Platon
Plato's Staat
Platon

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7. Werden wir es also, sagte ich, anders machen können, als daß wir die Behauptung aufstellen, ein nothwendiger Unterrichtsgegenstand für einen kriegerischen Mann sei es, rechnen und zählen zu können? – Ja gewiß, von Allem am meisten, sagte er, woferne er nur irgend Etwas von Schlachtordnungen verstehen soll, ja vielmehr, wenn er überhaupt nur ein Mensch sein soll. – Bemerkst du also, sprach ich, betreffs dieses Unterrichtsgegenstandes das Nemliche wie ich? – Was meinst du hiemit? – Es kommt darauf hinaus, daß es von Natur aus zu jenen von uns hier gesuchten Dingen gehört, welche zur Denkthätigkeit leiten, daß aber Niemand ihn richtig anwende, insoferne er durchaus zur Wesenheit hinzieht. – Wie meinst du dieß? sagte er. – Ich will versuchen, erwiederte ich, klar zu machen, was mir scheint; du sollst nemlich bezüglich jener Dinge, bei welchen ich in mir selbst den Unterschied aufstelle, ob sie zu der von uns angegebenen Richtung hinführen oder nicht, die Betrachtung zugleich mit mir anstellen und jenes dann bejahen oder verneinen, damit wir auch bei diesem es deutlicher einsehen, ob es sich so verhalte, wie ich ahne. – So zeige es mir, sagte er. – Ich zeige dir demnach, erwiederte ich, woferne du es erblickst, daß innerhalb der Sinneswahrnehmungen Einiges die Denkthätigkeit zu einer näheren Erwägung nicht auffordert, als wäre es schon genügend durch die Sinneswahrnehmung beurtheilt, Anderes aber durchaus ihr gebietet, es näher zu erwägen, als thue die bloße Sinneswahrnehmung nichts Richtiges. – Es ist klar, sagte er, daß du hiemit jenes meinst, was von ferne oder in bloßen Schattenumrissen sich zeigt. – Nicht völlig, erwiederte ich, hast du getroffen, was ich meine. – Was denn nun, sagte er, meinst du eigentlich? – Unter dem nicht Auffordernden, sagte ich, meine ich jenes, was nicht zugleich in die entgegengesetzte Wahrnehmung übergeht; dasjenige hingegen, was so übergeht, bezeichne ich als ein Aufforderndes, wann nemlich die Sinneswahrnehmung um Nichts mehr das Eine, als etwa auch den Gegensatz desselben ausspricht, mag sie von der Nähe oder von der Ferne aus auf das Ding treffen. In folgender Weise aber wirst du, was ich meine, deutlicher verstehen: Dieß da nemlich, wollen wir sagen, sind drei Finger, der kleinste und der Zweite und der mittlere. – Gut, sagte er. – Und stelle dir demnach vor, daß ich von ihnen spreche, als würden sie in der Nähe gesehen; erwäge mir aber betreffs derselben Folgendes. – Was wohl? – Als ein Finger zeigt sich ein jeder derselben in der gleichen Weise, und in dieser Beziehung ja macht es keinen Unterschied, mag er in der Mitte oder an der äußersten Stelle gesehen werden, mag er weiß oder schwarz, mag er dick oder dünn, und kurz all dergleichen sein; denn bei all diesem wird die Seele der Meisten nicht genötigt, die Denkthätigkeit erst zu fragen, was wohl ein Finger sei; denn nirgends hat hiebei der Gesichtssinn ihr kundgegeben, daß der Finger zugleich auch der Gegensatz eines Fingers sei. – Nein, allerdings nicht, sagte er. – Nicht wahr also, sprach ich, aus guten Gründen möchte das derartige wohl Nichts sein, was die Denkthätigkeit auffordern oder erwecken würde? – Ja, aus guten Gründen. – Wie aber nun? Was die Größe und Kleinheit derselben betrifft, sieht diese etwa der bloße Gesichtssinn schon genügend, und macht es ihm hiebei gleichfalls keinen Unterschied, ob Einer der Finger in der Mitte, oder an der äußersten Stelle liege? und ebenso bezüglich der Dicke und Dünne oder der Weichheit und Härte bei dem Tastsinne; und drücken nicht etwa überhaupt auch die übrigen Sinneswahrnehmungen all das Derartige nur mangelhaft aus? oder verfährt nicht vielmehr eine jede derselben in folgender Weise, daß vor Allem z. B. jene Sinneswahrnehmung, welche für das Harte aufgestellt ist, nothwendiger Weise auch für das Weiche aufgestellt sein muß, und sie hiemit der Seele in der Wahrnehmung kundgibt, daß das Nemliche hart und weich istD. h. es liegt hiebei eben jene platonische Auffassung vor, von welcher wir in den obigen Anmerk. 