Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 1
Friedrich von Raumer

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Viertes Hauptstück.

{1097} Ein Nebenzweig der Seldschuken, die Sultane von Ikonium, hatten, trotz mancher innern Unruhen, den größten Theil Kleinasiens von den Griechen erobert. Ihnen dieses Land mit Hülfe der Kreuzfahrer wiederum abzunehmen, war der Plan des Kaisers Alexius. Deshalb, und weil die Pilger alle Ungläubigen für Feinde hielten, kam es nicht zu Unterhandlungen über einen friedlichen Durchzug nach Syrien, sondern man beschloß Nicäa, die nächste beträchtliche Stadt im türkischen Gebiete zu belagern.

Mit dem Eintritt in einen andern Welttheil, schien sich überhaupt der Eifer der Pilger zu erneuen und zu erhöhen. Mehre verpflichteten sich in bloßen Füßen, ohne Waffen, ohne Geld, unter einem selbstgewählten Anführer dem Heere voranzuziehen; sie lebten von Wurzeln und den gemeinsten Nahrungsmitteln. Man möchte sie schlechthin für unnütz und belästigend halten; aber übertriebene Beschränkung nach einer Seite, erzeugt oft doppelt kräftige Wirksamkeit und Beharrlichkeit auf der andernGuibert. 546.: und so wird bezeugt, daß jene rastlos für die Übrigen Lebensmittel herbeischafften, die schwersten Lasten freiwillig trugen und bei Belagerungen einen unübertreffbaren Eifer zeigten.

Dreitausend solcher Pilger zogen durch die Bergwälder gen Nicäa voraus, ebneten den Weg und bezeichneten ihn 101 {1097} mit Kreuzen. Am fünften Mai 1097 langte das große Heer vor den Thoren dieser ehemaligen Hauptstadt Bithyniens anAlberic. 154 hat den vierten Mai, einige den sechsten Mai. Die förmliche Belagerung ist erst den funfzehnten angegangen. Vergleiche Hist. belli sacri 150.  Sanut. 138.  Guib. 491.  Balder. 94.  Strabo lib. XII. Dallaways Reise 152. Kinneir, voyage I, 47.. Sie war durchaus regelmäßig gebautJetzt ist Nicäa ein verfallenes Dorf, von etwa 200 Häusern, und die Gegend sumpfig und ungesund. Fundgruben I, 101., die Straßen durchschnitten sich in geraden Linien, und von einer Stelle des Hauptplatzes sah man nach allen vier Thoren. Die fruchtbare Ebene, in welcher die Stadt lag, erhöhte sich nach dreien Seiten immer mehr und mehrW. Tyr. 666. und schloß sich endlich an hohe Bergrücken an; die vierte Seite ward hingegen von dem askanischen See bespült. Alle, nicht durch das Wasser geschützten Theile der Stadt, umringte eine hohe, starke, mit festen Thürmen versehene Mauer, und den tiefen Graben füllten die von den Bergen herabströmenden Gewässer, welche man aufstaute bevor sie den See erreichten. Durch die Vorsorge des Sultans Kilidsch Arslan von Ikonium war die Stadt mit Waffen, Lebensmitteln und Vertheidigern hinlänglich versehenAccolti I, 114. Nach Matthias Eretz in den Notices et extraits IX, 305 war Kilidsch abwesend und belagerte Melitene.; er selbst hatte sich indeß der Belagerung nicht aussetzen wollen, sondern harrte in der benachbarten Gegend auf eine Gelegenheit, die neuen Pilgerheere, gleich den Schaaren Peters des Einsiedlers, zu vernichten. Unbeerdigte, am Wege aufgehäufte Überreste der letzten, hatten den Zorn der Wallbrüder noch erhöhtGest. expugn. Hier. 568.  Anna 227., und die Geistlichen stellten es als doppelt verdienstlich dar, wenn man eine Stadt aus den Händen der Ungläubigen befreie, wo im Jahre 325 durch eine heilige Kirchenversammlung der Glaube der Christen sey erneut und befestigt worden.

102 {1097} Auf der Morgenseite Nicäas lagerten der Herzog von Lothringen, der Graf von Flandern, der Herzog von der Normandie und Hugo der Große; aus der nördlichen Boemund und Tankred; die mittägliche wurde für Raimunds Mannschaft, welche noch nicht angelangt war, offen gelassenAnna 245.  Order. Vit. 728.; und nur vom Abend her blieb den Belagerten freie Zufuhr über den See. Hingegen zeigte sich Mangel bei den Pilgern, bis Boemund in Konstantinopel über die Anfuhr von Lebensmitteln und die zu haltenden Märkte, das Erforderliche eingeleitet hatte.

Alexius, welcher Nicäa sehr gern ohne Dazwischenkunft der Kreuzfahrer einnehmen wollte, ließ den Bewohnern durch Manuel Butumites verkünden: daß sie, im Falle der Eroberung durch jene, das Schrecklichste zu befürchten, von ihm hingegen, ihrem ehemaligen Beherrscher, bei früherer Übergabe die mildeste Behandlung zu erwarten hättenAnna 242, 245. Sie sagt, man habe vorsätzlich die Gefahr einer fränkischen Eroberung übertrieben, das was nachher in Jerusalem geschah, hätte sich nicht übertreiben lassen.. Und fast war dem geschickten Griechen schon der Abschluß eines Vergleichs gelungen, als die Nachricht eintraf: Kilidsch Arslan eile zum Entsatze herbei. Da faßten die Einwohner neuen Muth, und jener mußte aus der Stadt entweichen. Zwei, als Pilger verkleidete TürkenW. Tyr. 667., sollten um diese Zeit die Belagerten von den Planen des Sultans genauer unterrichten: sie fuhren über den See zur Stadt, wurden aber bei unvorsichtiger Landung von den Christen erblickt, der eine erschossen und der zweite gefangen. Den Tod fürchtend bekannte dieser: Kilidsch Arslan werde am folgenden Nachmittage mit einer Abtheilung seines Heeres den Herzog von Lothringen auf der Morgenseite angreifen, eine zweite Abtheilung aber durch das südlicheRaim. de Agil. 141., von den Pilgern nicht besetzte Thor in die Stadt senden, und dann auf der mitternächtlichen Seite gegen 103 {1097} Boemund hervorbrechen lassen. Unverzüglich trafen die Christen alle nur irgend zweckmäßigen Vorkehrungen zum WiderstandeGilo 215., und forderten den, noch abwesenden Grafen von Toulouse zur höchsten Beschleunigung seiner Ankunft auf. Rastlos zog Raimund, welcher bereits von Nikomedien aufgebrochen war, die ganze Nacht hindurch vorwärts, erreichte, zu allgemeiner Freude, mit Sonnenaufgange das christliche Lager und wandte sich dann in aller Stille nach der mittäglichen, bisher unbesetzten Seite.

Um drei Uhr des Nachmittags eilten 10,000 türkische Reiter von den Bergen herab und sprengten nach dieser Gegend: allein wie erstaunten sie hier keineswegs, wie am vorigen Tage, eine leere Stelle, sondern ein feindliches Lager zu erblicken. Dennoch griffen sie an und würden die tapfer widerstehenden, aber durch die Anstrengung des Nachtmarsches ermüdeten Provenzalen vielleicht besiegt haben, wenn nicht die übrigen Pilger zur Hülfe herbeigeeilt wären. Im Augenblicke ihrer Vereinigung brach aber Kilidsch Arslan von der andern Seite wohl mit 40,000 Reitern hervor, worauf der Kampf allgemein und sehr heftig ward, bis endlich gegen Abend die, durch den Bischof von Puy befeuerten Provenzalen, ihre Gegner zurückwarfen. Hierauf folgte die allgemeine Flucht der Türken. Viertausend waren getödtet, wenige aber gefangen worden; theils weil die Reiter leicht entkommen konnten, theils weil der Einbruch der Nacht die Verfolgung erschwerte. Unter den Christen erwarben sich Tankred, Walter von Garlande, Guido von Porsessa, Roger von Barneville und andere Edle den höchsten Ruhm ritterlicher Tapferkeit. Zum Schrecken für die Belagerten trugen die Pilger viele Häupter der getödteten Türken auf Lanzen umher, andere schossen sie mittelst Kriegszeuges in die Stadt, noch andere sandten sie dem Kaiser Alexius als Beweis ihres SiegesAnna 246. Doch erwähnt sie nicht des Geschenks für ihren Vater. Gilo 216.  W. Tyr. 668..

