Platon
Plato's Staat
Platon

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8. Da also demnach, sagte ich, die Vergnügungen und die Lebensweise einer jeden jener drei Arten Gegenstand eines Streites sind, und zwar nicht in Bezug auf den höheren Grad eines schönen oder schimpflichen, noch den eines guten oder schlechten Lebens, sondern gerade in Bezug auf den höheren Grad des Vergnüglichen und Schmerzlosen, so fragt sich's, wie wir wohl wissen können, welcher von Jenen am meisten Recht habe. – Ich wenigstens, sagte er, bin nicht völlig im Stande, es anzugeben. – Aber erwäge es folgendermaßen: Wodurch muß man Alles beurtheilen, was richtig beurteilt werden soll? nicht etwa durch Erfahrung und durch Verstand und durch begründende Rede? oder könnte man einen besseren Maßstab des Urtheiles als diese anführen? – Wie sollte man auch? sagte er. – So erwäge denn: Welcher ist unter jenen drei Menschen der Erfahrenste in allen von uns angegebenen Vergnügungen? Scheint dir der Gewinnliebende bei dem Erlernen des Wesens der Wahrheit mehr Erfahrung über das aus dem Wissen fließende Vergnügen zu haben, als der Weisheitsliebende über das aus dem Gewinn fließende? – Da besteht allerdings, sagte er, ein großer Unterschied; denn der Letztere muß nothwendig auch die anderweitigen Vergnügungen von Jugend angefangen zu kosten bekommen, hingegen der Gewinnliebende, inwieferne er etwa dazu begabt ist, das Seiende zu lernen, muß nicht nothwendig die Süßigkeit dieses Vergnügens zu kosten bekommen, oder hierin Erfahrung erlangen, ja vielmehr würde ihm dieß, auch wenn er hiezu bereitwillig wäre, nicht leicht sein. – Also besteht, sagte ich, ein großer Unterschied zwischen dem Gewinnliebenden und dem Wahrheitsliebenden in Bezug auf Erfahrung in den beiderseitigen Vergnügungen. – Ja, gewiß ein großer. – Wie aber ist es im Vergleiche mit dem Ehrliebenden? Wird etwa der Weisheitsliebende unerfahrener in dem aus der Ehre fließenden Vergnügen sein, als jener in dem aus der Verstandesthätigkeit fließenden? – Aber die Ehre ja, sagte er, folgt Sämmtlichen selbst, sobald sie nur in's Werk setzen, worauf Jeder hinstrebt; denn sowohl der Reiche wird von Vielen geehrt, als auch der Tapfere und der Weise, so daß seitens der Ehre, wie sie ist, Sämmtliche in dem aus ihr fließenden Vergnügen erfahren sind; welcherlei Vergnügen hingegen die Anschauung des Seienden enthalte, kann unmöglich irgend ein Anderer gekostet haben, als nur der Weisheitsliebende allein. – Also von Seite der Erfahrung, sprach ich, wird unter jenen Menschen dieser das schönste Urtheil fällen. – Ja, bei Weitem. – Und nun wird er allein ja auch im Besitze der mit Verstand verbundenen Erfahrung sein. – Wie sollte es anders sein? – Nun aber ist ja auch jenes Werkzeug, durch welches das Urtheil stattfinden soll, nicht ein Werkzeug des Gewinnliebenden, noch des Ehrliebenden, sondern nur des Weisheitsliebenden. – Welches meinst du? – Durch begründende Reden ja, sagten wir, solle das Urtheil stattfinden; oder etwa nicht? – Ja. – Begründende Reden aber sind doch zumeist ein Werkzeug zu jenem. – Wie sollte es auch nicht so sein? – Nicht wahr also, wenn vermittelst des Reichthumes und Gewinnes der Gegenstand der Beurtheilung am besten beurtheilt würde, so müßte nothwendig jenes das Wahrste sein, was der Gewinnliebende in Lob und Tadel ausspricht? – Ja gewiß, nothwendig. – Wenn hingegen vermittelst der Ehre und des Sieges und der Tapferkeit, so müßte es jenes sein, was der Ehrliebende und Streitliebende ausspricht? – Klärlich. – Da aber vermittelst der Erfahrung und des Verstandes und der begründenden Rede, was nun? – Nothwendig, sagte er, muß dann jenes das Wahrste sein, was der Weisheitsliebende und Redeliebende in Lob ausspricht. – Also, da es drei Vergnügungen gibt, so wird die desjenigen Theiles der Seele, vermittelst dessen wir lernen, die vergnüglichste sein, und auch jenes Leben, in welchem dieser Theil über uns die Herrschaft hat, das vergnüglichste. – Wie sollte es auch nicht so sein, sagte er; als ein sachverständiger Lobredner wenigstens lobt sein eigenes Leben der Verständige. – Welches Leben aber, sprach ich, und welches Vergnügen bezeichnet dieser Richter als das zweite? – Klärlich das des Kriegerischen und Ehrliebenden; denn näher an jenem ist es, als das des Gelderwerbers. – Als das letzte aber das des Gewinnliebenden, wie es scheint. – Wie sollte es anders sein? sagte er. –