203 und 204 sprechen mußten, daß nemlich alle Qualitäten relativ seien, und z. B. das nemliche Ding, welches als hart bezeichnet wird, in anderen Beziehungen und im Vergliche mit anderen Dingen auch wieder als weich erscheint. Diese Zwitterhaftigkeit der Qualitäten wird nun als Entstehungs-Grund der Arithmetik benützt, s. d. folg. Anm. 256[3]. Daß aber die nemliche Zwitterhaftigkeit auch bezüglich der Substanz der sinnlich wahrnehmbaren Dinge bestehe (s. Anm. 204), und demnach in dem hier von Plato gebrauchten Beispiele zuletzt es möglich bleibt, daß der Finger selbst auch ein Nicht-Finger sei, und das wahre Wissen nur in der Erkenntniß der Idee des Fingers liege, werden wir unten, Cap. 13 f., sehen.? – Ja, so ist es, sagte er. – Nicht wahr also, sprach ich, nothwendig muß bei derartigem hinwiederum die Seele rathlos sein, was ihr denn wohl die Sinneswahrnehmung als das Harte kundgebe, woferne sie ja das Nemliche auch ein Weiches nennt, und ebenso auch bei der Sinneswahrnehmung des Leichten und des Schweren, was denn das Leichte und das Schwere sei, woferne sie das Schwere als leicht und das Leichte als schwer bezeichnet. – Allerdings ja, sagte er, sind dieß Aussagen, welche für die Seele ungereimt sind und einer näheren Erwägung bedürfen. – Aus guten Gründen also, sagte ich, sucht bei Derartigem die Seele vor Allem mit Beiziehung eines Rechnens und einer Denkthätigkeit zu erwägen, ob jedes Einzelne, was ihr kundgegeben wurde, Eines oder Zwei sei. – Wie sollte sie auch nicht? – Nicht wahr also, wann es sich als Zwei zeigt, so zeigt sich jedes von diesen zweien als ein Verschiedenes und für sich als Eines? – Ja. – Wenn also jedes von beiden Eines ist, beide zusammen aber zwei, so wird sie ja die Zwei in ihrer Getrenntheit denken, denn in ihrer Ungetrenntheit würde sie ja nicht Zwei, sondern nur Eines denken. – Richtig. – Nun erblickte ja, wie wir behaupten, auch der Gesichtssinn ein Großes und Kleines, nur hingegen nicht in ihrer Getrenntheit, sondern als etwas in einander Verflossenes; oder etwa nicht? – Ja. – Wegen der Verdeutlichung hievon aber war nun auch hinwiederum die Denkthätigkeit genöthigt, gleichfalls ein Großes und ein Kleines zu erblicken, aber nicht als ineinander verflossen, sondern als abgegränzte, ganz im Gegensätze gegen den Gesichtssinn. – Dieß ist wahr. – Nicht wahr also, erst von da an also wohl kömmt es uns in den Sinn, zu fragen, was denn hiemit hinwiederum das Große und was das Kleine sei? – Ja, völlig so. – Und auf diese Weise denn nun nannten wir B. VI, Cap. 20. das Eine ein Denkbares und das Andere ein Sichtbares. – Völlig richtig, sagte er. –

8. Dieß demnach suchte ich auch so eben darin auszusprechen, daß das Eine eine Aufforderung des Nachdenkens enthalte und das Andere nicht, indem ich feststellte, daß, was an die Sinneswahrnehmung zugleich mit seinem eigenen Gegensatze hintritt, ein aufforderndes sei, dasjenige hingegen, bei welchem jenes nicht der Fall ist, die Denkthätigkeit nicht erwecke. – Ich verstehe es demnach bereits, sagte er, und es scheint mir so zu sein. – Wie aber nun? zu welchem von beiden scheint mir die Zahl und das Eins zu gehören? – Ich sehe es noch nicht ein, sagte er. – Aber aus dem vorher Gesagten, erwiederte ich, sollst du es schließen. Wenn nemlich das Eins selbst an und für sich in genügender Weise durch den Gesichtssinn oder irgend eine andere Sinneswahrnehmung schon ergriffen wird, so möchte es wohl nicht zur Wesenheit hinziehend wirken, wie wir so eben bei dem Finger dieß angaben; hingegen wenn immer zugleich mit ihm auch eine Gegensätzlichkeit erblickt wird, so daß es um Nichts weniger ein Eines, als auch der Gegensatz hievon zu sein scheint, so möchte es wohl noch erst des entscheidenden Richters bedürfen, und die Seele hiebei genöthigt werden, in Rathlosigkeit sich zu befinden und eine Untersuchung anzustellen, indem sie in sich selbst das Denken in Bewegung setzt und sich frägt, was denn wohl das Eins an und für sich sei, und auf diese Weise möchte der auf das Eins bezügliche Unterricht wohl zu jenem gehören, was zur Anschauung des Seienden hinführt und hinüberlenkt. – Aber in der That ja, sagte er, enthält gerade dieß in dieser Beziehung in hohem Grade der Gesichtssinn; denn zugleich sehen wir das Nemliche als Eines und als ein der Zahl nach Unbegrenztes. – Nicht wahr also, sprach ich, wenn es dem Eins so ergeht, so ergeht es der gesamten Zahl überhaupt ebenso? – Warum sollte es auch nicht? – Nun aber betrifft jede Rechenkunst und Zahlenlehre eine Zahl. – Ja wohl, gar sehr. – Von dieser aber zeigt sich ja, daß sie zur Wahrheit hinleitetMerkwürdig – um keine andere Bezeichnung zu gebrauchen – bleibt diese ganze Ableitung der Arithmetik gewiß. Den Zielpunkt der Beweisführung, welcher darin liegt, daß die Arithmetik zur Erkenntnis des reinen Seins förderlich sei, geben wir natürlich gerne zu; aber wie