104 {1097} Kilidsch Arslan erkannte itzt, daß die Christen ihm überlegen, und diese Heere sehr von den ungeordneten Schaaren Peters verschieden wären. Er konnte Nicäa nicht entsetzen und mußte es den Bewohnern und der Besatzung überlassen, welche Beschlüsse sie zu ihrer Rettung fassen wollten. Diesen wuchs jedoch der Muth und die Beharrlichkeit in dem Maaße als die Gefahr zunahm, und sie gedachten nur der angestrengtesten Vertheidigung; wogegen aber auch die, nunmehr von allen äußern Gefahren befreiten Kreuzfahrer, die Belagerung mit verdoppeltem Eifer betrieben. Überdies mehrte sich ihre Macht durch die Ankunft des Grafen von der Normandie, Stephans von Blois und anderer SchaarenWilh. Tyr. 668 stellt jetzt Stephan von Blois und Hugo den Großen gegen Mittag, neben Raimund., welche erst um diese Zeit von Konstantinopel anlangten.

In dem benachbarten Walde wurden itzt Bäume gefällt und angefahren, Kriegszeug zum Beschießen der Stadt und sogenannte Skrophen erbaut, um die Mauern zu untergraben. Die Grafen Heinrich und Herrmann von Ascha errichteten aus den festesten eichenen Stämmen, in welche die stärksten Bohlen eingefalzt waren, ein Sturm- und Schutz-Dach für zwanzig Männer: allein kaum hatte man es mit großer Mühe den Mauern genähert, so warfen die Belagerten ungeheure Steine auf dasselbeWilh. Tyr. 669.  Alb. Acq. II, 80.; es lösten sich die Balken, krachend stürzte der Bau zusammen und erschlug, zu allgemeinem Leiden, die darunter verborgenen Männer. Gleich wenig Erfolg gewährten kühne Anfälle einzelner Schaaren; denn die Belagerten ließen sie zwar ungestört nahen, tödteten sie aber alsdann mit Steinwürfen oder Pfeilen. So waren schon sieben mühselige Wochen verflossen, und noch standen die Mauern unversehrt, noch immer erhielten die Belagerten über den See Nachrichten von ihren Genossen und reichliche Zufuhr.

105 {1097} Diesen See den Türken zu versperren, erschien mithin den berathenden Fürsten vor allem anderen dringend nöthig, weshalb sie den KaiserRob. Mon. 39.  Alb. Acq. 207., – welcher mit seinen Soldaten bei Pelekanum des Ausgangs harrte, – dringend ersuchten: er möge ihnen für diesen Zweck Schiffe überlassen. Gern bewilligte Alexius ihr Verlangen: allein weil diese Schiffe hundert bis hundert und funfzig Bewaffnete faßten, so glaubten anfangs die Pilger, es sey unmöglich sie von Kibotus herAnna 247., mehr als 7000 Schritte über Land, nach dem See zu bringen. Endlich aber verfertigte man große Schleifen, verband mehre Wägen nach dem Maaße der Länge jener Schiffe, lud sie dann mit Hülfe vieler Hebel, Stricke und unzähliger Menschen auf, und ließ sie zuletzt wiederum hinab in den See.

Nachdem auf diese Weise alles vorbereitet warAnna erwähnt keiner fränkischen Besatzung der Schiffe, nach Alb. Acq. l. c. waren aber nur auf einem Turkopulen, und auf allen anderen Pilger. Der See ist zwei Miglien breit und acht lang (Fundgruben I, 101) und fast ganz von Bergen eingeschlossen. Ali Beys Reisen II, 530., segelte die, meist mit Turkopulen besetzte Flotte, unter Anführung des Griechen Manuel Butumites eines Morgens gegen die Stadt; worüber die Belagerten um so mehr erschracken, da die Zahl der Feldzeichen und das Kriegsgeschrei, mit Vorsatz ungewöhnlich verstärkt war. Als indeß die Kreuzfahrer, im Vertrauen auf jene Niedergeschlagenheit, einen allgemeinen Sturm unternahmen, wehrten sich die Belagerten mit unermüdeter Tapferkeit, tödteten viele Pilger mit Pfeilen, Wurfspießen und Steinen, gossen siedendes Oel, Pech und Fett von den Mauern auf die Herannahenden, steckten mehre Belagerungswerkzeuge in Brand, und zwangen endlich alle zum Rückzuge. Nur der Herzog von Lothringen ärntete großes Lob, weil er einen Türken 106 {1097} von furchtbarer Kraft und Geschicklichkeit, welcher höhnend viele Christen getödtet hatte, durch den Bolzen seiner Armbrust erlegte.

Mit neuer Thätigkeit wandten sich die Belagerer zur Anfertigung von stärkerem Wurfzeuge und zur Ausfüllung des Grabens; wobei sich vor allen der Graf Raimund von Toulouse durch seine Bemühungen auszeichnete. Er ließ einen großen Thurm errichten, mit Flechtwerk und Häuten gegen Geschoß und Feuersgefahr sichern und dann der Mauer nähern. Während nun auf dieser Seite täglichWilh. Tyr. 670 erzählt dies nach, Anna 247 vor der Ankunft der Schiffe; ich zog jene Angabe vor, weil es sich besser an die Versuche des Lombarden anschließt, und schwerlich schon früh eine Oeffnung in den Mauern entstanden und der Graben gefüllt war. Auch die Methode des Untergrabens ist wahrscheinlich erst zuletzt durch jenen Lombarden angewandt worden. Die griechischen, von Pelekanum herbeigeführten Belagerungswerkzeuge, müssen nicht größere Wirkung gethan haben, als die abendländischen., obgleich ohne Entscheidung, fast Mann gegen Mann gekämpft wurde, beschoß man mit großer Anstrengung auf der andern Seite einen Hauptthurm der Stadt. Aber alle Kraft des Wurfzeuges blieb vergeblich, und nach mehren Tagen zeigte sich noch kein Stein verletzt; von so ungemeiner Festigkeit war dieser Bau. Unverzagt ließ Graf Raimund hierauf das Geschütz verstärken, so daß es endlich gelang mit größeren Steinen einen Theil des Thurms niederzustürzen, und man hoffen konnte, durch die erweiterte Oeffnung bald in die Stadt einzudringen. Allein mit der größten Behendigkeit und Ausdauer führten die Belagerten während der Nacht eine neue Mauer hinter der zerstörten auf, und der Morgen zeigte die Stelle den erstaunten Kreuzfahrern unversehrt. Zornig und ungeduldig eilte ein geharnischter normannischer Ritter hinzu, wollte die Stärke des Erneuten prüfen und es zerstören; aber Steine zerschmetterten den Verwegenen, und mit eisernen Haken die an langen Stangen befestigt waren, zog man ihn zur Mauer 107 {1097} hinauf, erbeutete seine Rüstung und warf den Leichnam wieder hinab. Die Christen begruben diesen in tiefem Schmerze, und fühlten sich nur durch die Ueberzeugung gestärkt: daß jeder, der so sein zeitliches Leben lasse, das ewige Leben gewinne.

