Franz Pocci
Lustiges Komödienbüchlein
Franz Pocci

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Der Weihnachts-Brief.

Kleines Drama.

Personen.

Frau Werner, eine Wittwe.
Ludwig, ihr kleiner Sohn.
Friedrich Walter.

Aermliche Stube.

Frau Werner (sitzt an einem Tische und näht.) Ludwig (liest neben ihr in einem Buch.)

Ludwig. (das Buch zuschlagend.) Mutter, aber das Buch Hab' ich jetzt schon drei Mal gelesen und jetzt bin ich wieder damit zu End! Die Geschichte von den »Ostereiern« ist wohl recht hübsch, – aber ich weiß sie beinah' auswendig! Liebe Mutter, ich möchte 'mal Anderes zu lesen haben.

Frau Werner. Ei, etwas Schönes kann man nicht oft genug lesen und man lernt immer was aus solchen Büchern. Ihr Kinder wollt' alle Tage was Neues und seid wirklick wie die Flattervöglein oder Schmetterlinge; die setzen sich auf alle Blumen und haben sie an einer genippt, so geht's gleich wieder fort und fort. Du weißt ja das Sprüchlein davon.

Ludwig. Weiß 's wohl noch.

Frau Werner. So sag' mir's auf!

Ludwig.

Ei, die bunten Schmetterlinge
Sind doch rechte Flatterdinge;
Weil von einer Blum' zur andern
Flücht'gen Sinnes sie stets wandern,
Schweben mit den Schimmerflügeln
In den Wäldern, auf den Hügeln,
Hier und dort wohl niedersinkend,
Aus den Blumenkelchen trinkend,
Nirgend aber lange weilen
Sie, um wieder hin zu eilen
Ueber Gärten, über Felder,
Durch die Auen, durch die Wälder – –

Frau Werner. Nun – weiter! Aha, bei den letzten Verslein hinkt's.

Ludwig. Nein, Mutter, 's hinkt nicht, ich muß mich nur besinnen – –

Durch die Auen, durch die Wälder –
Also machen's auch die Buben,
Die da laufen aus den Stuben,
Und nicht stille halten wollen,
Wenn sie Etwas lernen sollen,
Neues immer möchten haschen,
Wie die Schmetterlinge naschen.

Aber Mutter, das kannst du von mir nicht sagen, weil ich die Ostereier zum vierten Male nicht mehr lesen mag.

Frau Werner. Das thu' ich auch nicht und verlang' es nicht. Ich wollte dich nur ein bischen vertrösten. Unsere Bibliothek hast du nun ganz durchgelesen, ich habe kein Geld, dir immer neue Bücher zu kaufen und einer armen Wittwe, wie ich bin, leiht Niemand gerne Bücher und damit Punktum!

Ludwig. Das ist leicht sagen: »Punktum« – liebe Mutter; aber mit dem Punktum ist mir nicht geholfen.

Frau Werner (drohend.) Oho – oho! nicht so hitzig, kleiner Disputirer! Auf das Punktum könnte noch »Sand darauf« kommen; also schweig und beschäftige dich mit etwas Anderem. Ich dulde weder das Widersprechen noch das Faullenzen; das weißt du!

Ludwig (weinend) Ich weiß es, aber meine Lektion für die Schule habe ich gelernt und auch die Aufgabe schon halb fertig, die uns für die zwei Weihnachtsfeiertage mit heimgegeben ward – und –

Frau Werner. Und, und – so spiele Etwas; dagegen habe ich auch nichts.

Ludwig (in der Tischschublade suchend.) So komm' denn, guter Freund. (Langt einen Hanswurst hervor) O weh Mutter, der Casperl hat sich den rechten Arm gebrochen.

Frau Werner. So trag' ihn in's Spital und pfleg' ihn gut, damit er bald geheilt werde.

Ludwig (nimmt den Hanswurst und setzt sich auf einen Schemel, ihn auf seinen Schooß legend.) Lieber Monsieur Casperl, wie bedauere ich, daß du krank bist und dir den Arm gebrochen hast! Komm laß dir ihn verbinden.