steht es mit jener begrifflichen Construction der Arithmetik? Plato rechnet den Gegensatz des Einen und Vielen, welcher wirklich die materielle Basis der Arithmetik ist, in völlig gleicher Gattung zu einer großen und umfassenden Gruppe vieler Gegensatzpaare, unter welchen beispielsweise auch Schwarz und Weiß, Dick und Dünn, Groß und Klein, erscheinen, und er ist der Ansicht, daß alle diese Qualitäten sehr relativ seien (s. obige Anm. 256). Hiebei aber werden wir billig fragen dürfen, erstens ob denn das numeräre Verhältniß der Dinge als ein bloßes Eigenschaftswort den übrigen Qualitäten so schlechthin gleichgestellt werden könne, d. h. ob denn, wenn ich von einem Dinge sage, daß es Eins ist, dieß die gleiche Denkoperation sei, wie wenn ich es als schwarz bezeichne; und zweitens fragen wir, wenn denn schon jede specifische That des Zählens mißkannt werden will, warum nicht auch eine der Arithmetik entsprechende Lehre des Dicken und Dünnen, des Harten und Weichen, entstehe. Will man aber hingegen jenes betonen, daß Plato im Vorhergehenden bei dem gesammten Gebiete dieser Gegensätzlichkeiten überhaupt die Unterscheidung einer abgegränzten Zweiheit von einer unentschiedenen und zerflossenen Einheit hervorgehoben habe, und also das Entstehungsmotiv der Arithmetik nicht bloß im Einen und Vielen, sondern weiter oben in der Duplicität der Qalitäten überhaupt liege, so fragen wir wieder, erstens, ob denn diese Duplicität bloß bei den Qualitäten vorkomme, und nicht auch die Träger derselben, d. h. die Substanzen, oder selbst die Individuen, zu jener Distinction überhaupt uns auffordern, und zweitens, warum denn gerade nur von einer Duplicität gesprochen werden wolle, wie wenn es nicht die Vielheit der seienden Dinge wäre, welche den Menschen auffordert, sie durch die Zahlwörter zu seinem geistigen Eigenthume zu machen.. – Ja allerdings in überschwenglicher Weise. – Also dürfte Solches, wie es scheint, zu jenen Unterrichtsgegenständen gehören, welche wir eben suchen; denn ein Krieger muß dieses nothwendig um der Schlachtordnungen willen lernen, der Weisheitsliebende aber darum, weil er von dem Werden sich losschälen und nur die Wesenheit ergreifen soll, oder außerdem niemals ein tüchtiger Rechner werden kann. – Ja, so ist es, sagte er. – Unser Wächter aber ist ja sowohl ein Kriegerischer als auch ein Weisheitsliebender. – Wie sollte er auch nicht. – Als einen gebührenden Unterrichtsgegenstand demnach, o Glaukon, müssen wir dieses gesetzlich aufstellen und jene, welche in dem Staate an dem Größten Theil haben sollen, dazu überreden, daß sie zur Rechenkunst sich wenden, und dieselbe nicht bloß stückweise betreiben, sondern so lange, bis sie zur Anschauung der Natur der Zahlen durch die Denkthätigkeit selbst gelangt sind, nicht um des Kaufens und Verkaufens willen wie Handelsleute und Krämer sie betreibend, sondern um des Krieges willen und darum, daß die Seele selbst eine Erleichterung finde und von dem Werden hinweg zur Wahrheit und Wesenheit hinübergewendet werdeWir sehen nun schon wiederholt, daß der »Philosoph« Plato sich nie dazu verstehen kann, daß es auch eine Wahrheit des Werdens gebe.. – Vortrefflich, sagte er, sprichst du da. – Und in der That, sagte ich, nun bemerke ich auch, nachdem wir den auf das Rechnen bezüglichen Unterrichtsgegenstand erwähnt haben, wie fein derselbe sei und wie vielfach brauchbar zu dem von uns Beabsichtigten, wenn man ihn um des Erkennens willen, nicht aber um des Krämergeschäftes willen betreibt. – Wie so? sagte er. – Eben darin ja, was wir so eben jetzt sagten, daß er nemlich gar sehr die Seele nach Oben führt und die Nöthigung enthält, über die Zahlen an und für sich zu sprechen, indem man es durchaus nicht duldet, wenn Jemand Zahlen vorschiebt, welche einen sichtbaren oder tastbaren Körper an sich haben, und etwa so dann von ihnen spricht; denn du weißst doch wohl, daß die in diesen Dingen Gewandten, wenn Jemand es unternimmt, noch von einer Theilung des Eins an und für sich zu sprechen, dann in ein Gelächter ausbrechen und Solches nicht gelten lassen, sondern, wenn du das Eins noch spaltest, so vervielfältigen Jene die von dir angenommenen Theile, davor sich in Acht nehmend, daß das Eins etwa nicht als Eins, sondern als eine Vielheit von Theilen erscheinen könnteD. h. wohl, wenn an der Idee des Eins festgehalten werden soll, so muß der Theilbegriff fern gehalten werden, und wenn z. B. Jemand sagen würde, daß ja das Eins aus fünf Fünfteln bestehe, so müßte hiegegen eingewendet werden, daß bei diesen Worten schon die Idee des Eins verlassen sei, und man von einer anderen Idee, nemlich der des Fünf, gesprochen habe, welche ja nach Plato sowohl bei der Division durch Fünf, als auch bei der Multiplication mit Fünf das Maßgebende ist; vgl. m. Anm 45 z. Phädon.. – Völlig wahr, sagte er, sprichst du. – Was also glaubst du wohl, o Glaukon, wenn man sie fragen würde: »Ihr Wunderlichen, von welchen Zahlen sprecht ihr denn, in welchen das Eins sich derartig finde, wie ihr es verlangt, so daß jedes ganz jedem gleich und ohne den geringsten Unterschied und ohne irgend einen Theil innerhalb seiner selbst wäre?