Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 1
Friedrich von Raumer

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Erstes Buch.

Von der Theilung des römischen Reiches, bis zum Tode Gottfrieds von Bouillon.

(Vom Jahre 395 bis 1100.)

 

Erstes Hauptstück.

{400} Im Jahre 395 nach Christi Geburt, theilte Kaiser Theodosius das römische Reich und gab seinem Sohne Arkadius die östliche, seinem Sohne Honorius die westliche Hälfte. Noch begriff die letzte Italien mit den Inseln, die Länder im Süden der Donau bis zu der Gränze von Mösien, Gallien, Helvetien, Brittannien, Spanien und die afrikanischen Landschaften bis an die Syrten; aber Honorius fand ein sittenloses ausgeartetes Geschlecht, und unter ihm, dem unmännlichsten aller Herrscher, hätte auch in ruhigern, bessern Zeiten, der mächtigste Staat seinem Untergange zueilen müssen: – wie sollte er der größten aller Völkerwanderungen ein Ziel setzen?

Die Hunnen, ein Volk mongolischen Stammes (widerwärtig der körperlichen Bildung und den Sitten nach), verließ, vielleicht von Osten her bedrängt, seine frühern Wohnsitze im mittlern Asien und zog abendwärtsDeguignes Geschichte der Hunnen, verglichen mit Ludens scharfsinnigen Bemerkungen in der Geschichte des Mittelalters I, 63, 69.. Bei der Schwierigkeit durch die Wüste Kobi, durch das mächtige persische Reich und durch die kriegerischen Stämme am kaspischen 4 {400 bis 500} Meere in das südliche Asien einzudringenRitter Erdkunde II, 591., war es gezwungen seinen Weg nördlich von jenem Meere, durch das Kaptschak, zu nehmen. Im Jahre 375 nach Christus betraten die Hunnen Europa und zwangen die, vom Don bis zur Theis wohnenden Gothen, in den Ländern südlich von der Donau neue Wohnsitze aufzusuchen. Nachdem man ihnen diese, obwohl ungern, eingeräumt hatte, fochten sie für die Römer und gaben den Ausschlag bei manchen innern Zwistigkeiten derselben; allmählich aber erhoben sie sich, des Joches ungewohnt, aus Parteigängern zu Parteiführern. Mit Stilicho fiel die letzte Stütze des weströmischen HofesStilicho ward im Jahre 408 ermordet, Zosimus V, 34.; Alarich der Westgothe drang unaufhaltbar nach Italien und eroberte Rom im Jahre 410. Vandalen, Alanen und Sueven zogen gleichzeitig durch Gallien, besetzten Spanien und theilten dieses Land. Dahin folgten ihnen, Italien verlassend, die Westgothen unter Alarichs Nachfolger; worauf die Vandalen, von ihrem Könige Genserich geführt, nach Afrika gingen und daselbst auf den Trümmern von Karthago ein neues Reich gründeten. Nur etwa fünf Jahre später, ums Jahr 435, besetzten die Burgunder mehre, zum Theil von den Westgothen verlassene Landschaften an der Rhone, in Savoyen und in der Schweiz; Angelsachsen segelten nach Brittannien und begannen die Eroberung dieses Landes449 nach Christus..

Während sich die deutschen Stämme so gegen Abend und Mittag verbreiteten, war das Reich der Hunnen zu furchtbarer Größe und Macht angewachsen. Attila herrschte gegen Morgen bis an die Wolga und die persische Gränze; er brandschatzte Konstantinopel und stand im Jahre 451 mit einem gewaltigen Heere bei Chalons an der Marne, um auch den abendlichen Theil Europas von sich abhängig zu machen. Allein hier ward er in einer großen Schlacht 5 {400 bis 500} besiegt: die deutschen Stämme sollten nicht, zum Verderben der Welt, dauernd von Mongolen unterdrückt werden. Drei Jahre nach dieser Schlacht starb Attila, und sogleich befreiten sich die meisten der von ihm abhängigen Völker; sie drängten seine Nachfolger bis über den Dniester zurück.

Die Gepiden errichteten ein mächtiges Reich im trajanischen Dacien, die Ostgothen breiteten sich im Süden der Niederdonau aus, Odoacer endlich zog an der Spitze von Herulern, Rugiern und andern deutschen Stämmen nach Italien, und entsetzte (1230 Jahre nach Erbauung Roms, 476 Jahre nach Christus und 100 Jahre nach dem Einfall der Hunnen in Europa) den römischen Kaiser Romulus Augustulus. Man erschrack in Konstantinopel über den Untergang des westlichen Reiches; aber beim Mangel an hinreichenden Kräften mußte Kaiser Zeno es gern geschehen lassen, daß Theodorich der Ostgothe die Bestrafung Odoacers übernahm und ihn siebzehn Jahre nach seiner Erhebung wiederum stürzte493 nach Christus..

Um dieselbe Zeit gründete und erweiterte Klodwig das fränkische Reich in Gallien; ein Mann, an ächter Größe Theodorich nachstehend, allein von der höchsten Verschlagenheit und Mittel aller Art benutzend, um die Herrschaft zu gewinnen.

Binnen 100 Jahren war also die Gestalt der ganzen gebildeten Westwelt durchaus verändert, fast gar nichts von dem Alten war geblieben: weder Religion noch Sitten, weder Verfassung noch Verwaltung, weder Sprachen noch Namen; in jeder Beziehung hatte eine neue Zeit begonnen. Wenn nun der gewaltigste Eroberer kaum im Stande ist eines von diesen Dingen willkürlich umzuändern, so mögen wir einer Seits daraus die vernichtende Macht des Sturms ermessen, welcher alles vor sich nieder warf; anderer Seits aber auch nicht verkennen, daß ein Geschlecht, welches sich durch die andringenden Gefahren keineswegs 6 {500 bis 600} zu kräftigem Widerstande und größerer Tugend aufregen ließ, für den Untergang vollkommen reif war.

Ums Jahr 500 nach Christus herrschten Vandalen in Afrika, den balearischen Inseln, Korsika und Sardinien; Sueven im nordwestlichen Theile des heutigen Spanien und in Portugal; Westgothen von der Meerenge bei Gibraltar, bis zur Loire und Rhone, ja an der Seeküste bis Nizza; Franken von der Loire bis weit über den Rhein zu den Stämmen der Sachsen und Friesen, und bis zu den hohen Gebirgen Graubündens; Sachsen endlich in einem großen Theile Brittanniens. Das burgundische Reich erstreckte sich von der Loire bis Sitten, und von Avignon bis zu den Quellen der Maas und Mosel: Theodorich und seinen Ostgothen gehorchte Sicilien, Italien von Nizza und Sitten an gerechnet, die Küsten des adriatischen Meeres bis Dyrrachium und alle Länder im Süden der Donau vom Lech bis zur Mündung des UjdDie genauen Gränzen siehe auf Kruses trefflicher Karte vom Jahre 500., oder der nördlich gegenüberfließenden Aluta. Um die Morava und Wag wohnten Longobarden, um die Theis und Aluta Gepiden; nur der Ueberrest der nicht erwähnten südeuropäischen Länder, also Thracien bis zum Ister, Macedonien und Griechenland gehörten noch zum oströmischen Reiche.

Klodwig der Franke theilte im Jahre 511 sein Reich, Theodorich der Große starb 526, im Vandalenreiche herrschte Zwist. Durch diese Umstände begünstigt, konnte Justinian bei mittelmäßigen persönlichen Eigenschaften, mit Hülfe seiner großen Feldherrn Belisar und Narses, das vandalische und ostgothische Reich zerstören534 Ende des vandalischen, 553 Ende des ostgothischen Reiches.: aber schon drei Jahre nach seinem Tode, im Jahre 568, brachen die Longobarden, welche das gepidische Reich vernichtet hatten, unter ihrem Könige Alboin in Italien ein, und vertrieben die Römer aus dem größern Theile des Landes; Avaren besetzten die, 7 {400 bis 600} von den Longobarden verlassenen Gegenden und verwüsteten die oströmischen Besitzungen. Am Ende des sechsten Jahrhunderts waren fünf von den, durch die Völkerwanderung gestifteten Reichen schon wieder untergegangen: das vandalische und ostgothische durch die Römer, das gepidische durch die Longobarden, ferner ums Jahr 534 das burgundische durch die Franken, endlich 585 das suevische durch die Westgothen. Doch schienen nunmehr die Umwälzungen des Abendlandes abzunehmen und ein beharrlicher Zustand einzutreten: denn die christliche Religion und die großen Ueberbleibsel südlicher Bildung, milderten die Sitten, und die, bei allen deutschen Stämmen gewöhnliche Besitznahme eines Theils von dem eroberten Grundvermögen, erzog für den Ackerbau und für höhere Geselligkeit.