Frau Werner (wirft ihm einen Abschnitt Leinwand zu.) Da hast du etwas Bandage.

Ludwig. Danke, Frau Mama. – Komm', alter Freund, laß' dir den Verband anlegen. So – jetzt ruhig und still gehalten. Ach guter Casperl, du hast auch schon bessere Zeiten gehabt, wie ich und die Mutter! Weißt du noch, wie ich dich immer zu mir auf ein schönes Canapee gesetzt habe und wie du mit mir Caffee getrunken hast? Jetzt heißt's Strohsessel und Milchsuppe! O weh; o weh! – und die Mutter muß jetzt auch mehr arbeiten, und wir beide haben geflickte Hosen an, daß es eine Schande ist – –

(Frau Werner wischt sich Thränen aus den Augen.)

Ach! und mein guter, guter Papa, der hat uns verlassen, weil ihn der liebe Gott holen ließ zu sich in den Himmel hinaus. Aber wir drei – ich, die Mutter und du, wir sind jetzt allein auf der Welt – o weh, o weh, das ist schon zum weinen. – So wein' doch auch Casperl! – Mutter, – der Casperl mag nicht weinen! – warte, wenn du nicht weinen willst! (Gibt der Puppe einen Klaps.) Du abscheulicher Casperl!

Frau Werner (vortretend.) Das arme Kind erinnert sich besserer Zeit! Wie schnell sich auch Alles oft wenden kann! Freilich ist ein Unterschied zwischen dem guten Gehalte eines geachteten Beamten und der geringen Pension einer Wittwe! Mein theuerer Karl! warum hat dich 64 der Himmel so früh von meiner Seite weggerufen? Nun sind's bald zwei Jahre – 's ist mir aber noch, als wär's gestern geschehen!

Ludwig. Mutter! jetzt ist der Casperl eingeschlafen; er hört's nicht, wenn ich mit dir rede. Sag' mir: Kriegt der Casperl kein Weihnachten? Morgen ist ja Christkindltag?

Frau Werner. Ei, was sollte das Christkindl dem Casperl bringen? Dir wird's auch nicht viel bescheeren.

Ludwig. Und warum nicht? – 's Christkindl kann auch armen Leuten, wie wir sind, was bringen, wenn es will!

Frau Werner (für sich) Der Bube setzt mich wirklich in Verlegenheit mit seinen klugen Fragen. (zu Ludwig) Bei gewissen Dingen sollen Kinder nicht immer »Warum« fragen; denn sie verstünden die Antwort nicht und das liebe Jesuskind wird schon wissen, wo und wie und was es zu bescheeren hat. Merk' dir das, und wenn du größer bist und kein Bube mehr, da wirst du Vieles besser einsehen lernen; dann magst du auch fragen.

Ludwig. Auch gut! Das heißt: ich soll warten, bis ich größer und gescheiter bin.

Frau Werner. Allerdings! Jetzt aber sei vernünftig und halt' gut Haus; denn ich habe einen Gang zu machen in die Stadt. Schließ' Niemand auf, wenn es schellt; den Schlüssel nehm' ich mit. (für sich, indem sie Ueberwurf und Hut nimmt) Ein Weihnachtsbäumchen und ein Paar Aepfelchen muß er denn doch haben, der arme Junge! – Also vernünftig und brav, Ludwig. Ich kann mich ja auf dich verlassen, daß du kein dummes Zeug machst. In einem kleinen Viertelstündchen bin ich wieder da.

Ludwig. Adieu, Mutter!

(Frau Werner ab durch die Mittelthüre.)

