauer der Belagerung Gehorsam und schwuren auszuharren trotz aller Gefahren. Mit rastloser Thätigkeit sorgte nunmehr Boemund nebst seinen Freunden Tag und Nacht für Sicherung und Widerstand, – denn es galt nicht allein den Ruhm, sondern auch den Besitz, – Thürme, Mauern und Thore wurden mit den sichersten Pilgern besetzt und die Flucht anderer furchtsamen unmöglich gemacht. Der Graf von Blois, Wilhelm von Grantemaisnil und die übrigen bereits entkommenen Strickläufer welche unterdeß, nur auf ihre eigene Rettung bedacht, von Alexandrette abgesegelt waren, landeten in einem cilicischen Seehafen und eilten dem griechischen Kaiser entgegen, welcher endlich mit einem Heere herbeizog.

Alexius war vorsätzlich nicht früher aufgebrochen: denn im Fall des Unterganges der Franken hätte sich, wegen übereilter Feindseligkeiten, die ganze türkische Macht wider ihn gewendet und seinem Staate vielleicht den Untergang gebracht. Diese Rücksichten und Berechnungen erschienen indeß den Pilgern als irdisch und unheilig, da sie in einer rücksichtlosen Aufopferung für die Sache der Christenheit, ihre höchste und einzige Pflicht sahen. Alexius hatte aber auch nicht einmal eher ausbrechen können: denn er mußte vorher die türkischen Statthalter Maraces und Tangripermes, durch seinen Schwager Johannes Dukas, mit Mühe von den Inseln des ägäischen Meeres vertreiben und die Sicherheit der Schifffahrt herstellenAnna Comn. 256–258.; er mußte Smyrna und Ephesus, Sardes und das phrygische Laodicea erobern, um keinen Feind im Rücken zu lassen, der ihn leicht abgeschnitten und vertilgt hätte. In seinem Heere befanden sich an 40,000 Lateiner, welche theils wegen Krankheit oder Armuth dem Zuge der übrigen nicht schnell folgen gekonnt, theils erst später aus ihrer Heimath aufgebrochen waren.

160 {1098} Bei Philomelium in Phrygien trafen Stephan von Blois, Wilhelm und die genannten Flüchtlinge den Kaiser, und stellten auch ihm das Elend der Pilger noch größer vor, als es wirklich war; denn ihre unrühmliche Flucht bedurfte einer erheblichen Entschuldigung. Boemunds Bruder Guido, welcher die Griechen begleitete, erlag fast dem SchmerzeBalderic. 118.  Robert. in Duchesne IV, 799.  W. Tyr. 719.  Order. Vital. 741. als sein eigener Schwager die Wahrheit der Schilderung bezeugte, und rief aus: »o du dreieiniger Gott, wenn du allmächtig bist, warum ließest du das zu? Waren es nicht deine Kämpfer und Pilger? Hat je ein König, ein Kaiser die seinen so untergehen lassen, wenn er sie retten konnte? Wer wird noch für dich streiten, auf dich vertrauen wollen?« Und diese Ansicht theilten die meisten, so daß kein Weltlicher mehre Tage hindurch Christi Namen anzurufen, kein Geistlicher Gottesdienst zu halten wagte. Alexius aber kehrte auf den Grund dieser Berichte um: weil er mit seinem Heere Korboga nicht besiegen könne und Antiochien nicht vor dem Untergange der Christen erreichen werde; weil endlich Ismael, der Sohn des Sultans von Ikonium, schon ein mächtiges Heer sammele um ihn in Kleinasien anzugreifen. Damit dieses nicht in die römischen Landschaften einbreche, ließ der Kaiser die Gegend zwischen Ikonium und Nicäa verwüsten, und öffentlich bekannt machen: daß große türkische Heere folgen würden, alle Christen sich also schnell mit ihren Gütern nach Konstantinopel retten möchten. Viele folgten dieser Aufforderung, und Alexius freute sich des kleinen Gewinnes, nachdem er größere Plane, scheinbar aus erheblichen Gründen, mehr jedoch aus Übereilung aufgegeben hatte.