Unterdessen ward zwar Konstantinopel, guten Theils seiner trefflichen Lage halber, nicht erobert wie Rom; aber die bald frevelnden, bald unnütz grübelnden Kaiser, blieben von wahrer Erkenntniß und von großen Thaten gleich entfernt, und Tyrannei, wilde Gesetzlosigkeit und ekelhafte Trägheit wechselten zur Erdrückung sämmtlicher Kräfte. Alles Große und Schöne, was noch vorhanden war, stammte aus einer bessern Zeit; kaum blieb das Verdienst der Aufbewahrung, und öfter trat an deren Stelle Verstümmelung des Ursprünglichen und schlechte KünsteleiBeweise selbst für die noch spätere Zeit in Anna Comn. 139, 160, 200 u. s. w.. Die Anmaaßung wuchs mit der innern Nichtigkeit: man hielt sich an Sinn und That den frühern großen Griechen und Römern gleich, während Erkenntniß des Verfalls allein ein Aufstreben zur wahren Größe hätte erzeugen können. Man sah vornehm auf alle Barbaren hinab, uneingedenk, daß kräftiges Leben in einem ganzen Volke unfehlbar über kurz oder lang Preiswürdiges hervorbringen muß, eitler Götzendienst mit dem Abgestorbenen aber jede ächte Erneuung unmöglich macht.

8 {400 bis 600} Aus der einfach großen Lehre Christi, dem wahren Lebensquell für die gesammte neuere Zeit, hatte man hier ein System der Glaubenslehren entwickelt, welches neben Tiefsinnigem und Erhabenem, auch der Auswüchse und Spitzfindigkeiten so viele zeigteBesonders in den ketzerischen Sekten., daß deren Entzifferung und Darlegung fast die Kräfte der Gelehrten, wie viel mehr der Ungelehrten überstieg. Je schwieriger indeß und unbegreiflicher die Lehrsätze waren, mit desto frevelhafterer Leidenschaft wurden sie oft wechselsweise vertheidigt, und das Hauptgebot, die christliche Liebe, von den Führern und von der verführten Menge, um des nur scheinbar Wichtigeren willen, ganz vernachläßigt. Man hatte überdies den Grundsatz aufgestellt, daß der Mehrzahl bischöflicher Stimmen auf einer Kirchenversammlung die unbedingt höchste und unfehlbare Gesetzgebung in der christlichen Kirche zustehe; ein Grundsatz, welcher in solcher ausschließlichen Strenge und so unbeschränktem Umfange, kaum aus der Nothwendigkeit kirchlicher Ordnung zu rechtfertigen seyn dürfteWenigstens ist der Grundsatz später nicht festgehalten worden., auf jeden Fall aber in einzelnen Fällen der Anwendung, zu den ärgsten Mißbräuchen führteZ. B. auf der Räubersynode zu Ephesus..

Indessen glaubte Niemand, daß dem, in heftigen Leidenschaften und schwächlichen Künsteleien, zu Grunde gehenden Morgenlande, eine durchgreifend erneuende und aufregende Bewegung sehr nöthig sey; keiner ahndete, woher diese Bewegung entstehen könnte. Denn die persischen, den Oströmern früher oft gefährlichen Sassaniden, besaßen zwar ein großes, aber durch innere Verwirrungen zerrüttetes Reich, und waren außer Stande, durch gewaltsame Mittel die ursprüngliche Verehrung der Lehre Zoroasters wieder herzustellen. – In Arabien, dem nie besiegten Lande, lebten viele Stämme unter einzelnen Emirn oft in Fehde und ohne Wirksamkeit nach außen. Ein 9 {600 bis 700} byzantinischer Statthalter war in Ghazan, persische in Jemen und Hira. Man fand im Lande Juden, Christen, Heiden, Anbeter der Sonne, des Mondes, der leuchtendsten SterneAbulfar. p. 93.  Oelsner p. 9.; das ganze Volk aber belebte ein freier muthiger Sinn, ein reines Gefühl für die ursprünglichen Tugenden der Menschheit, jugendliche Kraft und die Fähigkeit einer dauernden Begeisterung. Hier trat Muhamed auf, der ProphetEr ward gebohren 571 nach Christus.. Jede Meinung unterzuordnen der allumfassenden Lehre von dem einigen Gotte, jede Thätigkeit nachzusetzen dem Kampfe für den alleinigen Gott: das war seine Lehre. Im heiligen Kriege auszuharren hielt der Moslem für so rühmlichPosaune des heiligen Krieges p. 39, 51, 62 u. s. w., als ein großer Theil der Christen damaliger Zeit die Selbstpeinigung im Kloster; eine Nacht auf dem Posten wachen, spricht das Gesetz jener, ist verdienstlicher als sechzig Jahre Gebet, jede gute Handlung wird dagegen verdienstlos durch Flucht am Tage der Schlacht. Glücklich sind die im Kampfe Fallenden, denn sie beginnen im Paradiese ein neues Leben, genußreicher als es die glühendste Einbildungskraft erdichten kann!

Wo war damals Kraft und Fülle der Gesinnung, einem so begeisterten Volke zu widerstehen? Auch sprach Muhamed: »Ich sehe die Erde vom Ausgange bis zum Niedergange, das Reich meines Volkes wird von diesem zu jenem seyn: denn bei dem Allmächtigen, das Reich des Islam ist mein, und das Reich der Perser in Chorasan und Irak, der Römer in Syrien und der Kopten in Aegypten!« – Nach drei und dreißig Jahren war des Propheten Lehre verbreitet von den Säulen des Herkules bis zum Indus, und von der Meerenge Babelmandeb bis tief in die Steppen der Tatarei. Muhamed war aufs innigste überzeugt von der Hoheit und Verdienstlichkeit seines Unternehmens, und die größten Schwierigkeiten scheinen vor 10 {600 bis 750} einer solchen Ueberzeugung zu verschwinden; aber er konnte seinen Sinn nicht vom Irdischen lösen und verklären, daher sein großer Irrthum: das Heilige lasse sich ausbreiten durch das Schwert, und die stolze Kraft habe Haltung und Verdienst ohne Demuth und Liebe! Ueberhaupt ist, trotz alles Scheines großartiger Einfachheit, der Muhamedanismus im Verhältniß zum Christenthume ein verwerflicher Rückschritt; wofür so wohl eine unbefangene Vergleichung des Korans und des Evangeliums, als die Geschichte der muhamedanischen und christlichen Völker, die augenfälligsten Beweise giebt.

Fünf ChalifenAbubekr, Omar, Othman, Ali und Hassan von 632 bis 661 nach Christus, dreißig Jahre. aus verschiedenen Häusern folgten auf Muhamed: denn das Volk und die Häupter wollten sich, ungeachtet der Verehrung für die nächsten Verwandten des Propheten, das Wahlrecht nicht beschränken lassen. Deshalb kam es zu innerlichem verwüstenden Kriege, ob dieser gleich die Wirksamkeit nach außen wenig schwächte. Die Geschichte zeigt an Römern, Arabern und Franzosen, daß ein wahrhaft kampfgeübtes und begeistertes Volk, selbst während einheimischer Unruhen, seinen Nachbarn am gefährlichsten werden kann. – Eine Folge jener Kriege war die erbliche Oberherrschaft einer Familie: das Haus des, mit Muhamed nur durch seinen Urältervater verwandten Moavia, regierte neunzig Jahre lang; vierzehn Chalifen herrschten vom Jahre 661 bis zum Jahre 750 nach Christus. Wenige von ihnen zeigten bedeutende Anlagen des Geistes und hervorragende Größe des Gemüths: aber der erste gewaltige Eindruck wirkte noch fort auf die schwächern Umgebungen, und aus der lebendigen Masse bildeten sich glückliche Feldherrn. Diese stürzten im Jahre 711 (von Verrath und innerem Zwiste begünstigt) durch eine große Schlacht das Reich der Westgothen in Spanien; sie drangen über die Pyrenäen und eroberten Frankreich bis zur Loire.

11 {600 bis 774} Seit Klodwig war der fränkische Staat, durch wiederholte Theilungen und innere Unruhen, durch unfähige oder unwürdige Könige so geschwächt worden, daß seine gänzliche Auflösung nur durch das frische jugendliche Leben des Volkes selbst, und durch die Tüchtigkeit der Großmeister des Palastes verhindert wurde. Ein solcher GroßmeisterMajor domus; Großmeister drückt den Begriff unvollkommen, aber immer doch noch eher aus, als Hausmeyer., Karl, Martell oder Streithammer zubenannt, rettete im Jahre 732 durch einen entscheidend großen Sieg über die Araber bei Tours, abendländische Bildung und Christenthum von asiatischem Einflusse, vom Muhamedanismus und von der Einverleibung in ein übergroßes, sich bereits auflösendes Reich. Nur die Siege der Griechen über die Perser, können mit diesem an hoher Bedeutung und umfassender Wirksamkeit verglichen werden!

Karl Martells Verdienst, legte den Grund zur Erhebung seines Sohnes Pipin. Um dieselbe Zeit als das Haus des Abbas, mit großer Grausamkeit das Haus des Moavia vom Stuhle der Chalifen vertrieb, stürzte Pipin das Haus der Merovinger und ließ sich, damit der Schein religiöser Bestätigung nicht fehle, durch den Papst Zacharias zum König krönen. Von seinen beiden Söhnen, unter welche er im Jahre 768 das Reich theilte, starb Karlmann bereits 771, und Karl nahm dessen Erbtheil, ohne Rücksicht auf die Ansprüche seiner Neffen, in Besitz. Diese suchten hierauf mit ihrer Mutter Hülfe bei dem Longobardenkönige Desiderius, der, weil Karl seine Tochter Sibylle verstoßen hatte, bereits feindlich wider ihn gesinnt war. Der Krieg schien unvermeidlich und gern gehorchte Karl der Aufforderung Papst Hadrians I: dem römischen Stuhle gegen die Anmaaßung der Longobarden Schutz zu verleihen. 206 Jahre nach seiner Entstehung, im Jahre 774, ward das Reich der Longobarden durch die Franken zerstört. Araber, Baiern, Avaren, Normannen, Slaven stellten sich der anwachsenden 12 {774 bis 843} Macht des karolingischen Reiches entgegen, aber alle wurden leicht besiegt; nur die Sachsen widerstanden drei und dreißig Jahre, nicht minder aus Liebe zur Freiheit, als aus Haß gegen die neue ihnen aufgedrungene Religion.