9. Dieß demnach wären zwei so auf einander folgende Punkte, und zweimal schon hätte hiemit der Gerechte den Ungerechten besiegt. Als dritten Punkt aber sollst du in olympischer WeiseS. m. Anm. 56 z. »Phädrus«. für den rettenden und olympischen Zeus noch betrachten, daß das Vergnügen der übrigen außer jenem des Verständigen gar nicht einmal durchaus wahr oder rein, sondern nur gewissermaßen ein Schattenbild ist, wie ich von irgend Einem der Weisen einmal gehört zu haben glaubeEs ist dieß sicher nicht eine Berufung auf einen bestimmten einzelnen Philosophen, sondern nur auf eine ganze Richtung, wie sie im Pythagoreismus und von den sog. sieben Weisen, sowie mehrfach von Lyrikern war ausgesprochen worden.. Und dieß wäre doch wohl die größte und entscheidendste Niederlage. – Ja, bei Weitem; aber wie meinst du dieß? – Folgendermaßen, sagte ich, werde ich es ausfindig machen, es gleichzeitig suchend, während du mir antwortest. – So frage nur, sagte er. – So sprich denn, erwiderte ich; behaupten wir nicht, daß Schmerz dem Vergnügen entgegengesetzt sei? – Ja wohl, gar sehr. – Nicht wahr also, auch daß irgend ein Zustand es sei, sich weder zu freuen, noch Schmerz zu empfinden? – Ja, gewiß. – Ein Zustand in Mitte jener beiden, gewissermaßen eine Ruhe der Seele in dieser Beziehung; oder meinst du dieß nicht in dieser Weise? – Ja, so ist es, sagte er. – Erinnerst du dich also nicht an die Aussprüche der Kranken, welche sie thun, wenn sie eben krank sind? – An welche? – Daß es also wirklich nichts Angenehmeres gebe, als gesund zu sein, hingegen sie selbst, ehe sie erkrankten, nicht bemerkt hätten, daß jenes das angenehmste sei. – Ja, ich erinnere mich, sagte er. – Nicht wahr also, auch von denjenigen, welche von irgend heftigen Schmerzen gequält sind, hörst du den Ausspruch, daß es nichts Angenehmeres gebe, als das Aufhören der Schmerzen? – Ja, ich höre ihn. – Und ja auch in vielen anderen derartigen Fällen, glaube ich, bemerkst du bei den Menschen, daß, wenn sie Schmerz empfinden, sie eben die Schmerzlosigkeit und die Ruhe vor solchem als das Angenehmste lobpreisen, nicht aber die Freude. – Dieß eben, sagte er, ist ihnen dann vielleicht schon ein Angenehmes, und sie sind es zufrieden, wenn nur Ruhe eintritt. – Also wird auch, sprach ich, wenn Jemand aufhört, sich zu freuen, diese Ruhe des Vergnügens ihm schmerzlich sein? – Ja, vielleicht, sagte er. – Also jenes, was wir als ein Mittleres zwischen beiden bezeichnen, nemlich die Ruhe, ist hiemit zuweilen beides, sowohl Schmerz, als auch Vergnügen. – So scheint es. – Ist es nun etwa auch möglich, daß, was keines von beiden ist, beides werde? – Mir dünkt es nicht möglich. – Und nun ist ja beides, sowohl das Angenehme, als auch das Schmerzliche, wenn sie in der Seele entstehen, irgend eine Bewegung, oder etwa nicht? – Ja. – Jenes hingegen, was weder schmerzlich, noch angenehm ist, zeigte sich uns dieß nicht so eben als eine Ruhe und als ein Mittleres zwischen diesen? – Allerdings zeigte es sich so. – Wie kann man also in richtiger Weise die Schmerzlosigkeit für etwas Angenehmes und die Freudelosigkeit für etwas Widerwärtiges halten? – Keineswegs wohl. – Also ist es dieß nicht wirklich, sagte ich, sondern es scheint nur so die Ruhe im Vergleiche mit dem Schmerzlichen ein Angenehmes und im Vergleiche mit dem Angenehmen ein Schmerzliches zu sein, und keine von diesen Erscheinungsweisen ist bezüglich des wahren Wesens des Vergnügens stichhaltig, sondern eine bloße Vorspiegelung. – Ja, sagte er, wenigstens wie unsere Begründung andeutet. – So blicke denn nun, sprach ich, auf Vergnügungen hin, welche nicht in Folge von Schmerzen vorhanden sind, damit du für die gegenwärtige Untersuchung nicht öfters in die Meinung verfallest, es sei dieß von Natur aus das Wesen dieser beiden, daß das Vergnügen ein Aufhören des Schmerzes und der Schmerz ein Aufhören des Vergnügens sei. – Wo sind solche, sagte er, und welcherlei meinst du hiemit? – Sowohl gar viele andere, sprach ich, gibt es, als auch insbesondere wenn du die den Geruchssinn betreffenden Vergnügungen bedenken willst; denn diese ergeben sich, ohne daß man vorher Schmerz empfunden hat, in außerordentlicher Heftigkeit, und sie lassen nach ihrem Aufhören keinerlei Schmerz zurück. – Sehr wahr ist dieß, sagte er. – Nicht also können wir uns davon überzeugen, daß ein reines Vergnügen die Befreiung von Schmerz, und Schmerz die Befreiung von Vergnügen sei. – Allerdings nicht. – Aber wirklich ja, sagte ich, sind die vermittelst des Körpers an die Seele hin sich erstreckenden sogenannten Vergnügungen so ziemlich größtenteils und gerade die größten derselben eben solcher Art, nemlich nur Befreiungen von Schmerzen, – Allerdings sind sie dieß. – Nicht wahr also, auch was sich bezüglich künftiger solcher Dinge in Folge einer Erwartung als Vorfreude und als Vorgefühl des Schmerzes ergibt, verhält sich in gleicher Weise? – Ja, in gleicher Weise. –