Ludwig (allein.) (Neigt sich über den Hanswurst, den er auf den Schemel gelegt hat.) Er schläft prächtig; ich mein' ich hör' ihn schnarchen! – Ich hab' die Mutter gewiß recht lieb, ach! sie ist ja gar so gut – aber mit dem Christkindl, da steckt doch was dahinter und wenn das Christkindl ein recht ordentliches Christkindl ist, wie ich's glaube, so wird und muß es mir auch Etwas bescheeren; denn ich bin doch eigentlich kein böser Bub. Ich will mich nicht loben, aber die Wahrheit darf man sich eingestehen. In der Schule lerne ich ordentlich, das kann der Herr Lehrer bezeugen, zu Haus bin ich so ziemlich brav, das sagt die Mutter selbst, und beten thu' ich auch fleißig; also was sollte das Christkindl gegen mich haben? – Kurz und gut und gut und kurz – und – und – was möchte ich denn eigentlich vom Jesukind für mich erbitten? Ja! wenn ich nur so eine schöne Bilderbibel wieder haben könnte, wie die, die man mit des Vaters Büchern verkauft hat, als so viele Leute in unserm schönen Zimmer damals waren und Einer an einem Tisch immer ausrief: Wer gibt mehr, wer gibt mehr – zum ersten Mal, zum zweiten und dritten Mal? Das hab' ich mir recht wohl gemerkt; denn als die schöne Bibel mit den Bildern drankam, da rief der Mann: sechs Gulden zum ersten Mal; und beim dritten Mal, da hieß es: acht Gulden, und das Buch ward über den Tisch hinausgegeben an eine schöne Frau; die hat auch gleich bezahlt und ich hab' recht weinen müssen, weil ich das liebe Buch nicht mehr hatte – und darum muß ich jetzt immer in den Ostereiern lesen und in meinem zerrissenen Robinson! – Ja! wenn ich so eine Bilderbibel wieder kriegen könnte!! Ich will das Christkindl recht darum bitten! Holla! jetzt fällt mir was ein! Gut ist gut und besser ist besser! Gestern war ich bei den Nachbarkindern; die haben alle an's Christkindchen geschrieben, was sie sich wünschen und was es ihnen mitbringen soll! Warum sollt' ich das nicht auch probiren? Das ist ja nichts Uebles; ich will mir Nichts wünschen, als das schöne, schöne Buch. Damals konnte ich noch nicht lesen und sah nur immer die Bilder an, die mir die Mutter erklärte; jetzt wär's noch was Anderes – jetzt kann der Mensch lesen! Viktoria!

Also gleich an's Werk, eh' die Mutter wieder kömmt, die könnte mir's vielleicht gar verbieten, daß ich so frei bin und an das Christkind schreibe.

(Läuft an den Tisch und schreibt.)

– Ja nicht nur lesen kann der Mensch, – auch schreiben kann er! – Aber wie fang' ich den Brief an?––––Aha! so – »Liebes Christkindchen mit dem gold'nen Schein! Ich bitte dich gar schön, wie's auch andere Kinder zu thun sich erlauben – sich erlauben – bringe mir morgen zum heiligen Weihnachtstage, wenn du auch mir nichts Anderes schenken willst, bringe mir, sei so lieb und gut, oder gib's nur der Mutter für mich, das gewiße Buch, du weißt's schon, so eine biblische Geschichte mit schönen Bildern. Ich werde fleißig darin lesen und immer dankbar – dankbar an dich denken.« – Unterschrift: »Dein treuer Ludwig Werner, und damit du weißt, wo ich wohne, schreib' ich auch dazu: Kirchengasse Nro. 45 ganz oben im vierten Stock, bei meiner lieben Mutter, denn mein Vater ist vor zwei Jahren gestorben.« – –

So – jetzt Oblate her, Petschaft der Mutter, das thut nichts zur Sache, und auf den Brief: »An das liebe Christkindchen im Himmel oben.« – –

Ah – ah – meine Schrift ist passabel ausgefallen, ohne Linien war's ein Bischen schwer. – Nun vor die Mutter kömmt! geschwind, vor's Fenster mit dem Briefe, auf das Gesimse; die Engelein, die vorbeifliegen, werden ihn schon holen und dem Christkindchen bringen! (Oeffnet das Fenster und legt den Brief hinaus,) O weh! er ist mir auf die Strasse gefallen! – das thut aber nichts, Christkindl find't ihn schon! (Schließt das Fenster. Geräusch außen.) Ah, die Mutter kömmt.