Am letzten Weihnachtsfeste des achten Jahrhunderts setzte Papst Leo III, dem Könige Karl in der Peterskirche zu Rom die Kaiserkrone auf, und mit dem Namen des abendländischen Kaisers traten die Ansprüche auf das ganze weströmische Reich hervor. Nicht sowohl durch seine Siege erscheint Karl groß, als vielmehr durch seine Beförderung der Wissenschaften und Schulen, des Ackerbaus und Handels, durch die Bildung einer musterhaften innern Verwaltung, – am größten aber dadurch, daß seine Macht und geistige Ueberlegenheit ihn nur selten zu Willkür und Tyrannei verführten. Lange vor und lange nach dieser Zeit hat kein christlicher Herrscher regiert, der mit ihm verglichen werden könnte; und diese Dunkelheit der Umgebungen, erhöht den Glanz seines Ruhms. Er starb im Jahre 814 nach sechs und vierzigjähriger Regierung, und hinterließ seinem Sohne Ludwig ein Reich, welches vom Ebro bis zur Eider, von Rom bis zu den böhmischen Gebirgen, und von dem atlantischen Meere bis zur Theis reichte.

Niemals folgte einem größern Vater ein so unfähiger Sohn. Ludwig der Fromme taugte mehr zum Mönche als zum Herrscher, und die schrecklichen Kriege zunächst zwischen ihm und seinen Söhnen, dann zwischen diesen Brüdern selbst, endete erst im Jahre 843, die Theilung des karolingischen Reiches zu Verdun. Karl der Kahle erhielt Frankreich bis an die Rhone, Saone, Maas und Schelde; Lothar das Land zwischen diesen Flüssen und dem Rheine, Italien und die Kaiserwürde; Ludwig bekam Deutschland nebst den Städten Speier, Worms und Mainz. Zwölf Jahre nach dieser Theilung zu Verdun starb Kaiser Lothar, und zwanzig Jahre nach ihm, im Jahre 875, der letzte seiner drei Söhne. Sogleich eilte Karl der Kahle mit einem 13 {843 bis 900} Heere nach Italien, nahm dies Reich in Besitz und ward in Rom zum Kaiser gekrönt; aber man haßte und verachtete ihn, weil seine Vergrößerungssucht keineswegs aus großer Kraft entstand und nur durch treulose und tyrannische Mittel befriedigt wurde. So hoffte er auch seine Neffen, die Söhne Ludwigs des Deutschen, Karlmann, Ludwig und Karl, ihres Erbtheils zu berauben; allein sie schlugen ihn im Jahre 876 bei Andernach und zwangen seine Enkel, Ludwig und Karlmann, welche nach dem schnellen Tode des Vaters und Großvaters regierten, das ehemalige lotharingische Reich bis zur Maas und Schelde an Deutschland abzutreten. Den Ueberrest, Provence, Dauphiné, Lyonnois, Savoyen und einen Theil der Franchecomté beherrschte dagegen seit 879 Boso, der Bruder der zweiten Gemahlinn Karls des Kahlen; er stiftete das neuburgundische Reich südlich des Jura.

Die drei Söhne Ludwigs des Deutschen theilten die väterliche Erbschaft; nach dem Tode der beiden ältern fiel indessen das ganze deutsche Reich, im Jahre 882, an den dritten Bruder, Karl den Dicken. In demselben Jahre starb Ludwig der König von Frankreich, zwei Jahre später Karlmann sein Bruder: es war vom Stamme Karls des Kahlen nur Karl der Einfältige übrig, ein fünfjähriges Kind. Deshalb beriefen die Franzosen Karl den Dicken zu ihrem Könige, und mit Ausnahme der balearischen Inseln, der Länder jenseit der Pyrenäen und des neuburgundischen Reiches, beherrschte er alle Staaten Karls des Großen. Allein je mehr der Umfang seiner Herrschaft wuchs, desto mehr offenbarte sich seine Unfähigkeit: fast in allen Ländern brachen Unruhen aus, und auf der Reichsversammlung zu Tribur im Jahre 887 wurde er abgesetzt, und Arnulf, der Herzog von Kärnthen (Karlmanns natürlicher Sohn, Karls des Dicken Neffe) zum Könige von Deutschland erwählt. Vergebens bemühte sich dieser auch die übrigen Theile des großen karolingischen Reiches unter seiner Hoheit zu vereinen. Die Franzosen, durch Einfälle der 14 {800 bis 1000} Normannen aufs äußerste bedrängt, erhoben den tapfern Grafen Odo von Paris auf den Thron, und erst nach dessen Tode herrschten wiederum Karolinger fast noch ein volles Jahrhundert hindurch: was, bei ihrem großen Mangel an geistiger und sittlicher Kraft, unerklärlich bliebe, wenn sie nicht gerade dieser Schwäche halber wären von den Großen erhoben worden. Und eben deshalb erhielten wiederum diese Großen hier festere Besitzungen und größern Einfluß als in Deutschland, wo früher kraftvolle Herrscher auftraten. Hugo Kapet, der Herzog von Neustrien, Burgund und Francien, – oder des Landes zwischen der Maas und der Seine, – auf den endlich die Herrschaft im Jahre 987 überging, mußte den vierzig weltlichen Großen, die das Königreich mit ihm besaßen, Freiheiten und Rechte bestätigen, welche den seinigen fast gleich kamen. Nur der Umstand ward dem königlichen Ansehn vortheilhaft und hinderte den unbedingten Sieg des Adels: daß einige Könige nach anerkanntem Erbrechte sehr lange regierten und die Geistlichkeit, von den Großen oft bedrängt, sich häufiger an sie anschließen mußte als in Deutschland.

In Hochburgund, oder dem Lande vom Jura bis zum Rheine und der Reuß, begann um die Zeit König Arnulfs die fast ganz unabhängige Herrschaft Rudolphs I, und in Italien befehdeten sich die mächtigen Herzoge Guido von Spoleto und Berengar von Friaul, bis der erste entschieden die Oberhand gewann und sich nebst seinem Sohne Lambert zum König von Italien, ja zum Kaiser krönen ließ. Arnulf unternahm zwar auf Berengars Einladung zwei Züge nach Italien und ließ sich gleichfalls in Rom zum Kaiser krönen; allein er war nicht im Stande sich zu behaupten und starb im Jahre 899. Weder sein minderjähriger Sohn Ludwig, noch dessen Nachfolger Konrad konnten die Ordnung erhalten oder herstellen: im Gegentheil zeigt die Geschichte der, auf den Tod Karls des Großen folgenden hundert Jahre, eine solche Masse von Willkür unter den, sich wiederum erhebenden und sich bekriegenden 15 {800 bis 1000} Großen, ein solches Uebermaaß von Elend unter dem Volke, von Geistesschwäche und Lastern unter den Königen, daß auch dieses Weltreich, gleich allen übrigen, nach einem kurzen blendenden Glanze, in finstere Nacht hinabstürzte. Karls Eroberungen hatten die Eigenthümlichkeit und Selbständigkeit der Völker guten Theils aufgelöset, ohne daß ein allgemeineres, genügendes Band an die Stelle getreten wäre; und alles was nach seiner Absicht dahin wirken sollte, verschwand während der langen Bürger- und Familien-Kriege. Zuerst nämlich, verlor die höchste Gewalt jene übermäßigen Vorrechte, welche die einzelnen Theile zusammenzwängten; dann auch die nothwendigen Vorrechte, ohne welche die Willkür nicht abzuhalten war: und nun konnten, beim Mangel eines Mittelpunkts und ächter bürgerlicher Ordnung, an sich schwächere Nachbarn, wie Normannen, Ungern und Saracenen, die so kriegerischen deutschen Stämme auf eine, sonst unbegreifliche Weise ängstigen und bedrängen. Zuletzt fand jeder nur Hülfe in seiner Person und seiner Burg: woraus jener tief eingewurzelte, neu bestärkte Glaube entstand, Selbsthülfe sey das unveräußerlichste Recht freier Männer; weshalb sich erst spät wiederum die Ueberzeugung entwickelte, daß engere Verbindung und größere Gemeinschaft, auch größere Stärke erzeuge. Und doch diente all das Unglück vielleicht dazu, ein noch größeres abzuhalten. Oder dürfte es nicht verderblicher gewesen seyn, wenn eine Reihe gewaltiger Weltkaiser auf Karl gefolgt wäre? Wenn die Geschichte der Völker in die der Hauptstadt und des Hofes verwandelt, jede eigenthümliche Bahn für immer zerstört, und durch eine vorzeitige Reife alle ächte Bildung unmöglich gemacht wäre?

