Platon
Plato's Staat
Platon

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Achtes Buch.

1. Weiter; dieß also nun ist zugestanden, o Glaukon, daß für einen Staat, welcher in hervorragender Weise bestehen soll, die Frauen und die Kinder und die gesammte Erziehung gemeinsam sein müssen, und ebenso auch alle Thätigkeiten im Kriege und im Frieden B. V, Cap. 3–12., Könige aber über diese Diejenigen sein müssen, welche in der Weisheitsliebe und bezüglich des Krieges die besten geworden sind B. V, Cap. 18 bis B. VI, Cap. 17.. – Ja, dieß ist zugestanden, sagte er. – Aber auch dieß ja räumten wir ein, daß die Herrscher, wann sie eingesetzt sind, die Krieger in Wohnungen führen, wie wir sie angaben, und sie dort sich ansiedeln lassen, indem nemlich jene für Keinen irgend Etwas ihm Eigenthümliches enthalten, sondern allen gemeinsam sind; und außer den derartigen Wohnungen haben wir, wenn du dich erinnerst, uns auch darüber verständigt, wie es bei ihnen bezüglich des Besitzes beschaffen sein solle B. III, Cap. 22.. – Aber ich erinnere mich ja, sagte er, daß wir der Meinung waren, es solle Keiner irgend Etwas von jenem besitzen, was jetzt im Uebrigen die Menschen besitzen, sondern daß sie gleichsam als Kämpfer im Kriege und als Wächter zum Lohne für ihren Wachtdienst je auf ein Jahr die Nahrung von den Uebrigen erhalten und so für sich und den übrigen Staat Sorge tragen sollen. – Du gibst es richtig an, sagte ich; aber wohlan nun, da wir dieß zu Ende geführt haben, so wollen wir uns auch an jenen Punkt erinnern, von wo aus wir hieher ablenkten, damit wir nun den nemlichen Weg jetzt wieder betretenS. die letzten Worte des IV. und die ersten des V. Buches; hiezu obige Anm. 173.. – Dieß ist nicht schwierig, sagte er; du hattest nemlich so ziemlich wie jetzt betreffs des Staates es durchgegangen und entwickeltest deine Begründungen, indem du sagtest, daß du als einen guten Staat eben jenen, welchen du damals durchgingst, bezeichnen würdest und ebenso auch bezüglich des einzelnen Menschen, welcher jenem Staate ähnlich sei, und zwar, wie es schien, mit der Möglichkeit, noch herrlicher diesen Staat und diesen Menschen zu schildern; du bezeichnetest aber nun hierauf die übrigen Staaten als verfehlte, woferne dieser der richtige sei; von den übrigen Staatsverfassungen aber behauptetest du, wie ich mich erinnere, daß es vier Formen gebe, von welchen es sich nemlich der Mühe lohne, sie zu berücksichtigen und ihre Fehler, sowie hinwiederum die ihnen ähnlichen Menschen zu betrachten, um sodann, nachdem wir sie sämmtlich betrachtet und uns über den besten und den schlechtesten Menschen verständigt hätten, zu erwägen, ob wirklich der beste der glücklichste und der schlechteste der unglücklichste sei, oder es sich anders verhalte. Und als hiebei ich dich fragte, welche Staatsverfassungen du unter jenen vieren meinest, da fielen Polemarchos und Adeimantos in die Rede, und so denn faßtest du dort deine Begründung wieder von Neuem auf und gelangtest nun bis hieher. – Völlig richtig, sagte ich, behieltest du dieß im Gedächtnisse. – Biete mir also, wie ein Ringer, wieder jenen nemlichen Angriffspunkt dar und versuche auf meine jetzige Frage nun anzugeben, was du damals schon im Begriffe warst zu sagen. – Ja, allerdings, sagte ich, wenn ich es im Stande bin. – Und in der That nun, erwiederte er, ich bin auch wirklich begierig zu hören, welche Staatsverfassungen du unter jenen vieren meintest. – Nicht schwierig, sagte ich, ist es, dieß zu hören; denn diejenigen, welche ich meine, sind eben jene, welche auch eigene Namen tragen, nemlich die von Vielen gepriesene Kretische und Lakonische, die zweite und in zweitem Range gepriesene, welche man Oligarchie nennt, eine Staatsverfassung, welche von zahlreichen Uebeln