Platon
Plato's Staat
Platon

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7. Nun aber ist es ja von der Tapferkeit, sowohl was sie selbst, als auch was den Theil des Staates betrifft, in welchem sie beruht und von welchem aus der Staat selbst als ein derartiger zu bezeichnen ist, durchaus nicht schwer einzusehen. – Wie so denn? – Wer möchte wohl im Hinblicke auf etwas Anderes einen Staat entweder einen feigen oder einen tapferen nennen, als im Hinblicke auf jenen Theil, welcher für ihn kämpft und in's Feld zieht? – Wohl Niemand, sagte er, im Hinblicke auf etwas Anderes. – Nicht nemlich, sagte ich, liegt es, wie ich glaube, in der Macht der übrigen in ihm Befindlichen, daß, wenn sie selbst feig oder tapfer sind, darum auch schon der Staat so oder so beschaffen wäre. – Nein, allerdings nicht. – Also auch tapfer ist ein Staat vermöge eines seiner Theile, weil er nemlich in ihm die derartige Kraft besitzt, welche in jeder Beziehung die richtige Meinung betreffs des Furchtbaren bewahren wird, daß dieses eben dasjenige und das Derartige sei, was schon der Gesetzgeber in der Erziehung als solches bezeichnet hat; oder nennst du das eben Gesagte nicht Tapferkeit? – Nicht völlig habe ich verstanden, sagte er, was du angabst, sondern gib es noch einmal an. – Als eine Bewahrung, sprach ich, bezeichne ich hiemit irgend die Tapferkeit. – Als welche Bewahrung denn? – Als die jener Meinung, welche durch das Gesetz in Folge der Erziehung betreffs des Furchtbaren entstanden ist, was und welcherlei das Furchtbare sei; in jeder Beziehung aber eine Bewahrung nannte ich sie darum, weil man sie, mag man in Trauer oder in Vergnügungen oder in Begierden oder in Furcht sich befinden, bewahrt und nicht verliert. Womit dieß aber mir Aehnlichkeit zu haben scheint, will ich, wenn du wünschest, durch ein Gleichniß ausdrücken. – Ja. ich wünsche es auch. – Nicht wahr also, sprach ich, du weißt, daß die Färber, wenn sie Wolle so färben wollen, daß sie purpurn wird, zuerst aus einer so großen Menge von Färbungen der Wolle die Eine natürliche Begabung, nemlich die der weißen Wolle, auswählen und dann mit nicht geringer Zurichtung sie so zurichten und sorgfältig behandeln, daß sie so sehr als möglich den Farbstoff in sich aufnehme, und so denn erst wirklich sie färben; und was auf diese Weise gefärbt ist, wird farbehaltig, und kein Auswaschen mit oder ohne Seife vermag aus ihm den Farbstoff wegzunehmen; was aber nicht so gefärbt ist, von dem weißst du ja, wie es wird, mag man es mit dieser oder mit irgend einer anderen Farbe ohne vorhergehende Zurichtung färben. – Ja, ich weiß, sagte er, daß Solches im Waschen ausgeht und überhaupt sich lächerlich ausnimmt. – Etwas Derartiges demnach, sprach ich, nimm nun an, daß auch wir nach Kräften bewerkstelligen, wenn wir die Krieger auswählen und in musischer und gymnischer Bildung erziehen; stelle dir nemlich vor, daß wir hiemit nichts Anderes veranstalten, als daß sie uns so trefflich als möglich durch Ueberzeugung die Gesetze in sich aufnehmen wie eine Farbe, damit ihre Meinung farbehaltig werde, sowohl betreffs des Furchtbaren, als auch betreffs des Uebrigen, weil sie eine taugliche Begabung und Pflege erhalten haben, und daß ihr Färbestoff von jener zum Wegspülen so wirksamen Seife nie ausgewaschen werden könne, nemlich von dem Vergnügen, welches ja hierin wirksamer als alle Lauge und Asche ist, und von Trauer und von Furcht und von Begierde, welche wirksamer sind als alle Seife. Die derartige Kraft und Bewahrung also der richtigen und gesetzlichen Meinung in jeder Beziehung betreffs des Furchtbaren und