Manchem entstanden jedoch nach dem Mißlingen aller dieser Versuche sehr erhebliche Zweifel, ob man die Stadt je einnehmen werde, und ob nicht das Gelübde eine längere Verzögerung des Zuges nach Palästina untersage. Da trat ein Lombarde auf und behauptete: binnen wenigen Tagen solle jener Hauptthurm ganz niederstürzen, wenn man ihm die dazu erforderlichen Kosten aus der gemeinen Kasse anweisen wolle. Als nun dies nicht allein gern bewilligt, sondern ihm für den Fall des Gelingens auch eine ansehnliche Belohnung versprochen wurde; so erbaute er ein Schirmdach von solcher FestigkeitWilh. Tyr. 671.  Alb. Acq. II, 36., daß weder ungeheure Mühlsteine die, in sehr spitzem Winkel verbundenen Seiten verletzten, noch andere darauf geworfene brennbare Gegenstände, des schnellen Herabgleitens halber, die künstlichen Schutzdecken entzündeten. Unter diesem, der Mauer genäherten Schirmdache verborgen, untergrub der Lombarde mit seinen Begleitern unbemerkt den Grundbau des Thurmes, und preßte Rasen und andere feuerfangende Dinge an die Stelle eines jeden herausgenommenen Steines. Sobald die auf solche Weise verstopfte Oeffnung groß genug zu seyn schien, zündeten jene Arbeiter den Rasen an und entfernten sich schnell. Allmählich verschwelten nun die, als unsichere Unterstützung eingedrängten Dinge, zu geringer Asche: in der Mitte der Nacht lösten sich die Fugen des Thurmes und er stürzte mit so ungeheurem Krachen danieder, daß die Erschütterung einem Erdbeben glich. Aber erst mit dem Anbruche des Tages erkannten die Belagerer die Ursache des furchtbaren Ereignisses und ihr Schrecken verwandelte sich in Freude, so wie die Besorgnisse der Belagerten in größeres Leid. 108 {1097} Denn ob sie gleich die gefährliche Oeffnung durch einen neuen Bau gegen den ersten Angriff sicherten, so sahen sie doch voraus, daß die mächtigeren Pilger über kurz oder lang obsiegen würden.

Manuel Butumites benutzte augenblicklich diese Stimmung und bewies, die Unterhandlungen wieder anknüpfendAnna 248 sq., den Bürgern: daß bei einer gewaltsamen Einnahme der Stadt durch die Kreuzfahrer, allgemeine Plünderung, wo nicht allgemeines Morden, eintreten werde; er zeigte dagegen eine Urkunde, wodurch Kaiser Alexius nicht nur den Christen, sondern auch allen Türken Sicherheit und der in Nicäa eingeschlossenen Gemahlinn des Sultans, die größten Geschenke versprach, wenn sie ihm die Stadt ohne Dazwischenkunft der Franken übergeben wollten. Den Bewohnern war noch mehr als dem Kaiser daran gelegenBern. Thesaur. 684., daß Nicäa nicht zerstört werde, und insbesondere konnten die Türken nur hoffen, auf diesem Wege dem Tode zu entgehn; deshalb schloß man ohne Zögerung mit den Griechen einen Vertrag ab. Damit aber den Franken hievon keine Ahndung entstehe oder Streit über die Einnahme der Stadt eintrete, ersann Butumites folgende List: Tatikios, welcher mit 2000 griechischen Soldaten im Lager der Pilger stand, mußte sie am andern Morgen zu einem allgemeinen Angriffe bereden, und während der Verwirrung des Kampfes ließen nun die Bewohner den Butumites von der Seeseite und den Tatikios durch ein Landthor in die Stadt. Plötzlich sahen die Kreuzfahrer griechische Fahnen von den Mauern wehen, ließen erstaunt ab vom Gefechte, begriffen aber nicht, wo und wie die Stadt genommen sey, da die Thore wieder verschlossen waren und sich nirgends für sie ein Eingang zeigte.. Butumites, die Türken und Franken gleich sehr fürchtend, suchte zunächst die ersten in höchster Eil, jedoch nur in kleinen Abtheilungen über den See zu 109 {1097} entfernen, und anfänglich führten die Griechen ihre Gefangenen sorgfältig bis zum Kaiser; dann aber wurden sie, bei der scheinbar ruhigen Stimmung derselben, nachlässiger und es gelang einer der spätern Abtheilungen, nach raschem Entschlusse, ihre Führer gefangen zu nehmen. Schon wollten die Türken diese zu Kilidsch Arslan abführen, als Monastras hervortrat, an den Verlust der kaiserlichen Geschenke erinnerte und zeigte, welche Gefahr bei der Übermacht der Griechen und Franken sie ringsum bedrohe. Freiwillig folgten ihm jetzt alle zu Alexius, und dieser nahm die Gefangenen nicht allein milde auf, sondern entließ sie auch bald nachher mit Geschenken. Eine gleiche Gunst bewilligte er der Gemahlinn und zweien Kindern Kilidsch Arslans, welche die Franken auf ihrer Flucht über den See, gefangen und ihm übersandt hatten. Durch diese Milde wollte Alexius die Türken gewinnen; denn er besorgte nicht ohne Grund, daß, nach der Entfernung oder nach dem möglichen Untergange der Pilger, ein entgegengesetztes Betragen an ihm schwer gerächt werden dürfte.

Sobald die Franken jene Art und Weise der Einnahme von Nicäa entdeckten, schalten sie auf den Kaiser, und Butumites erhöhte ihren Unwillen durch den übertrieben sorgsamen Befehl: man solle, selbst zur Besichtigung der Kirchen und zum Besuchen des Gottesdienstes, die Pilger nur in Abtheilungen von zehn und zehn Mann in die Stadt einlassen. Deshalb drangen diese aus Erfüllung des Vertrages, wonach zwar dem Kaiser der Besitz der Eroberungen, den Kreuzfahrern aber jegliche Beute an Gold, Silber, Pferden, Hausgeräth u. s. w. zugesichert war. Alexius, welcher größern Spaltungen vorbeugen wollte, versprach hierauf den Fürsten ansehnliche Geschenke, übersandte Gold und andere Güter für die Ritter und die ärmern Pilger, und überließ diesen endlich alle in Nicäa vorgefundenen LebensmittelDie Erzählung des Textes bestätigen Steph. comit. epist. 239.  Gest. Fr. 6.  Robert Mon. 40.  Balderic. 97.  Fulch. Carnot. 387.  Hist. hier. 153. Dagegen sagt Raim. 142: Alexius habe so wenig gegeben, daß ihn das Volk ewig verfluchen werde; W. Tyr. 672: daß die Fürsten, nicht aber die Geringern Geschenke erhalten; Guib. 492: daß die Fürsten und die Armen empfangen hätten, die Mittlern aber leer ausgegangen wären.. Dennoch blieben viele, besonders die 110 {1097} Geringern, unzufrieden und würden ohne den Widerstand der Fürsten feindselig gegen Nicäa verfahren haben. Es lag größerer Reiz in der ungewissen Hoffnung eines gewaltsamen Erwerbes, als in dem Empfang einer bestimmten Gabe; und es schien jenen eher Frevel als Verdienst, eine feindliche, großentheils von Ungläubigen bewohnte Stadt, von der verdienten Plünderung zu retten. Die Fürsten nahmen aber von diesen Ansichten keine Kenntniß, sondern begnügten sich mit den in Pelekanum vertheilten Geschenken, und alle, welche dem Kaiser noch nicht in Konstantinopel geschworen hatten, leisteten ihm hier den EidAnna 150.  Radulph. Cadom. 120, 1224.. Nur Tankred weigerte sich noch immer beharrlich und behauptete: ganz allein seinem Oheim Boemund sey er Treue schuldig bis in den Tod; indeß möge Alexius nur mitziehen gen Jerusalem und für Gottes Ehre kämpfen, dann werde sich bei gemeinsamem Ziele kein Streit erzeugen können. Mehre tadelten dies Verfahren, und besonders erinnerten ihn einige Verwandte des Kaisers, daß er bei längerer Weigerung der zugedachten Geschenke verlustig gehn dürfte. Da sprach der von aller Geldgier weit entfernte RitterMens pecuniae contemtrix. Rad. Cadom. l. c.: »wahrlich Alexius müßte mir dieses Zelt,« – es war größer und schöner als man je eins sahe, –»mit Kostbarkeiten jeder Art angefüllt, und außerdem so viel schenken als allen übrigen Fürsten zusammen genommen, wenn ich ihm deshalb Treue schwören sollte.« Ueber solche Anmaaßungen zürnten die Griechen, und Paläologos warf jenem laut unverständigen Stolz und unnütze Hartnäckigkeit vor. Da drang der Normann schnell auf ihn ein und es wäre zum Schwertkampfe gekommen, 111 {1097} wenn nicht der Kaiser und Boemund gleich schnell hinzugeeilt wären, und die Ergrimmten durch ernste, verständige Worte beruhigt hätten. Erst als auch Boemund seine Bitten mit denen aller übrigen Fürsten vereinte, leistete Tankred den verlangten Eid; doch blieben die Gemüther den Griechen heimlich abgeneigt, und man vermied größeren Zwiespalt nur darum, weil er in diesem Augenblicke den Pilgern mehr Schaden als Gewinn bringen mußte.