strotzt; und dann jene, welche mit dieser im Streite liegt und in der Reihe nach ihr kömmt, die Demokratie, und sodann die wackere Gewaltherrschaft, welche von all diesen sich unterscheidet, die vierte und äußerste Krankheit eines Staates; oder weißst du irgend eine andere Gestaltung einer Staatsverfassung zu nennen, welche auch in einer deutlich sichtbaren Form beruht? nemlich die von Mehreren geübte Gewaltherrschaft und käufliches Königthum und irgend derartige Staatsverfassungen liegen wohl als Mittelglieder zwischen jenen, aber man möchte dieselben nicht in geringerer Anzahl bei den Nicht-Hellenen, als bei den Hellenen finden. – Ja, gar viele, und zwar ungereimte, sagte er, werden wohl angeführt. –

2. Weißst du also, sagte ich, daß es auch eben so viele Formen der Charaktere der Menschen geben muß, als es Formen der Staatsverfassungen gibt? oder glaubst du, daß irgend aus einer Eiche oder aus einem Felsen die Staatsverfassungen entstehenAnspielung auf einen homerischen Vers, Odyss. XIX, V. 163., nicht aber aus den in den Staaten bestehenden Sitten, wohin nemlich diese gleichsam wie in einer Wagschale das Uebrige nach sich ziehen? – Keineswegs anderswoher, sagte er, als eben von dort her. – Nicht wahr also, wenn die Formen der Staaten fünf sind, so möchten wohl auch der Beschaffenheiten der Seele der Einzelnen gleichfalls fünf sein? – Wie anders? – Jenen Einzelnen denn nun, welcher der AristokratieS. d. Schluß des IV. Buches. ähnlich ist, haben wir bereits durchgegangen, von welchem wir ja mit Recht behaupten, daß er gut und gerecht sei. – Ja, wir haben ihn durchgegangen. – Müssen wir also nun auch die Schlechteren durchgehen, nemlich den Streitliebenden und Ehrliebenden, welcher auf Seite der Lakonischen Staatsverfassung steht, und hinwiederum den Oligarchischen und den Demokratischen und den der Gewaltherrschaft entsprechenden, damit, wenn wir so den Ungerechtesten betrachtet haben, wir ihn dem Gerechtesten gegenüberstellen und uns unsere Erwägung ihren Abschluß finde, wie sich wohl die unvermischte Gerechtigkeit zur unvermischten Ungerechtigkeit bezüglich des glücklichen oder unglücklichen Zustandes dessen, der sie an sich hat, verhalteDieß geschieht vom 4. Cap. des IX. Buches an., um entweder dem Thrasymachos folgend Ungerechtigkeit zu üben, oder der jetzt sich uns zeigenden Begründung folgend Gerechtigkeit. – Ja, durchaus, sagte er, müssen wir es so machen. – Müssen wir also, wie wir auch zu Anfang thaten B. II Cap. 10., daß wir eher in den Staaten, als in den Einzelnen die Charaktere erwogen, weil es so deutlicher sei, eben so auch jetzt zuerst die ehrliebende Staatsverfassung erwägen – denn einen anderen Namen weiß ich für sie nicht anzugeben, oder wir müssen sie Timokratie oder Timarchie nennen –; und im Hinblicke auf diese dann werden wir den ebenso beschaffenen Mann betrachten, hernach die Oligarchie und den oligarchisch beschaffenen Mann, hierauf aber auf die Demokratie hinblickend, werden wir den demokratisch beschaffenen Mann beschauen, an vierter Stelle aber werden wir uns zu dem unter Gewaltherrschaft stehenden Staate begeben und nachdem wir ihn gesehen, wieder auf die der Gewaltherrschaft entsprechende Seele hinblicken, und so versuchen, über jenes, was wir uns vorgenommen haben, ein genügendes Urtheil zu fällen. – In wohlbegründeter Weise ja, sagte er, möchte so unsere Betrachtung und unser Urtheil von Statten gehen. –