Als die Kunde von diesen Begebenheiten in Antiochien anlangte, beschlossen selbst mehre Fürsten, – so erzählen wenigstens einige, – in dunkler Nacht zum Meere zu entfliehen, und nur Gottfrieds und des Bischofes von Puy 161 {1098} Beredsamkeit, bewegte sie endlich zu neuer AusdauerW. Tyr. 720. Dicitur, quod Principes de vita desperantes etc. Nach Raim. 152 kam das Gerücht im Volke aus: populus existimabat, quod principes vellent fugerre ad portam.. Den geringeren Pilgern konnte man aber weder mit Güte noch mit Gewalt Muth einflößen; sie versteckten sich in den Häusern und anderen Schlupfwinkeln, bis Boemund sie durch ein schreckliches Mittel hervortrieb. Er ließ die Stadt an mehrern Orten anzünden, ein Sturm verbreitete unerwartet das Feuer über MaaßW. Tyr. 721, Guesta Franc. 19, Balderic. 116, Guib. 517, Rad. Cadom. 160 sagt irrig daß Robert von Flandern die Stadt anzünden ließ., an 2000 Häuser brannten nieder, herrliche Kirchen, kostbare Besitzthümer, unersetzliche Denkmale des Alterthums gingen verloren; aber die dampfende Öde erinnerte alle, daß demjenigen kein Besitz bleiben soll, welchem der Muth fehlt ihn zu vertheidigen.

Um diese Zeit kam ein Geistlicher, Namens Petrus BartholomäusHist. belli sacri 181. Vor allen Raim. de Agil 150-152. Siehe die Erzählung von der Lanze, als Legende dargestellt, in der zweiten Beilage., zum Bischofe von Puy und zum Grafen von Toulouse und erzählte mit großer Umständlichkeit: daß ihm der heilige Andreas mehre Male im Traume erschienen sey und ihm aufgetragen habe: er solle den Fürsten verkünden, wo in der Kirche des Apostels Petrus die Lanze verborgen wäre, mit welcher man die Seite Jesu Christi durchstochen hätte. Der Bischof von Puy nahm auf das Vorgeben des Geistlichen keine Rücksicht, Graf Raimund hingegen ließ ihn von seinem Kapellane genau bewachen und ordnete an, daß nach Entfernung alles Volkes aus jener Kirche, zwölf Männer an der bezeichneten Stelle nachgraben mußten. Sie mühten sich vergeblich vom Morgen bis zum Abend, Graf Raimund hatte sich bereits wieder auf seinen Posten begeben, auch andere Edle waren schon hinweggegangen und die Arbeiter erschöpft; da sprang 162 {1098} Peter ohne Schuhe und im bloßen Hemde in die Grube, flehte um höheren Beistand und zog bald nachher die Lanze hervor. Sie wurde feierlichst den versammelten Pilgern vorgezeigt, Graf Raimund seiner Frömmigkeit halber, dem Befehle des Apostels gemäß, zum Träger derselben ernannt, und ein Fest gestiftet zum Andenken dieser BegebenheitAm 14ten Junius nach Raim. 152.. Dem Volke entstand durch dies Wunder neuer Muth und neues Vertrauen, und Erzählungen ähnlicher Art wirkten auf gleiche Weise. So erbot sich unter anderen ein Priester Stephan: er wolle durch die Feuerprobe erhärten, daß ihm Christus erschienen sey und binnen fünf Tagen Rettung versprochen habe, wenn das Volk sich wieder zu ihm wendete. Beim Angriffe der Türken sollten die Pilger sprechen: »die Feinde sind versammelt und rühmen ihre Macht; Herr, zerbrich ihre Stärke und zerstreue sie, denn keiner streitet für uns, als du allein unser Herr und unser Gott.« Gleich nachdem Christus diesen Befehl gegeben habe, sey die heilige Jungfrau mit den Worten zu ihm getreten: »Herr, dies ist das Volk, für welches ich so oft zu dir flehe.«