nicht Furchtbaren nenne ich Tapferkeit und stelle dieß als ihren Begriff auf, woferne nicht du etwas Anderes aussprichst. – Aber ich spreche ja, sagte er, nichts Anderes aus; denn du scheinst mir jene richtige Meinung, welche betreffs eben dieser Dinge ohne Bildung entstanden ist, nemlich die bei Thieren und Sklaven sich findende, nicht gerade für eine sehr gesetzliche zu halten und daher als etwas Anderes, nicht aber als Tapferkeit zu bezeichnen. – Völlig wahr, sagte ich, sprichst du da. – Ich lasse es demnach gelten, daß dieß Tapferkeit sei. – Ja, allerdings, sagte ich, laß es dir wenigstens als die staatliche Tapferkeit gefallen, und du wirst hiemit in richtiger Weise dieß thun; später aber einmal werden wir, wenn du wünschest, diesen Punkt noch einmal besser besprechen B. V, Cap. 14–16.; nemlich für jetzt suchen wir ja nicht diesen selbst, sondern die Gerechtigkeit; bezüglich also jener Untersuchung reicht das Bisherige, wie ich glaube, hin. – Aber du hast hierin, sagte er, auch Recht. –

8. Zwei Dinge hiemit, sagte ich, sind noch übrig, welche wir in dem Staate erblicken müssen, die Besonnenheit und dasjenige, um dessen willen wir ja Alles suchen, die Gerechtigkeit. – Ja wohl, allerdings. – In welcher Weise also möchten wir wohl die Gerechtigkeit finden, um nemlich mit der Besonnenheit nicht mehr weiter uns aufzuhalten? – Ich nun wohl, sagte er, weiß dieß weder, noch auch wünschte ich, daß es eher sich uns zeige, außer wenn wir vorher auch noch die Besonnenheit erwogen haben, sondern wenn du mir zu Gefallen sein willst, so erwäge vor jenem noch diese letztere. – Wohlan also, sagte ich, so will ich es denn thun, woferne es nicht Unrecht von mir istDer Grund davon, daß Sokrates eigentlich von der Erörterung der Tapferkeit gleich auf jene der Gerechtigkeit mit Auslassung der Besonnenheit übergehen will, liegt doch wohl darin, daß die letztere theils keiner speciellen Klasse der Staatsbürger anheimfällt, theils doch nur auf das niedere Gebiet der Begehungen und Leidenschaften sich bezieht.. – So erwäge dieß denn nun, sagte er. – Ja, erwägen müssen wir es, sprach ich; und zwar, so viel ich von hier aus sehen kann, gleicht sie weit mehr als die vorigen einem Einklange und einer Harmonie. – Wie so? – Eine Ordnung doch wohl, sagte ich, ist die Besonnenheit und eine Beherrschung irgend der Vergnügungen und Begierden, wie man sagt; als die Eigenschaft demnach, stärker zu sein, als man selbst ist, bezeichnet man sie zuweilen, ich weiß nicht, auf welche Weise, und auch andere derartige Ausrücke werden gleichsam als Spuren dessen, was sie ist, vorgebracht; oder etwa nicht? – Ja wohl, zumeist jenes, sagte er. – Nicht wahr also, der Ausdruck »stärker, als man selbst ist«, ist lächerlich; denn wer stärker ist, als er selbst ist, ist doch wohl zugleich auch schwächer, als er selbst ist, und umgekehrt, wer schwächer ist, ist auch stärker; denn Ein und der Nämliche ja ist es, von welchem bei all diesem die Rede ist. – Wie sollte es auch anders sein? – Aber, sagte ich, es will, wie sich mir zeigt, jene Redeweise das ausdrücken, daß in dem Menschen selbst bezüglich seiner Seele das Eine als ein Besseres, das andere als ein Geringeres sich findet, und wann nun das von Natur aus Bessere eine Herrschaft über das Geringere ausübt, so nenne man dieß das »stärker, als man selbst ist«, und lobe es, wann hingegen in Folge schlechter Pflege oder irgend eines Verkehres durch die Menge des Geringeren das wenigere bessere bewältigt wurde, dann tadle man dieß als eine Schande und nenne es das »schwächer, als man selbst ist«, und den derartig sich