3. Wohlan demnach, sagte ich, laß uns versuchen, anzugeben, auf welche Weise eine Timokratie aus der Aristokratie entstehen dürfte; oder ist vielleicht dieß schon das Einfache, daß jede Staatsverfassung in Folge desjenigen, was eben in ihm die Herrschaft übt, umschlage, sobald in eben jenem ein Zwiespalt entsteht, hingegen wenn jenes einträchtig ist, mag es ein noch so Kleines sein, unmöglich Etwas gerüttelt werden kann? – Ja, so ist es allerdings. – Auf welche Weise also, o Glaukon, sagte ich, wird uns am Staate gerüttelt werden, und in welcher Beziehung werden unsere Helfer und unsere Herrscher gegenseitig und unter sich selbst in Zwiespalt gerathen? oder willst du, daß wir, wie HomerosIn der ersten Zeile der Ilias., zu den Musen flehen, daß sie uns sagen, wie wohl zuerst Zwiespalt eingetreten sei, und wollen wir behaupten, daß sie in abenteuerlicher Weise, als wenn sie mit uns, wie mit Kindern, scherzten und uns neckten, gleichsam als meinten sie es ernsthaft, in hochtrabenden Worten sich ausdrücken? – Wie so? – Ungefähr folgendermaßen: »Schwer zwar ist es, daß ein auf diese Weise gestalteter Staat gerüttelt werde; aber da alles Entstandene auch einen Untergang hat, so wird auch die derartige Gestaltung nicht die gesammte Zeit hindurch bestehen bleiben, sondern irgend einmal aufgelöst werden. Diese Auflösung aber ist folgende: Nicht bloß für die der Erde entsprossenden Pflanzen, sondern auch für die auf der Erde lebenden Thiere entstehen Zeitpunkte einer Fruchtbarkeit und einer Unfruchtbarkeit, wann gewisse Perioden je mit den einzelnen Wesen irgend Kreis-Umläufe zusammentreffen lassen, nemlich mit den kurzlebenden kurzdauernde, mit den langlebenden aber langdauernde Umläufe. Was aber euer Menschen Geschlecht betrifft, so werden der Zeitpunkte einer richtigen Zeugung und einer Unfruchtbarkeit die von euch gebildeten Lenker des Staates, so weise sie auch sein mögen, doch darum durch nichts Anderes, als nur durch einen mit Sinneswahrnehmung vermischten Vernunftschluß habhaft werden können; ja, gerade entgehen werden ihnen diese Zeitpunkte, und sie werden dann einmal Kinder in einer Zeit erzeugen, in welcher sie nicht sollen. Es gibt aber für das Produkt einer göttlichen Zeugung eine Periode, welche von einer schlechthin vollkommenen Zahl umfaßt wird, hingegen für das einer menschlichen eine ursprüngliche Zahl, in welcher irgend mächtige Multiplicirungen und drei allbeherrschende Abstände mit vier abgegrenzten Maßen des Aehnlichmachenden und Unähnlichmachenden und des Wachsenden und Abnehmenden zusammentreffen und so Alles gegenseitig zu einem proportionalen und rationalen machen, wovon eben das Vierdrittel-Verhältniß als Grundwurzel zu Accorden mit der Fünfzahl verbunden zwei Harmonien bewirkt, indem es zur Dreiheit der Dimensionen potenzirt wird, nemlich daß die Eine Harmonie immer ein gleichmal Gleiches, also eine Potenzirung vermittelst eines hundertfachen Hundertes ist, die andere Harmonie hingegen wohl einerseits ein Quadrat, andrerseits aber ein Rechteck enthält, nemlich erstens hundert Quadratzahlen der rationalen Diagonalzahl von Fünf, wobei von jeder Quadratzahl Eins abgezogen wird, und zwei Quadratzahlen der irrationalen Diagonalzahl von Fünf, und zweitens hundert Kubikzahlen von DreiEs wird der Leser allerdings mit Recht erwarten, daß bezüglich dieser so vielfach und so oft schon besprochenen platonischen Zahl auch hier wenigstens irgend ein Erklärungsversuch gegeben werde, um nicht aus dieser Stelle den Eindruck zu gewinnen, daß sie reinen Unsinn enthalte; aber es möge von vorneherein festgehalten werden, daß bei unserer geringen Kenntniß der antiken Mystik der Mathematik (– denn auf irgend eine Mystik läuft das Ganze jedenfalls hinaus –) Alles eben nur als Versuch und als bloße Vermuthung ausgesprochen werden kann. Die zahlreichen Erklärungen Anderer zu prüfen oder zu widerlegen, ist hier nicht der Ort, und es möge mir daher verstattet sein, dem Leser jenes Verständniß der so schwierigen Stelle zu entwickeln, welches ich gefunden zu haben und bei welchem ich meinerseits mich begnügen zu können glaube.

