Platon
Plato's Staat
Platon

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13. Wirst du also, sprach ich, das Nicken mit dem Kopfe dem Kopfschütteln und das Verlangen, Etwas zu bekommen, dem Zurückweisen und das Ansichziehen dem Vonsichstoßen, und ebenso alles Derartige einander als entgegengesetzt bezeichnen, sei es, daß es zum Thun oder daß es zum Leiden gehöre, denn in dieser Beziehung macht es keinen Unterschied? – Aber gewiß, sagte er, als entgegengesetztes. – Was aber nun? sprach ich. Das Dürsten und das Hungern und überhaupt die Begierden, und hinwiederum das Wünschen und das Wollen, würdest du nicht all dieses unter jene erste hier erwähnte Art rechnen, wie z. B. wirst du nicht behaupten, daß immer die Seele des Begehrenden entweder jenes verlange, was sie begehrt, oder an sich ziehe, wovon sie will, daß es ihr werde, oder hinwiederum so weit sie wünscht, daß ihr Etwas verschafft werde, sie hiebei in sich selbst mit dem Kopfe nicke, wie wenn sie Jemand gefragt hätte, da sie ja darnach sich sehnt, daß jenes ihr werde? – Ja gewiß. – Wie aber? das Nichtwollen und das Nichtwünschen und das Nichtbegehren, werden wir dieß nicht zu dem Vonsichstoßen und zu dem Hinwegtreiben und überhaupt zu jeglichem Gegentheile von jenem rechnen? – Wie sollten wir auch nicht? – Wenn demnach dieß sich so verhält, werden wir dann auch behaupten, daß es eine Art der Begierden gebe, und zwar dieß die schreiendsten unter ihnen seien, nemlich jene, welche wir als Durst und Hunger bezeichnen? – Ja, wir werden dieß behaupten, sagte er. – Nicht wahr also, die eine ist die Begierde nach Trank, die andere jene nach Speise? – Ja. – Wird also diese, insoweit sie Durst ist, als Begierde nach einem Weiteren, als was wir eben sagten, in der Seele sein? nemlich ist der Durst ein Durst nach einem warmen Tranke, oder nach einem kalten, oder nach vielem Tranke, oder nach wenigem, oder mit Einem Worte, ist er ein Durst nach einem irgendwie bestimmten Tranke? oder würde er wohl dann erst, wenn Wärme mit dem Durste verbunden ist, das Begehren nach Kaltem mit sich bringen, und wenn Kälte, das Begehren nach Warmem, und wenn wegen der Anwesenheit vielen Getränkes der Durst selbst ein großer ist, er das Begehren nach Vielem mit sich bringen, wenn aber ein kleiner, das Begehren nach Wenigem, hingegen das Dürsten selbst an und für sich würde wohl niemals die Begierde nach irgend einem Anderen sein, als nach welchem es von Natur aus die Begierde ist, nemlich eben nach Trank an und für sich, und hinwiederum ebenso das Hungern die Begierde nach Speise an und für sich? – Auf diese Weise, sagte er, ist jede Begierde selbst an und für sich eben nur die Begierde nach je jenem an und für sich, worauf sie von Natur aus gerichtet ist, hingegen nach einem so oder so beschaffenen ist sie es erst in Folge hinzutretender Umstände. – Ja, nemlich damit uns, sagte ich, Niemand als Unvorbereitete mit dem Einwande in Verwirrung bringe. daß ja Keiner bloß einen Trank begehre, sondern Jeder einen guten Trank, und Keiner Speise, sondern Jeder gute Speise; nemlich allerdings Alle begehren das Gute, und wenn also der Durst ein Begehren ist, so ist er auch das Begehren nach einem Guten, sei dieß nun ein Trank oder irgend etwas Anderes, und ebenso auch bei den übrigen BegierdenD. h. wenn auch das Prädicat »gut« zu »Speise« oder »Trank« gesetzt wird, so darf dieß nicht als eine solche irgend hinzutretende qualitative Bestimmtheit betrachtet werden, wie die obigen Beispiele des »warm« und des »viel« waren; denn das Prädicat »gut« ist ein schon von vornherein in jedem Falle bestehendes, woferne überhaupt nur von Gegenständen der Begehrungen gesprochen wird.. – Ja, allerdings, sagte er, könnte vielleicht Jemand glauben, mit diesem Einwende etwas Triftig zu sagen. – Hingegen ja, sprach ich, ist bei Allem, was derartig ist, daß es mit irgend etwas in Beziehung steht, das