verhaltenden Menschen einen Zügellosen. – Ja, so scheint es auch, sagte er. – Blicke demnach, sprach ich, auf unsern jungen Staat hin, und du wirst finden, daß in demselben das eine von diesen beiden statthabe; du wirst nemlich sagen, daß er mit Recht ein stärkerer, als er selbst ist, genannt werde, woferne dasjenige, dessen tüchtigerer Theil über den geringeren herrscht, ein besonnenes und ein solches genannt werden muß, welches stärker ist, als es selbst ist. – Ja, ich blicke hin, sagte er, und finde, daß du Recht hast. – Und nun möchte man ja jene vielen und mannigfaltigen Begierden und Vergnügungen und Betrübnisse wohl zumeist bei fast Allen finden, und bei Weibern und Sklaven und unter den sogenannten Freien bei der großen Menge und bei den Verwerflichen. – Ja, allerdings wohl. – Jene einsamen aber und mäßigen, welche mit Einsicht und richtiger Meinung verbunden sind und durch eine vernünftige Erwägung geleitet werden, möchte man wohl nur bei Wenigen antreffen, und zwar bei denjenigen, welche am besten begabt und am besten gebildet sind. – Dieß ist wahr, sagte er. – Nicht wahr also, du siehst, daß auch dieß dir in deinem Staate sich vorfindet, und daß dortselbst die Begierden der Mehreren und Verwerflichen durch die Begierden und die Klugheit der Wenigeren und Tüchtigeren bewältigt werden. – Ja gewiß, sagte er. –

9. Woferne man also von einem Staate überbauet die Bezeichnung gebrauchen soll, daß er stärker sei, als die Vergnügungen und Begierden sind, und stärker, als er selbst ist, so muß man dieß auch von diesem Staate sagen. – Ja, durchaus wohl, sagte er. – Müssen wir ihn also nicht auch einen besonnenen aus all diesen Gründen nennen? – Ja, in hohem Grade, sagte er. – Und nun wird auch hinwiederum, wenn in irgend einem anderen Staate den Herrschenden und Beherrschtwerdenden diese Meinung betreffs der Frage, wer der Herrschende sein solle, einwohnt, gewiß auch in diesem das Nemliche stattfinden; oder scheint es dir nicht? – Ja, in sehr hohem Grade, sagte er. – In welcher von beiden Arten von Bürgern wirst du nun sagen, daß das Besonnensein beruhe, in den Herrschenden oder in den Beherrschtwerdenden? – In beiden doch wohl, sagte er. – Siehst du also, sagte ich, daß wir es vorhin so ziemlich richtig ahnten, daß die Besonnenheit einer Harmonie ähnlich sei? – Wie so? – Weil nicht in der Weise, wie die Tapferkeit und die Weisheit je in einem bestimmten Theile des Staates befindlich ihn zu einem weisen und tapfern uns machte, etwa ebenso auch die Besonnenheit wirkt, sondern diese durch den ganzen Staat ausgespannt ist und so ziemlich wie in einer Ton-Octave ein Zusammenstimmen bewirkt zwischen den Schwächsten und den Mächtigsten und den Mittleren, magst du hiebei an Klugheit oder an Macht oder an Menge und Vermögen oder irgend etwas Anderes dergleichen denken; so daß wir wohl am richtigsten diese Eintracht als Besonnenheit bezeichnen mochten, insoferne sie ein Zusammenstimmen des von Natur aus Geringeren und Tüchtigeren darüber ist, welches von diesen beiden im Staate und in jedem einzelnen Menschen das Herrschende sein solle. – Ja, völlig ebenso, sagte er, scheint es auch mir. –