10. Weißt du also, sagte ich, von welcher Beschaffenheit sie sind und welchem Dinge sie am meisten gleichen? – Welchem? sagte er. – Glaubst du, sprach ich, daß es in der Natur ein Oben und ein Unten und eine Mitte gebe? – Ja, gewiß, – Glaubst du also, daß, wenn Jemand von Unten gegen die Mitte zu sich bewegt, er etwas Anderes glauben werde, als er werde nach Oben bewegt, und wenn er in der Mitte, steht und dorthin hinabblickt, von wo hinweg er sich bewegt hatte, er irgendwo anders zu sein meinen würde, als eben oben, indem er das wahrhaft oben Seiende nicht sieht. – Ich wenigstens, sagte er, glaube bei Gott nicht, daß ein Derartiger eine andere Meinung haben werde. – Aber wenn er wieder in entgegengesetzter Richtung sich bewegte, so würde er wohl der Meinung sein, nach Unten bewegt zu werden, und hiemit die richtige Meinung haben? – Wie sollte er auch nicht? – Nicht wahr also, dieß Alles würde ihm darum begegnen, weil er keine Erfahrung hat über das wahrhaft Oben und in der Mitte und Unten Seiende? – Ja, klärlich. – Würdest du dich also wundern, wenn sie ohne Erfahrung der Wahrheit sowohl in vielen anderen Dingen keine gesunde Meinung haben, als auch in Bezug auf Vergnügen und Schmerz und das Mittelding derselben in diesem Zustande sind, daß, wenn sie zu dem Schmerzlichen hinbewegt werden, sie die richtige Meinung haben und wirklich Schmerz empfinden, hingegen wenn vom Schmerze hinweg zum Mitteldinge, sie bereits bei einer Erfüllung ihres Verlangens und bei einem Vergnügen sich zu befinden glauben, und gerade wie man im Vergleiche mit dem Schwarzen das Graue aus Unkenntniß des Weißen betrachtet, sie ebenso auch im Vergleiche mit dem Schmerzlosen auf den Schmerz hinblicken und aus Unkenntniß des Vergnügens getäuscht werden? – Nein, bei Gott, sagte er, nicht wundern würde ich mich hierüber, sondern weit eher darüber, wenn es sich nicht so verhielte. – Bedenke es also wenigstens folgendermaßen, sagte ich; sind nicht Hunger und Durst und das Derartige ein gewisses Leersein bezüglich des körperlichen Zustandes? – Wie sollte es anders sein? – Unkenntniß aber und Unverstand, sind diese nicht hinwiederum eine Leerheit bezüglich des Zustandes der Seele? – Ja wohl, gar sehr. – Nicht wahr also, ein Vollwerden träte sowohl bei jenem ein, welcher Nahrung bekömmt, als auch bei demjenigen, welcher verständig wird? – Wie sollte es anders sein? – Ist aber in höherem Grade ein wahrhaftes Erfüllen jenes mit einem geringeren Sein, oder jenes mit einem höheren Sein? – Klärlich jenes mit einem höheren Sein. – Welche von beiden Gattung nun ist nach deiner Meinung in höherem Grade der Wesenheit theilhaftig, die Gattung, zu welcher Brod und Getränke und Zuspeise und überhaupt die gesammte Nahrung gehört, oder jene, zu welcher die wahre Meinung und das Wissen und im Allgemeinen die gesammte Vortrefflichkeit? Beurtheile es aber folgendermaßen: Scheint dir dasjenige, was an das stets Gleiche und an das Unsterbliche und an die Wahrheit sich anreiht und selbst ein Derartiges ist und in Derartigem entsteht, in höherem Grade ein Sein zu haben, oder jenes, was an das niemals Gleiche und an das Sterbliche sich anreiht und eben ein Derartiges ist und in Derartigem entsteht? – Bei Weitem ja, sagte er, ragt jenes hervor, was an das stets Gleiche sich anreiht. – Ist aber die Wesenheit des stets Gleichen etwa in höherem Grade der Wesenheit als der Wahrheit theilhaftig? – Keineswegs. – Wie aber? etwa der Wahrheit in höherem Grade theilhaftig? – Auch dieß nicht. – Falls sie aber etwa in geringerem Grade der Wahrheit theilhaftig wäre, würde sie dann nicht auch in geringerem Grade der Wesenheit theilhaftig sein? – Ja, nothwendiger Weise. – Nicht wahr also, überhaupt ist jene Gattung, welche die Pflege des Leibes betrifft, in geringerem Grade der Wahrheit und der Wesenheit theilhaftig, als diejenige, welche die Pflege der Seele betrifft? – Ja, bei Weitem. – Glaubst du aber nicht das Nemliche auch vom Körper selbst im Vergleiche mit der Seele? – Ja, gewiß. – Nicht wahr also, dasjenige, was mit einem in höherem Grade Seienden erfüllt wird und selbst ein in höherem Grade Seiendes ist, wird auch in höherem Grade wirklich erfüllt, als jenes, was mit einem in geringerem Grade Seienden erfüllt wird und selbst ein in geringerem Grade Seiendes ist? – Wie sollte es auch nicht so sein? – Wenn es also etwas Angenehmes ist, mit dem von Natur aus Verwandten erfüllt zu werden, so wird jenes, was in höherem Grade wirklich und mit