irgendwie Bestimmte nur mit einem irgendwie Bestimmten in Beziehung, das Ding an und für sich aber nur mit dem Anderen an und für sich in Beziehung. – Dieß habe ich nicht verstanden, sagte er. – Du verstehst nicht, fragte ich, daß das Größere derartig ist, daß es in Beziehung auf Etwas ein Größeres ist? – Ja, dieß allerdings wohl. – Nicht wahr, in Beziehung auf das kleinere? – Ja. – Das bei weitem Größere aber in Beziehung auf ein bei weitem Kleineres; oder wie? – Ja. – Also wohl das irgend einmal Größere in Beziehung auf ein irgend einmal Kleineres und das künftig Größere in Beziehung auf ein künftig Kleineres? – Aber was soll hiegegen im Wege stehen? sagte er. – Und auch das Mehrere im Vergleiche mit dem Wenigeren und das Doppelte im Vergleiche mit dem Halbsogroßen und all Derartiges, und hinwiederum auch das Schwerere im Vergleiche mit dem Leichteren und das Schnellere im Vergleiche mit dem Langsameren, und ferner ja auch das Warme im Vergleiche mit dem Kalten und Alles, was diesen Dingen ähnlich ist, verhält sich's nicht etwa ebenso? – Ja, durchaus wohl. – Wie aber verhält es sich mit den Zweigen des Wissens? ist es da nicht die nemliche Art und Weise? nemlich Wissen an und für sich ist ein Wissen eines Lerngegenstandes an und für sich (oder wie sonst man jenes ausdrücken soll, worauf sich das Wissen bezieht), hingegen ein einzelnes und irgendwie beschaffenes Wissen ist das eines einzelnen und irgendwie beschaffenen Lerngegenstandes; ich meine aber hiemit folgendes: unterscheidet sich nicht ein Wissen dann, wenn es das Wissen von der Herstellung eines Hauses geworden ist, von den übrigen Zweigen des Wissens so, daß es die Bauwissenschaft genannt wird? – Wie anders? – Etwa nicht dadurch, daß es ein irgendwie beschaffenes ist, wie kein anderes von den übrigen es ist? – Ja wohl. – Nicht wahr also, weil es das Wissen eines irgendwie beschaffenen Gegenstandes ist, darum ist auch es selbst ein irgendwie beschaffenes geworden? und ebenso also auch die übrige Künste und Zweige des Wissens? – Ja, so ist es. –

14. Dieß demnach, sprach ich, stelle dir vor, daß ich vorhin habe sagen wollen, woferne du nemlich jetzt es verstehst, daß bei Allem, was derartig ist, daß es mit irgend Etwa in Beziehung steht, das Ding an und für sich nur mit dem Anderen an und für sich in Beziehung stehe, das irgendwie Bestimmte aber nur mit einem irgendwie Bestimmten; und ich sage hiemit also nicht, daß Etwas eben so bestimmt beschaffen sei, wie jenes es ist, mit welchem es in Beziehung steht, so daß also etwa das Wissen über das Gesunde und Kranke selbst ein gesundes und krankes wäre, oder jenes über das Böse und Gute selbst ein böses und Gutes; sondern da jenes ein Wissen nicht über den Gegenstand des Wissens an und für sich, sondern über einen irgendwie Beschaffenen, nemlich über das Gesunde und Kranke, ist, so wurde es demnach auch selbst ein irgendwie Bestimmtes, und hiedurch wurde bewirkt, daß man es nicht schlechthin ein Wissen, sondern mit Hinzutreten des irgendwie Bestimmten eine Arzneiwissenschaft nannte. – Ja, ich verstehe es, sagte er; und es scheint mir so sich zu verhalten. – Wirst du aber denn nun den Durst, sprach ich, nicht unter jene Dinge rechnen, welche in Beziehung auf irgend Etwas das sind, was sie sind? es gibt aber doch wohl einen Durst? – Ja gewiß, sagte er, und zwar ja in Beziehung auf einen Trank. – Nicht wahr also, auf einen irgendwie beschaffnen Trank ist auch ein irgendwie beschaffener Durst gerichtet, der Durst an und für sich aber nun ist weder auf einen vielen, noch auf einen wenigen, und weder auf einen wohlschmeckenden, noch auf einen schlechtschmeckenden, und mit Einem Worte, überhaupt nicht auf einen irgendwie beschaffnen Trank gerichtet; sondern nur auf Trank an und für sich bezieht sich von Natur aus der Durst an und für sich. – Ja, völlig so ist es. – Die Seele des Durstenden also will, insoferne