Jetzt fand zunächst der muthige Stamm der Sachsen, nach kurzem Verluste seiner Freiheit, unerwartet den Weg zur Herrschaft und zum Ruhme. Heinrich, der erste deutsche König dieses Stammes, stellte während seiner siebzehnjährigen Regierung, vom Jahre 919 bis 936, nicht nur die Unabhängigkeit der Deutschen wieder her, sondern legte 16 {900 bis 1000} auch den ersten Grund zu dem spätern, im Mittelalter überwiegenden Einflusse dieses Volkes. Er erzwang zunächst von allen widerspenstigen Großen diejenige Achtung, welche nöthig ist, wenn der Staat sich erhalten soll; vergrößerte aber seine Macht nicht so über die Gebühr, daß sie der Freiheit der Einzelnen nachtheilig geworden wäre. Dann besiegte er die Ungern in einer großen SchlachtWitichind p. 641., und sicherte das Land gegen neue Einfälle durch befestigte Kriegslager, aus denen allmählich im nördlichen Deutschland manche Stadt erwuchs. – Heinrichs Sohn, Otto der Große, war in den vierzehn ersten Jahren seiner Regierung fast ausschließlich mit den Angelegenheiten Deutschlands beschäftigt: denn zwischen Sachsen und Franken zeigte sich Neid und Abneigung, und die Großen suchten nach Heinrichs Tode ihre, zum Theil aus der Lehnsverfassung hergeleiteten Ansprüche, mit größerem Nachdrucke durchzuführen.

Von dem Grundvermögen, welches die deutschen Stämme besaßen, oder nach der Völkerwanderung in Besitz nahmen und vertheilten, war durch den natürlichen Gang der Dinge sehr viel in die Hände der Anführer und später der Könige gekommen. Hievon überließen diese nicht unbedeutende Stücke den Hof- und Staatsbeamten oder andern Personen auf Lebenszeit, belohnten hiedurch deren Verdienste und gewannen viel Anhänger. Während der hundertjährigen Verwirrungen nach dem Tode Karls des Großen, erhielten aber manche von den Begünstigten die, ihnen ursprünglich nur auf Lebenszeit bewilligten Güter, für das Versprechen treuer Anhänglichkeit und eines festgesetzten Beistandes im Kriege, als Erblehn. Und umgekehrt begaben sich freie Eigenthümer in den, damals oft so dringend nöthigen Schutz eines Mächtigern, versprachen dafür ebenfalls Treue und Kriegsdienst, und gewöhnlich nach Abgang männlicher Erben, den Heimfall ihrer Besitzungen an jene 17 {900 bis 1000} SchutzherrnFeuda oblata.. Nicht minder wurden endlich diese Verhältnisse durch einen dritten Umstand begünstigt, durch den Mangel an Handel, Gewerbe und Geld: denn so wie man nur Abgaben in Erzeugnissen kannte, so geschah auch aller Kriegsdienst auf Unkosten des Verpflichteten, und von Solde war niemals die Rede.

Auf diese Weise trat mithin der Lehnsdienst an die Stelle des HeerbannsVon dem allmählichen Verluste der Reichsunmittelbarkeit für die niedern Klassen des Volkes, dem Lehnswesen und den Städten, wird in den Alterthümern umständlicher die Rede seyn.: der Freie war entweder mit Aufopferung seiner Rechte ein Höriger, oder auf gegenseitige Verpflichtungen ein Manne geworden, und der Beamte wollte jenem in keinem Stücke nachstehn. Kräftige Könige, wie Heinrich und Otto, behaupteten aber: »die Würde der Herzoge und Grafen sey keineswegs erblich, sondern dem Könige stehe deren An- und Absetzung durchaus frei;« – worüber sich indessen, weil hauptsächlich von dem die Rede war, was für die Zukunft Statt finden und erst gebildet werden sollte, fast nichts ohne Widerspruch festsetzen ließ. Auch ward dieser Streit Jahrhunderte lang nur durch Macht und durch Klugheit, bald zum Vortheile der einen bald der andern Partei entschieden, ohne daß Beispiele des einen oder des andern Falles, als gesetzliches Gewohnheitsrecht angeführt werden dürften.

Für diesmal mußte ein Mann von Otto's Kraft die Oberhand behalten. Er setzte Pfalzgrafen, als Stellvertreter des Königs und als Wächter seiner Rechte, den, nur auf Lebens lang anerkannten Herzogen, zur Seite; er besiegte dann die Ungern, Wenden und Dänen, errichtete Bisthümer zu ihrer Bekehrung und Unterwerfung; endlich, und dies ist das Wichtigste und Folgenreichste, er erneuerte die Verbindung Deutschlands und Italiens.

Die untern Theile dieses Landes verwüsteten Kriege der Herzoge von Benevent, der Grafen von Kapua und 18 {900 bis 950} Salerno, der Griechen, und endlich der Araber, welche Sicilien erobert und auch in Apulien feste Sitze gewonnen hatten. Im obern Italien starb Kaiser Lambert, der Sohn Guidos von Spoleto, dreizehn Monate nach Arnulf dem deutschen Kaiser. Berengar I von Friaul, seiner Gegner entledigt und vom Markgrafen Albrecht von Ivrea unterstützt, behielt die Oberhand, bis ihn Ludwig, der Sohn König Bosos von Niederburgund, welchen die spoletanische Partei nach Italien berief, aus den meisten seiner Besitzungen verdrängte. Schon nach vier JahrenIm Jahre 905. ward aber Ludwig wiederum von Berengar geschlagen, gefangen und geblendet; und ungestört hätte der letzte, selbst über die Römer herrschen könnenWitichind, p. 641.  Luitprand, lib. II c. 16., wenn nicht seine Tyrannei, und die Willkür der ihm beistehenden Ungern, erst Unzufriedenheit und dann eine Verschwörung herbeigeführt hätten. Er wurde von Rudolf II, dem Könige von Oberburgund, geschlagen und fiel im Jahre 924 durch Meuchelmord. Hugo, der Graf von Provence, welcher über Karl Konstantin, den Sohn König Ludwigs von Niederburgund, die Vormundschaft führte, überließ itzt jenem Könige Rudolf den größten Theil der Länder seines Mündels, und bewog ihn hiedurch, seinen Ansprüchen auf Italien zu entsagen. Er selbst trat, von einer mächtigen Partei unterstützt, im Jahre 926 die Herrschaft dieses Landes anLuitprand III, 5.  Murat. annali zu 926. Berengar II war der Enkel Berengars I, von seiner Tochter Gisela und dem Markgrafen Adalbert von Ivrea., und behauptete sie durch große Anlagen und große Laster, bis Markgraf Berengar II von Ivrea ihn mit Hülfe deutscher Soldaten zwang, die Regierung niederzulegen. Doch folgte ihm sein Sohn Lothar, und erst nach dessen Tode erwählten die italienischen Großen im Jahre 950 Berengar II zum Könige. Als dieser jedoch Lothars Wittwe, die burgundische 19 {950 bis 962} Prinzessinn Adelheid, welche die Hand seines Sohnes Adalbert ausschlug, hart bedrängte und gefangen nahm, suchte sie Hülfe bei dem mächtigern König der Deutschen. Otto I zog nach Italien, befreite und heirathete Adelheid, entsetzte aber Berengar II erst zehn Jahre später, nachdem vielfache Klagen über dessen Tyrannei, besonders vom Papste Johann XII waren erhoben worden.

Am zweiten Februar des Jahres 962 empfing Otto die Kaiserkrone in RomLandulph. sen. Lib. II, c. 16.  Luitpr. VI, 6., und Johann XII unterwarf sich ihm, als seinem Oberherrn. Aber dies Verhältniß der geistlichen zur weltlichen Macht, war nur vorübergehend. Auf den Grund einiger Aussprüche des neuen Testaments und der althebräischen Einrichtungen, hatte sich nämlich der Stand der Geistlichen von dem der Laien gesondert und große Vorrechte erhalten; ja er bekam unter den deutschen Völkern neben der Wichtigkeit, welche man natürlich den Verkündern einer neuen eifrig ergriffenen Religion zugestand, auch der größern Bildung seiner Glieder halber, hohe Staatswürden und öffentlichen Einfluß. Der Natur der Sache gemäß und nach Art weltlicher Abtheilungen, entstanden itzt höhere und niedere Stufen geistlicher Würden, es entwickelte sich aus Gründen mancherlei Art die Ansicht: daß Rom, die weltbeherrschende ewige Stadt, auch den ersten christlichen Bischof in ihren Mauern haben müsse. Die Unfähigkeit der weströmischen Kaiser, die Verlegung ihres Hofsitzes nach Ravenna, und die bedeutenden Erwerbungen der Kirche, machten den römischen Bischof unabhängiger von weltlichem Einfluß und erhöhten sein Ansehn in der Stadt selbst. Vergeblich strebte der Patriarch von Konstantinopel nach der geistlichen Oberherrschaft, sie war nicht ohne weltlichen Besitz, nicht in der Nähe der Kaiser zu erhalten, welche den, oft auch persönlich ausgezeichneten Bischof von Rom schonen mußten, damit er nicht durch ausschließliche Begünstigung der Longobarden, die Herrschaft der Griechen 20 {962 bis 980} in Italien zerstöre. Als endlich die arianischen Longobarden dem päpstlichen Stuhle gefährlich wurden, erlagen sie den Franken, und als (ungeachtet der Dankbarkeit und der Schenkungen Pipins und Karls) die Besorgniß entstand, daß karolingische Kaiser den Bischof von Rom zu ihrem Hauskaplan herabsetzen möchten, da erfolgten Theilungen und Schwächungen, und der Anspruch der abendländischen Kaiser auf Weltherrschaft schwand bei äußerer Ohnmacht zu einem leeren Namen; während der Bischof von Rom so eifrig als zweckgemäß dahin wirkte, seiner Seits das Anrecht auf eine allgemeine geistliche Herrschaft geltend zu machen. Außerdem schärfte Bonifaz und fast jeder Heidenbekehrer, den Völkern die größte Ehrfurcht für den Bischof von Rom ein, und die neugesetzten Bischöfe ließen sich gern eine Abhängigkeit gefallen, welche ihr eigenes Daseyn erst zu sichern schien.