Seiendem erfüllt wird, auch in höherem Grade wirklich und wahrhaftiger eine Freude durch wahrhaftes Vergnügen erzeugen, hingegen dasjenige, was an dem in geringerem Grade Seienden Theil nimmt, wird auch in geringerem Grade wahrhaft und fest erfüllt werden und an einem unzuverlässigeren und weniger wahren Vergnügen Theil nehmen. – Ja, höchst nothwendig, sagte er. – Jene also, welche an Verstandesthätigkeit und Vortrefflichkeit keine Erfahrung haben, sondern stets mit Schwelgerei und Derartigem verkehren, werden, wie es scheint, nach Unten und wieder bis zum Mittelpunkte hin bewegt und irren ihr Leben hindurch in dieser Gegend umher, über diese Stufe hinauf aber zum wahrhaft oben Seienden blickten sie weder jemals hin, noch wurden sie je dorthin bewegt, noch auch wurden sie mit dem Seienden wirklich erfüllt, oder bekamen je ein festes und reines Vergnügen zu kosten, sondern wie Thiere stets nach Unten blickend und zur Erde und auf volle Tische hingebeugt weiden sie sich an Fraß und Liebesgenuß, um der Bereicherung in diesen Dingen willen schlagen und stoßen sie sich gegenseitig mit eisernen Hörnern und Hufen und tödten sich einander aus Unersättlichkeit, weil sie nicht mit Seiendem dasjenige, was an ihnen selbst das Seiende oder dessen Schutzwehr ist, erfüllen. – Durchaus, o Sokrates, sagte Glaukon, verkündest du hiemit die Lebensweise der Menge. – Ist es also nun nicht auch nothwendig, daß sie mit Vergnügungen verkehren, welche mit Schmerzen vermischt sind, mit Abbildern und Schattenrissen des wahrhaften Vergnügens, welche durch ihre wechselseitige Lage eine Färbung erhalten, so daß sie nach beiden Seiten sehr heftig erscheinen und einen rasenden Liebesdrang zu ihnen in den Unverständigen erzeugen und Gegenstand vieler Kämpfe sind, wie Stesichoros sagt, daß das Abbild der Helena seitens der vor Troja Versammelten Gegenstand vieler Kämpfe gewesen sei, in Folge der Unkenntniß der wahren HelenaUeber Stesichoros s. m. Anm. 38 z. »Phädrus«. Uebrigens behandelte auch Euripides in seiner »Helena« diesen Sagen-Stoff derartig, daß Paris nur ein Trugbild der Helena entführt, und Menelaus seine wirkliche treue Gattin nach zwanzig Jahren in Aegypten wiedergefunden habe.. – Durchaus nothwendig, sagte er, ist es, daß Derartiges stattfinde. –

11. Wie aber? muß nicht nothwendig auch betreffs des Muthigen Anderweitiges dergleichen eintreten, wenn Jemand nur eben dieses verwirklicht, entweder vermittelst des Neides aus Ehrliebe, oder vermittelst der Gewalt aus Streitliebe, oder vermittelt des Zornes aus Unwillen, indem er dabei eine Sättigung in Ehre und Sieg und Zorn ohne Vernunft und Verstand verfolgt? – Ja, Derartiges, sagte er, muß nothwendig auch bei diesem der Fall sein. – Wie also nun? sprach ich; wollen wir es jetzt getrost aussprechen, daß auch unter den das Gewinnliebende und das Streitliebende betreffenden Begierden alle diejenigen, welche dem Wissen und der Vernunft folgen und in Verbindung mit diesen den Vergnügungen nachstreben und nur die von dem verständigen Theile vorgezeichneten Vergnügungen ergreifen, noch am meisten wahre ergreifen werden, so weit ihnen Solches überhaupt möglich ist, weil sie eben der Wahrheit folgen, und daß sie hiemit auch die ihnen eigenthümlichen ergreifen, weil ja, was für ein Jedes das Beste ist, diesem auch das Eigenthümlichste ist. – Aber es ist dieß, sagte er, ja auch wirklich das ihm Eigenthümlichste. – Wenn also dem Weisheitsliebenden die gesammte Seele folgt und nicht in Zwiespalt ist, so wird bei jedem einzelnen Theile derselben es der Fall sein, daß er sowohl in den übrigen Beziehungen das Seinige thut und hiemit gerecht ist, als auch bezüglich der Vergnügungen jeder nur die seinigen und die besten und nach Möglichkeit die wahrsten genießt. – Ja wohl, in hohem Grade. – Wann aber Einer der anderen Theile die Oberhand hat, so wird es der Fall sein, daß er sowohl selbst nicht das ihm eigenthümliche Vergnügen findet, als auch die übrigen Theile nöthigt, einem fremden und unwahren Vergnügen nachzustreben. – Ja, so ist es, sagte er. – Nicht wahr also, dasjenige, was am weitesten von Weisheitsliebe und Vernunft entfernt ist, würde wohl am meisten Derartiges thun? – Ja, bei Weitem. – Ist aber nicht am weitesten von Vernunft jenes entfernt, was von Gesetz und Ordnung am weitesten entfernt ist? – Ja, klärlich. – Zeigten sich uns aber nicht als am weitesten entfernt jene Begierden, welche auf Liebesdrang und Gewaltherrschaft sich beziehen? – Ja, bei weitem. – Am wenigsten aber jene königlichen und ordentlichen? – Ja. – Am weitesten also, glaube ich, wird von dem wahren und