sie dürstet, nichts Anderes, als eben nur trinken, und darnach verlangt sie und auf dieß hin steuert sie zu. – Ja klärlich. – Nicht wahr also, falls irgend Etwas sie, während sie dürstet, in entgegengesetzter Richtung zieht, so muß dieß wohl irgend etwas Anderweitiges in ihr sein, als dasjenige, was in ihr das Dürstende und gleich einem Thiere zum Trinken Hindrängende ist? denn nicht ja kann wohl, sagten wir Cap. 12. Außer diesem allgemeinen Grundsatze aber gehörte zur Vollgültigkeit der Behauptung, daß der Gegenzug gegen den Durst etwas vom Durste Verschiedenes sein müsse, eben jene ziemlich lang ausgesponnene Beweisführung, daß der Durst an sich als solcher nichts Weiteres, als nur den Trank an sich als solchen begehre; denn gesetzt, es läge in dem Durste selbst schon auch eine qualitative Bestimmtheit, so wäre ja die Möglichkeit gegeben, daß innerhalb des Durstes selbst ein Gegenzug bestände, z. B. daß der Durst nach Vielem dem Durste nach Wenigem entgegengesetzt wäre, und also keine anderweitige psychische Thätigkeit zur Erklärung des vorkommenden Gegenzuges erfordert würde; wenn hingegen der Durst seinem Wesen nach nur auf »Trank überhaupt« gerichtet ist, so muß das »nicht trinken wollen« von einer völlig anderen psychischen Macht herrühren., das Nemliche vermittelst seines Nemlichen betreffs des Nemlichen zugleich das Entgegengesetzte verüben. – Nein, allerdings nicht. – Sowie es nemlich auch, glaube ich, betreffs des Bogenschützen nicht richtig ist, zu sagen, daß seine Hände zugleich die Sehne abstoßen und zurückspannen, sondern eine Hand die abstoßende und eine hievon verschiedene die zurückziehende ist. – Ja wohl, völlig so, sagte er. – Werden wir denn nun behaupten, daß zuweilen Einige, welche dürsten, nicht trinken wollen? – Ja wohl, sagte er, von Vielen und in vielen Fällen. – Was also, sprach ich, möchte man wohl betreffs dieser behaupten? nicht etwa, daß in ihrer Seele das Antreibende sich befinde, aber auch das Verhindernde sich befinde, welches ein von dem Antreibenden Verschiedenes und dasselbe Bewältigendes ist? – So scheint es mir wenigstens, sagte er. – Stellt sich also nicht etwa bei Derartigem das Verhindernde, wenn es sich einstellt, in Folge einer Vernunftthätigkeit ein, das Hintreibende aber und das Hinziehende, stellt sich dieß nicht vermittelst leidenschaftlicher und krankhafter Zustände daneben hin? – Ja, so zeigt sich's. – Nicht unbegründeter Weise demnach, sprach ich, werden wir die Zumuthung aussprechen, daß jene ein doppeltes und gegenseitig verschiedenes seien, indem wir das Eine, vermittelst dessen sie vernünftig erwägt, eben das Vernünftige der Seele nennen, das Andere aber, vermittelst dessen sie liebt und hungert und dürstet und in den übrigen Begierden dahinflattert, das Unvernünftige und Begehrliche, welches ein Gefährte der Völlerei und der Vergnügungen ist. – Nein, nicht unbegründeter Weise, sondern aus guten Gründen, sagte er, möchten wir wohl dieser Ansicht sein. – Diese also, sprach ich, mögen uns hiemit als zwei in der Seele Befindliche Formen festgestellt sein; aber nun der Muth und dasjenige, vermittelst dessen wir muthig sind, möchte dieß wohl etwa ein Drittes für sich sein, oder mit welchem von jenen beiden wäre es von gleicher Natur? – Vielleicht, sagte er, mit jenem anderen, nemlich mit dem Begehrlichen. – Aber ich habe einst, sprach ich, gehört und glaube es auch, daß Leontios, der Sohn des Aglaion, einmal vom Piräus an der äußeren Seite der nördlichen Mauer in die Stadt hinaufging und, als er bemerkte, daß dort Leichen bei der Wohnung des Scharfrichters lagen, habe er zugleich das Verlangen gehabt, hinzuschauen, zugleich aber habe es ihm widerstanden und er habe sich hinwiederum weggewendet, und eine Zeitlang nun habe er so mit sich gekämpft und sein Gesicht verhüllt, zuletzt aber sei er von dem Verlangen überwältigt worden, und seine Augen weit aufreißend sei er zu den Leichen hingelaufen und habe gerufen: Sieh da, ihr Unglücklichen, sättiget euch an dem herrlichen Anblicke. – Auch ich, sagte er, habe es gehört. – Diese Kunde, sprach ich, drückt nun doch aus, daß zuweilen der Muth gegen die Begierden kämpfe, wie ein Verschiedenes gegen Verschiedenes. – Ja wohl drückt sie es aus, sagte er. –