Erstens, was das Motiv und den Werth dieser Zahlen-Musik betrifft, so ist es das Verkehrteste von Allem, wenn man glaubt, Plato verspotte hier dergleichen Versuche, durch Zahlen-Verhältnisse das Wesen der Dinge ausdrücken zu wollen; denn zu solchem Spotte paßt weder die vorhergehende Berufung auf die Musen (da ja Plato im Falle eines Spottes sich eher auf die »ruhmvollen Fachgelehrten« oder dergl. berufen hätte), noch auch der nachfolgende äußerst schlichte Uebergang auf die weitere Entwicklung (denn würde es sich um ein Verspotten handeln, so müßte nach Plato's Sitte irgend eine Wendung, wie z. B. »ist dieß nicht herrlich gesagt?« oder sonst etwas dergleichen nachfolgen); hingegen liegt es im innersten Kerne der platonischen Ansichten tief begründet, daß er in der That eine über die gewöhnlichen Formen des Wissens hinausgehende Weisheit annimmt und dieselbe auch stets Personen in den Mund legt, welche gewissermaßen der unmittelbaren Gegenwart entrückt sind und den Charakter eines Sehers, oder Propheten, oder Priesters u. dgl. an sich tragen (so z. B. bei Beschreibung der Erde im Phädon Cap. 58 f. und bei jenem, was im Gastmahle Cap. 22 ff. aus dem Munde der Diotima berichtet wird); und wie sehr Plato gerade bezüglich der Natur die Erkenntnis der letzten Principien in überschwenglicher Weise in eine gewisse mathematische Mystik verlegt habe, bezeugt (abgesehen von einer unten B. X, Cap. 14 folgenden Stelle) vor Allem der »Timäus«, welchen ganzen Dialog ja Plato selbst als einen »verständigen Scherz« bezeichnet, ein Ausdruck, an welchen jeder Kundige bei jenen Worten erinnert werden muß, die hier an unserer Stelle bezüglich der Musen gebraucht sind. Eben den Musen aber, als den höchsten Vertreterinnen all jener Wissenschaften, welche im Obigen waren aufgezählt worden, legt hier Plato eine letzte erreichbare Erklärung dessen in den Mund, wie das Wahre und Gute unter gewissen Bedingungen selbst im Wechsel der sterblichen Wesen bewahrt bleiben könne; d. h. Plato ist von der unverrückbaren Ueberzeugung durchdrungen, daß eine gewisse, wenn auch getrübte, Regelmäßigkeit und principielle Basis auch dem Gebiete des Vergänglichen einwohnen müsse, und ebenso unzweifelhaft schließt er sich in all derartigen Fragen an den Pythagoreismus an, indem er sicher glaubt, daß es eine mathematisch-astronomisch-musikalische Lösung all solcher Räthsel geben müsse, d. h. daß die in musikalischen Intervallen geregelten Umläufe der Gestirne in Verbindung mit arithmetischen und geometrischen Eigenthümlichkeiten der Dinge den letzten Erklärungsgrund im Gebiete des Wandelbaren ausmachen; und in solchem Sinne sucht er auch hier einen Zahlen-Ausdruck für den richtigen und wahren Zeitpunkt menschlicher Geburten, welcher ihm durch den Umlauf der Gestirne, sowie durch harmonische und stereometrische Verhältnisse bedingt ist. Ich möchte demnach etwa sagen, Plato habe sicher nicht um jeden Preis gerade jene zwei bestimmten Zahlen, welche wir nun sogleich entwickeln werden, festhalten wollen, aber wohl sei er der festesten Ueberzeugung gewesen, daß es irgend Zahlen geben müsse, welche in astronomischer und musikalischer und stereometrischer Beziehung den innersten Kern der wandelbaren, durch Zeugung entstandenen, Wesen ausdrücken; (ob ein solches Verfahren als ein philosophisches, und nicht vielmehr als ein mystisches bezeichnet werden müsse, ist eine andere Frage, deren Beantwortung hier überflüssig scheint; daß aber ein solches Verfahren wesentlich der platonischen Speculation eigentümlich ist, muß Jeder zugestehen, der von sich sagen will, daß er den Plato kenne; wer hingegen bei dieser Stelle einen Spott annimmt und von sokratischer Ironie spricht, ist kein Kenner Plato's. selbst wenn er alle Werke desselben übersetzt hätte).