eigenthümlichen Vergnügen der Gewaltherrscher entfernt sein, jener Andere hingegen am wenigsten. – Ja, nothwendig. – Also auch am wenigsten angenehm, sagte ich, wird der Gewaltherrscher leben, jener König aber am angenehmsten. – Ja, durchaus nothwendig ist dieß. – Weißt du also, sagte ich, um wie viel der Gewaltherrscher unangenehmer als der König lebt? – Sobald du es angibst, sagte er. – Da es drei Vergnügungen sind, wie es scheint, nemlich Eine ächte und zwei unächte, so wird der Gewaltherrscher, indem er selbst noch über die unächten hinausgeht und dem Gesetze und der Vernunft sich entzieht, mit sklavischen und auf die Leibwache bezüglichen Vergnügungen verkehren, und es ist hiebei nicht leicht, anzugeben, um wie viel eben er hiedurch verkürzt werde, außer etwa in folgender Weise. – In welcher? – Von dem Oligarchischen ist der Gewaltherrscher in dritterUeber diese Art des Zählens s. oben Anm. 97. Entfernung, weil zwischen ihnen noch der Demokratische in Mitte steht. – Ja. – Nicht wahr also, auch bezüglich des Vergnügens wäre es im Verhältnisse zur Wahrheit nur ein Abbild in dritter Linie, mit welchem er im Vergleiche mit dem Oligarchischen verkehrt, woferne das vorhin Gesagte wahr ist? – Ja, so ist es. – Der Oligarchische aber ja steht hinwiederum gleichfalls in dritter Linie vom Königlichen entfernt, wenn wir den Aristokratischen und den Königlichen als EinenS. oben B. VIII, Cap. 2 bei Anm. 280. zählen?– Ja, in dritter Linie. – Um ein dreimal Dreifaches also ist der Zahl nach der Gewaltherrscher vom wahren Vergnügen entfernt. – Ja, so zeigt sich's. – Also eine Flächenzahl, sagte ich, welche der ersteren Längen-Zahl entspricht, ist, wie es scheint, das Bild des gewaltherrscherischen Vergnügens selbst. – Ja wohl, gar sehr. – Entsprechend aber dann der Potenzirung und der dritten Dimension ist es ohnedieß klar, in welchem Abstande er entfernt sei. – Ja, klar ist dieß, sagte er, wenigstens dem des Rechnens Kundigen. – Nicht wahr also, wenn man es umkehrt und bezüglich der Wahrheit des Vergnügens es bei dem Könige angibt, wie weit dieser von dem Gewaltherrscher entfernt sei, so wird man durch wirklichen Vollzug jener Vermehrung finden, daß Ersterer siebenhundertneunundzwanzigmal angenehmer lebt, der Gewaltherrscher hingegen um eben diesen Abstand unglücklicher istWer oben bei der sogenannten platonischen Zahl (B. VIII, Cap. 3) von einem versteckten Spotte Plato's gegen derartige Berechnungen sprach, muß natürlich hier der gleichen Meinung sein: es ist aber in dem einen Falle dieß so verkehrt wie in dem anderen, und was oben, Anm. 284, über den Mangel aller äußeren Andeutung eines solchen Spottes oder Scherzes, sowie über das wirkliche Vorhandensein einer platonischen Zahlen-Mystik gesagt wurde, findet auch hier seine Anwendung. Der Gang der Berechnung hier ist folgender: der Gewaltherrscher steht in dritter Linie entfernt vom oligarchischen Menschen, dieser gleichfalls in dritter Linie vom idealen Herrscher, also die Entfernung zwischen beiden Extremen ist = 3 × 3 = 9; das Abbild ihres Glückes und vergnügten Lebens aber ist ein Flächen-Bild, also die Flächenzahl = 9 × 9 = 81; da aber es sich um die Geltung und gleichsam den ganzen Gehalt des Lebens handelt, so muß der stereometrische Zahlen-Ausdruck gewählt werden, und der jenem Längen-Abstande und jener Flächen-Zahl entsprechende Würfel ist = 9 × 9 × 9 = 729. Daß Plato auch der Ansicht ist, es lasse sich eine derartige Berechnung gleichsam in chronologischer Beziehung im Einblicke auf Tage und Jahre u. dgl. durchführen, zeigen die sogleich folgenden Worte.. – Eine unaussprechlich schöne Berechnung, sagte er, hast du hiemit vorgebracht bezüglich des Unterschiedes jener beiden Männer, nemlich des Gerechten und des Ungerechten, was das Vergnügen und den Schmerz derselben betrifft. – Und in der That, sprach ich, eine Zahl, welche wahr ist und zu den Verhältnissen des Lebens derselben gehört, woferne zu denselben auch Tage und Nächte und Monate und Jahre gehören. – Aber diese gehören ja, sagte er, wirklich zu denselben. – Nicht wahr also, wenn bezüglich des Vergnügens um so viel der Gute und Gerechte den Schlechten und Ungerechten übertrifft, so wird er ihn wohl auch um unaussprechlich Mehreres bezüglich der Wohlanständigkeit des Lebens und bezüglich der Schönheit und Vortrefflichkeit übertreffen. – Ja, bei Gott, sagte er, um unaussprechlich Vieles. –