Indeß hatten die, beim Falle des karolingischen Geschlechts entstandenen Unruhen, nicht allein die Macht des römischen Bischofs erhöht, sondern auch die Macht aller kleinern Grafen und Barone Italiens; und diese Baronenwillkür ward zuletzt dem Papste so gefährlich, daß er vorzog sich einer entferntern und geordnetern Herrschaft anzuvertrauen. Kaum war nun aber durch die Uebermacht der Deutschen wirklich den, Italien heillos zerstörenden Kriegen, ein Ende gemacht; so fühlte auch der Papst diese neue Abhängigkeit drückender, trat übereilt auf die Seite der Gegner Ottos, wurde dann abgesetzt, und des Kaisers Wille galt in allen Stücken als Gesetz. Dieser Wille zeigte sich jedoch niemals so furchtbar, als nach Ottos Entfernung die Willkür des Patriciers Crescentius, welcher den Papst Benedikt VI ermorden ließ, und nur mit Mühe von der kaiserlichen Partei besiegt wurde. Erst sechs Jahre nach seines Vaters Tode, im Spätherbste 980Annal. Saxo zu 980. Otto I starb 974., zog Otto II – nachdem er innere Unruhen in Deutschland gedämpft und die 21 {980 bis 1024} Ansprüche der Franzosen auf Lothringen mit den Waffen zurückgewiesen hatte, – über die Alpen, drang im folgenden Jahre bis Neapel und Tarent, ward aber dann von den, wegen der gemeinsamen Gefahr diesmal vereinigten Griechen und Muhamedanern, geschlagenDitmar Merseburg. lib. III.  Hermann. Contr. Romuald. Salernit. zu diesen Jahren. und starb im Jahre 983.

Seines minderjährigen Sohnes Ottos III außerordentliche Anlagen erweckten große Hoffnungen; allein er starb schon im Jahre 1002, ehe er die Wenden und Ungern, welche den Deutschen wiederum gefährlich wurden, unterdrücken konnte, und ehe die römischen Barone sich gewöhnt hatten, auch ohne Kriegsgewalt den deutschen Kaisern zu gehorsamen. – Die Päpste waren um diese Zeit das Spiel bald der einen, bald der andern Partei, und hatten zur sichern weltlichen Gewalt auch noch nicht den Grund gelegt. Allein die Dekretalen des falschen Isidor brachten (begünstigt durch die Unwissenheit des Volks und die Sorglosigkeit der Könige), allmählich Grundsätze über die unbedingt höchste Gewalt des römischen Bischofs in Umlauf; so daß es nur eines großen Kopfes unter den Päpsten und eines schwachen Gegners bedurfte, um schnell und unerwartet das Gebäude der geistlichen Herrschaft zu vollenden.

Dem letzten der Ottonen folgte in Deutschland durch WahlDitmar 370., und mit Zurücksetzung anderer Kronbewerber, Heinrich II, Heinrichs des ersten Urenkel. Wenden und Polen und deutsche Große hemmten seine Thätigkeit im Süden, und erst nach Ardoins von Ivrea Tode konnte er in Italien Einfluß gewinnen, und den Papst gegen die anwachsende Macht der Griechen sichern. Doch deutet der erworbene Beiname des Heiligen an, daß er den Geistlichen und der Kirchenherrschaft wohl zu günstig, und 22 {1024 bis 1039} bisweilen von dem Sinne entfernt war, welcher einem großen Kaiser unentbehrlich zu seyn schien.

Konrad der Salier begann, nach Heinrichs kinderlosem Tode, im Jahre 1024 den Stamm der deutsch-fränkischen KaiserSiehe Annal. Saxo, Glaber Rudolph. Herm. Contract. Wippo u. s. w. Bünaus Geschichte Kaiser Friedrichs I, S. 58.. Er vereinte das burgundische Reich, – welches einen Theil der heutigen Schweiz nebst Savoyen, Provence, Dauphiné, Avignon, Venaissin, die Grafschaft Burgund und andere kleinere Besitzungen in sich begriff, – nach dem Ableben König Rudolfs  IIIRudolf starb 1032., als ein eröffnetes Reichslehn mit Deutschland, befestigte die Lehnspflichtigkeit der Polen, Böhmen und Wenden, und legte bei seiner zweiten Anwesenheit in Italien den Grund zu neuen Verhältnissen. Die niedern Lehnsmannen, die Landeigenthümer und die Bürger in den Städten, hatten durch Geschick und vielfache Thätigkeit an innerer Kraft gewonnen, sie wollten die Herrschaft und Willkür der obern Lehnsherrn und Barone nicht länger dulden, und es kam zu offenem Kriege zwischen dem hohen Adel, und den niedern, von dem ganzen Volke unterstützten Mannen. Konrad wies sowohl die übertriebenen AnsprücheConstitutio Conradi in Mascov. comment. de rebus imp. Vol. I, p. 70, append. Giannone Geschichte von Neapel Buch IX, c. 1, p. 20., als die übertriebenen Bedrückungen durch ein neues Gesetz vom Jahre 1038 in die gehörigen Schranken zurück; doch gewannen eigentlich nur die geringeren Mannen: denn die Lehne wurden erblich für die Söhne, und durften nicht ohne Urtheil der Ebenbürtigen eingezogen, es durfte die Lehnsherrschaft nicht ohne Beistimmung des Lehnsmannes, an einen dritten veräußert werden.

Dieser vereinzelte Besserungsversuch genügte Heinrich dem Dritten, welcher seinem Vater Konrad im Jahre 1039 folgte, auf keine Weise; vielmehr setzte er sich vor, die 23 {1039 bis 1056} weltliche und die kirchliche Verfassung gründlich umzugestalten, dem Kaiserthume das Uebergewicht und seinem Stamme das erbliche Anrecht zu verschaffen; – und er hatte Thätigkeit und Geisteskraft genug, diese Plane durchzuführen. Seine weltliche Gewalt erhöhte sich in Deutschland dadurch, daß er die großen Herzogthümer theils gar nicht, theils nur mit seinen Verwandten besetzte; ein Unternehmen, welches keinem mittelmäßigen Herrscher gelungen wäre, das aber, wenn sein Nachfolger auf diesem Wege zu beharren vermochte, nothwendig die Wechselverhältnisse und die Rechte der Stände und des Königs gänzlich umgestalten, und zur vollständigsten Unbeschränktheit des letzten führen mußte. Die Verbesserung der Kirche konnte dagegen, bei der allgemeinen Sinnesart des gesammten Geschlechts, nicht ohne den Papst vorgenommen werden, ja sie mußte vom Papst ausgehn: es kam also nur darauf an, diesen vom Kaiser abhängig zu machen. Hiezu bot sich die trefflichste Gelegenheit: denn durch zügellose Parteiung waren in Rom gleichzeitig drei Päpste erhoben worden, die sich verfolgten und bannten; Heinrich ließ im Jahre 1046 alle drei auf der Kirchenversammlung zu Sutri absetzen, und den Bischof Suitger von Bamberg an ihre Stelle erwählenNäheres hat Nicol. Arragon. in Vita Leonis IX, p. 277..

Während Heinrichs Regierung herrschten nach einander vier PäpsteKlemens II, Damasus II, Leo IX, Viktor II., alle aus Deutschland gebürtig, alle durch seinen Einfluß erhoben, und alle von ihm so abhängig oder ihm persönlich so ergeben, daß sie einverstanden mit seinen Planen, eifrigst für die Kirchenverbesserung sorgten. Diese erstreckte sich aber hauptsächlich auf zwei Gegenstände: auf die Simonie oder den mit geistlichen Stellen getriebenen Handel und WucherGlaber Rudolph lib. V, c. 5., und zweitens auf die Sitten der Geistlichen selbst. So ungewöhnlich es erschien, daß der 24 {1039 bis 1056} Papst in eigener Person umherreise und von Amts wegen die Erwerbung der Pfründen und die Sitten erforsche, so unangenehm den Bischöfen und Aebten diese Prüfungen waren: so hatten dennoch die Päpste im Allgemeinen die Stimmung des Volkes und die Nothwendigkeit und Heilsamkeit der Sache selbst für sich: ein jeder Widerspruch schien nur aus bösem Gewissen zu entstehn. Jene gaben übrigens den Untersuchungen eine große Oeffentlichkeit, ließen die gefällten Urtheile von Kirchenversammlungen bestätigen und waren, den Umständen angemessen, bald so streng, bald so mild, daß wirklich die gute Sache gewann und ihr Eifer allgemeinen Beifall verdiente. Auch ward ihnen allein das Verdienst zugeschrieben, allein ihre Macht mehrte sich durch diese Maaßregeln; und nothwendig mußten sich die Folgen gegen den Kaiser kehren, sobald er nicht an persönlichen Eigenschaften überlegen war, und den Päpsten irgend ein äußerer Haltungspunkt zu Hülfe kam.