15. Nicht wahr also, auch anderwärts, sagte ich, nehmen wir häufig wahr, daß, wenn Jemanden gegen den Rath der Vernunft die Begierden mit Gewalt zwingen wollen, er über sich selbst schmäht und seinem Muthe Luft macht gegen dasjenige in ihm, was ihn mit Gewalt zwingen will, und daß gleichsam wie bei einer Parteiung der Muth eines Solchen zum Bundesgenossen der Vernunft wird? hingegen daß der Muth mit den Begierden gemeinschaftliche Sache mache, während die Vernunft betreffenden Falls das Unterlassen vorzieht, möchtest du wohl weder an dir selbst, noch auch, glaube ich, an einem Anderen als wirklich vorgekommen wahrgenommen haben. – Nein, bei Gott nicht, sagte er. – Wie aber? sprach ich; falls Jemand einem Anderen Unrecht gethan zu haben glaubt, wird er da nicht, gerade je edler er ist, um so weniger jenem zu zürnen fähig sein, selbst wenn er hungert und friert, oder irgend etwas Anderes derartiges durch jenen erleidet, von welchem er glaubt, daß er Solches mit Recht gegen ihn verübe, und wird dann nicht, was ich eben hiemit sagen will, der Muth desselben durchaus sich weigern, gegen jenen sich aufregen zu lassen? – Ja, dieß ist wahr, sagte er. – Wie aber? falls Jemand der Meinung ist, Unrecht erlitten zu haben, wird da in diesem nicht der Muth kochen und grollen und mitkämpfen mit dem für Recht Erachteten, trotz Hunger und Frost und trotz all derartiger Einwirkungen, und wird er da nicht ausharrend siegen und unablässig das Edle verfolgen, bis er es entweder durchgesetzt hat, oder selbst dahingestorben ist, oder gleich einem Hunde durch seinen Herrn, nemlich durch die ihm beiwohnende Vernunft, zurückgerufen und beschwichtigt wurde? – Ja allerdings, sagte er, scheint es so zu sein, wie du sagst; und gerade ja jene Helfer in unserem Staate haben wir wirklich auch wie Hunde aufgestellt, insoferne sie den Herrschern gleichsam als Hirten des Staates gehorsam sind B. II, Cap. 15 u. B. III, Cap. 20.. – Völlig richtig, sagte ich, denkst du selbst an jenes, was ich hiemit sagen will; aber beherzige außerdem auch noch Folgendes. – Was? – Daß nun das Gegentheil des Vorigen sich uns betreffs des Muthigen zeigt; vorhin nemlich glaubten wirD. h. eben nur Glaukon, worauf dann Sokrates sogleich jene Geschichte vom Leontios erzählte., es sei irgend ein Begehrliches; jetzt aber behaupten wir, dieß sei weit gefehlt, sondern dasselbe stelle bei dem Zwiespalte der Seele seine Waffen weit eher auf Seite des Vernünftigen auf. – Ja, durchaus so, sagte er. – Ist es also nun wirklich ein von letzterem Verschiedenes, oder ist es bloß eine Art des Vernünftigen, so daß dann nicht drei Formen in der Seele wären, sondern nur zwei, nemlich das Vernünftige und das Begehrliche? oder ist eben, sowie auch im Staate drei Klassen ihn zusammenhielten, die gelderwerbende und die helfende und die berathende, ebenso auch in der Seele dieses Muthige ein Drittes, welches von Natur aus dem Vernünftigen ein Helfendes ist, woferne es nicht durch schlechte Pflege verdorben wurde? – Ja, nothwendig, sagte er, ist es ein DrittesMan muß nemlich bezüglich dieser Dreitheilung der Seele bei Plato allerdings festhalten, daß das »Muthige« dem »Vernünftigen« ebensosehr nahe gerückt ist, wie es im Staate die »Helfer« den eigentlichen Wächtern, d. h. den Herrschern, sind (s. oben B. III, Cap. 20 am Schlusse), denn das Muthige ist es, welches den Befehlen der Vernunft sich fügt und sie mit Thatkraft vollzieht, wohingegen das Begehrliche an sich das Widerspenstige ist; daß aber dennoch nicht an eine Zweitheilung zu denken