Die Fürsten beschlossen diese feurige Stimmung der Menge schnell zu benutzen, wenn man anders Korboga nicht durch Unterhandlungen bewegen könne, billige Bedingungen einzugehn. Sie sandten deshalb Peter den Einsiedler und einen, der türkischen Sprache nicht ganz unkundigen, Grafen Herluin an ihn ab, welche vorgelassen wurden und mit dreistem Tone also sprachen: »wir legen dir im Namen der Christen die Wahl vor, ob du die, ihnen seit uralter Zeit zugehörige, durch Gottes Hülfe wieder eroberte Stadt und alle benachbarte Lande friedlich übergeben, und uns ohne Fehde unsere Straße ziehen lassen, oder ob du den Kampf mit uns wagen willstNach Abulfeda III, 316 und Abulfar. 242, baten die Christen für sich um freien Abzug, nach Alberic. 168, boten sie dem Korboga freien Abzug; – beides vereinigt sich dahin, daß sie sich in anderweiten Unternehmungen nicht hindern wollten. cf. Raim. 154, Alb. Acq. 254, W. Tyr. 722, Fulch. Carn. 393, Rad. Cadom. 163.. In dem letztern Falle magst du 163 {1098} ferner bestimmen, ob zwei der Vornehmsten durch Zweikampf, oder mehre Auserwählte, oder das ganze Heer den Streit entscheiden sollen. Vor allem aber ermahnen wir dich im Namen der Fürsten, die Lehre Christi der da Gottes Sohn und Gott ist, anzunehmen, und dich durch die Taufe von Sünde und Irrthum zu befreien.« Korboga antwortete: »er verabscheue die abergläubige Lehre der Christen, und verlache ihre thörichte Behauptung von alten Anrechten auf den Besitz des Landes. Denn wenn überhaupt in den jetzigen Umständen davon die Rede seyn könnte, so würde immer die neue Berechtigung jede ältere vernichten, und die Christen als gesetzwidrig angreifende Feinde erscheinen lassen. Nicht den Fürsten komme es zu, ihm eine beschränkende Kriegsweise vorzuschlagen, noch sey er verbunden, sich nach ihrer Willkür zu bestimmen; sondern seinem Willen gemäß müßten sie jegliches thun oder lassen. Er werde aber die Erwachsenen dem Sultan Borkeiarok gefangen übersenden und alle andere, gleich unnützen Bäumen, niederhauen lassen. Nur wenn die Pilger Muhameds Lehre annähmenTudebod. 800., sollte ihnen nicht allein Schonung, sondern mehr Land und Gut zu Theil werden, als sie je mit Gewalt erobern könnten.« – Beide Theile suchten den Beweis der Wahrheit ihres Glaubens auch in der äußeren Macht und dem äußeren Glücke, und wollten umgekehrt für den Besitz des Irdischen ein, von aller Zeit und allem Wechsel unabhängiges Anrecht, feststellen. Sie vergaßen, daß die Wurzel des Glaubens von jenen Erscheinungen unabhängig ist, der Schwache und Thörichte aber nicht beherrschen kann, was einst größere Ahnen gewannen: vielmehr wird jedes Geschlecht nur nach dem geschätzt, was es selbst thut, und sein irdischer Besitz steigt und fällt in der Regel mit der jedesmaligen Tüchtigkeit.

164 {1098} Korboga erstattete dem Sultan Bericht von der Lage der FrankenHist. belli sacri 182. und schickte ihm einige gefangene Kreuzfahrer; spottend, daß so ärmlich Gekleidete, mit hölzernen Bögen und anderen schlechten Waffen Versehene, Asien zu erobern gedächten! Leicht und binnen kurzer Zeit würden alle zerstreut oder vertilgt seyn. Und mit Recht schien Korboga diese Hoffnung zu hegen; nur seine eigene Mutter warnte den Sichern: er möge nicht den Ruf eines untadeligen, glücklichen Feldherrn aufs Spiel setzen, im Kampfe gegen Dürftige und Verzweifelnde. –»Mutter, du sprichst thöricht,« war seine Antwort; »siehst du nicht, wie alle eingeschlossen und hülflos mir in die Hände gegeben sind? Und ich sollte das Vaterland nicht retten von Räubern und grausamen FeindenGesta Franc. 16, Guibert. 513, Hist. belli sacri 192.?« Die Mutter schwieg und kehrte nach Aleppo, Graf Herluin und Peter der Einsiedler aber nach Antiochien zurück. Hier hub dieser in einer allgemeinen Versammlung mit gewohnter Feierlichkeit eine Rede an, über die Macht, den Reichthum und die Drohungen des feindlichen Feldherrn; aber der Herzog von Lothringen, befürchtend des Volkes Muth möchte durch diese Nachrichten geschwächt werden, zog ihn schnell bei Seite und befahl: er solle nur ganz kurz erzählen, der Krieg sey unvermeidlich. Zwei Tage verflossen unter den eifrigsten Vorbereitungen zur Schlacht: man besserte die Rüstungen aus, schärfte die Waffen und vertheilte die Lebensmittel reichlicher, weil man bald mehre zu gewinnen hoffte.