Eine solche Unterstützung entstand ihnen aber sowohl im obern als im untern Italien. Dort hatten die Kaiser, durch Konrads Begünstigung der niederen Mannen, zwar für den Augenblick ein Gegengewicht gegen die Macht der Großen erhalten; allein aus der freieren Lage entwickelten sich höhere republikanische Wünsche, es erhuben sich mit sichtbarer Stärke die lombardischen Städte, es wuchs Venedigs, Genuas und Pisas Macht durch den ausgebreitetsten Handel. Erst hatte sich das Volk des Kaisers gegen die Lehnsherrn bedient, jetzt strebte es allmählich der deutschen Herrschaft ganz entledigt zu werden: und der mächtigste, der natürlichste, von gleichen Wünschen beseelte Bundesgenosse, war der Papst. – Im untern Italien entstandEine umständliche Erzählung der normannischen Anfänge in Italien liegt außerhalb der Grenzen dieses Werks; weil aber Manches ohne die Kenntniß des Einzelnen unverständlich bleiben könnte, ist die erste Beilage diesem Bande angehängt worden., aus geringen Anfängen, durch Tapferkeit und List die Macht 25 {1056 bis 1073} der Normannen. Griechen sowohl als Araber wurden von ihnen, besonders unter Anführung Robert Guiskards, bezwungen, und leicht gewahrten die Päpste, daß sie ihre Hülfe gegen die Kaiser und, wenn es die Lage der Dinge ja erfordert hätte, wiederum die Kaiser gegen die Normannen gebrauchen konnten. Diese schlossen sich aber gern an die Päpste an, und nahmen von Leo IX ihre jetzigen und künftigen Eroberungen zu Lehn: denn den griechischen oder römischen Kaisern, welche beide von ihrem Rechte auf Weltherrschaft und von Empörern sprachen, konnten sie nimmer vertrauen.

So lagen die Verhältnisse, da starb im Jahre 1056 Kaiser Heinrich III, und hinterließ nur ein sechsjähriges Kind, Heinrich den Vierten, unter Vormundschaft seiner Mutter Agnes. – Nach der, hieraus entstehenden Minderung der königlichen Macht, stellte sich sogleich die kirchliche in den Vordergrund; und es offenbarte sich, wer seit Leo dem Neunten die Päpste geleitet habe, und wer (die Wahl erfolge auch, wie sie wolle) die nächsten leiten werde: nämlich der Archidiakonus Hildebrand, der nachmalige Papst Gregor VII.

Daß der römische Bischof, nach der Trennung der katholischen Kirche von der griechischen, das Haupt der abendländischen Geistlichkeit sey: darüber hatte die allgemeine Meinung längst entschieden, und die aristokratische Verfassung der Kirche war unmerklich und auf ganz natürlichem Wege in die monarchische übergegangen: den neuen Bemühungen Gregors mußte also ein ungleich umfassenderer Gedanke zum Grunde liegen.

Alle irdische Herrschaft hatte mit Gewalt begonnen, durch Gewalt stand ihr mit gleichem Rechte der Untergang bevor; es war kein höheres, den fehlerhaften Ursprung vertilgendes, die Dauer sicherndes Mittel vorhanden. An die Stelle irdischer Herrschaft sollte also eine geistliche, göttliche Herrschaft, eine Theokratie treten, welche durch Christus den Sohn Gottes auf Erden begründet sey, und nur durch 26 {1056 bis 1073} den Papst, den Stellvertreter Christi, fortgeführt werden könne. Die Herrschaft der christlichen Kirche, so sprachen deren Vertheidiger, beruht auf der Weisheit und Göttlichkeit ihrer Lehren, sie allein ist unabhängig vom Irdischen im Ewigen gegründet, sie allein kann alle weltliche Herrschaft von ihrer Mangelhaftigkeit reinigen, und eine unwandelbare fleckenlose Wurzel aufzeigen. So wie durch Christus die allein wahre Religion verkündet, und die Einheit des christlichen Glaubens zur Abstellung aller, Leib und Seele vernichtenden Irrungen, höchstes nothwendiges Ziel ist: so giebt es auch nur eine ächte, Gott gefällige, unwandelbare Beherrschung irdischer Dinge, nach jenen unwandelbaren Lehren. Weil nun aber diese Lehren Zeitliches und Ewiges umfaßten, weil jene Herrschaft im Namen Gottes geführt ward, so mußte sie sich nothwendig auch auf Jegliches beziehen: auf den Einzelnen, die Familie und den Staat, auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sobald man diese unbedingte Allgemeinheit des Grundsatzes der Kirchenherrschaft einmal recht gefaßt hat; ist man aller Verwunderung überhoben, wie der Papst allmählich auch noch auf Dieses oder Jenes habe Einfluß verlangen können.

Es ließ sich durchaus nicht läugnen, daß die weltliche Macht schon Unzähliges an der Kirche und ihren Gliedern verdorben hatte; mithin mußte es einem großen Papste als das verdienstlichste Werk erscheinen, sie aus diesen Fesseln zu lösen, welche auch nur in der Gewalt ihren Ursprung hatten, und von denen das Evangelium nichts vorschrieb. Warum, so sprach man, soll der Kaiser den Papst, und nicht der Papst den Kaiser beherrschen? Hat nicht das Geschick und die Macht bisher allein entschieden? Wenn der Kaiser die Weltherrschaft verlangt, weil die Römer sie einst durch das Schwert gewonnen hatten, wenn er sich auf die Ewigkeit eines irdischen Kaiserreiches beruft; warum nicht der Papst, mit weit größerm Rechte, auf die ewige Herrschaft des, über alle irdische Könige erhabenen 27 {1056 bis 1073} Sohnes Gottes? Die geistliche Herrschaft muß die weltliche leiten und beleben, wie die Sonne den Mond und die Seele den Leib; an die Stelle der Gewalt tritt das Recht, und das Recht wird verklärt durch den Glauben und die Liebe.

In solchen Ansprüchen sahen die Päpste nur die Uebung heiliger Pflichten; auf Jahrhunderte hinaus hatte ihnen Gregor eine Richtung vorgezeichnet und sie dafür begeistert. Sein planmäßiger Eifer, geleitet durch die höchste Besonnenheit und nicht minder durch beispiellose Kühnheit und Ausdauer, wirkten rastlos auf glänzend erhabener Stelle fast ein ganzes Menschenalter hindurch, dem Geiste der Zeit gemäß: – sie mußten die Verhältnisse einer ganzen Welt umgestalten.

Wenn alle menschliche Größe sich fast nur im Kampfe und Widerstande entwickelt, wenn nur bei angestrengter Uebung alle Kräfte frei werden; so mögen wir mit Recht behaupten, daß der große Streit der geistlichen und weltlichen Macht dem menschlichen Geschlechte einen Schauplatz der heilsamsten Thätigkeit eröffnete. Wir dürfen fragen: ob nicht, ohne diesen wechselseitigen Widerstand, damals eine Reihe unbeschränkter Kaiser oder Päpste (nach Art der arabischen Chalifen) hervorgegangen, und damit allgemeines Verderben auf eine noch furchtbarere und zerstörendere Weise eingebrochen wäre?

Ein Jahr nach Kaiser Heinrichs III Tode starb Papst Viktor II; unwichtig ist seines Nachfolgers Stephans IX einjährige Regierung; weit bedeutender aber die Nikolaus des Zweiten. Dieser erließ im Jahre 1059 eine neue Verordnung über die Papstwahlv. Raumer Handbuch S. 124., an welcher bis jetzt nicht bloß die Geistlichen, sondern auch der Adel und das Volk, den augenblicklichen Umständen gemäß, mehr oder weniger Theil genommen hatten. Dem Kaiser war gewöhnlich die Bestätigung vorbehalten; nicht selten aber von ihm, wenn 28 {1073 bis 1085} es seine Macht erlaubte, eigenmächtige Besetzung gewagt worden. Von itzt an sollte, zur Verhütung schädlicher Spaltungen und alles Aergernisses, nur die Geistlichkeit wählen, und zwar durch ihre Stellvertreter, die Kardinäle.

Auf den Grund dieser Verordnung setzte Hildebrand im Jahre 1061 die Wahl Alexanders II durch; und zwar gegen den Willen der Römer, der Kaiserinn Agnes und vieler italienischer Bischöfe. Denn die mächtige Gräfinn Mathilde von Tuscien und die Normannen waren auf seiner Seite, und die Kaiserinn verlor um diese Zeit in Deutschland, wohl nicht ohne heimliche Mitwirkung Hildebrands, die Vormundschaft ihres Sohnes. Die neuen Rathgeber des jungen Königs, selbst der angesehenste unter ihnen, Erzbischof Hanno von Köln, ließen aber das neueNicol. Arragon. Vita Alex. II. p. 302., die alten Rechte der Könige und Kaiser verletzende Wahlgesetz des Papstes Nikolaus, ohne Widerspruch anwenden; sie duldeten schweigend die Ernennung Alexanders des Zweiten.