Weiter, sagte ich; diese drei Dinge also haben wir hiemit in dem Staate erblickt, wenigstens insoweit sie uns so zu sein schienen; aber wie nun mag es wohl mit jener vierten Art stehen, vermöge deren der Staat noch an Vortrefflichkeit Theil hat? daß nemlich diese vierte die Gerechtigkeit sei, ist uns schon klar. – Ja, klar ist dieß. – Nicht wahr also, o Glaukon, jetzt wohl müssen wir gleichsam wie Jäger ein Gebüsch rings im Kreise umstellen, wohl darauf achtend, daß uns nicht irgendwo die Gerechtigkeit entwische und, unseren Blicken sich entziehend, unsichtbar werde; denn offenbar muß sie da irgendwo stecken; sieh also zu und gib dir Mühe, sie zu erblicken, ob du sie vielleicht eher siehst, als ich, und mir es dann sagest. – Ja, ich wollte wohl, sagte er; aber weit eher wirst du mich dazu brauchen können, daß ich hinter dir darein gehe und allenfalls erblicken kann, was du mir zeigst, und du wirst so ganz richtig mich gebrauchen. – So geh denn hinter mir, sprach ich, und verrichte mit mir ein Gebet. – Ich werde dieß thun, sagte er, aber geh nur du voran. – Ja, und in der That, sprach ich, schwer zugänglich und stark umschattet scheint der Ort zu sein; er ist wenigstens gar dunkel und schwer zu durchspähen: dennoch aber müssen wir vorwärts dringen. – Ja wohl, vorwärts dringen, sagte er. – Und ich erblickte etwas und rief: Hier! Hier! o Glaukon; es kommt darauf hinaus, daß wir bereits eine Spur haben, und es scheint mir, sie solle uns nicht leicht entwischen. – Eine treffliche Botschaft, sagte er. – Ei, wahrlich, sprach ich, welch eine Tölpelei ist uns doch widerfahren! – Welche denn? – Schon längst, ja, o du Hochzupreisender, hat offenbar von Anfang an das Ding zu unseren Füßen sich herumgewälzt, und wir sahen es nicht, sondern waren wirklich höchst lächerliche Menschen, wie diejenigen, welche bisweilen suchen, was sie schon in Händen haben; und so haben auch wir nicht auf jenes hingeblickt, sondern weit in die Ferne hinaus irgendwohin gespäht, daher denn auch es wohl kam, daß jenes uns entging. – Wie meinst du dieß? sagte er. – So meine ich es, sprach ich, daß es mir vorkommt, als wenn wir, obwohl wir es schon längst gesagt und gehört haben, doch aus unseren eigenen Worten es nicht verstünden, daß wir es in gewisser Weise ja schon gesagt haben. – Lang, sagte er, ist dieses Vorspiel für denjenigen, der die Sache zu hören wünscht. –

10. Aber höre nun, sprach ich, ob ich auch das Richtige sage; nemlich jenes, wovon wir gleich zu Anfang B. II, Cap. 11., als wir unseren Staat gründeten, aufstellten, daß man es in jeder Beziehung thun müsse, ist entweder selbst, wie mir scheint, oder wenigstens irgend eine Art desselben die Gerechtigkeit. Aufgestellt aber haben wir ja damals und dann öfters noch es ausgesprochen, wenn du dich erinnerst, daß ein jeder Einzelne irgend Eines von demjenigen, was zum Staate gehört, betreiben solle, wozu nemlich seine Begabung von Natur aus am tauglichsten sei. – Ja. so sagten wir. – Und nun haben wir ja auch den Anspruch, daß Gerechtigkeit darin bestehe, das Seinige zu thun und nicht Vielgeschäftigkeit zu treiben, schon sowohl von vielen Anderen gehört, als auch selbst dieß häufig gesagt. – Ja wohl, wir sagten dieß. – Es kömmt demnach darauf hinaus, mein Freund, daß in gewisser Weise dieß, wenn es wirklich geschieht, nemlich wenn Jedes das Seinige thut, die Gerechtigkeit sei. – Und weißst du, woraus ich dieß abnehme?.– Nein, sondern sprich es aus, sagte er. – Es scheint mir, sprach ich, dasjenige, was im Staate außer dem bisher schon Betrachteten, nemlich außer der Besonnenheit und der Tapferkeit und der Klugheit, noch übrig bleibt, eben jenes zu sein, welches allen diesen die Fähigkeit verleiht, daß sie entstehen, und wenn sie entstanden sind, ihnen das Bewahrtbleiben verleiht, so lange sie vorhanden sind; und wir sagten ja doch Oben Cap. 6. Vgl. aber auch obige Anm. 155., daß Gerechtigkeit das übrig bleibende sein werde, sobald wir die anderen drei gefunden hatten. – Ja, nothwendig muß es auch so sein, sagte er. – Aber in der