sei, sondern das Muthige wirklich als ein selbstständiger Theil neben den zwei anderen betrachtet werden müsse, zeigen sowohl die sogleich hier folgenden Worte, als auch werden wir uns an jenes Gleichniß im »Phädrus« (Cap. 25 und 34 f.) erinnern, in welchem die Vernunft allein als der Wagenlenker und das Muthige und das Begehrliche als die zwei Rosse des Wagens erscheinen. Vergl. auch das hier unten, B. IX, Cap. 12, folgende Gleichniß.. – Ja wohl, sprach ich; woferne es nemlich als ein vom Vernünftigen Verschiedenes sich zeigt, sowie es sich schon als ein vom Begehrlichen Verschiedenes zeigte. – Aber nicht schwierig ja ist es, sagte er, daß es als solches sich zeige; denn ja auch an den Kindern könnte man dieß sehen, daß sie gleich nach der Geburt schon voll des Muthigen sind, der Vernunft hingegen Einige, wie mir wenigstens scheint, niemals theilhaftig werden, die Meisten aber erst sehr spät einmal. – Ja bei Gott, sagte ich, du hast Recht; ferner aber könnte man selbst auch an den Thieren sehen, daß es sich so verhält, wie du sagst; und außerdem wird es auch jenes Wort des Homeros, welches wir oben B. III, Cap. 4 (die homerische Stelle ist Odyssee XX, V. 17). schon einmal anführten, bezeugen, nemlich

»an die Brust aber schlagend redete er sein Herz mit dem Worte an«;

denn dortselbst hat Homeros doch deutlich gedichtet, daß ein Verschiedenes gegen ein Verschiedenes den Tadel abspricht, nemlich dasjenige, was mit Vernunft über das bessere und Schlechtere eine Erwägung anstellt, gegen das in unvernünftiger Weise Zürnende. – Sehr richtig, sagte er, sprichst du da. –

16. Durch dieses also, sagte ich, sind wir nun zur Noth hindurchgeschwommen, und es gilt uns so ziemlich als zugestanden, daß die nämlichen Gattungen im Staate, und die nemlichen auch in der Seele eines jeden Einzelnen sich finden, und daß auch die Zahl derselben die gleiche sei. – Ja, so ist es. – Nicht wahr also, hiemit ist ja nun nothwendig, daß in der nemlichen Weise wie der Staat und vermittelst des Nemlichen wie der Staat auch der einzelne Bürger ein weiser ist? – Warum nicht? – Und auch daß in der nemlichen Weise, wie der einzelne Bürger und vermittelst des Nemlichen wie der einzelne Bürger auch der Staat ein tapferer ist, und daß auch in allem Uebrigen bezüglich der Vortrefflichkeit beide sich völlig gleich verhalten? – Ja, nothwendig ist dieß. – Und auch als gerecht demnach, o Glaukon, werden wir, glaube ich, den einzelnen Mann in der nemlichen Weise bezeichnen, in welcher auch ein Staat ein gerechter ist, – Auch dieß ist durchaus nothwendig. – Aber noch haben wir es nicht vergessen, daß ja jener uns dadurch ein gerechter war, weil jede von den drei in ihm vorhandenen Klassen das Ihrige thatOben Cap. 10 u. 11.. – Nein, sagte er, wir haben, wie mir scheint, es nicht vergessen. – Im Gedächtnisse also müssen wir nun behalten, daß auch jeder Einzelne von uns, bei welchem jeder der in ihm befindlichen Theile das Seinige thut, ein gerechter sein und selbst das Seinige thun wird. – Ja wohl, sagte er, gar sehr müssen wir dieß im Gedächtnisse behalten. – Nicht wahr also, für das Vernünftige gebührt es sich, daß es herrsche, da es ja weise ist und die Fürsorge für die gesammte Seele in sich enthält, für das Muthige aber gebührt es sich, daß es jenem gehorche und ein Bundesgenosse sei. – Ja wohl, völlig so. – Wird nun also nicht, wie wir schon sagten B. III, Cap. 18., die Mischung der musischen und gymnischen Bildung einen Einklang dieser beiden erzeugen, indem sie das Eine durch treffliche Reden und Kenntnisse anspannt und pflegt, das Andere aber herabspannt und beschwichtigt, durch Harmonie und Rhythmus es besänftigend? – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Und jene beiden demnach sollen, wenn sie so gepflegt wurden und in Wahrheit das Ihrige gelernt haben und ihre Bildung erhielten, dann die Vorsteher des Begehrlichen sein, welches