« – was also glaubst du, daß sie antworten würden? – Ich glaube, sie würden antworten, daß sie über jene sprechen, welche man nur denken kann, in keiner anderen Weise aber zu ergreifen vermag. – Siehst du also, mein Freund, sagte ich, wie es uns in der That darauf hinauskömmt, daß jener Unterrichtsgegenstand ein nothwendiger ist, da er ja offenbar die Seele nöthigt, die Denkthätigkeit selbst zur Wahrheit anzuwenden? – Und wirklich ja in hohem Grade, sagte er, thut er dieß. – Wie aber? hast du auch das schon erwogen, daß sowohl die von Natur aus zum Rechnen Begabten so zu sagen für sämmtliche Unterrichtsgegenstände eine Schärfe des Geistes zeigen, als auch die Stumpfen, sobald sie in diesem Gegenstande gebildet und geübt wurden, wenigstens, wenn sie auch keinen andern Nutzen hievon haben, doch sämmtlich im Vergleiche mit ihnen selbst einen Zuwachs an Schärfe erfahren. – Ja, so ist es, sagte er. – Und wirklich möchtest du nicht leicht einen Gegenstand finden, welcher dem Lernenden und Einübenden mehr Anstrengung verursache, oder auch nicht viele Gegenstände, welche eine gleiche wie dieser verursachen. – Nein, allerdings nicht. – Aus all diesen Gründen demnach dürfen wir diesen Unterrichtsgegenstand nicht bei Seite lassen, sondern jene, welche die besten Begabungen haben, in demselben heranbilden. – Ja, ich behaupte dieß mit dir, sagte er. –

9. Dieß also möge uns nun hiemit, sagte ich, als das Eine feststehen; das Zweite aber, welches an dieß sich anreiht, wollen wir nun erwägen, nemlich, ob es etwa gleichfalls für uns passe. – Was meinst du hiemit? sagte er; oder meinst du vielleicht die Geometrie? – Ja, eben diese, erwiederte ich. – So weit sie sich nemlich auf das Kriegerische erstreckt, sagte er, ist klar, daß sie passe; denn bezüglich des Lageraufschlagens und der Besetzung von Plätzen und der Zusammenziehung oder Ausbreitung der Truppen und bezüglich der übrigen Formirungen, welche man mit Heereszügen in den Schlachten oder auf dem Marsche vornimmt, möchte wohl ein Unterschied bestehen, je nachdem Jemand der Geometrie kundig ist oder nicht. – Aber nun bezüglich der derartigen Dinge, sagte ich, dürfte ein gar kleiner Theil der Geometrie und des Rechnens schon genügen; hingegen von dem größeren Theile derselben und jenem, was sich weiter erstreckt, müssen wir erwägen, ob es auf jenes hinziele, daß es eine leichtere Einsicht in die Idee des Guten bewirke; es zielt aber, wie wir behaupten, all dasjenige dorthin, was die Seele nöthigt, auf jenen Ort sich hinzuwenden, in welchem das Seligste unter dem Seienden sich befindet, was sie eben in jeder Weise erblicken soll. – Du hast Recht, sagte er. – Nicht wahr also, wenn die Geometrie nöthigt, die Wesenheit zu betrachten, so paßt sie, wenn aber, das Werden zu betrachten, so paßt sie nicht. – Ja, so behaupten wir. – Dieß nun wenigstens, sagte ich, werden alle jene, welche auch nur ein wenig der Geometrie kundig sind, nicht bestreiten, daß diese Wissenschaft ganz das Gegenteil desjenigen enthält, was in ihren Begründungen seitens der sie Betreibenden ausgesprochen wird. – Wie so? sagte er. – Sie sprechen ja eigentlich in einer gar lächerlichen und nothgedrungenen Weise; nemlich gerade als wären sie in einem Handeln begriffen und als gälte es eine Handlung, wählen sie ihre sämmtlichen Sprach-Ausdrücke und sprechen von einem Quadriren und einem Verlängern und einem Hinzufügen und all dergleichen in dieser Weise; nun aber wird doch wohl dieser ganze Unterrichtsgegenstand nur um der Erkenntniß willen betrieben. – Ja, durchaus so, sagte er. – Nicht wahr also, auch über Folgendes wollen wir uns noch verständigen? – Worüber? – Nemlich um einer Erkenntniß des immer Seienden willen, nicht aber desjenigen, was irgend einmal entsteht und vergeht, wird er betrieben? – Dieß ist wohl zuzugestehen, sagte er; denn die Geometrie ist eine