That, sprach ich, wenn wir ein Urtheil fällen müßten, welches von all diesen durch sein Eintreten am meisten den Staat zu einem trefflichen mache, so möchte es schwer zu beurtheilen sein, ob dieß jene Eintracht zwischen den Herrschenden und den Beherrschtwerdenden, oder ob es jene Bewahrung der gesetzlichen Meinung über das irgend Furchtbare und nicht Furchtbare sei, welche bei den Kriegern sich einstellt, oder ob es jene Klugheit und Bewachung sei, welche in den Herrschern sich findet, oder ob eben dieß den Staat zumeist zu einem trefflichen mache, wenn es in Kindern und in Frauen und in Sklaven und in Freien und in Handwerkern und in Herrschenden und in Beherrschtwerdenden sich findet, daß nemlich ein jeder Einzelner als Einer das Seinige thut und nicht Vielgeschäftigkeit treibt. – Ja, schwer zu beurtheilen ist dieß, sagte er; und warum auch nicht? – In einem Wettstreite also, wie es scheint, mit der Weisheit und mit der Besonnenheit und mit der Tapferkeit befindet sich bezüglich der Trefflichkeit eines Staates die Fähigkeit, daß jeder Einzelne in ihm das Seinige thue. – Ja, und zwar in hohem Grade, sagte er. – Nicht wahr also, du würdest hiemit Gerechtigkeit als dasjenige bezeichnen, was eben mit jenen bezüglich der Trefflichkeit eines Staates im Wettstreite ist? – Ja, durchaus wohl. – Erjage es demnach auch folgendermaßen, ob es dir so zu sein scheine: Wirst du den Herrschern im Staate auftragen, daß sie die Rechtshändel richterlich entscheiden? – Wem denn sonst? – Werden sie wohl nach irgend etwas Anderem bei ihrer richterlichen Entscheidung streben, als darnach, daß jeder Einzelne weder das Fremde habe, noch des Seinigen beraubt werde? – Nein, sondern eben darnach. – Und zwar als nach einem Gerechten? – Ja. – Also auch nach dieser Beziehung möchte wohl zugestanden werden, daß das Behüten und das Verüben des je Eigenthümlichen Gerechtigkeit sei. – Ja, so ist es. – So sieh denn nun zu, ob es dir auch so scheine wie mir: Wenn ein Baumeister die Arbeit eines Lederarbeiters oder ein Lederarbeiter die eines Baumeisters zu verfertigen versuchte, oder sie wechselseitig an ihren Werkzeugen oder ihrer Standes-Geltung Antheil nehmen würden, oder auch Ein und der Nemliche beides zu verüben versuchen würde und dabei alles Uebrige wechselseitig vertauscht wäre, schiene er dir ja einen großen Schaden dem Staate zuzufügen? – Hiedurch wohl noch keinen gar großen, sagte er. – Aber ja, glaube ich, wenn Einer, welcher von Geburt aus ein Handwerker oder irgend ein anderer Gelderwerber ist, hernach durch Reichthum oder durch die Zahl seiner Leute oder durch Kraft oder sonst etwas Derartiges sich selbst überheben und in die Klasse der Krieger einzutreten versuchen würde, oder einer der Krieger in die der Berathenden und Wächter, ohne solches zu verdienen, und wenn da diese wechselseitig an ihren Werkzeugen oder ihrer Standes-Geltung Antheil nehmen würden, oder wenn Ein und der Nemliche all dieß zu verüben versuchen würde, dann glaube, daß wohl auch dir dieser wechselseitige Uebergang und diese Vielgeschäftigkeit dieser für den Staat ein Verderben zu sein scheinen wird. – Ja, durchaus wohl. – Also die Vielgeschäftigkeit der drei Gattungen, welche es gibt, und ihr wechselseitiger Uebergang in einander ist sowohl der größte Schaden für den Staat, als auch möchte dieß wohl am richtigsten im höchsten Grade ein Verüben des Bösen genannt werden. – Ja wohl, gar sehr. – Das größte Verüben des Bösen aber gegen seinen eigenen Staat, wirst du dieß nicht als Ungerechtigkeit bezeichnen? – Wie sollte ich anders? – Dieß also ist die Ungerechtigkeit.