ja in Jedem der größte Theil seiner Seele und von Natur aus in Bezug auf Geld das unersättlichste ist; und dieses sollen jene beobachten, damit es nicht durch Anfüllung mit den sogenannten leiblichen Vergnügungen ein ausgedehntes und mächtiges werde und hiedurch seinerseits es unterlasse, das Seinige zu thun, sondern im Gegentheile es etwa versuche, jene Formen zu knechten und eine ihm nicht gebührende Herrschaft über sie auszuüben, und sodann das gesammte Leben aller Formen umstürze. – Ja allerdings, sagte er. – Es werden also wohl, sprach ich, jene beiden auch vor den äußeren Feinden am trefflichsten die gesammte Seele und den Körper bewahren, indem das Eine das berathende ist, das Andere aber das vorkämpfende, welches zugleich auch dem Herrschenden folgt und mit Tapferkeit die Rathschläge vollführt? – Ja, so ist es. – Und einen Tapferen demnach, glaube ich, werden wir jeden Einzelnen vermöge dieses seines Theiles nennen, wenn das Muthige trotz Schmerzen und Vergnügungen das von der Vernunft bezeichnete Furchtbare und nicht Furchtbare bewahrt. – Ja, mit Recht, sagte er. – Einen Weisen aber nennen wir ihn ja vermöge jenes kleinen Theiles, welcher in ihm herrscht und solches vorschreibt, indem dieser hinwiederum auch das Wissen in sich enthält über das jedem einzelnen Theile und dem aus den dreien gemeinsam vereinigten Ganzen Zuträgliche. – Ja, allerdings. – Wie aber? einen Besonnenen nennen wir ihn doch wohl vermöge der Liebe und des Einklanges zwischen eben diesen, wann nemlich das Herrschende und die beiden Beherrschtwerdenden darin übereinstimmen, daß das Vernünftige herrschen müsse, und sie nicht Aufruhr gegen dasselbe erheben. – Besonnenheit wenigstens, sagte er, ist nichts Anderes als dieses, sowohl beim Staate als auch beim einzelnen Bürger. – Aber nun ein Gerechter ja ist er vermöge desjenigen und in derjenigen Weise, wie wir dieß nun schon oft gesagt haben. – Ja, durchaus nothwendig ist dieß. – Wie aber nun? sprach ich; daß uns nicht etwa die Gerechtigkeit doch derartig abgestumpft wird, daß sie zuletzt uns etwas Anderes zu sein scheint, als wie sie sich im Staate uns zeigte? – Mir wenigstens, sagte er, scheint es nicht. – Folgendermaßen nemlich, sprach ich, könnten wir wohl, falls Etwas bei der Einzeln-Seele hierüber noch streitig sein sollte, es vollständig feststellen, wenn wir jene niedrigen Dinge hiezu beiziehen. – Welche denn? – Nemlich, wenn wir betreffs jenes Staates und betreffs desjenigen Mannes, welcher eine ihm gleichkommende Begabung und Bildung hat, uns darüber verständigen müßten, ob wohl ein Derartiger das von ihm zur Aufbewahrung überkommene Gold oder Silber unterschlagen zu wollen scheine, wer würde wohl deiner Meinung nach da glauben, daß Jener zu einer solchen That eher fähig sei, als die nicht so gesinnten Menschen? – Niemand wohl, sagte er. – Nicht wahr also, auch was Tempelraub und Diebstahl und Verrätherei, sei es im Einzelnen gegen Freunde, oder im Oeffentlichen gegen den Staat betrifft, dürfte wohl der Derartige gänzlich hievon fern sein? – Ja, fern. – Und nun ist er ja auch wohl in keiner Weise treulos, sei es in Eidschwüren oder in den übrigen Versprechungen. – Wie sollte er auch? – Ehbruch aber und Vernachlässigung der Eltern und Mangel an Dienstleistungen gegen die Götter würden wohl bei jedem Anderen eher als bei dem Derartigen sich finden. – Ja, bei Jedem eher, sagte er. – Nicht wahr also, von all diesem ist die Ursache, daß von den in ihm befindlichen Theilen jeder einzelne betreffs des Herrschens und Beherrschtwerdens das Seinige thut? – Ja dieß, und nichts Anderes. – Suchst du also unter der Gerechtigkeit noch irgend etwas Anderes, als eben diese Kraft, welche die Männer und die Staaten zu derartigen macht? – Nein, bei Gott, sagte er, ich gewiß nicht. –