In der Nacht vom zweiten auf den dritten Tag versammelten sich die Fürsten zur letzten nöthigen Berathung, das Volk zum Empfange der Befehle; dann zogen alle, noch vor dem Aufgang der Sonne, in tiefer Stille nach den Kirchen, empfingen Christi Leib und beichteten ihre Sünden. Bischof Ademar von Puy sprach zu den Versammelten: »ihr habt Christi Leib empfangen, eure Sünden gebeichtet 165 {1098} und Besserung gelobt, ihr habt allen Hader beendet und alle frühere Feindschaft abgelegt, eingedenk des Wortes: »daran sollt ihr erkennen daß ihr meine Jünger seyd, so ihr Liebe unter einander habt.« Der Herr ist mit denen, welche diese Liebe bewahren, er giebt den Sieg allen die sich für ihn opfern, er wird alle verderben welche durch Feigheit ihr Leben zu erhalten suchen.« – Ungetheilt war itzt der Eifer und die Begeisterung in dem ganzen HeereWilh. Tyr. 723, Gilo 247.: selbst die Erschöpften schienen gesund und kräftig, selbst die Besorgteren voll Muth; denn wo der Glaube entsteht daß höhere Mächte ein Unternehmen begünstigen, erscheint jede irdische Gefahr gering. Am 28sten Junius des Jahres 1098Alberic. 169. zogen die Christen mit der Morgenröthe in sechs Schaaren zum BrückthoreSechs Abtheilungen erwähnen Hist. belli sacri 193, Rad. Cadom. 165, Tudeb. 801 u. s. w. W. Tyr. führt zwölf Abtheilungen auf. Es finden sich überhaupt viele Abweichungen in der Erzählung der Schlacht. Nur hundert taugliche Pferde waren in Antiochien, nach dem Schreiben der Fürsten an Paschalis. Dodechin zu 1100.: die erste Schaar führte Hugo der Große und der Graf von Flandern, die zweite der Herzog von Lothringen, die dritte Robert von der Normandie, die vierte der Bischof von Puy, die fünfte Tankred, die sechste und stärkste Schaar endlich Boemund; sie sollte den Rückenhalt ausmachen und überall unterstützen, wo Hülfe nöthig schien. Graf Raimund von Toulouse, noch an Krankheit leidend, befehligte die, zum Schutze gegen Anfälle aus der Burg, in Antiochien zurückgelassene Mannschaft.

Streng wurde jede Plünderung verbotenW. Tyr. 724, Alb. Acq. 258., ehe der Feind völlig geschlagen sey; so gewiß hoffte man mit halb nackten, von Hunger ermatteten Fußgängern und nur 300 tauglich gerüsteten Reitern, das zahlreiche im Überflusse 166 {1098} genährte türkische Heer zu besiegen! Wie muß der Zustand der geringeren Pilger gewesen seyn, wenn selbst Herzog Gottfried und Graf Robert von Flandern, sich zur Schlacht Pferde vom Grafen Raimund leihen mußten! – Der ungewöhnlich reichliche erquickende Morgenthau galt für eine Gabe des HimmelsW. Tyr. 725, Vincent. Bellov. 1036, Michaud I, 311., für ein Zeichen der gewissen Rettung. Geistliche winkten mit dem Kreuze Glück von den Mauern hinab; andere, den Zug der Pilger geleitend, ertheilten den Segen und stimmten den Kriegspsalm an: »Herr, du stehest auf, und deine Feinde sind zerstreut.« Im Chore antwortete das ganze Heer: »Gott will es!«