11. Hinwiederum aber wollen wir es folgendermaßen ausdrücken: Die eigenthümliche Tätigkeit der gelderwerbenden und der helfenden und der wachenden Klasse, wenn nemlich jede derselben im Staate das Ihrige thut, möchte wohl als das Gegentheil von jenem die Gerechtigkeit sein und den Staat zu einem gerechten machen? – Nicht anders, sagte er, scheint es mir sich zu verhalten, als eben so. – Wir wollen jedoch, sprach ich, hierüber noch nichts völlig Festes sagen, sondern erst, wenn diese Form, auch auf jeden einzelnen Menschen angewendet, dort gleichfalls in Uebereinstimmung hiemit als Gerechtigkeit sich zeigt, wollen wir es völlig zugestehen; denn was könnten wir dann auch Anderes sagen? wenn aber nicht, dann wohl werden wir etwas Anderes erwägen. Nun aber wollen wir eben jene obige Erwägung B. II, Cap. 10. zu ihrem Ende führen, bei welcher wir der Ansicht waren, daß, wenn wir zuerst in irgend einem größeren die Gerechtigkeit enthaltenden Dinge versuchen würden, sie zu betrachten, wir sie dann leichter auch im einzelnen Menschen erblicken könnten, welcherlei nemlich sie sei; und es schien uns dieß ja damals der Staat zu sein, und so gründeten wir diesen als einen bestmöglichsten, da wir wohl wußten, daß nur in dem guten das Gerechte sein könne. Also was uns dort im Staate sich zeigte, wollen wir jetzt auf den Einzelnen zurückbeziehen, und wenn es da in Uebereinstimmung bleibt, wird es gut gehen; falls aber in dem Einzelnen etwas Anderes sich zeigen sollte, müssen wir wieder zum Staate zurück hinausgehen und dort es erproben; und vielleicht möchten wir, wenn wir wechselseitig es erwägen und gegenseitig aneinander reiben, bewirken, daß wie aus zwei geriebenen Feuerholzen die Gerechtigkeit aufflamme, und wir sie dann als eine uns sichtbar gewordene auch bei uns selbst befestigen. – Du bezeichnest aber hiemit auch völlig den richtigen Weg, und wir müssen es so machen. –

Ist also nun, sprach ich, dasjenige, was man in seiner kleineren und auch in seiner größeren Gestalt als Ein und das Nemliche bezeichnet, eben in jener Beziehung, in welcher man es das Nemliche nennt, ein Unähnliches oder ein Aehnliches? – Ein Aehnliches, sagte er. – Also wird auch ein gerechter Mann von einem gerechten Staate eben bezüglich der Form der Gerechtigkeit sich nicht unterscheiden, sondern ihm ähnlich sein? – Ja, ähnlich, sagte er. – Ein Staat aber schien uns ja darum gerecht zu sein, weil von den drei in ihm befindlichen Gattungen verschiedener Begabungen jede einzelne das Ihrige that; besonnen aber hinwiederum und tapfer und weise war er uns vermöge jener nemlichen Gattungen in irgend anderweitigen Zuständen und Verhältnissen. – Dieß ist wahr, sagte er. – Also auch von dem einzelnen Manne, mein Freund, werden wir ebenso verlangen, daß er jene nemlichen Formen in seiner eigenen Seele habe und vermöge jener nemlichen Zustände auf jene nemlichen Bezeichnungen, wie der Staat, Anspruch mache. – Ja, durchaus nothwendig ist dieß, sagte er. – In eine gar schlichte Erwägung ja, du Bewunderungswürdiger, sprach ich, sind wir hiemit wieder hineingerathen betreffs der Seele, ob diese wirklich jene drei Formen in sich trage oder nicht. – Nun, in eine so gar schlichte, sagte er, glaube ich, doch wohl nicht; denn vielleicht, o Sokrates, ist das Sprüchwort richtig »Schwer ist das Schöne«. – Ja, so zeigt sich's, sprach ich; und wisse wohl, o Glaukon, daß, wie wenigstens meine Ansicht ist, wir in völlig genauer Weise diesen Punkt aus derartigen Erörterungen, wie wir sie jetzt bei unseren Begründungen anwenden, gar niemals erfassen werden; sondern ein längerer und weiterer Weg ist es, welcher hiezu führtNemlich die eigentlich höhere