17. Seine Erfüllung also hat jener Traum uns nun vollständig gefunden, welchen wir schon als eine Ahnung aussprachen B. II, Cap. 10., daß wir wohl gleich beim Anfange der Gründung unseres Staates darauf hinauskommen würden, mit eines Gottes Hülfe in den Ursprung und ein gewisses Gepräge der Gerechtigkeit einzutreten. – Ja, durchaus wohl. – Dieß also, o Glaukon, war ja hiemit wohl auch der Grund, warum es als ein Abbild der Gerechtigkeit nützlich ist, wenn der Lederarbeiter seiner Begabung nach sich richtig verhält bezüglich der Lederbearbeitung und er nichts Anderes verübt, und der Baumeister eben nur Bauten aufführt, und so auch bei allem Uebrigen. – Ja, so zeigt sich's. – In wahrer Wirklichkeit aber war, wie es scheint, die Gerechtigkeit ein Derartiges, und zwar nicht betreffs der äußeren Ausübung des eigenen Thuns, sondern in Wahrheit betreffs der inneren im eigenen Wesen und eigenen Thun, daß nemlich der Mensch jeden einzelnen seiner Theile nicht Fremdes verüben und die Gattungen seiner Seele nicht wechselseitig Vielgeschäftigkeit betreiben lasse, sondern in Wirklichkeit das ihm Eigenthümliche gut einrichte und sich selbst so beherrsche und ordne und sein eigener Freund werde und in Harmonie die drei Theile, so ziemlich wie drei Gränzen der musikalischen Töne, nemlich wie die höchste, tiefste und mittlere Saite der Lyra, nebst den noch etwa übrige Mittelgliedern, mit einander vereinige und all dieses zusammenbindend vollständig ein Einer aus Vielen werde, und als ein Besonnener und harmonisch Gestimmter so denn nun seine Thätigkeit verübe, sei es bezüglich des Gelderwerbes oder bezüglich der Körperpflege oder als Staatsmann oder betreffs des Einzeln-Verkehres, wobei er in diesem Sämmtlichen jene Handlung als gerecht und trefflich erachtet und bezeiget, welche eben diesen Zustand bewahrt und in's Werk setzt, als Weisheit aber jenes Wissen erachtet und bezeichnet, welches diesem Handeln vorsteht, hingegen als ungerechte Handlung jede, welche diesen Zustand auflöst, und als Unwissenheit hinwiederum die diesem Handeln vorstehende Meinung. – Ja durchaus wahr, o Sokrates, sagte er, sprichst du da. – Weiter, sprach ich; den gerechten Mann also und den gerechten Staat und die Gerechtigkeit selbst, was sie in ihnen sei, gefunden zu haben, möchten wir nun wohl behaupten, und schwerlich, glaube ich, hiemit eine Unwahrheit zu sagen scheinen. – Nein, wahrlich bei Gott nicht, sagte er. – Wollen wir es also behaupten? – Ja, wir wollen es behaupten. –

18. So sei dieß denn so, sagte ich; nach diesem nemlich müssen wir nun, glaube ich, die Ungerechtigkeit erwägen. – Ja, dieß ist klar. – Nicht wahr also, ein Aufruhr hinwiederum jener drei Theile muß sie sein und eine Vielgeschäftigkeit und eine Geschäftigkeit in fremden Dingen und eine Selbsterhebung irgend eines einzelnen Theiles gegen das Ganze der Seele, um in ihr wider Gebühr zu herrschen, während doch ein solcher Theil von Natur aus derartig ist, daß es ihm geziemt, dienstbar demjenigen zu sein, was zur Gattung des Herrschenden gehört; ungefähr Solches, glaube ich, und die Unordnung und Verwirrung von all diesem, werden wir sagen, sei die Ungerechtigkeit und Ziellosigkeit und Feigheit und Unwissenheit und überhaupt jedwede Schlechtigkeit. – Ja wohl, eben dieses, sagte er. – Nicht wahr also, sprach ich, auch das Verüben des Ungerechten und das Unrechtthun und hinwiederum auch das Rechtthun, all dieses ist uns jetzt in deutlicher Weise klar, woferne es uns die Ungerechtigkeit und die Gerechtigkeit ist? – Wie so? – Daß nemlich, sagte ich, dasselbe in Nichts sich von dem Gesunden und Kranken unterscheide, sondern wie jenes im Körper, so dieß in der Seele sich verhalte. – In wieferne? sagte er. – Das Gesunde erzeugt doch wohl Gesundheit, und das Kranke Krankheit? – Ja. – Nicht wahr also, auch die Ausübung des Gerechten erzeugt Gerechtigkeit und das des Ungerechten Ungerechtigkeit? – Ja, nothwendig. – Es besteht aber die Erzeugung der Gesundheit darin, daß man bezüglich der