Erkenntniß des immer Seienden, – Also zieht sie, du Wackerer, die Seele zur Wahrheit und bewirkt eine weisheitsliebende Gesinnung, so daß wir nach Oben richten, was wir jetzt wider Gebühr nach Unten gerichtet haben. – Ja wohl, im höchsten Grade, sagte er. – Also im höchsten Grade, sprach ich, müssen wir auch vorschreiben, daß die Bürger in deinem Musterstaate in keiner Weise sich von der Geometrie fern halten; denn selbst die Nebendinge dieses Gegenstandes sind nicht geringfügig. – Welche meinst du hiemit? sagte er. – Was du so eben selbst angeführt hast, erwiederte ich, nemlich was zum Kriege gehört; und wir wissen ja, daß auch für die übrigen Lerngegenstände bezüglich einer besseren Empfänglichkeit doch wohl im Ganzen und bei jedem einzelnen es einen Unterschied macht, ob Jemand sich mit Geometrie befaßt hat oder nicht. – Ja, bei Gott, allerdings, sagte er. – Wollen wir hiemit dieß als zweiten Unterrichtsgegenstand für die Jünglinge aufstellen? – Ja, wir wollen dieß aufstellen, sagte er. –

10. Wie aber? wollen wir als dritten die Astronomie bezeichnen? oder scheint es dir nicht so? – Ja, mir allerdings, sagte er; denn eine geübtere Wahrnehmung zu haben bezüglich der Jahreszeiten und der Monate und der Jahre, gebührt sich nicht bloß für den Landbau und die Schifffahrt, sondern auch in gleichem Grade für die Feldherrnkunst. – Ei, du bist ja gar liebenswürdig, sagte ich, daß du um der Menge willen den Schein fürchtest, unbrauchbare Unterrichtsgegenstände vorzuschreiben; hingegen jenes ist allerdings nichts Geringfügiges, sondern schwer zu glauben, daß in jedem einzelnen dieser Unterrichtsgegenstände irgend ein Werkzeug der Seele gereinigt und angefacht wird, welches in Folge der übrigen Thätigkeiten zu Grunde geht und erblindet, dessen Bewahrung aber wichtiger ist, als jene von tausend Augen; denn durch jenes allein wird die Wahrheit geschaut. Jenen nun, welche diese Ansicht theilen, wirst du unmöglich richtig zu sprechen scheinen; hingegen diejenigen, welche hievon keinerlei innerliche Erfahrung besitzen, werden wohl der Ansicht sein, daß du überhaupt Nichts hiemit gesagt habest; denn diese sehen auch keinen anderweitigen nennenswerten Nutzen von jenem ein. Erwäge also von hier aus, mit welchen von beiden du sprechest, oder ob vielleicht mit keinen von beiden, sondern du um deiner selbst willen größtenteils die begründenden Reden unternehmest, und dabei auch keinen Anderen beneidest, falls er etwa irgend einen äußeren Nutzen aus jenem zieht. – In letzterer Weise, sagte er, ziehe ich es vor, daß ich nemlich um meiner selbst willen das meiste sage und frage und antworte. – Thue also nun, sprach ich, einen Schritt rückwärts; denn so eben haben wir nicht richtig jenes erfaßt, was in der Reihenfolge nach der Geometrie kommt. – Wie so? sagte er. – Indem wir, erwiederte ich, nach den ebenen Flächen sogleich das Körperhafte als ein räumlich bewegtes erfaßten, noch ehe wir es selbst an und für sich erfaßten; das Richtige hingegen ist, in der Reihenfolge nach der zweiten Dimension die dritte zu erfassen; diese besteht aber doch wohl in der Dimension des Würfels und überhaupt demjenigen, was eine Tiefe hat. – Ja, so ist es, sagte er; aber dieß ja, o Sokrates, scheint noch nicht erfunden zu seinEs hatte nemlich Plato von der Geometrie, unter welcher, wie der Zusammenhang zeigt, nur die Epipedometrie verstanden ist, sogleich auf die Astronomie übergehen wollen, corrigirte sich aber gleichsam selbst, insoferne ja eine Zwischenstufe zwischen der Lehre von den Flächen-Figuren und der Astronomie (d. h. der Wissenschaft von den im Raume bewegten Körpern) eben die Lehre von den Körpern sein müsse, welche wir bekanntlich Stereometrie nennen; und letztere war zur Zeit Plato's allerdings noch in den Kinderschuhen, denn z. B. das sog. Delische Problem, d. h. die Aufgabe, einen Würfel zu construiren, welcher zweimal so groß als ein gegebener ist, galt kurz vor Plato noch als unlösbares Räthsel; ungefähr ein Jahrhundert nach Plato aber steht die Stereometrie in dem bekannten Lehrbuche des Euklides schon in hoher Vollendung vor uns. Uebrigens müßten wir nach unserem jetzigen Standpunkte noch eine weitere Zwischenstufe einschieben; nemlich insoferne wir den Einen Haupttheil der Astronomie als Himmels-Mechanik bezeichnen dürfen, würde nach der Stereometrie die Mechanik vor der Astronomie zu setzen sein; die Mechanik aber erscheint in wissenschaftlicher Form erst bei Archimedes ein halbes Jahrhundert nach Euklides.. – Aus