Sobald die Türken in der Burg beim Anbruche des Tages Bewegungen unter den Christen bemerkten, gaben sie durch Aufsteckung einer großen schwarzen FahneAlb. Acq. 256, Radulph. Cad. 166. und durch den Schall der Trompeten, dem Heere Korbogas das verabredete Zeichen einer nahenden Gefahr. Aber der türkische Feldherr blieb ruhig beim Schachspiele sitzen, und sandte nur 2000 Reiter an das Brückthor, um den Ausfall der Christen zu verhindern; welche jedoch unterdeß die Brücke erreicht und ihre besten Bogenschützen in den Vorderzug gestellt hatten. Demungeachtet wichen die Türken erst, als Anselm von Riburgsberg mit unglaublicher Kühnheit mitten unter sie sprengte und die übrigen Pilger, durch dieses Beispiel befeuert, unwiderstehlich vordrangen. Eiligst benachrichtigten die Emirn den Korboga von diesen Ereignissen und stellten ihm vor: es sey schlechterdings nothwendig die Christen, wo nicht ganz in die Stadt zurückzudrängen, doch ohne allen Verzug und mit dem größten Nachdruck anzugreifen, ehe sie sämmtlich aus Antiochien hervorgezogen und in Schlachtordnung gestellt wären. Jener aber antwortete: »laßt sie nur alle hervorkommen, damit kein 167 {1098} einziger unserm Schwerte entgeheOrderic. Vital. 742.!« Doch befahl er das Heer solle sich rüsten, und sandte den Ortokiden SokmanW. Tyr. nennt fälschlich den längst getödteten Solyman von Ikonium als Führer dieser Abtheilung; ich habe Sokman genannt, weil Abulfar. 242 dessen Tapferkeit so rühmt, als Wilhelm die Solymans. mit einer beträchtlichen Abtheilung unbemerkt hinter Hügeln und Gebüschen zur Abendseite, um den Pilgern in den Rücken zu kommen und ihre Flucht nach dem Meere zu hindern. Diese hingegen verbreiteten sich über die ganze Ebene, damit kein Hinterhalt sie berücke oder von der Stadt abschneide.

Langsam näherten sich itzt beide Heere bis auf die Entfernung eines PfeilschussesReiter auf weißen Pferden mit weißen Fahnen, geführt von Heiligen, wären den Christen zur Hülfe, den Türken zum Schrecken erschienen, erzählt Balderic. 121 u. s. w.; dann stürmten die drei ersten christlichen Abtheilungen in rascher Eil zum Angriffe, hierauf folgten die übrigen, die Schlacht ward allgemein. Einige Emirn gönnten aber Korboga nicht den Ruhm des Sieges, sie flohen übereilt, ja zum Theil vorsätzlich; und schon wandte sich der Vortheil an mehren Stellen auf die Seite der Christen, als Sokman mit seiner Schaar hervorbrach und Boemunds Mannen anfangs aus der Ferne mit Pfeilen, dann aber in der Nähe mit Keulen und Schwertern heftig angriff. Heldenmüthig fochten hier die Christen, allein immer schwächer ward ihr Widerstand, und immer größer die Macht der Feinde; denn Rodvan von Aleppo und andere türkische Fürsten unterstützten Sokman nachdrücklich, sobald sie den glücklichen Erfolg seiner Anstrengungen bemerkten. Zwar sprengte Hugo von Vermandois herbei und durchbohrte mit der Lanze einen türkischen Reiter, welcher aus den Reihen hervoreilend zum Angriff ermunterte; aber gleichzeitig traf ein Pfeil Odo den Belgier, der die Hauptfahne trug, und sobald die Feinde das 168 {1098} christliche Feldzeichen sinken sahen, drangen sie mächtig vorwärts. Da stellte sich ihnen Ritter Wilhelm von Blois mit dem Schwerte entgegen, hob die Fahne wieder empor und befeuerte zu neuem Angriffe. In diesem Augenblicke der höchsten Gefahr erschienen Tankred und Herzog Gottfried mit ihren Schaaren, welche auf allen übrigen Stellen die Feinde geworfen hatten; und nunmehr konnte auch Sokman nicht länger widerstehn, sondern ließ das dürre Gras in Brand stecken, damit der, den Augen schmerzliche verfinsternde DampfNach Balder. 121 war dies Anzünden das verabredete Zeichen des Rückzuges. Siehe Gilo 248 und Rob. Mon. 64., wenigstens das Nachsetzen unmöglich mache. – Mittlerweile hatte sich das Hauptheer der Türken durch ein schmales Thal zurückgezogenW. Tyr. 726. und auf dem gegenüber liegenden Berge von neuem so geordnet, daß ein Bach die vordere Seite deckte. Ob es nun gleich gefährlich erschien eine solche Stellung zu erstürmen, so drangen die Christen dennoch, unter Gottfrieds, Boemunds und Tankreds Führung, dem Träger der heiligen Lanze nachChron. Barense zu 1098., über den Bach und den Berg hinan. Auch hier wurden die Türken geworfen. Korboga, der von einem Hügel der Schlacht zugesehen und Befehle ertheilt hatte, floh in rastloser Furcht bis über den Euphrat; sein Heer, des Führers beraubt, zerstreute sich nach allen Seiten und Tankred verfolgte die Flüchtigen, so weit es die Kräfte der, durch den Kampf schon ermüdeten, Pferde erlaubten. Armenische und syrische Christen lauerten in Wäldern, BergpfadenOrder. Vital. 743. und anderen Schlupfwinkeln auf die Türken, erschlugen ihre alten Verfolger und nahmen Rache für alle früheren Beleidigungen.