Am zwanzigsten Junius des Jahres 1097 war Nicäa eingenommen wordenW. Tyr. 682.  Sanut. 139. Nach Alberic. 155 dauerte die Belagerung sieben Wochen und drei Tage; dann fällt die Einnahme auch auf diesen Tag. Steph. ep. 239 hat den 19ten Junius., am neunundzwanzigsten desselben Monats brach das Heer auf zum weitern Zuge. Butumites warb für Alexius diejenigen FrankenAnna 251., welche zurückblieben, weil sie die Lust oder die Kraft zur Fortsetzung ihrer Wallfahrt verloren hatten; Tatikios hingegen wurde mit Mannschaft den Pilgern beigesellt, damit er sie führe und die gewonnenen Städte besetze. Nach zweien Tagen erreichte das Heer Leukas, ging über den Fluß Bathys, und breitete sich nun aus in dem schönen und fruchtbaren Thale Gorgoni bei DoryläumDoryläum südöstlich von Nicäa, jetzt Eski Schehr (Mannert VI, 3, 91) am Ausgange von Engpässen. Kinneir I, 66, 70.. Zur Erleichterung und Beschleunigung des Zuges trennte man hier die Kreuzfahrer in zwei Hauptabtheilungen: links zogen Boemund, Tankred, Hugo von St. Paul, Robert von der Normandie und der Graf von Blois; rechts in einer nicht unbedeutenden Entfernung alle Übrigen.

Unterdeß hatte Kilidsch Arslan alle seine Stamm- und Glaubens-Genossen zur Hülfsleistung aufgefordert, und ein Heer versammeltW. Tyr. hat diese Summe p. 674 (und anderwärts eine höhere), auch Raim. 142, Balderic. 98 gar 360,000, desgleichen Fulch. Carn. 388., welches nach der geringsten, aber 112 {1097} dennoch wohl übertriebenen Angabe, aus 150,000 Reitern bestand. Kaum bemerkte er nun die, ihm äußerst vortheilhafte Trennung der Pilger, als er am Morgen des ersten Julius das Zeichen zum Angriffe der ersten Abtheilung gabNach Anna l. c. hielten die Türken diese Abtheilung für das ganze Heer. Balderic. 99.  Alberic. 156.. Die ausgestellten christlichen Wachen verkündeten herbeieilend die Annäherung der Türken, und bald nachher hörte man aus der Ferne das, immer mehr und mehr anwachsende Getöse von den Tritten der Pferde und das furchtbare Feldgeschrei der Feinde. Eilig wurden die Weiber, die Alten und die Kranken hinter dem Gepäcke in Sicherheit gebracht, welches man längs des feuchten, mit hohem Rohre bewachsenen Grundes auffuhr, dann stellte sich jeder zum Kampfe. Noch waren aber nicht alle Schaaren geordnet, als die Türken sie schon mit einem Regen von Pfeilen überschütteten. Rasch und unaufhaltsam drangen die Pilger vor, in der festen Hoffnung ihre Feinde leicht zu werfen. Allein keines Widerstandes in geschlossenen Reihen gedenkend, entflohen diese itzt freiwillig und behende den Streichen, kehrten dann unerwartet schnell zurück, oder brachen an einer andern Stelle, von einer andern Seite wiederum hervor. Je ungewohnter den Christen dieser Kampf warFulch. Carn. l. c., desto schrecklicher und gefährlicher. Viele wurden verwundet, Wilhelm, Tankreds Bruder, getödtet und er selbst durch Boemund kaum der höchsten Gefahr entrissen. Sogar die Weiber blieben jetzo nicht mehr unthätigGest. Fr. 6.  Alb. Acq. 212.  Tudeb. 782.  Robert. Mon. 41.  Henric. Huntind. 375., sondern brachten den durstigen Streitern frisches Trinkwasser und ermunterten sie zur Ausdauer. Auch widerstanden die Pilger sehr lange mit großer Tapferkeit; als aber die Türken bei ihrer Überzahl immer neue Schaaren heranführten, erlagen endlich die ermüdeten, flohen zur Wagenburg, oder retteten 113 {1097} sich in die Rohrbüsche, oder beichteten, des nahen Todes gewiß, den Priestern ihre Sünden. Auch blieb kein Schlupfwinkel den Türken verborgen, welche unaufhaltsam vordrangen, mordend und plünderndWilh. Tyr. 674.. In diesem Augenblicke der allerhöchsten Noth erschienen auf dem rechten Flügel der Herzog von Lothringen, Graf Raimund von Toulouse, Hugo der Große und mit ihnen an 40,000 Reiter. Neuer Muth belebte nunmehr alle Pilger, und gemeinsam griffen sie die Feinde an. Dennoch wurden sie dreimal zurückgeworfen, und erst als der Bischof von PuyGilo 219. Nach Fulcher hätte der Bischof nur gebetet, welches ihm nicht ähnlich sieht. mit einer starken Abtheilung unbemerkt einen Berg umgangen hatte, und die Türken sich zu gleicher Zeit von zwei Seiten bedroht sahen, ergriffen sie die FluchtRad. Cadom. 127. Heilige in weißen Kleidern fochten nach der Legende für die Christen. Hist. belli sacri 155.. Aber beim Nachsetzen erreichte itzt viele das SchwertAnna 251 erzählt von drei Gefechten, alle siegreich für die Christen. Nur Tudeb. II, 784 erwähnt eines zweiten Gefechtes bei Ikonium, vom dritten ist nichts zu finden., welches sie anfangs so glücklich vermieden hatten. Im Lager erbeuteten die Christen große Vorräthe von Lebensmitteln, Heerden von Kameelen, – welche Thiere ihnen unbekannt geblieben waren bis auf diesen Tag, – bunte Zelte von eigenthümlicher Gestalt, endlich viele Güter und andere Dinge von Werth. Dies tröstete sie einigermaaßen über den großen Verlust; denn 2000 Edle und 2000 von geringerem Stande waren umgekommen, während Kilidsch Arslan nur 3000 Mann vermißte. Doch gab dieser, aus Achtung vor der Tapferkeit der PilgerWilh. Tyr. 674., nunmehr alle Versuche auf ihre Wallfahrt durch Angriffe weiter zu beunruhigen.

Aber auch die Franken rühmten laut den MuthHist. belli sacri l. c. und 114 {1097} das Geschick ihrer Gegner und sprachen: »fehlte den Türken nur nicht der rechte Glaube, so wären sie die ersten Krieger der Welt: denn nur Franken und Türken sind von Natur KriegerTudebod. 782-83.  Orderic. Vitalis 780., und geboren für Kampf und Waffenspiel.«