einer doppelten Ursache, sagte ich; nemlich sowohl weil kein Staat Solches in Ehren hält, wird es, indem es auch wirklich schwierig ist, nur schwach untersucht, als auch bedürfen jene, welche es untersuchen, eines Leiters, ohne welchen sie es nicht leicht finden dürften; ein Solcher aber dürfte erstens schwer sich finden, und sodann auch, wenn sich Einer fände, würden, wie es jetzt steht, die mit solchen Untersuchungen sich Beschäftigenden wohl aus Hochmuth ihm nicht gehorchen; hingegen wenn ein ganzer Staat die Leitung übernähme und jenes in Ehren hielte, so würden sowohl diese gehorchen, als auch durch fortwährende und angestrengte Untersuchung das ganze Verhältniß jenes Gegenstandes klar werden, da ja selbst jetzt, während die Meisten ihn mißachten und verstümmeln, die ihn Untersuchenden aber keinen Begriff davon haben, wozu er wahrhaft brauchbar seiNemlich eben zur Förderung des idealen Wissens., er dennoch gegen all diese Hindernisse mit Gewalt in Folge seiner Reize gedeiht, und es demnach nicht zu wundern wäre, wenn er wirklich einmal zu Tage träte. – Ja, allerdings etwas Reizendes, sagte er, hat er in ausnehmendem Grade. Aber gib mir nun deutlicher an, was du so eben sagtest; du hast nemlich doch wohl die Lehre von den Flächen als Geometrie bezeichnet? – Ja, sagte ich. – Hierauf aber hast du zuerst die Astronomie nach ihr gestellt, später aber bist du wieder zurückgegangen. – Ja, in meiner Eile, Alles schnell durchzugehen, sagte ich, bewirke ich nun sogar eher einen Aufenthalt; nemlich die Forschung über die Dimension der Tiefe, welche doch die nächstfolgende war, habe ich, weil sie vermöge der Führung der Untersuchung etwas Lächerliches enthält, übergangen und nach der Geometrie sogleich die Astronomie erwähnt, welche doch schon eine Raumbewegung des jene Dimension besitzenden Körpers betrifft. – Du hast Recht, sagte er. – Als vierten Unterrichtsgegenstand wollen wir also, sprach ich, nun die Astronomie aufstellen, gerade als wäre der jetzt übergangene schon wirklich vorhanden, falls nemlich ein Staat sich an ihn mache. – Ja, so scheint es, sagte er; und ich will nun hiemit, worin du, o Sokrates, mich betreffs der Astronomie tadeltest, daß ich sie in niedriger Weise gelobt, sie jetzt in jener nemlichen Beziehung loben, nach welcher du stets verfährst; es scheint mir nemlich, es sei Jedem klar, daß sie es ja ist, welche die Seele nöthigt, nach Oben zu schauen, und sie von dem Diesigen dorthin leitet. – Ja, vielleicht, sagte ich, ist dieß Jedem klar, nur mir nicht; denn mir scheint es nicht so zu sein. – Aber wie denn anders? sagte er. – So, wie sie jetzt diejenigen betreiben, welche sie auf die Weisheitsliebe zurückführen, scheint sie mir gar sehr zu bewirken, daß man nach Unten blicke. – Wie meinst du dieß? sagte er. – Gar nicht übel scheinst du mir, erwiederte ich, an dem Unterrichte, welcher das oben Seiende betrifft, in dir zu erfassen, was er sei; denn es kömmt darauf hinaus, daß, wenn Jemand bei Betrachtung eines Decken-Gemäldes mit aufwärts gebeugtem Kopfe Etwas kennen lernt, du wirklich meinst, er betrachte es darum vermittelst der Denkthätigkeit, nicht aber vermittelst der Augen; vielleicht aber ist deine Meinung die richtige, und die meinige die einfältige. Ich nemlich kann hinwiederum von keinem anderen Unterrichtsgegenstande glauben, daß er den Blick der Seele nach Oben richte, als von jenem, welcher das Seiende und das Unsichtbare betrifft, mag ihn Jemand mit einem nach Oben aufgesperrten Munde, oder nach Unten gebeugt mit verschlossenen Augen lernen; hingegen wenn Jemand auch mit einem nach Oben aufgesperrten Munde irgend Etwas von dem sinnlich Wahrnehmbaren kennen zu lernen bemüht ist, so werde ich weder sagen, daß er überhaupt eigentlich lerne, denn ein Wissen finde sich in keinem Derartigen, noch auch werde ich sagen, daß seine Seele nach Oben, sondern daß sie nach Unten blicke, selbst wenn er, rücklings auf dem Boden liegend oder im Meere schwimmend, jenes kennen lernen würde. –