Dinge im Körper ein naturgemäßes wechselseitiges Herrschen und Beherrschtwerden herstellt, die Erzeugung der Krankheit aber in naturwidrigem gegenseitigem Gebieten und Gehorchen. – So ist es. – Nicht wahr also hinwiederum, sagte ich, die Erzeugung der Gerechtigkeit besteht darin, daß man bezüglich der Dinge in der Seele ein naturgemäßes wechselseitiges Herrschen und Beherrschtwerden herstellt, die Erzeugung der Ungerechtigkeit aber in naturwidrigem gegenseitigen Gebieten und Gehorchen? – Ja, gar sehr, sagte er. – Vortrefflichkeit also ist, wie es scheint, irgend eine Gesundheit und Schönheit und ein Wohlverhalten der Seele, Schlechtigkeit aber eine Krankheit und Schimpflichkeit und Schwäche. – Ja, so ist es. – Führen nun also nicht auch die trefflichen Bestrebungen zum Besitze der Vortrefflichkeit, die schimpflichen aber zu dem der Schlechtigkeit? – Ja, nothwendig. –

Uebrig demnach ist uns, wie es scheint, noch die Erwägung, ob es hinwiederum gewinnbringend sei, Gerechtes zu verüben und Treffliches zu betreiben und gerecht zu sein, mag man hiebei unbemerkt bleiben oder auch nicht, oder ob es gewinnbringend sei, Unrecht zu thun und ungerecht zu sein, falls man nemlich hiefür nicht Strafe büßt oder durch Züchtigung besser wird. – Aber mir wenigstens, o Sokrates, sagte er, scheint diese Erwägung bereits zu einer lächerlichen sich zu gestalten, woferne es ja schon bei einer Verderbniß der körperlichen Natur so zu sein scheint, daß man nicht mehr leben kann, selbst nicht in Verbindung mit allen Speisen und Getränken und allem Reichthume und aller Herrschaft, es aber dann bei einer Zerrüttung und Verderbniß der Natur desjenigen, vermittelst dessen gerade wir leben, es doch noch so stehen sollte, daß man leben könnte, wobei man nach Belieben alles Uebrige thäte, nur jenes nicht, wodurch man von Schlechtigkeit und Ungerechtigkeit befreit werden, Gerechtigkeit aber und Vortrefflichkeit erwerben könnte; denn es hat sich uns ja auch jedes von beiden eben als ein derartiges gezeigt, wie wir sie bisher durchgegangen haben. – Ja wohl, eine lächerliche Erwägung wäre es, sagte ich; aber dennoch dürfen wir, nachdem wir einmal zu diesem Punkte gekommen sind, darin nicht ermüden, so deutlich als möglich es einzusehen, daß es wirklich sich so verhalte. – Bei Gott, sagte er, am wenigsten von Allem dürfen wir hierin ermüden. – So komm denn hieher, sprach ich, damit du auch sehest, wie viele Formen, wie mir scheint, die Schlechtigkeit habe, so viele deren nemlich der Betrachtung würdig sind. – Ja, ich folge dir, sagte er; sprich nur. – Und nun zeigt sich mir ja, sprach ich, wie von einer Warte aus, nachdem wir auf diesen Höhepunkt der Begründung gelangt sind, daß es Eine Form der Vortrefflichkeit gebe, aber unbegränzt viele der Schlechtigkeit, hingegen unter diesen irgend vier, welche auch der Erwähnung werth sind. – Wie meinst du dieß? sagte er. – Es kömmt darauf hinaus, sagte ich, daß, so viele es Arten von Staatsverfassungen gibt, welche je eine eigene Form an sich haben, es auch eben so viele Arten der Seele gibt. – Wie viele denn? – Fünf Arten von Staatsverfassungen, sagte ich, und fünf Arten der Seele. – Sprich, sagte er, welche dieß sind. – Ich sage hiemit, sprach ich, daß Eine Art der Staatsverfassung wohl eben jene sein dürfte, welche wir bisher durchgegangen haben, benannt aber mag sie in doppelter Weise werden; wenn nemlich Ein Mann unter den Herrschern ganz besonders hervortritt, mag sie Königthum genannt werden, wenn aber Mehrere, Aristokratie. – Dieß ist wahr, sagte er. – Dieß demnach, sprach ich, nenne ich die Eine Art; denn weder wenn Mehrere auftreten, noch wenn es nur Einer ist, möchte wohl ein Solcher an den irgend nennenswerthen Gesetzen des Staates je rütteln, woferne er jene Pflege und Bildung genoß, welche wir durchgegangen haben. – Man sollte es wenigstens nicht erwarten, sagte er. –


 << zurück weiter >>