Nach dessen Tode ließ sich endlich Hildebrand im Jahre 1073 selbst zum Papst wählen, erhielt König Heinrichs Bestätigung, und trat ohne Verzug gegen die in der Kirche obwaltenden Mißbräuche auf. Vor Allem hatte das Uebel der Simonie den höchsten Grad erreicht: in Deutschland und Frankreich wurden förmliche Versteigerungen der geistlichen Stellen gehaltenMarian. Scotus und Lamb. Schafnab. zu 1075. Pagi critica t. IV, p. 323, Greg. epist. X. Buch I. zwischen No. 29 und 30 den Brief des Kaisers. Hüllmanns Gesch. der Stände II, 21. und die unwissendsten, lasterhaftesten Personen nicht zurückgewiesen. Heinrich IV und Philipp I erkannten zwar auf Gregors Anmahnungen ihre Fehler und versprachen Besserung; es war ihnen aber damit kein Ernst, und der Papst beschloß nun nicht die Käufer, sondern hauptsächlich die Verkäufer zu bestrafen. Er befahl im Jahre 1075Chron. Verdun. zu 1075.: daß kein Laie über irgend eine 29 {1073 bis 1085} geistliche Stelle die Investitur oder Belehnung ertheilen solle; wodurch diesen, der letzten Absicht nach, aller bisherige Einfluß auf die Besetzung derselben entrissen, die Lehnsverbindung aufgehoben, und der Papst zum unmittelbaren Vertheiler aller geistlichen Würden der Christenheit erhoben werden sollte. Denn wenn auch gewöhnlich das Volk, oder ein engerer Ausschuß von Vornehmern, die Wahlen mehr oder weniger geleitet hatte; so konnte doch bisher ohne Bestätigung des weltlichen Herrschers, so wie nunmehr des Papstes, keine erhebliche Stelle wirklich in Besitz genommen werden. Bei dem unbezweifelten Rechte und dem unläugbaren Besitzstande der Fürsten, nahmen diese aber gar keine weitere Kenntniß von Gregors Befehlen; sondern verliehen und investirten, nach wie vor, ruhig fort. Auch der beträchtlichste Theil der Geistlichen, ihre Verwandten, und die große Zahl derer, die von irgend einem weltlichen Herrscher Anwartschaften erhalten hatten, widersprachen aufs heftigste dem Grundsatze: »daß der oberste Geistliche in der Christenheit, die geistlichen Stellen zu vergeben berechtigt sey.«

Wenige Zeit nachher ergriff Gregor das zweite Hauptmittel zur Lösung der bisherigen Abhängigkeit der Kirche von dem Weltlichen: er erließ nämlich die schärfsten Befehle, daß alle Geistlichen frühern, obgleich oft umgangenen, kirchlichen Vorschriften gemäß, unverehlicht bleiben sollten. Die, über alle Begriffe ausgebreitete und höchst ärgerliche Hurerei der GeistlichenConcil. Coll. zu 1049.  Lamb. Schafnab. zu 1074., gab hiezu den natürlichsten Vorwand. Beherrschung sinnlicher Triebe (so sprachen die Vertheidiger der Ehelosigkeit) ist das größte Verdienst, und die Lösung von irdischen Neigungen, kann nicht anders als zu himmlischen hinanführen. Der Geistliche wird künftig in seinem Berufe das Höchste erblicken, und nur für seinen Stand, also zuletzt auch für den Papst, wirken. Es muß bei der Unmöglichkeit des Vererbens geistlicher Stellen, diesem die 30 {1073 bis 1085} oft wiederkehrende freie Besetzung höchst vortheilhaft, und die Zertheilung und Verschleuderung des Kirchenvermögens unmöglich werden.

Gegen dies Gesetz entstand aber fast überall der heftigste Widerstand: man sah darin die Auflösung der Gesetze der Natur, und die Veranlassung zu weit größern Mißbräuchen. Allein da des Papstes Wort an sich unendlich viel galt, und die gegenwärtigen Uebel dem Volke stärker auffielen, als die künftig möglichen; so sah es in jenen Befehlen nur den Grund heilsamer Verbesserungen, zwang an vielen Orten die GeistlichenEpist. Theodor. Virdun. ad Greg. VII, in Martene et Durand. thes. tom. I, p. 218, 231., ihre Beischläferinnen zu verjagen, beichtete bei keinem verehelichten Priester, und nöthigte diese hiedurch allmählich den kirchlichen Vorschriften Genüge zu leisten.

So stritt an vielen Orten das Volk für Gregor; in Deutschland rechnete er auf den Beistand der Fürsten. Denn hier wollte er den Kampf mit der weltlichen Macht beginnen, weil der Kaiser sein gefährlichster Feind war und er hoffen konnte, daß nach dessen Demüthigung die übrigen, vor der Hand noch geschonten Herrscher, leicht gehorsamen würden.

Während der Minderjährigkeit Heinrichs IV hatten sich die Fürsten manche Unbilden erlaubt, und insbesondere die Besetzung der großen Herzogthümer erzwungen. Jene Unbilden abzustellen und die königliche Macht, nach Weise seines Vaters, wiederum zu verstärken, war die laut erklärte Absicht des neuen Herrschers; aber Leichtsinn, Ausschweifungen, willkürliche Besetzung großer Aemter und geistlicher Stellen, übertriebene Nachgiebigkeit gegen einzelne Lieblinge und zu harte Bedrückung Vieler, erregten Unzufriedenheit und endlich eine heftige Empörung in Sachsen. Gleichzeitig erklärte Gregor die, von Heinrich eingesetzten Bischöfe ihres Amtes verlustig und lud ihn, weil er mit 31 {1073 bis 1085} Gebannten Umgang habe, zur Vertheidigung nach Rom. Der König besiegte jedoch die Sachsen an der Unstrut und ließ, stolz auf sein Glück und durch übertriebene Nachrichten von dem Hasse der Römer gegen Gregor verleitet, diesen im Jahre 1076 auf einer Kirchenversammlung in Worms übereilt absetzenLamb. Schafnab. zu 1075.  Altmanni vita p. 121 und Ruberti vita ejus p. 147.: weil er durch Meineid zu seiner Würde gelangt sey, die Kirche in schwerer Zeit durch mißbräuchliche Neuerungen in Gefahr setze, einen anstößigen Wandel führe und alle Bischöfe zu verwerfen wage. Gregor blieb aber nicht zurück, sondern zeigte: »daß man in Worms nicht einmal diejenigen Förmlichkeiten beobachtet habe, welche zum Schutze des Geringsten fest stünden; wie wahnsinnig also, den, über alle Richter und Gerichtsstühle auf Erden erhabenen Papst, auf solche Weise zu behandeln! Seiner Pflicht der Obhut über die Könige, seinem Recht zu binden und zu lösen gemäß, belege er Heinrich mit dem Banne und spreche seine Unterthanen vom Eide der Treue los.« – Schnell ergriffen alle Mißvergnügten diese günstige Gelegenheit sich gegen den Kaiser zu empören, und zwangen ihn auf einer Reichsversammlung zu Oppenheim, im Oktober 1076, zu dem Versprechen: »er wolle die Lösung vom päpstlichen Banne, bei Strafe völliger Absetzung, binnen Jahresfrist auswirken, sein Heer und seine gebannten Räthe entlassen, sich bis dahin der Regierung enthalten und als Bürger in Speier leben.« Itzt glaubte Heinrich sich nur durch die Aussöhnung mit Gregor retten zu können, eilte heimlich nach Italien und ward in Canossa vom Papste nach den tiefsten, jedoch mit Rücksicht auf die anerkannte Lehre von den Kirchenbußen zu beurtheilenden Erniedrigungen, zwar vom Banne gelöset, keineswegs aber im Reiche hergestellt, oder mit den unzufriedenen Fürsten ausgesöhnt: im Gegentheil behielt sich Gregor die 32 {1073 bis 1085} Entscheidung vor, ob Heinrich König bleiben könne, oder nichtCommunionem reddidi, non tamen in regno, a quo eum in Romana synodo deposueram, restauravi. Ursp. Chr. zu 1076..

In dem Maaße als nun dieser, seiner übertriebenen Nachgiebigkeit wegen, besonders bei den Geistlichen und Lombarden, – welche in diesem Augenblicke den übermächtigen Papst und seine Freundinn Mathilde fürchteten, – an Achtung verlor; ward auch Gregor wegen der harten Behandlung Heinrichs vielen Menschen verhaßt. Gern hätte er itzt den erniedrigten Kaiser erhalten und nach seiner Willkür geleitet; allein die deutschen Fürsten sahen Heinrichs Reise nach Italien als einen Bruch des oppenheimer Vertrags an und wählten, aus eigner Macht, Rudolf den Herzog von Schwaben zum deutschen König. Dadurch gerieth der hierüber nicht befragte Papst in die höchst unangenehme Verlegenheit, zwischen Heinrich und Rudolf entscheiden zu müssen. Lange schwieg erBruno p. 224., den Erfolg abwartend, wofür ihn von den Sachsen und den Kaiserlichen gleich harte Vorwürfe trafen; allein sehr natürlich war er weder sächsisch noch fränkisch gesinnt, sondern hatte seine eigne Partei. Dennoch übereilte er sich zuletzt und bannte auf den Grund einer, ihm vom Könige Rudolf mitgetheilten Siegesnachricht, Heinrichen von neuemDen 27sten Januar 1080 Schlacht bei Fladenheim, den 9ten März der Bannspruch, den 15ten Oktober 1080 Schlacht an der Elster und Tod Rudolfs.. Bald nachher gewann dieser aber im Felde unerwartet die Oberhand; König Rudolf ward getödtet, Gregor auf einer Reichs- und Kirchen-Versammlung in Brixen zum zweiten Male abgesetzt und Guibert, der Erzbischof von Ravenna, unter dem Namen Klemens III zum Papst erwählt. Der Kaiser zog im Jahre 1081 nach Italien, ängstete Gregor von allen Seiten und hielt ihn in Rom an drei Jahre fast 33 {1073 bis 1085} gefangenDer Kaiser belagerte die Engelsburg und Septizonium Severi, wo sich Rusticus der Neffe des Papstes vertheidigte. Orsi IX, 219.; bis Robert Guiskard, für seine eigenen Besitzungen nicht unbesorgt, aus dem untern Italien herzueilte, und ihn befreite. Aber bei der Einnahme der Stadt begingen die Normannen so viele Frevel, daß die Römer auf den Papst als Urheber der Zerstörung erbittert wurden; es verließen ihn selbst italienische Bischöfe, denen bald seine Härte unerträglich, bald seine Zwecke tadelnswerth oder unverständlich erschienen. Man sah im Verbote der Belehnung den Umsturz bürgerlicher, in der Ehelosigkeit aller Geistlichen den Umsturz natürlicher Gesetze, und die Bestätigung der körperlichen Gegenwart Christi im Abendmahle, dünkte Manchem ein Verhöhnen der Gesetze des gesunden Menschenverstandes.