Nachdem sich die Pilger drei Tage lang erholt und weislich beschlossen hatten, das Heer nie wieder zu theilen und sich dadurch einer ähnlichen Gefahr auszusetzen, rückten sie vorwärts in das Innere des Landes. Bald aber minderte sich die natürliche Fruchtbarkeit der Gegend, und überdies hatte Kilidsch Arslan bei seinem Rückzuge alle vorräthigen Lebensmittel fortgeführt oder zerstört. Phrygiens Wüsten kann ein Heer kaum bei den günstigsten Vorkehrungen durchziehen, wie viel weniger bei solchen außerordentlichen Hindernissen: deshalb stieg die Noth der Pilger binnen kurzem bis zum Unglaublichen. Zuerst erlagen die Pferde, und viele Ritter bestiegen Ochsen und andere Lastthiere; wogegen die Schweine, Ziegen und Hunde mehr oder weniger Gepäck tragen mußtenTudeb. und Fulch. Carn. l. c.. Hierauf verschmachteten aber auch diese, man zerrieb Aehren zur Stillung des Hungers und die Hitze des Sommers erreichte die größte Höhe. Aller Labung ermangelnd sanken viele Männer am Wege zu Boden, und Frauen kamen vorzeitig nieder, mitten im Lager: wie konnte die Sitte da beobachtet werden, wo die Besinnung fehlte, und bei unendlicher Bedrängniß selbst die Herbeischaffung des Nothwendigsten unmöglich ward! Größer jedoch als im Glücke, als in Kampf und Gefahr, zeigten sich die Wallbrüder in dieser Noth: denn unermeßlich war ihre Geduld und ihre Ausdauer, rastlos ihr Bemühen für Unterstützung und Rettung der GenossenWilh. Tyr. 675., ungetrübt ihre Einigkeit, und stets lebendig das Vertrauen auf eine höhere Leitung, wodurch allein die irdischen Kräfte 115 {1097} über jedes irdische Übel hinaus gestärkt werden. Endlich erreichte das Heer, von Spürhunden geleitet, zu unbeschreiblicher Freude einen Fluß und die fruchtbare Gegend des phrygischen AntiochienAlb. Acq. 215.  Michaud I, 212.; das Uebermaaß des Genusses ward manchem indeß nunmehr so verderblich, als vorher der Mangel, und bald beunruhigten noch andere Sorgen die Pilger. Raimund von Toulouse erkrankte nämlich so sehr, daß der Bischof Wilhelm von Orange, an seiner Genesung verzweifelnd, ihm schon das Abendmahl reichte; und kaum hatte er sich so weit erholt, daß die tief Betrübten auf seine Besserung hoffen durften, als sie, zu noch größerem Schrecken, den Herzog von Lothringen schwer verwundet und ohnmächtig ins Lager bringen sahen. Keiner wußte ob nahende Feinde, ob innerer Zwist, ob ein Zufall das Unglück herbei geführt habe; da erzählten die Begleiter Gottfrieds: wir waren zur Jagd ausgeritten und der Herzog etwas entfernt von den Übrigen, als er hörte daß ein armer PilgerW. Tyr. 676.  Guibert. 538.  Alberic. 156.  Alb. Acq. 216., welcher Holz suchte, von einem Bären angegriffen ward und laut um Hülfe rief. Sogleich sprengte der Herzog hinzu, worauf sich der Bär gegen seinen neuen Feind wandte und, dem Schwertstreiche ausweichend, das Pferd zu Boden riß. Ob sich gleich Gottfried bei diesem Falle mit dem eigenen Schwerte tief im Schenkel verwundete, sprang er dennoch wieder auf, faßte das Unthier mit der linken Hand und traf es schwer mit der bewaffneten rechten. In demselben Augenblicke erschien, durch das Geschrei des Pilgers und das Heulen des Bären herzugelockt, Ritter Husequin, einer der Jagdgenossen, endete durch seine Hülfe siegreich den Kampf und sorgte für die Rettung des, durch Blutverlust schon erschöpften Herzogs.

Weil nun theils diese Unglücksfälle, theils die dem Heere selbst nöthige Erholung kein schnelles Vorrücken erlaubten, so beschloß man den Bruder Gottfrieds, Balduin, 116 {1097} und Tankred voraus zu senden, um die Natur des Landes zu erforschen und von den etwanigen Vorkehrungen der Türken Nachrichten einzuziehen. Jenen begleiteten Rainold von Toul, Peter von Stadeneis, Balduin von Burg, überhaupt 700 Ritter und 2000 Fußgänger; diesem folgten 500 Ritter und ebenfalls eine verhältnißmäßige Anzahl von Fußgängern. Beide Fürsten zogen gemeinsam über Ikonium bis HerakleaWilh. Tyr. 675., dann wandte sich Tankred südlich zum Meere und kam, aus der kalten einförmigen Hochebene, durch die so schönen als steilen Engpässe Ciliciens, in die fruchtbare Gegend von TarsusXenoph. Anabasis I, 21.  Ali Beys Reise II, 512.  Paulus Reisen III, 34.. Christliche Griechen und Armenier bewohnten diese StadtWilh. Tyr. 678., von Ackerbau, Handel und anderen friedlichen Beschäftigungen sich nährend; die Herrschaft und die Waffen waren dagegen in den Händen der Türken. Tankred ließ jene Bewohner durch einen Armenier auffordern ihm ihre Stadt in die Hände zu spielen; allein sie lehnten aus Furcht vor der Besatzung den Antrag ab, worauf die Feindseligkeiten sogleich begannen. Einen Ausfall der Türken schlugen die Pilger so siegreich zurück, daß Tankred diesen Augenblick des Schreckens zu einer neuen Unterhandlung benutzen konnte. Er versprach den Bewohnern Sicherheit, Milde, ja selbst Belohnungen für den Fall einer schleunigen UebergabeAlb. Acq. 216, 217.  Balder. 100.; er drohte bei längerem Widerstande mit der härtesten Behandlung. Die Türken, welche den Bürgern nicht trauen durften und die baldige Ankunft des größern Heeres der Kreuzfahrer befürchteten, willigten endlich ein, daß Tankreds Fahne als Siegeszeichen aufgepflanzt würde; doch sollte die förmliche Uebergabe der Stadt erst nach Boemunds Ankunft erfolgen. Kaum war dies verabredet, als die Nachricht eintraf, es zeige sich ein 117 {1097} Heer auf den benachbarten Anhöhen. Schon frohlockten die Türken über den nahen Entsatz und bedrohten den Normann mit höhnenden Worten; allein dieser erwiderte: »wenn wir siegen, trifft euch die Strafe gewiß; wenn wir untergehn, so wird Boemund uns zu rächen wissen.« In Schlachtordnung zogen beide Heere schon gegen einander, da erkannte man endlich erstaunt christliche Feldzeichen, christliche Waffen: es war Balduin mit seinen Mannen.

Von der rechten Straße abkommend, waren diese in dürrer unfruchtbarer Gegend mühselig umher geirrt, hatten Tankreds Schaaren gleichfalls für feindlich gehalten und zogen itzt, erfreut über die gegenseitige Täuschung, gemeinsam und einig zur Stadt. Tankred sorgte, daß die Neuangekommenen von den Vorräthen erquickt und gestärkt wurden, aber schlecht lohnte Balduin diese Milde: denn sobald er am anderen Morgen Tankreds Fahne auf der Mauer erblickte, von dem mit den Türken abgeschlossenen Vertrage hörte und die Absicht bemerkte, hier normannisches Eigenthum zu begründen; so brach er in heftige Schmähungen aus über die Anmaaßung Boemunds und TankredsTancredi et Boemundi jactantiam et principatum flocci pendentes, luto et facci aequiparantes. Alb. Acq. 217-218.  Radulph. Cadom. 136.  Hist. belli sacri 158., verhöhnte ihre Macht und ihren Ursprung, und verlangte daß die Stadt entweder geplündert, oder ihm zur Hälfte übergeben würde. Tankred, von seinen Begleitern zu verständiger Mäßigung aufgefordert, antwortete: »er habe als erster Eroberer und nach dem geschlossenen Vertrage das Recht, seine Fahne aufzupflanzen, und könne weder eine Theilung noch eine Plünderung der Stadt bewilligen; es sey denn, daß die nochmals befragten Bewohner ausdrücklich Balduin zum Herrn wählten, oder von neuem feindlich verführen.« Diese, welche schon vieles von der Macht und den Thaten der Normannen, nie aber etwas von einem Herzoge von Lothringen gehört hatten, erklärten wiederholt: Tankred 118 {1097} solle ihr Beherrscher seyn. Da erzürnte Balduin noch heftiger, und sagte ihnen in Tankreds Gegenwart: »ihr haltet in thörichter Unwissenheit Boemund und diesen Tankred für die mächtigsten Fürsten des Heeres, da doch meinem Bruder von allen die oberste Leitung übertragen wurdeAlb. Acq. 218., und jene ihm weit nachstehn, sowohl an Zahl der Mannen als an Adel des Geschlechtes. Wahrlich Boemund und Tankred werden euch nicht von der Strafe retten, welche jede Widersetzlichkeit gegen meine Befehle verdient; ja sie werden bei eigener Schuld diese Strafe mit euch theilen müssen.« Hiedurch geschreckt pflanzten die Bewohner itzt Balduins Fahne auf, und warfen die Fahne Tankreds hinab in einen Sumpf. Dessen Macht reichte weder hin seine Eroberungen mit Gewalt gegen Balduin zu behaupten, noch wollte er, dem Gelübde zuwider, mit Christen kämpfen; deshalb zog er nach AdanaAdana auf dem westlichen Ufer des Flusses Sarus (Mannert V, 2, 100) itzt Sehoun genannt, in fruchtbarer Gegend. Kinneir I, 206. Vergl. Paulus Reisen III, 26., welche Stadt ein burgundischer Edler, Namens Wolf, bereits für die Christen eingenommen hatte. Beide eroberten am folgenden Tage Mamistra mit GewaltMamistra, das alte Mopsvestia in einer schönen Ebene. Mannert V, 2, 102. und beschlossen, durch den Ueberfluß von Beute jeder Art angelockt, hier der Erholung halber einige Tage zu verweilen.