Was nun zweitens den Inhalt der symbolischen Zahl selbst betrifft, so geht Plato davon aus. daß es für alle lebenden Wesen gewisse Zeitpunkte der Fruchtbarkeit gebe, welche periodisch wiederkehren, und er sucht dann (nachdem er die eigentlich göttlichen Geburten als schlechthin vollkommene von vornherein ausgeschieden hat) bezüglich der Eingehung von Ehen oder der Kindererzeugung seitens der Wächter oder Herrscher des Ideal-Staates die Wiederkehr dieses günstigen Zeitpunktes an eine Zahl zu knüpfen, neben welche aber zugleich eine zweite Zahl gestellt wird, unter deren Einguß gleichsam die ungünstigeren und für den Staat unglücklicheren Geburten stehen; beide Zahlen aber werden ausdrückt als »Harmonien«, d. h. als irgend musikalische Verhältnisse bezeichnet und mit Worten und Anschauungen gemischt, welche entschieden der Geometrie angehören; und wir dürfen wohl am wenigsten an die gewöhnlichen Zeitmaße, sei es Jahre oder Monate oder Tage oder Stunden, denken, so daß die beiden Zahlen bloß die Anzahl solcher Zeiteinheiten bedeuten würden, nach deren Ablauf immer wieder ein solcher für die Zeugung günstiger Zeitpunkt einträte, sondern gewiß müssen wir uns die Sache so vorstellen, daß nach Plato's Ansicht in sehr vielen und sehr verschiedenen Zeiten die eine oder die andere der beiden Harmonien obwalten könne; denn die Lenker des Staates sollen ja gerade das Wissen davon haben, ob ein bestimmter Zeitpunkt für Kindererzeugung günstig oder ungünstig sei, und aus Unkenntniß in dieser Beziehung folgt die Verschlechterung der Generation der Wächter. Daß die sog. Constellation der Gestirne am Himmel zur Berechnung dessen, welche Harmonie in einer bestimmten Zeit gerade obwalte, auch beizuziehen sein sollte, wollen wir nicht in Abrede stellen, aber sicher gehörte zu jener Berechnung noch eine Menge von Einzelnheiten betreffs der Verhältnisse des Staates und der Wächter selbst u. s. w., so daß, je näher wir uns ein solches berechnendes Verfahren in unserer Vorstellung ausmalen, wir um so entschiedener zur Ueberzeugung kommen müssen, daß wirklich nur eine mystische Anschauung musikalisch-geometrischer Zahlenverhältnisse das Maßgebende war.