12. Weiter nun, sagte ich. Nachdem wir bis zu diesem Punkte in unserer Begründung gekommen sind, wollen wir das zu Anfang Gesagte B. II, Cap. 2–9, besonders Cap. 4 u. 5., durch welches wir bis hieher kamen, wieder auffassen. Es wurde nemlich dort die Ansicht angeführt, gewinnbringend sei das Unrechtthun für jenen, welcher in vollendeter Weise ungerecht sei, aber gerecht scheine; oder wurde nicht so gesagt? – Ja, allerdings so. – Jetzt demnach, sagte ich, wollen wir mit dem Vertreter jener Ansicht sprechen, nachdem wir uns darüber verständigt haben, welche Geltung ein jedes von beiden, nemlich das Unrechtthun und die Uebung des Gerechten, besitze. – In welcher Weise? sagte er. – Indem wir in unserer Begründung ein gleichnißweises Bild der Seele gestalten, damit, wer jenes sagt, einsehe, was er sage. – Welches Bild? sprach er. – Eines von jener Art, erwiederte ich, wie der Sage nach vor Alters Naturgebilde entstanden sein sollen, eine Chimära und eine Scylla und ein Kerberos, und wie man von zahlreichen anderen sagt, daß viele Formen zusammengewachsen und Eins geworden seien. – Allerdings sagt man so. – Gestalte demnach als die Eine Form die eines bunten und vielköpfigen Thieres, welches ringsum Köpfe von zahmen und von wilden Thieren hat und die Fähigkeit besitzt, sich zu verwandeln und all Solches aus sich selbst hervorwachsen zu lassen. – Eines gar gewandten Bildners Aufgabe ist dieß, sagte er; dennoch aber möge, da die Rede bildsamer als Wachs und all derartiges ist, es hiemit wirklich gebildet sein. – Demnach bilde nun noch Eine andere Form eines Löwen und Eine eines Menschen; bei Weitem aber die größte sei die erste, und die zweite an Größe die zweite. – Dieß, sagte er, ist schon leichter, und sie sind hiemit gleichfalls gebildet. – Nun füge die Drei in Eins zusammen, so daß sie irgendwie mit einander zusammengewachsen sind. – Sie sind schon zusammengefügt. – Und nun gestalte rings um sie von Außen herum das Bild eines Einzigen, nemlich das eines Menschen, so daß demjenigen, der das Innere nicht zu sehen vermag, sondern nur die äußere Scheide sieht, es als Ein lebendes Wesen erscheint, nemlich als ein MenschMit diesem ganzen Gleichnisse und der Anwendung, welche Plato davon macht, möge man zusammenhalten, was wir oben, Anm. 168, angaben.. – Es ist so ringsum gestaltet, sagte er. – Und nun wollen wir zu jenem, welcher behauptet, es sei für diesen Menschen gewinnbringend, Unrecht zu thun, und Gerechtes zu üben bringe ihm keinen Nutzen, jetzt sagen, daß er hiemit nichts Anderes behauptet, als es sei ihm gewinnbringend, in aller Ueppigkeit jenes buntgestaltete Thier stark zu machen und ebenso auch den Löwen in allem Löwenartigen, den Menschen aber Hungers zu tödten und schwach zu machen, so daß er dahin gezogen wird, wohin jedes von jenen beiden ihn führt, und er keines derselben an das andere gewöhnt oder befreundet macht, sondern es zuläßt, daß sie unter sich einander beißen und im Kampfe auffressen. – Ja, durchaus wohl, sagte er, möchte Solches derjenige aussprechen, welcher das Unrechtthun lobt. – Nicht wahr also, jener hinwiederum, welcher sagt, daß das Gerechte gewinnbringend sei, würde hiemit behaupten, man solle Solches thun und Solches sprechen, wodurch der im Innern des Menschen befindliche Mensch die größte Macht erhalte und für das vielköpfige Unthier sorgen könne wie ein Landmann, indem er das Zahme an ihm nährt und pflegt, das Wilde aber nicht wachsen läßt, und hiebei als Bundesgenossen die Begabung des Löwen benützt, und daß er für alle Theile gemeinsam sorgend sie unter sich und mit ihm selbst befreundet mache und so sie ernähre. – Ja, in hohem Grade hinwiederum spricht Solches jener, welcher das Gerechte lobt. – In jeder Weise demnach möchte wohl der das Gerechte Lobpreisende wahr sprechen, hingegen unwahr der das Ungerechte Preisende; denn wenn man es sowohl bezüglich des Vergnügens, als auch bezüglich des guten Rufes und des Nutzens erwägt, spricht der Lobredner des Gerechten die Wahrheit, hingegen der Tadler desselben bringt nichts Gesundes vor und weiß auch bei seinem Tadel gar nicht, was er tadelt. – Allerdings, sagte er, scheint er mir dieß in keiner Weise zu wissen. – Wollen wir ihn demnach in sanfter Weise überzeugen, denn nicht freiwillig ja irrt er, und wollen wir ihn fragen: »O du Hochzupreisender, dürfen wir nicht behaupten, daß auch dasjenige, was als schön und als schimpflich gilt, eben durch das Derartige entstanden sei? nemlich daß das Schöne jenes sei, wodurch das Thierische in der Natur unter die Leitung des Menschen, oder vielmehr vielleicht unter die Leitung des Göttlichen gebracht wird, schimpflich hingegen dasjenige, wodurch das Zahme unter die Leitung des Wilden geknechtet wird?