Nach der Entfernung Tankreds zweifelten die Bewohner von Tarsus nicht länger, daß Balduin der Mächtigere sey: sie räumten ihm, durch Drohungen und Überredung bewogen, zwei feste Thürme ein, und bewilligten seinen Soldaten Wohnungen in ihren Häusern. Die übrigen Thürme und einige Thore blieben zwar noch in den Händen der Türken; allein, ohne Hoffnung baldigen Entsatzes und in gerechter Besorgniß über die Sinnesart der 119 {1097} Kreuzfahrer, beschlossen sie die Ankunft des größern christlichen Heeres nicht zu erwarten, sondern heimlich in der Nacht mit allen Gütern zu entfliehen. Am Abende vor der Ausführung dieses Plans, trafen 300 Männer von Boemunds Heere bei Tarsus ein, begehrten friedlichen Einlaß und Versorgung mit Lebensmitteln; Balduin aber, eingedenk der Feindschaft mit den Normannen, schlug beides ab, und jene mußten außerhalb der Thore lagern. Mitleidiger als der Fürst und seine Rathgeber, ließen jedoch die Pilger Speise und Trank an Stricken von den Stadtmauern hinab, und labten die Erschöpften. Beim Mahle schalten diese auf den ehrgeizigen Streit der Fürsten, priesen die Milde der Geringern, und legten sich dann unbesorgt zur Ruhe: wie konnten sie ahnen welche Gefahr ihnen in einer Gegend drohte, die ganz christlicher Herrschaft unterworfen zu seyn schien! Unterdeß hatten sich aber die Türken bereits still versammelt, zogen vom Dunkel der Nacht begünstigt aus dem Thore, eilten dann, den erwünschten Augenblick zur Rache benutzend, in das Lager der neu angekommenen Pilger und erschlugen sie sämmtlich, daß auch nicht ein einziger entkam. Mit dem Anbruche des Tages vermißte man die Türken, und erhielt Nachricht von der blutigen That. Da entstand ein gewaltiger Aufruhr unter den Kreuzfahrern gegen Balduin und die HäupterW. Tyr. 679.  Alb. Acquens. 218.: deren gottlose unchristliche Gesinnung habe ihren Genossen eines heiligen Gelübdes, ihren Brüdern den Untergang bereitet, und diesen sogar das versagt, was Gastfreundschaft für den fremden Mann gebiete. Es kam bis zu einer offenen Fehde, wo sich die Häuptlinge mit Mühe vor den Pfeilen der Pilger in einen festen Thurm retteten, und Balduin entschuldigte endlich sein Verfahren damit: daß er den Türken versprochen habe, niemanden vor der Ankunft des Herzogs in die Stadt zu lassen. Aber nicht diese Worte, sondern nur die Zeit und die, an allen noch zurückgebliebenen Türken 120 {1097} genommene Rache, konnte allmählich die Gemüther beruhigen.

Wenige Tage nach Herstellung des Friedens, erblickte man im hohen Meere eine Flotte, und bei der Ungewißheit, ob es Freunde oder Feinde wären, eilten die Christen bewaffnet zum Ufer, erkannten jedoch bald ihre Glaubensgenossen.

Guinemer aus Bouillon ein geborner Unterthan Balduins, führte Seeräuber aus Flandern, Holland und Friesland herzu, welche das alte Gewerbe zwar keineswegs aufgaben, aber doch nicht mehr an den heimischen Küsten, sondern nur gegen Ungläubige ausüben wollten. Ein Theil der Mannschaft gesellte sich zu Balduins Heere und zog mit diesem gen Mamistra, wo Tankred noch verweilte. Man schlug das Lager in den Gärten vor der Stadt auf, und bewirkte freien Handel zwischen den Neuangekommenen und den Bürgern. Hiebei entstand unter Soldaten und Feldkrämern ein anfänglich geringer Zwist, welcher indeß bald heftiger ward: theils weil sich die Normannen ihrer neuen Unterthanen ernstlich annahmen und, gleich den Schaaren Balduins, der frühern Beleidigung eingedenk und geneigt zur Rache zeigten; theils weil beide Theile, selbst in unbedeutenden zufälligen Ereignissen, neue und vorsätzliche Beschimpfungen sahen. Doch wollte weder Balduin noch Tankred mit dem Befehle zum Angriffe, auch die Last der Verantwortlichkeit übernehmen; und außerdem scheute jener die wohlgeschützten Mauern der Stadt, dieser die größere Zahl der Feinde im freien Felde. Deshalb wagten sich nur einzelne hervor, damit aus solchen Kämpfen der einen oder der andern Partei ein Vorwand, oder eine günstige Gelegenheit zum Angriff erwüchse. In diesem Augenblicke eilte Richard, der Fürst von Salerno, zu Tankred und sprach: »wahrlich den Feigsten zeigst du dich gleich; denn wäre irgend Kraft und Muth in dir, so würdest du ohne Zögern an Balduin Rache nehmen, der dir Tarsus entriß und dich und die Deinen aufs höchste beschimpfte. Schon kämpfen 121 {1097} einzelne sich von dieser Schmach zu lösen; darum gieb schnell Befehl, daß alle sich waffnen und angreifen!« Tankred willigte ein und anfangs wurden mehre von Balduins Begleitern getödtet; sobald sie sich aber geordnet hatten, mußten die Normannen vor ihrer Übermacht weichen. Doch dauerte das Gefecht, besonders auf der Brücke über den, nahe bei der Stadt fließenden Strom, heftig fort, bis die Nacht die Streitenden trennte und Richard von Salerno, der Urheber dieses Kampfes, seine unzeitige Rachsucht mit dem Leben gebüßt hatteRad. Cad. 140. Nach Wilh. Tyr. gab Tankred ohne frühere Handelsstreitigkeiten u. s. w. den Befehl zum Angriff; nach ihm und Alb. Acq. wurde Richard nicht getödtet, sondern gefangen.. Am andern Morgen, als die Besonnenheit zurückkehrte und der Verlust von beiden Seiten übersehn wurde, bereuten alle das Geschehene, stellten, über die eigene Bethörung klagend, sogleich Frieden und Einigkeit wieder her und gaben sich gegenseitig die gemachten Gefangenen zurück.

Balduin hörte um diese Zeit von der schweren Verwundung seines Bruders, und fürchtete dessen Tod. Damit ihm nun auf diesen Fall der Oberbefehl nicht entginge, eilte er, mit Beiseitsetzung aller andern Plane, zum großen Heere.

Dies war mittlerweile von AntiochienWilh. Tyr. 676-677. über Ikonium und Heraklea unbehindert auf der Straße gen Marasia vorwärts gezogen; denn die Türken hatten sich mit ihrer Habe in die Gebirge geflüchtet, und erwarteten den Untergang der Kreuzfahrer von dem Mangel an Lebensmitteln; aber die große Beeilung des Zuges vereitelte ihre Hoffnungen. Nur oberhalb Marasia mußten die Pilger mit großer Mühe schmale Felssteige erklimmen, viele Lastthiere stürzten in die Tiefe hinab, und viele Soldaten warfen zur Erleichterung Helme, Panzer und alle Waffen hinweg. Endlich erreichte man das Thal und das von den Türken 122 {1097} bereits verlassene Marasia. Als Balduin in dieser Stadt ankam, fand er den Herzog schon wieder hergestellt und alle, sowohl die Fürsten als die Geringern, heftig erzürnt über sein Benehmen gegen Tankred und gegen die Pilger, welche offenbar durch seine Schuld bei Tarsus von den Türken erschlagen wären.