Im türkischen Lager fanden die Christen unermeßliche Beute; und nicht bloß Kostbarkeiten, wie sie nur Asiaten 169 {1098} mit sich führen, sondern auch Pferde, Heerden und Lebensmittel aller Art. Die frühere Armuth verwandelte sich in Reichthum. Vor allem aber erregte das Zelt Korbogas die allgemeine Bewunderung der Christen: es war mit Thürmen, Mauern und Bollwerken nach Art einer Stadt geziert, in viele Zimmer, zu welchen lange Gänge führten, abgetheilt und bot hinlänglichen Raum für 2000 Menschen.

Ehe noch die Christen aus dem Lager siegreich nach Antiochien zurückgekehrt waren, hatte der Befehlshaber der Burg, die Niederlage seiner Glaubensgenossen bemerkend, Raimunds Fahne aufgepflanzt, um sich gegen Mord und Gewalt zu schützen; itzt aber bewirkte Boemund, daß dem frühern Versprechen gemäßRob. Mon. 66, und Hist. belli sacri 195. Die Übergabe der Burg fällt (nach Kemaleddin bei Wilken II, Beil. 7.) auf den 4ten Julius., die Uebergabe an ihn erfolgte. Jener Befehlshaber und mehre Türken ließen sich, zu großer Freude der Christen taufen; die anderen, denen man freien Abzug bewilligte, hatten unter christlicher Bedeckung schon ungefährdet die türkischen Besitzungen erreicht, als sie auf eine Schaar Balduins von Edessa und auf christliche Armenier stießen, angegriffen und niedergehauen wurden.

In Antiochien feierte man itzt große Dankfeste, und der Bischof von Puy warnte vor Frevel und Übermuth: denn nicht durch eigene Kraft, sondern nur durch himmlischen Beistand sey der Sieg über die ungleich größere Macht der Feinde errungen worden. Johannes der Patriarch, welcher unter der Herrschaft der Ungläubigen viel Übels erduldet hatte, behielt seine Würde für die künftige, günstigere Zeit. Alle Kirchen wurden gereinigt, und die Kosten der Anschaffung von neuen Leuchtern, Kreuzen, Kelchen, Gewändern u. s. w. aus der Beute bestritten; denn die Türken hatten die Gotteshäuser zum Theil in Ställe 170 {1098} verwandeltWilh. Tyr. 727., die Gemälde der Heiligen aus Übermuth und eingepflanztem Haß gegen alle Abbildungen ausgekratzt, oder doch durch Blendung der Augen, durch Verstümmelung der Nasen und anderer Glieder, entstellt. Auch diese Bilder wurden erneut, und mancher gewaltige Krieger fand sich durch die Beschauung der heiligen Geschichten, zu milderen und frömmeren Gesinnungen angeregt. 171

 


 


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