Betrachtung der Theile der Seele und ihrer Funktionen, welche der Erkenntnistheorie angehört, erfordert eine längere und tiefere Erörterung, als sie hier ihre Stelle finden kann; und indem daher hier nur in Kürze die Umrisse jener Theile der Seele entworfen werden, welche mehr der äußeren Praxis des Lebens und des Staates angehören, bleibt die Erörterung des Intelligiblen auf einen späteren Abschnitt vorbehalten; es folgt nemlich dieselbe unten B. VI, Cap. 16 f.; vielleicht jedoch können wir es wenigstens auf eine des bisher Gesagten und bisher Erwogenen würdige Weise. – Müssen wir uns also nicht schon damit begnügen? sagte er; denn für mich wenigstens möchte es für den jetzigen Augenblick wohl so hinreichend sein. – Aber wirklich, sagte ich, auch mir wird es völlig genügen. – Ermüde demnach nicht, sagte er, sondern beginn es zu erwäge. – Besteht also wohl für uns, sprach ich, eine bedeutende Nothwendigkeit, es zuzugestehen, daß ja in jedem Einzelnen von uns jene nemlichen Formen und Charaktere sich finden, wie in dem Staate? denn doch wohl nirgend anders woher sind sie dorthin gekommen; nemlich lächerlich ja wäre es, wenn Jemand glauben würde, das Muthige habe sich in den Staaten nicht durch diejenigen Einzelnerer eingestellt, welche ja auch als die Veranlasser derartiger Erscheinungen bezeichnet werden, wie dieß von den Thrakern und Skythen und so ziemlich überhaupt den Bewohnern der nördlichen Gegenden gilt, oder auch das Lernbegierige, wovon man doch zumeist die Bewohner unserer Gegenden als die Veranlasser bezeichnen dürfte, oder das Geldbegierige, von welchem man behaupten möchte, daß es in hohem Grade in Phönikien und Ägypten sich findeHiemit dreht sich der Kernpunkt der ganzen Beweisführung Plato's schlechthin im Kreise herum; es sind nemlich bisher die hauptsächlichen psychischen Tätigkeiten nur nach Anschauungen und mit Worten bezeichnet worden, welche ausschließlich dem Staatsleben entnommen waren, und nun wird kurzweg behauptet, die staatlichen Standes-Unterschiede und ihre Funktionen seien eben bloß aus den psychischen Thätigkeiten entstanden. Wahrlich nicht widersinniger, als diese Identificirung des Einzel-Individuums mit dem Staate, wäre es, wenn Jemand theoretisch über die Komposition einer musikalischen Symphonie spräche und die Behauptung aufstellte, daß das Allegro und das Adagio und das Scherzo und das Finale schon in jeder einzelnen Note als einzelner stecken müsse, wobei er ja auch mit einer doctrinären Attitüde vor uns hintreten und die Frage hinschleudern könnte: »woher anders ist denn das Allegro und das Adagio u. s. f. in die Symphonie gekommen, als eben aus den einzelnen Noten?« Daß ferner National-Charaktere mit der psychischen Begabung zusammenhängen, versteht sich wohl von selbst; aber was haben dieselben denn mit den Grundbegriffen des Staatsrechtes zu schaffen? – Uebrigens sieht man, daß innerhalb der hier genannten Nationalitäten die hellenische, und speziell die athenische, sicher nicht karg behandelt ist; es muß uns dieß an einen anderen Ausspruch Plato's, welchen wir im »Gastmahle« (s. dort m. Anm. 21) trafen, erinnern, daß nemlich nur in Athen allein die wahre Päderastie gedeihen könne. Eine derartige Selbstbespieglung der Griechen gegen den übrigen Nationen ist sogar in die medicinisch-physiologische Wissenschaft eingedrungen, denn Hippokrates construirt in nicht unähnlicher Weise solche Völker-Unterschiede aus den Mischungen der »Säfte«.. – Ja wohl, sicher, sagte er. – Dieß denn nun verhält sich so, sagte ich, und nicht schwierig ist es, dieß zu erkennen. – Nein, gewiß nicht. –