Nur die Achtung vor dem Herzoge von Lothringen hielt Boemund ab, an Balduin Rache zu üben; doch tadelte selbst jener nachdrücklich seines Bruders Willkür und gewaltthätigen Sinn. Da bekannte dieser sein Vergehen, entschuldigte sich von neuem auf die obige Weise, versprach Genugthuung, und suchte dadurch die Gemüther aller Kreuzfahrer zu versöhnen. Doch zeigte sich ihm wohl mancher noch abgeneigt, und dies Mißverhältniß trieb ihn nicht minder zu neuen Unternehmungen als seine eigene Neigung, und die Vorstellungen des Pankratius, eines christlichen Armeniers, welcher sich seit der Belagerung von Nicäa an ihn angeschlossen hatte. Pankratius war tapfer, von großem Verstande und großer Verschlagenheit, kundig des Landes und der Verhältnisse. Frühere Vergehen desselben gegen den Kaiser Alexius, ließen sich in den Augen der Pilger leicht rechtfertigen. Er stellte Balduin vor: daß bei der geringen Macht der Türken und der großen Zahl der christlichen Einwohner, die Eroberung des inneren Landes bis zum Euphrat sehr leicht werden müßte; und begierig diese Aussicht ergreifend, zog der Fürst mit zweihundert Rittern und einer weit größeren Anzahl Fußgänger nach jenen GegendenAlb. Acq. 220, der Balduin von Mamistra nicht wieder zum großen Heere zurückkehren läßt, hat 700 Ritter. – Die Ausdehnung der christlichen Besitzungen in diesen Gegenden ist ungewiß., und erreichte zuerst Tellbascher. Die christlichen Bewohner, des langen schweren Druckes überdrüssig, eilten hier sogleich zu den Waffen, vertrieben die Türken aus der Burg und öffneten Balduin die Thore. Ein ähnliches Schicksal befürchtend, entfloh die Besatzung von Ravendan schon vor 123 {1097} der Ankunft des Fürsten, welcher diesen Ort dem Pankratius für seinen Rath und seine treuen Dienste überließ. Unter dem Vorwande, er selbst möge sich nicht von seinem Freunde und Wohlthäter trennen, setzte Pankratius hier seinen Sohn als Befehlshaber ein, gab ihm aber die heimliche Weisung, er solle keine Franken in die Burg einlassen, und begann selbst zu gleicher Zeit Unterhandlungen mit den Türken. Von Armeniern hierüber gewarnt, verlangte Balduin: Pankratius solle zum Beweise der Aufrichtigkeit seiner Gesinnungen, eine fränkische Besatzung in die Burg aufnehmen; allein dieser ließ sich hiezu weder mit Güte noch durch leichte körperliche Strafen bewegen, und erst als Balduin drohte, er werde ihn bei längerer Weigerung viertheilen lassen, gab er seinem Sohne Befehl zur Übergabe von Ravendan, und ward nächstdem aus dem christlichen Lager verwiesen.

Der Ruf von der Annäherung eines christlichen HeeresW. Tyr. 682.  Alb. Acq. 221. und den Thaten Balduins, drang auch nach Edessa. Diese Stadt war im Jahre 1086 dem seldschukischen Sultan Malek zinsbar gewordenAbulf. zu diesem Jahre sagt: Edessa sey erobert worden.; auf den Grund einer besondern Vergünstigung wohnte jedoch kein Türke innerhalb ihrer Mauern, sondern ein Rath von zwölf Männern, an dessen Spitze der frühere griechische Befehlshaber Theodor stand, besorgte alle öffentlichen Angelegenheiten. Bei den unzureichenden Kräften der Bürgerschaft und dem hohen Alter Theodors, mehrte sich aber täglich die Gefahr von den benachbarten Feinden: die Äcker wurden geplündert, Handel und Verkehr gehemmt und den Bürgern, welche außerhalb der Thore in die Hände der Türken geriethen, schwere Lösung abgepreßt. Deshalb beschloß Theodor, von der Unzulänglichkeit seiner Macht überzeugt, und von dem Rathe und den Bürgern dringend aufgefordert, Balduin durch eine Gesandtschaft zum Schutze der Stadt einzuladen, und 124 {1097} ihm dafür itzt die Hälfte aller Einnahme und die getheilte Herrschaft, nach seinem Tode aber die ungetheilte Regierung anzubieten. Balduin willigte gern in diese Vorschläge, und eilte zum Euphrat, fand aber durch des Pankratius Betrieb hier eine große türkische Macht versammelt, welche ihm nicht allein den Übergang verwehrte, sondern ihn auch auf dem, schnell angetretenen Rückzuge, bis Tellbascher verfolgte. Nach dreitägiger Plünderung der Gegend zerstreuten sich indeß die Türken, und Balduin, welcher hinlängliche Mannschaft in den Burgen ließ, konnte itzt unbemerkt und ungehindert mit zweihundert Rittern über den Euphrat setzenAlb. Aquens. 221.  Wilhelm Tyr. l. c. hat nur 80 equites.. Er erreichte Edessa, wo ihm der Fürst, der Rath und das Volk entgegen zogen, und ihn mit feierlichen Gesängen einholten. So groß war die Freude der Einwohner über ihre Befreiung vom türkischen Joche, daß viele dankbar den Pilgern die Füße küßten; nur Theodor empfand bald Neid und Mißgunst, daß Balduin mehr geehrt würde als er selbst, und deutete die früheren Anerbietungen dahin: daß jener für den Schutz gegen die Türken jährlich nach billiger Männer Urtheil eine Belohnung erhalten solle, aber auf Theilnahme an der Herrschaft keine weiteren Ansprüche machen dürfe. Balduin war aber keineswegs geneigt dem Griechen, welcher ihm an Geschlecht und Macht nachstand, als Söldner zu dienen, und erklärte, – entweder im Ernste, oder weil er günstigere Bedingungen zu erlangen hoffte: – er werde zu dem großen Heere der Kreuzfahrer zurückkehren. Da zwang der Rath und das Volk den alten Fürsten, daß er öffentlich den früheren Vertrag bestätigen und Balduin an Kindes Statt annehmen mußte. Um sich dankbar zu beweisen und nach dem Wunsche der Bürger, zog dieser hierauf gen Samosata, wo Balduk ein türkischer Emir herrschte, welcher die Edessener schon oft gebrandschatzt und geplündert hatte. Vergeblich suchte Balduk das freie Feld zu behaupten, vergeblich Balduin die sehr befestigte Stadt 125 {1097} einzunehmen; denn die Franken waren so tapfer in Schlachten, als ungeschickt bei künstlichen Belagerungen. Deshalb ließen sie Mannschaft in einer benachbarten Burg zur steten Beunruhigung von Samosata, und kehrten selbst nach Edessa zurück.