11. Ich habe meinen Lohn, sagte er; denn dein Tadel ist richtig. Aber in welcher Weise meintest du denn, daß wir Astronomie lernen sollen, und zwar anders, als wir sie jetzt lernen, woferne wir sie nemlich in einer Weise lernen sollen, daß sie zu dem von uns Gesagten uns nützlich ist. – In folgender Weise, sagte ich: Wir sollen zwar glauben, daß diese Gemälde in dem Himmelsgewölbe, insoferne sie in einem Sichtbaren gemalt sind, am schönsten und genauesten von all Derartigem sich verhalten, aber daß sie von dem Wahrhaften noch weit entfernt seien, nemlich von jenen Raumbewegungen, in welchen die wirkliche Schnelligkeit und die wirkliche Langsamkeit innerhalb der wahrhaften Zahl und aller wahrhaften Formen gegenseitig bewegt wird und auch die dort befindlichen Dinge bewegt; und all dieß sei nur durch den Begriff und das Nachdenken erfaßbar, durch den Gesichtssinn aber nicht; oder glaubst du etwa? – Nein, keineswegs, sagte er. – Nicht wahr also, sprach ich, jenes bunte Gemälde am Himmelsgewölbe müssen wir nur als Probebild zum Behufe des Unterrichtes, welcher auf jenes Andere abzielt, benützen, gerade wie wenn Jemand auf Zeichnungen stieße, welche von Dädalus oder irgend einem anderen Künstler oder Maler gezeichnet oder ausgearbeitet wären; denn es könnte auch da ein der Geometrie Kundiger, wenn er Derartiges sieht, wohl der Ansicht sein, daß sie auf das schönste bezüglich der Herstellung sich verhalten, aber lächerlich wäre es, sie allen Ernstes zu betrachten, als würde man an ihnen die Wahrheit des Gleichen oder des Doppelten oder irgend eines anderen Ebenmaßes erfassen. – Wie sollte dieß auch nicht lächerlich sein? sagte er. – Glaubst du aber nicht, sprach ich, daß es dem wirklich der Astronomie Kundigen ebenso ergehen werde, wenn er auf die Bewegungen der Gestirne hinblickt; daß er nemlich wohl glauben werde, es sei in dem größtmöglichen Grade von Schönheit, in welchem man derartige Werke zusammenstellen könne, auch seitens des Werkmeisters des Himmelsgebäudes dieses selbst und was in ihm ist, zusammengestellt worden; hingegen bezüglich des Ebenmaßes zwischen Nacht und Tag und zwischen diesen und dem Monde, und zwischen Mond und Jahr, und zwischen den übrigen Gestirnen unter sich und mit diesen, glaubst du da nicht, er werde jenen für ungereimt halten, welcher meint, es gehe all dieses immerwährend gleichmäßig vor sich und weiche in keiner Weise hievon irgend ab, während es doch körperhafte und sichtbare Dinge sind, und man müsse auf jede Weise die Wahrheit dieser Dinge als solcher zu erfassen suchen? – Mir wenigstens, sagte er, scheint es, indem ich es jetzt von dir höre, so zu sein, wie du angibst. – Als Aufgaben also, sprach ich, werden wir, sowie die Geometrie, so auch die Astronomie anwenden und auf diese Weise uns an sie machen; hingegen die Erscheinungen am Himmelsgebäude selbst werden wir bei Seite lassen, woferne wir wahrhaft die Astronomie ergreifen und hiedurch die Verstandes-Begabung in unserer Seele aus einer unbrauchbaren zu einer brauchbaren machen wollen. – Wahrlich, eine vielmal größere Thätigkeit, sagte er, schreibst du vor, als jene ist, wie man jetzt Astronomie betreibt. –

12. Ich glaube aber ja, sprach ich, daß wir auch bei dem Uebrigen in der nemlichen Weise es vorschreiben werden, wenn wir als Gesetzgeber irgend Etwas nützen sollen. Aber welchen anderweitigen passenden Unterrichtsgegenstand kannst du nun erwähnen? – Sogleich auf der Stelle, sagte er, kann ich keinen erwähnen. – Aber nicht Eine Form ja, sondern mehrere Formen, erwiederte ich, bietet jene Raumbewegung dar, wie ich glaube; sie nun sämmtlich anzugeben, ist vielleicht jener im Stande, welcher schon ein Weiser ist; zwei aber sind es, welche auch uns deutlich sind. – Welche zwei wohl? – Außer dem so eben Angegebenen, sagte ich, auch noch seine Kehrseite. – Welche ist dieß? – Es kömmt wohl darauf hinaus, sagte ich, daß, sowie zur Astronomie hin unsere Augen festgebannt sind, ebenso zur harmonischen Raumbewegung hin unsere Ohren festgebannt seien, und hiemit dieß zwei mit einander verschwisterte Wissenschaften seien, wie sowohl die Pythagoreer behauptenNatürlich ist hiemit die sog. Harmonie der Sphären gemeint; s. m. Uebers. d. griech. Phil. S. 20. Zu Plato's Ansichten mußte es ja trefflich passen, daß die Pythagoreer gerade die Unhörbarkeit der Sphären-Musik ausdrücklich begründeten., als auch wir, o Glaukon, dieß ihnen zugestehen; oder wie wollen wir sonst es machen? – Ja, eben so, sagte er. – Nicht wahr also, sprach ich, da dieß ein viel umfassender Gegenstand ist, so wollen wir eben von Jenen uns berichten lassen, wie sie sich hierüber und auch sonst noch in anderen Dingen aussprechen, wir selbst aber wollen neben all diesem unseren Standpunkt bewahren. – Welchen? – Daß unsere Zöglinge niemals versuchen, etwas Zweckloses zu lernen, oder was nicht stets dorthin ausläuft, wohin ja Alles zuletzt sich erstrecken soll, wie wir dieß so eben betreffs der Astronomie angaben. Oder weißst du nicht, daß