12. folgendes aber ist bereits etwas Schwieriges, ob wir vermittelst Ein und des Nämlichen jedes Einzelne von diesen verüben, oder ob, da jenes drei sind, vermittelst eines jeden ein Anderes, so daß wir nemlich vermittelst des Einen lernen, vermittelst des Anderen in uns aber muthig sind, und hinwiederum vermittelst eines dritten begehrlich sind in den die Nahrung und Zeugung betreffenden Vergnügungen und Allem, was hiemit verschwistert ist, oder ob wir vermittelst der gesammten Seele in jedem von diesen thätig sind, wann wir einmal in Bewegung gekommen sind. Dieß wird es sein, was schwierig in einer der Begründung würdigen Weise festzustellen sein dürfte. – Ja, auch mir scheint es so, sagte er. – Folgendermaßen demnach wollen wir versuchen, festzustellen, ob es das Nemliche oder gegenseitig verschieden sei. – In welcher Weise? – Klar ist, daß das Nemliche niemals in der nemlichen Beziehung und gegen das Nemliche zugleich das Entgegengesetzte wird thun oder leiden wollen, so daß, falls wir etwa finden sollten, daß Solches bei jenen stattfinde, wir gewiß wissen werden, daß sie nicht das Nemliche, sondern eben ein Mehreres seien. – Weiter. – Erwäge demnach, was ich sage. – Sage es nur. – Daß also, sprach ich, das Nemliche in der nemlichen Beziehung zugleich völlig ruhig stehe und bewegt werde, ist dieß wohl möglich? – In keiner Weise. – Noch genauer jedoch wollen wir uns hierüber verständigen, damit es uns nicht im weitern Verlaufe streitig werde; wenn nemlich Jemand von einem Menschen, welcher ruhig steht, aber die Hände und den Kopf bewegt, sagen würde, daß dann der Nemliche zugleich ruhig stehe und in Bewegung sei, so würden wir, glaube ich, wohl fordern, daß man nicht so sich ausdrücken solle, sondern derartig, daß das Eine an ihm stehe, das Andere aber in Bewegung sei; oder nicht so? – Ja wohl, so. – Nicht wahr also, auch wenn der Urheber jener Behauptung noch köstlicher in der feineren Wendung es ausdrücken würde, daß ja der Kreisel als ganzer zugleich ruhig stehe und in Bewegung sei, wenn er an der nemlichen Stelle mit seiner Spitze feststehend sich dreht, oder auch daß irgend ein anderes Ding, welches an der nemlichen Stelle im Kreise herumgeht, dieß thue, so würden wir auch dieß uns nicht gefallen lassen, weil ja dann nicht in ihrer nemlichen Beziehung diese Dinge ruhig verharren und zugleich sich drehen; sondern wir würden sagen, daß sie in sich selbst sowohl ein Geradliniges, als auch ein Kreisliniges enthalten, und daß sie bezüglich des Geradlinigen ruhig stehen, denn mit diesem schwanken sie nach keiner Seite hin, hingegen bezüglich des Kreislinigen sich im Kreise herum bewegen; wann sie aber mit ihrer geraden Richtung zugleich auch, während sie sich drehen, nach Rechts oder Links oder nach Vornen oder Hinten hin schwanken, dann können sie in keiner Beziehung ruhig stehen. – Ja, so ist es richtig, sagte er, – Nichts Derartiges also wird, wenn man es vorbringt, uns erschrecken oder irgend in höherem Grade uns davon überzeugen, daß das Nemliche in der nemlichen Beziehung gegen das Nemliche etwa zugleich das Entgegengesetzte thun oder sein oder leiden könne. – Nein, mich wenigstens, sagte er, wird es nicht überzeugen, – Doch aber, sprach ich, um nicht genöthigt zu sein, alle derartigen Einwände durchzugehen und in ihrer Unwahrheit sicher nachzuweisen und hiedurch die Sache zu lange hinauszudehnen, wollen wir als Voraussetzung zu Grunde legen, daß es sich so verhalte, und hiemit weiter fortschreiten, mit der Uebereinkunft, daß, falls dieß sich etwa anders, als so, zeigen sollte, alles von diesem Punkte aus uns sich Ergebende sofort ungültig sein solle. – Wir müssen aber hiemit, sagte er, es auch so machen. –


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