Allein nie zeigte sich Gregor größer, als in diesem Augenblicke, wo die Römer ihn zwangen nach Salerno zu fliehen, wo Forderungen und Vorwürfe aller Art ihn bestürmten, wo sein gesammtes Thun laut als verwerflich bezeichnet wurde. Denn er wollte den Grafen Herrmann von Luxenburg, welchen die Deutschen gegen Heinrich erwählt hatten, nur als König anerkennen, wenn er dem römischen Stuhle Gehorsam schwüre; er wollte den Kaiser, ohne Aussöhnung mit der Kirche und ohne ein Bekenntniß seiner Vergehungen, nicht vom Banne lösen; er verweigerte dem Herzoge Robert Guiskard, – der ihn doch allein schützte, – die Abtretung eines kleinen, in Besitz genommenen Theiles vom Kirchenstaate, mißbilligte laut dessen ungerechtes Verfahren, und versprach, nur vor der Hand darüber zu schweigenDe illa autem terra, quam injuste tenes, - nunc te patienter sustineo. Concil. coll. X, p. 251.. Auch körperliche Leiden, welche itzt über Gregor einbrachen, konnten seinen Muth nicht schwächen; er äußerte auf seinem Krankenbette: »ich liebte die Gerechtigkeit und haßte das Böse, 34 {1085 bis 1095} deshalb sterbe ich in der Verbannung!« und bald nach diesen Worten verschied er am fünf und zwanzigsten Mai 1085, in der festesten Ueberzeugung von der Rechtmäßigkeit und Heilsamkeit seiner UnternehmungenDilexi justitiam et odi iniquitatem; propterea morior in exilio. Otto Fris. chr. VI, 36.  Alberic. 129. Die Nachricht in Vincent. Bellov. 1030, daß Gregor auf dem Todtenbette all sein Thun bereut und gemißbilligt habe, verdient gar keinen Glauben. Siehe Sigonius IX, 229.  Pagi zu 1085 c. 6. Er wurde begraben im Dom zu Salerno. Seine Bildsäule ist aber neu, und ums Jahr 1578 auf Veranlassung des Erzbischofs Colonna von Salerno gesetzt. Man fand damals den Körper fast noch ganz unversehrt.  Giannet. I, 227..

Kaiser Heinrich führte jetzt Klemens IIISchon 1084. nach Rom und ließ sich von ihm krönen; Gregors Partei und sein von ihm empfohlner Nachfolger Viktor III, konnte nirgends die Oberhand gewinnen; in Deutschland unterwarfen sich allmählich alle Widerspenstigen und an die Stelle des, der Krone entsagenden Grafen Herrmann von Luxenburg, ward Konrad der Sohn des Kaisers zum König ernannt: mithin schien dieser in jeder Beziehung obgesiegt zu haben. Da bestieg im Jahre 1088 (trotz des Widerspruchs von Heinrich und Klemens) Urban II den päpstlichen Stuhl. Er war gebürtig aus Chatillon an der MarneGuib. 477.  Orderic. Vital. 456, 761.  Dandolo 251.  Chr. Cavense ad 1088.  Pandulphi Pisani et Bernardi Guidonis vitae Urbani II in Murat. script. III, 352.  Catal. pontif. Roman. 651.  Baluz. misc. II, 174.  Petrus Diac. IV, 2., edlen Geschlechts, erst Mönch, dann Vorsteher in Clugny, hierauf durch Gregors Erhebung Bischof von Ostia, endlich, – großen Theils auch um dessen Empfehlung willen, – Haupt der Christenheit. Man rühmte von ihm: er sey gleich gewandt in Worten und Thaten, und nicht bloß unterrichtet über die Gesetze und Gebräuche der Kirche, sondern auch deren strenger Befolger. Von der Schärfe seines Geistes und einer für jene Zeiten hohen Ausbildung, zeugten mehre 35 {1085 bis 1095} gelehrte Werke; wichtiger aber blieb allerdings seine öffentliche Wirksamkeit. Zweifaches bereitete er mit großem Geschick zum Verderben des Kaisers: erstens die Heirath der im obern Italien sehr mächtigen Markgräfinn Mathilde und des jüngern Welf, wodurch dessen Vater, der mächtige Herzog von Baiern, für die Kirche gewonnen wurde; zweitens die Empörung König Konrads gegen seinen eignen Vater. Dadurch gerieth Italien in neuen Krieg und Urban1089 Mathildens Heirath, 1091 nahm der Kaiser ihr Mantua, 1093 empörte sich Konrad, 1094 ward Urban von den Guibertisten in Rom aufs äußerste bedrängt, versteckte sich in dem Hause der Frangipani, und entwich bald nachher. Domnitzo II, 8, Orsi IX, 350. bemächtigte sich des kleinern Theiles von Rom. Als aber Welf mit seiner Gemahlinn Mathilde zerfiel und die Römer sich enger an Klemens III anschlossen, mußte er die Stadt wiederum verlassen und begab sich erst nach Piacenza, dann, im Jahre 1095, nach Clermont in Auvergne.

Um dieselbe Zeit herrschte Alexius I aus dem Hause der Komnenen in Konstantinopel, ein Mann von Muth und Einsicht, der das seit Jahrhunderten hinschmachtende Reich, durch große Anstrengungen gegen die Anfälle der Türken, Petschenegen und Normannen vertheidigte. Robert Guiskard, sein mächtigster Gegner, der ihn in mehren Schlachten besiegt hatte, war gestorben und innerer Zwistigkeiten halber, gaben dessen Nachfolger, Boemund und Roger, in diesem Augenblick alle Eroberungspläne auf. Die Hälfte Spaniens war den Arabern zwar durch die Christen bereits entrissen worden, aber es bedurfte der größten Anstrengungen, um den neu hervorbrechenden Morabethen zu widerstehen. England hatte Wilhelm der Normann im Jahre 1066 erobert und mit großer Strenge und großem Verstande beherrscht; seit 1087 bemühte sich Wilhelm II sein Sohn und Nachfolger, die neu eingeführte Lehnsverfassung immer mehr zu befestigen und auf dem gelegten Grunde fortzubauen. Sein Lehnsherr in Rücksicht der 36 {1085 bis 1095} Normandie, König Philipp I von Frankreich, kam ihm weder an Macht noch Verstande gleich, und war überdies mit Papst und Kirche in bedenkliche Zwistigkeiten gerathen. Dadurch, daß die meisten deutschen und slavischen Völker des Nordens für das Christenthum gewonnen wurden, mehrte sich ihre Einwirkung auf den Süden und sie traten in den großen europäischen Völkerbund.

Es eröffnet sich mit dem Ende des elften Jahrhunderts eine Welt, überreich an den größten und mannichfaltigsten Erscheinungen. – Kaiser, den frühern und spätern nicht vergleichbar, stehn auf und entwickeln Alles, was an Alleinherrschern bewundernswerth erscheint; die Herzöge, Fürsten, Grafen, Lehnsherrn und Lehnsmannen stehen in so vielfachen Wechselverbindungen und begründen so merkwürdige ständische Rechte, wie sie fast keine Adelsherrschaft aufzuzeigen vermag; die großen Ritterorden vereinen auf eine noch nie gekannte Weise die Pflichten des tapfern Kriegers und des demüthigen Geistlichen; die Städte erheben sich zu einem Wohlstande und einem heldenmüthigen Bürgersinn, welcher an die schönern Zeiten Griechenlands erinnert; – mit diesem Allen in tausendfacher, bald freundschaftlicher bald feindlicher Berührung, entwickelt sich endlich ein Verhältniß, – den Alten unbekannt, aber jene Mannichfaltigkeit und jenen Reichthum der Erscheinungen außerordentlich erhöhend: – die Herrschaft der Kirche und des Papstes!

Diese Zeiten und Ereignisse sollen bis zu dem Untergange der Hohenstaufen, mit vorzüglicher Rücksicht auf dies Kaiserhaus, auf die Kirche, Deutschland und Italien, in den folgenden Büchern dargestellt werden; das erste aber muß von dem Ausbruche der großen kriegerisch-christlichen Wanderungen nach dem Morgenlande handeln, welche wir unter dem Namen der Kreuzzüge kennen. 37

 


 


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