die Leute auch betreffs der Harmonie anderweitiges Derartiges thun; daß sich nemlich auch hier hinwiederum die durch das Gehör wahrgenommenen Akkorde und Klänge gegenseitig messen und hiebei ebenso, wie die Astronomen, sich erfolglos plagen? – Ja, bei Gott, sagte er, wirklich in lächerlicher Weise jaAlso die angestrengteste Genauigkeit, welche zu der sinnlichen Wahrnehmung noch die feinsten Unterschiede zu beachten sich bemüht, erscheint dem Philosophen Plato als etwas »Lächerliches«. sprechen sie von irgend Häufungen der Schwingungen und recken die Ohren hin, wie wenn sie von einem Nachbar einen Laut erlauschen wollten, und dann sagen die Einen, daß sie noch in der Mitte zwischen zwei Tönen einen Schall unterscheiden können, und dieß sei dann das kleinste Intervall und daher als Maßeinheit zu gebrauchen, die Anderen hingegen bestreiten dieß, als seien die Töne bereits einander gleich, Beide aber machen hiebei die Ohren zu Vorstehern des Denkens. – Du sprichst hiebei, sagte ich, von jenen Wackeren, welche mit den Saiten gar schlimm verfahren und sie an den Wirbeln der Lyra auf die Folter spannen; um aber dieses Gleichniß nicht länger auszudehnen und nicht von Schlägen, welche die Saiten beim Anschlagen bekommen, und von Anklagepunkten gegen sie und von einem Leugnen seitens derselben und von prahlerischen Reden der Saiten zu sprechen, so setze ich dieses Gleichniß nicht weiter fort und sage hiemit, daß ich überhaupt nicht von diesen Leuten spreche, sondern von jenen, welche wir, wie wir so eben sagten, betreffs der Harmonie befragen wollen; sie thun nemlich eben dasselbe, wie jene Anderen in der Astronomie, denn sie suchen die Zahlen in diesen durch das Gehör wahrgenommenen Akkorden, schreiten aber dabei nicht höher zu Aufgaben hinaus, so daß sie erwägen würden, welche Zahlen zusammenstimmende seien und welche nicht und warum die beiden es seien. – Einen göttlichen Gegenstand, ja, sagte er, gibst du hiemit an. – Ja, einen Gegenstand, erwiederte ich, welcher brauchbar ist zur Untersuchung des Schönen und Guten, in anderer Weise betrieben aber unbrauchbar ist. – Ja, so scheint es, sagte er. –

Ich glaube aber ja, sagte ich, daß, wenn die Beschäftigung mit all diesem, was wir durchgegangen haben, zur wechselseitigen Gemeinschaftlichkeit und Verwandtschaft gelangt und dieses in jener Beziehung, in welcher es zu einander gehört, vereinigt wird, dann die ganze Thätigkeit wohl zu jenem führe, was wir beabsichtigen, und keine nutzlose Mühe aufgewendet werde, wenn aber nicht, eine nutzlose. – Auch ich, sagte er, ahne Solches; aber du bezeichnest hiemit, o Sokrates, einen außerordentlich viel umfassenden Gegenstand. – Meinest du hiemit jenen der bloßen Vorhalle, erwiederte ich; oder wissen wir nicht, daß all dieses nur die Vorhalle jenes eigentlichen Gesetzes ist, welches gelernt werden soll? denn es scheinen dir doch wohl jene, welche in den bisher angegebenen Gegenständen gewandt sind, nicht schon auch DialektikerIch möchte jeden Versuch, die Worte »Dialektiker« und »Dialektik« übersetzen zu wollen, für gezwungen und unpassend halten; welches im Ganzen die Bedeutung der Dialektik bei Plato sei, s. m. Uebers. d. gr. Phil. S. 79 ff. zu sein? – Nein, bei Gott nicht, sagte er, außer höchstens einige sehr Wenige von Allen, welche ich getroffen habe. – Aber scheint es dir etwa, sprach ich, daß Solche, welche nicht fähig sind, eine Begründung zu geben oder entgegenzunehmen, jemals bereits ein Wissen von demjenigen haben, was wir als nothwendig zu wissen bezeichnen? – Nein, sagte er, auch dieß hinwiederum nicht. – Nicht wahr also, o Glaukon, sprach ich, dieß erst ist jenes Gesetz, welches durch die Uebung der Dialektik zu Ende geführt wird, welches als ein Denkbares auch durch jene Fähigkeit des Gesichtssinnes nachgeahmt werden konnte, von der wir sagten Cap. 2., daß sie sich bemühe, bereits auf die Thiere selbst hinzublicken und auf die Sterne selbst und zuletzt dann auf die Sonne selbst; ebenso wird auch Jemand, wenn er in der Dialektik sich bemüht, und hiebei ohne alle Sinneswahrnehmung vermittelst des Begriffes auf jenes hinstrebt, was jedes Ding an und für sich ist, und nicht abläßt, bis er das Gute als ein an und für [sich] Seiendes vermöge der Denkthätigkeit erfaßt hat, dann gewiß bei dem Ziele des Denkbaren selbst angekommen sein, sowie jener Andere an dem Ziele des Sichtbaren. – Ja, völlig so, sagte er. – Wie aber nun? nennst du diese Wanderung nicht Dialektik? – Warum nicht? –


 << zurück weiter >>