Frau Werner. Siehst du, Ludwig, wie schnell ich wieder da bin. Hast du den Casperl unterdessen ordentlich gepflegt?

Ludwig. Er hat immer geschlafen.

Frau Werner. Gut! 's ist auch Zeit, daß du schlafen gehst. Bis du deine Suppe gegessen hast wird's dunkel und wir müssen morgen frühzeitig in die Kirche. Stell' noch eine Schüssel auf den Tisch und bete zum Christkindchen. Vielleicht wird's dir während der Nacht Etwas hineinlegen.

Ludwig. Mutter! Ich möcht' es wohl hoffen! sieh' da stell' ich meine Schüssel hin und jetzt (die Hände faltend)

Heiliges Kind im Himmel oben
Will dich preisen, will dich loben!
Allen Menschen schenk' hienieden
Deinen süßen Weihnachtsfrieden!
Und wenn alle du bedacht,
Denk auch meiner diese Nacht!

Frau Werner. So – jetzt in die Kammer; die Suppe steht noch warm auf dem Ofen. Iß – und dann komme ich auch nach.

Ludwig. (schelmisch.) Gute Nacht, Freund Casperl! Wir wollen doch sehen, ob's morgen nichts gibt. (Ab in die Seiten-Thüre.)

Frau Werner (allein.) Nun herein mit dem Weihnachtsbäumchen, das ich vor die Thüre gestellt habe. (Holt einen kleinen Weihnachtsbaum mit Aepfeln dran herein.) Ach mein Gott! das ist wohl eine recht armselige Christgabe! Ich will jetzt die Lichtlein darauf stecken und wenn Ludwig morgen früh in die Stube tritt, da soll's lichterloh brennen! (Indem sie die Kerzen aufklebt.) Was hatten wir einen schönen Baum, als mein lieber Mann noch lebte! Was war's eine freudige Zeit, als wir ihn gemeinsam zierten und schmückten für unsern Ludwig, uns beide selbst gegenseitig beschenkten und den armen beiden Schuhmacherwaisen zugleich bescheert wurde. Jetzt ist's freilich so, daß ich kaum meinem eigenen Kinde zu Weihnachten Etwas kaufen kann. Ein grünes Bäumchen und ein Paar Aepfel und Lichtlein dran! – – Nun! wie Gott es will! Ich bringe mich arm aber redlich fort und der Vater aller Menschen wird mir wohl auch helfen, daß ich meinen Ludwig so erziehen kann, damit er sich sein Brod verdiene und ein ehrlicher Mann werde! (Sie zündet Licht an.) Noch eine Woche – und wieder ist ein Jahr herum. Ich danke Gott von Herzen, daß es so gegangen ist, wenn ich nur an meinem Herzensbuben nie Kummer und Leid erlebe!

(Ab durch die Seitenthüre.)

(Mittlerweile ist es ganz dunkel geworden, nach einer kleinen Pause hört man die Glocken von den Thürmen läuten; der Hintergrund öffnet sich und zeigt die Krippe mit dem Christkind in heller Beleuchtung; Maria und Joseph zur Seite knieend, von Engeln umgeben. Hinter der Scene singen Kinderstimmen ein Weihnachtslied.)

Fürwahr, es gab noch keine Nacht,
In der solch helle Sternenpracht
Am Himmel war erschienen,
Als diese, da das Knäblein hier
Die ganze Welt – als Himmelszier –
Gegrüßt mit holden Mienen!
Aus seinen Augen strahlt ein Licht,
Das alle Dunkelheit durchbricht
Und überall hin dringet;
Tief in die Herzen senkt sich's ein
Mit seinem wunderbaren Schein,
Der süßen Frieden bringet.
So lob' und preise unser Sang –
Im gläubig frommen Weihnachtsklang –
Das heil'ge Kind, das arm da lieget:
So arm wie kein's und doch so reich;
Denn diesem Kinde ist keines gleich,
Es hat die Welt besieget.


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