Hier entstanden neue Unruhen gegen den griechischen Fürsten: denn im Übermaaß der Freude ob der günstigen Veränderung seines eigenen Zustandes, gedachte das Volk nicht mehr der frühern gemeinsamen Schwäche und Verzagtheit, und des gemeinsamen Ungeschicks; sondern, allein in Theodor den Urheber aller inneren und äußeren Übel erblickend, beschuldigte es ihn, daß er auf jede Weise Gelder erpreßt, Auspfändungen und Strafen ohne Nachsicht anbefohlen, und gegen die sich Weigernden sogar Türken zu Hülfe gerufen hätteGilo 233 erzählt, daß der Fürst selbst gegen Balduin Verbindungen mit den Türken angeknüpft habe.. Man begnügte sich nicht mit der Sicherheit für die Zukunft, man drang auch auf Strafe für die Vergangenheit. Bewaffnet zogen deshalb Vornehme und Geringe, von Konstantin dem Besitzer benachbarter fester Burgen angeführt, zu Balduin und erklärten: daß sie beschlossen hätten, mit seiner Hülse ihren alten Fürsten zu tödten, ihm aber dessen Würde zu übertragen. Balduin erwiderte: »fern sey es von mir, daß ich Hand an den Mann lege, welchen ich als Vater anerkannt und dem ich geschworen habe; solcher Blutschuld halber würde ich verabscheut werden von allen christlichen Fürsten! Erlaubt mir, daß ich zu jenem eile und abrede, was ihm und euch am heilsamsten ist.« – Dies ward bewilligt und in demselben Augenblick erschien ein Bote des Fürsten, welcher Balduin ersuchte: er möchte die Vermittelung zwischen ihm und dem Volke übernehmen, denn sein Haus sey bereits umlagert und man bedrohe ihn mit dem äußersten. Theodor wollte gern alle Schätze ausliefern und die Regierung niederlegen, wenn man ihm nur das Leben ließe, und Balduin suchte 126 {1097} das Volk zur Annahme dieser Bedingungen zu bewegen; aber alle schrien: »er soll sterben für seine Habsucht und seine Gemeinschaft mit den Türken!Michaud I, 228 erzählt nach einer morgenländischen Quelle: die Bedingungen wären von Balduin und dem Volke angenommen und beschworen worden, am folgenden Morgen aber ein neuer Aufstand ausgebrochen. Notices IX, 274, 310.« Da nun auch Balduins Worte ohne Erfolg blieben, so glaubte der Fürst daß ihn nur eine schleunige Flucht erretten könne, und ließ sich deshalb auf der abgelegenen Seite seines Palastes an einem Stricke zur Erde nieder; aber er ward bemerkt, und ehe er noch den Boden erreichte, von unzählichen Pfeilen tödlich verwundet. – Man steckte das abgeschnittene Haupt des Greises auf eine Lanze, und schleifte den Rumpf wild durch die StraßenSo erzählen W. Tyr. 683 und Alb. Acq. 223, Balduins Kapellan; Fulch. Carn. 390 nennt jenen durchaus unschuldig. Order. Vit. 744 erzählt: der Grieche habe die Franken bei Gelegenheit eines Zuges außerhalb der Stadt offenbar angreifen und aus der Stadt ausschließen lassen. Als nun Balduin Edessa belagerte, sey jener von den Bürgern getödtet worden. Doch sind jene ersten Quellen glaubwürdiger..

Wir haben keinen Grund Balduin einer unmittelbaren Theilnahme an diesem Aufstande zu beschuldigen, er hat gewiß die Grausamkeiten, welche ihm nichts nützen konnten, gemißbilligt; allein er verdient Tadel, daß er seine Macht, selbst mit Gefahr des Unwillens der Bürger, nicht für das Rechte in Bewegung setzte. Niemand soll ungeregelte Bewegungen des Volkes veranlassen oder befördern, denn keiner kann voraussehn oder wissen, wie sie enden; sehr selten zum äußeren Vortheil der Urheber, allemal zum Nachtheil ihres ächten Ruhms. Am andern Morgen ward Balduin nach scheinbarer Weigerung, zum Herrscher erhoben, ihm der Huldigungseid geleistet und der Schatz ausgeliefert.

Balduk von Samosata, welcher einsah, daß der neue Fürst nach hergestellter Ruhe alle Macht gegen ihn richten 127 {1097} werde, bot ihm itzt seine Stadt für 10,000 Goldstücke an; allein Balduin lehnte dies Anerbieten ab, weil es ihm unwürdig erschien, das zu erkaufen, was er mit den Waffen leicht zu gewinnen hoffte. Als aber Balduk drohte: er werde bei längerem Weigern sich nicht nur in Samosata aufs äußerste vertheidigen, sondern auch an vielen edessenischen Gefangenen Rache nehmen; so schien es räthlich, daß man einen Theil der großen gefundenen Summen ausgebe, und nicht das kostbare Leben der Pilger aufopfere. Der Kauf wurde geschlossen, die Gefangenen wurden gelöset, und Balduk selbst ließ sich in Edessa nieder. Eine andere Stadt SarudschSororgia., welche allein noch die Verbindung zwischen Edessa und Antiochien unterbrach, kam bald nachher auch in die Gewalt der Christen; denn sie hatte sich gegen ihren Schutzherrn Balak empört, und ihm die Zahlung des gewöhnlichen Zinses verweigert, weshalb er selbst Balduin zu ihrer Belagerung aufforderte. Nach einem dreitägigen heftigen Angriffe ergaben sich die Bewohner, gegen Schonung ihres Lebens und ihrer GüterSanutus 141.. Unterdeß hatte Balduk, durch große Versprechungen verleitet, Soldaten zum Entsatze von Sarudsch gesammelt, kam aber zu spät und gab nun vor, er sey Balduin zu Hülfe geeilt; auch schien dieser seinen Worten Glauben beizumessen, indem er ihn ohne Strafe wieder mit sich nach Edessa zurück nahm.

Hier ordnete nunmehr der Fürst alles an, was für die innere und äußere Verwaltung nöthig schien, setzte Statthalter in den eroberten Orten, bestimmte die Größe der Abgaben, und sah sich zuerst unter allen Kreuzfahrern im Besitz einer festen Herrschaft in Asien. Kein Wunder, daß sich allmählich bei allen christlichen Heerführern ähnliche Wünsche entwickelten, und ähnliche Versuche gemacht wurdenAlb. Acq. 224.. So gewann Tankred während dieser Zeit mehre 128 {1097} Burgen und Städte Ciliciens, endlich erstürmte er nach einer hartnäckigen Belagerung Alexandrette. Sein Glück war so groß als sein Muth; Armenier und Türken sandten ihm große Geschenke um Frieden und Schutz zu gewinnen.

Mittlerweile war das große Heer von den christlichen Bewohnern Marasias freudig aufgenommenDie Nachrichten über den Marsch widersprechen sich, und die entstellten Namen sind kaum zu deuten. Mannert VI, 2, 51 nimmt an, das Heer sey durch die amanischen, nicht durch die syrischen Pässe gezogen., und dann nach einer zweiten wohlhabenden Stadt Artasia geführt worden. Kaum zeigte sich hier Graf Robert von Flandern an der Spitze einer vorausgesandten Abtheilung, so empörten sich die christlichen Armenier gegen die türkischen Soldaten, erschlugen sie und öffneten den Pilgern die Thore. Die Türken in Antiochien, welche hievon Nachricht erhielten, sandten leichte Reiter gen Artasia um die Christen hervorzulocken und begannen, als dies mißlang, mit großer Anstrengung die Belagerung jener Stadt. Bald aber mußten sie schnell nach Antiochien zurückeilen, denn das große Heer der Kreuzfahrer nahte, und Robert von der Normandie war im Begriff sie durch Eilmärsche auf ihrem linken Flügel zu umgehn und von Antiochien abzuschneidenAlb. Acq. 224.  Gest. Fr. 9.  Guib. 498.  Tudebod. 784.  W. Tyr. 686. Artasia lag nach Alb. Acq. zehn, nach W. Tyr. funfzehn milliaria von Antiochien..

In der Gegend von Artasia vereinte sich Tankred mit allen übrigen, und man beschloß auf den Antrag des Bischofs von Puy: es solle keine vereinzelte Unternehmung mehr gestattet werden, sondern die ganze christliche Macht zu größerer Wirksamkeit beisammen bleiben.

Sobald die Türken von Artasia her Antiochien wieder erreicht hatten, erschien auch Robert von der Normandie schon mit dem Vortrabe an der alten schönen Bogenbrücke, welche über den Orontes führte, durch starke Thürme geschützt 129 {1097} und hinreichend besetzt war. Unverzüglich begann er den Kampf, allein selbst die Panzer der Ritter wurden von den Pfeilen der Türken durchbohrt, und diese behaupteten ihre Stellung bis das ganze christliche Heer auf erhaltene Botschaft herbeieilte. Nun erst erlagen sie der ungleich größeren Macht, und zogen sich nach Antiochien zurück. Die Kreuzfahrer gingen hierauf theils über jene Brücke, theils durch einige im Flusse entdeckte Fuhrten, lagerten sich dann, nachdem auch das Gepäck angekommen war, längs des Ufers und schickten Mannschaft aus zur Herbeischaffung von Lebensmitteln. Am folgenden Morgen brach das Heer wiederum aufNach Alberic. 159 kam Boemund zuerst vor Antiochien an, und die übrigen folgten am nächsten Tage. und zog auf der großen Landstraße weiter bis in die Gegend der Stadt; rechts strömte der Orontes in einem engen Thale und jenseit desselben erhoben sich gewaltige, wild zerrissene oder sonderbar zugespitzte FelsenSiehe die Abbildung in der Voyage pittor. de la Syrie und Paulus Reisen II, 24.. 130

 


 


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