« Wird er dieß bejahen, oder wie meinst du? – Ja wohl, sagte er, wenn er von mir sich überzeugen läßt. – Gibt es also wohl, sprach ich, Jemanden, dem es in Folge dieser Begründung gewinnbringend sein könnte, in ungerechter Weise Gold zu empfangen, woferne ja irgend Derartiges eintreten muß, daß, sobald er das Gold empfangen, er zugleich das Beste in ihm unter die Herrschaft des Schlechtesten knechtet? oder wenn Jemand auf den Empfang des Goldes hin seinen Sohn oder seine Tochter in Sklaverei brachte, und noch dazu in das Haus wilder und schlechter Männer, so würde es ihm doch wohl nicht gewinnbringend sein, selbst wenn er unter solcher Bedingung gar viel Gold empfinge; wenn er aber nun das Göttlichste in ihm selbst unter die Herrschaft des Gottlosesten und Verwerflichsten knechten würde und kein Erbarmen damit hatte, würde er da nicht unglücklich sein und zu einer weit ärgeren verderblichen Handlung durch Gold sich bestechen lassen, als Eriphyle, welche für das Leben ihres Mannes jenen Halsschmuck empfingDer in der späteren Sage reichlicher ausgeschmückte Mythus von Eriphyle erscheint schon in der Odyssee (XI, V. 326 f. und XV. V. 247 f.) angedeutet. Eriphyle war die Gattin des Sehers Amphiaraus, und bewog denselben, nachdem Polyneikes, der Sohn des Oedipus, ihr den Halsschmuck der Harmonia geschenkt hatte, auf diese Bestechung hin dazu, daß er wider seinen eigentlichen Willen an dem Feldzuge der Sieben gegen Theben Theil nahm, obwohl er als Seher seinen gewissen Untergang voraussah; Amphiaraus aber trug seinem Sohne Alkmäon auf, hiefür an Eriphyle Rache zu nehmen, und letzterer tödtete nach dem Tode des Vaters seine Mutter in Folge eines von Apollo ertheilten Orakelspruches.. – Allerdings bei Weitem etwas Aergeres, sagte Glaukon; nemlich ich will anstatt desjenigen, den du fragst, antworten. –

13. Nicht wahr also, du glaubst wohl auch, daß die Zügellosigkeit eben deswegen schon von Alters her getadelt werde, weil bei Derartigem jenes Arge, nemlich jenes große und vielgestaltige Unthier, mehr als es sein sollte, freigelassen wird? – Ja, klärlich, sagte er. – Wird aber nicht die Anmaßung und Unverträglichkeit eben dann getadelt, wenn das Löwenartige und Drachenartige in unharmonischer Weise wächst und schroffer gespannt wird? – Ja wohl, allerdings – Hingegen Ueppigkeit und Weichlichkeit, werden diese nicht bezüglich einer Schlaffheit und eines Nachlassens eben dieses Theiles getadelt, wann sie in ihm Feigheit erzeugen? – Warum auch nicht? – Schmeichelei aber und unfreier Sinn, werden diese nicht dann getadelt, wenn Jemand eben diesen Theil, nemlich das Muthige, unter die Herrschaft jenes pöbelhaften Thieres bringt, und um des Geldes willen und aus solcher Unersättlichkeit ihn mit Füßen tritt und von Jugend an daran gewöhnt, statt eines Löwen ein Affe zu werden? – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Warum aber, glaubst du, bringen niedriger Erwerb und Handarbeit Schande? Werden wir hiefür einen anderen Grund angeben, als daß Jemand vermöge seiner natürlichen Begabung die Form des besten in sich als eine schwache besitzt, so daß er über jene Unthiere in ihm selbst nicht zu herrschen vermag, sondern ihnen dient, und nur Schmeicheleien gegen sie zu lernen im Stande istEs mag immerhin die Frage erlaubt sein, ob nicht ein tüchtiger Handarbeiter, welcher sein Handwerk versteht und ein braver Mensch ist, dem Staate mehr Nutzen verschaffe, als eine ganze Schaar von Doctrinären, welche den Staat nach einer psychologischen Schablone construiren. Auch dürfte nicht völlig klar sein, ob es »philosophisch« richtig sei, wenn man in Einem Athemzuge von einer geringen Stufe der »natürlichen Begabung« des Handarbeiters und zugleich von einer »Schande« spricht, denn wenigstens nach gewöhnlich menschlichen Vorstellungen ist der Mensch für seine Begabung nicht verantwortlich (vgl. Anm. 141). Wer an solchen Auswüchsen der Ansichten des Philosophen, welcher »in die Sonne schauen kann«, Gefallen findet, kann sich vielleicht auch mit jeder Art von Unmenschlichkeit befreunden.. – Ja, so scheint es, sagte er. – Nicht wahr also, damit auch der Derartige durch ein Gleiches wie der Beste beherrscht werde, sagen wir, er solle ein Sklave desjenigen sein, welcher der Beste ist und in sich selbst das Göttliche als Herrschendes besitzt, und zwar indem wir nicht glauben, er müsse zum Schaden des sklavisch Dienenden beherrscht werden, wie Thrasymachos von den Beherrschten meinte B. I Cap. 16., sondern daß es für einen Jeden besser sei, durch ein Göttliches und Verständiges beherrscht zu werden, zumeist wenn er dasselbe als ein ihm Eigenthümliches in sich selbst besitzt, oder, falls dieß nicht, wenn es von Außen her sein Vorsteher ist, damit wir Alle nach Möglichkeit einander gleich und befreundet seien, indem wir durch Ein und das Nemliche gelenkt werden. – Ja, und mit Recht, sagte er. – Es drückt ja aber, sprach ich, auch das Gesetz es aus, daß es etwas Derartiges beabsichtigt, indem es sämtlichen im Staate Befindlichen ein Bundesgenosse ist, und ebenso auch die Herrschaft über die Kinder, nemlich daß wir denselben nicht Freiheit gestatten, bis wir in ihnen wie in einem Staate eine Verfassung hergestellt und durch Pflege des Besten in ihnen für jenes, was in uns so ist, einen entsprechenden ähnlichen Wächter und Herrscher in ihnen eingesetzt haben, und eben dann erst sie frei lassen. – Ja, auch dieses drückt es uns aus, sagte er. – In welcher Beziehung demnach, o Glaukon, und nach welchem Grunde sollen wir behaupten, daß es gewinnbringend sei, Unrecht zu thun oder zügellos zu sein oder irgend Schimpfliches zu verüben, in Folge dessen man wohl schlechter wird, aber mehr Geld oder sonstige Macht erwirbt? – In keiner Beziehung, sagte er. – Oder in welcher Beziehung, daß es gewinnbringend sei, beim Unrechtthun unbemerkt zu bleibe und nicht bestraft zu werden? Oder wird nicht der unbemerkt Bleibende noch schlechter, wohingegen bei jenem, welcher nicht unbemerkt bleibt und bestraft wird, das Thierische beschwichtigt und gezähmt, das Zahme aber befreit wird; und gewinnt nicht überhaupt die ganze Seele, wenn sie zur besten Begabung sich hinwendet, indem sie Besonnenheit und Gerechtigkeit in Verbindung mit Verständigkeit erwirbt, eine vorzüglichere Haltung, als der Leib, wenn er Kraft und Schönheit in Verbindung mit Gesundheit gewinnt, und zwar um so mehr, je vorzüglicher die Seele im Vergleiche mit dem Leibe ist? – Ja, durchaus so, sagte er. –

Nicht wahr also, der Verständige wird Alles, was in ihm ist, auf dieses hin anspannen und so sein Leben führen, indem er erstens die Unterrichtsgegenstände ehrt, welche seine Seele zu einer derartigen machen, alle übrigen aber mißachtet? – Ja, klärlich, sagte er. – Sodann aber, sagte ich, wird er das Verhalten und die Pflege des Körpers keinenfalls dem thierischen und unvernünftigen Vergnügen preisgeben und etwa dorthin gerichtet sein Leben führen, aber auch nicht auf Gesundheit wird er hinblicken, oder jenes hoch in Ehren halten, daß er stark oder gesund oder schön sei, falls nicht auch Besonnenheit hieraus ihm erwächst, sondern stets wird es sich zeigen, daß er die Harmonie seines Körpers nur um des Einklanges in seiner Seele willen harmonisch herstellt. – Ja, durchaus so, sagte er, woferne er in Wahrheit musisch gebildet sein will. – Nicht wahr also, sprach ich, ebenso auch bezüglich der Ordnung und des Einklanges im Gelderwerbe? und er wird die massenhafte Menge desselben nicht etwa betäubt durch die Lobpreisungen seitens des großen Haufens in's Unbegrenzte vermehren, dabei unbegrenzt viele Uebel besitzend. – Ich glaube sicher nicht, sagte er. – Sondern hinblicken, sprach ich, wird er auf die in ihm befindliche Staatsverfassung, und wohl sich davor bewahren, daß er nicht an irgend einem der dortigen Verhältnisse wegen der Menge oder des Mangels des Vermögens rüttle, und auf diese Weise es lenkend, wird er das Vermögen vermehren und verwenden, so weit er es im Stande ist. – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Aber auch bezüglich der Ehre ja wird er, auf das Nemliche hinblickend, an jenen einen freiwillig theilnehmen und sie kosten, von welchen er glaubt, daß sie ihn besser machen, diejenigen aber wird er als Einzelner und im Staate fliehen, von welchen er glaubt, daß sie das bestehende Verhalten zerstören. – Also eine staatliche Thätigkeit, sagte er, wird er nicht ausüben sollen, woferne er auf jenes bedacht ist. – Beim HundeS. m. Anm. 41 z. »Phädon«., sprach ich, wahrlich in seinem eigenen Staate in hohem Grade, hingegen vielleicht nicht in seinem Vaterlande, wenn nicht irgend eine göttliche Fügung eintritt. – Ich verstehe, sagte er; du meinst nemlich, in jenem Staate, welchen wir bisher so eben gründeten und durchgingen, in jenem, welcher in den begründenden Reden vorliegt, da er ja, glaube ich, auf Erden wenigstens nirgends besteht. – Aber vielleicht ja, sprach ich, ist im Himmel irgend ein Musterbild aufgestellt für denjenigen, der es sehen und, wenn er es sieht, seinen Staat in sich selbst hiernach gründen will; jenes aber macht keinen Unterschied, ob dieser Staat irgendwo bestehe oder bestehen werde; denn Jener richtet seine Handlungen nur nach diesem, und nach keinem anderen ein. – Ja, so scheint es, sagte er. –


 << zurück weiter >>