. Diese gesammte geometrische Zahl aber waltet eben über das Derartige, nemlich über die besseren und schlechteren Geburten, und wenn euch die Wächter aus Unkenntniß derselben zur Unzeit Hochzeiterinnen mit Hochzeitern vereinigen, so werden keine trefflich begabten und keine glücklichen Kinder hieraus entstehen. Allerdings werden die besten unter ihnen durch ihre Vorgänger als Herrscher aufgestellt werden, aber dennoch werden sie, weil sie eben als Unwürdige in die Macht ihrer Väter eintreten, zuerst damit beginnen, uns Musen zu vernachlässigen, indem sie, obwohl sie Wächter sind, die musische Bildung geringer anschlagen werden, als sie sollten, und hiernach ebenso auch die gymnische Bildung; hiedurch also werden euch die Jünglinge ungebildeter werden, und in Folge hievon werden sie als Herrscher aufgestellt werden, welche durchaus keine große Befähigung dazu haben, Wache zu halten im Hinblicke auf eine prüfende Einsicht in die bei HesiodosTage u. Werke, V. 109 ff. erwähnten und bei euch sich findenden Geschlechter, nemlich das goldene und das silberne und das eherne und das eiserne Geschlecht. Wenn aber Eisen mit Silber und Erz mit Gold vermischt wird, so entsteht eine Ungleichheit und eine unharmonische Unregelmäßigkeit; sobald aber diese entstehen, erzeugen sie da, wo sie entstehen, stets Krieg und Feindschaft. Einem solchen Menschengeschlecht demnach, muß man behaupten, gehört stets der Zwiespalt an, wo immer er entsteht.« – Ja, und wir werden wohl behaupten, sagte er, daß sie uns hiemit eine richtige Antwort gegeben haben. – Dieß muß allerdings nothwendig der Fall sein, sprach ich, da sie ja Musen sind. – Wie also nun? sagte er, was sprechen die Musen bezüglich des hiernach folgenden? – Sobald, erwiederte ich, Zwietracht entstanden ist, so drängen hiemit jene beiden Geschlechter, nemlich das eiserne und ehrne, zum Gelderwerbe und zum Besitze von Ländereien und Wohnungen und von Gold und Silber, hinwiederum aber das goldene und silberne, welche ja nicht arm, sondern ihrer natürlichen Begabung nach reich sind, ziehen die Seelen zur Vortrefflichkeit und zur ursprünglich alten Einrichtung hin. Indem sie aber so gegenseitig einander Gewalt anthun und sich entgegenstreben, verständigen sie sich zu dem Mittelwege, daß sie einerseits Ländereien und Wohnungen verteilen und so zu einem Einzeln-Besitze machen, andrerseits aber diejenigen, welche vorher von ihnen als Freie bewacht worden waren, nemlich ihre Freunde und Ernährer, jetzt in Knechtschaft bringen und als ihre Schützlinge und Untergebenen behandeln und nun sie selbst die Besorgung des Krieges und der Bewachung derselben übernehmen. – Es scheint mir, sagte er, dieser Uebergang wirklich von da aus stattzufinden. – Nicht wahr also, sprach ich, irgend ein Mittleres zwischen Aristokratie und Oligarchie dürfte wohl diese Staatsverfassung sein? – Ja, allerdings. –

4. Uebergehen demnach wird sie auf diese Weise; nachdem sie aber übergegangen, wie wohl wird sie dann eingerichtet sein? oder ist etwa augenfällig, daß sie in Einigem die frühere Verfassung, in Anderem aber die Oligarchie nachahmen wird, weil sie ja in Mitte zwischen beiden steht, und auch, daß sie irgend Etwas ihr selbst Eigenthümliches an sich haben wird? – Ja, so ist es, sagte er. – Nicht wahr also, darin, daß sie ihre Herrscher ehrt und daß der für sie kämpfende Stand sich des Ackerbaues und der Handwerke und des übrigen Gelderwerbes enthält, und daß sie gemeinschaftliche Mahlzeiten eingerichtet hat und für gymnische und kriegerische Wettkämpfe sorgt, in all diesem also wird sie die frühere Verfassung nachahmen? – Ja. – Aber daß sie eine Furcht davor hat, die Weisen zur Ausübung der Herrschaft zu führen, weil sie nemlich keine derartigen Männer mehr, welche schlechthin einfach und streng waren, sondern ja nur gemischte besitzt, und daß sie daher zu den Mutherfüllten und denjenigen sich hinneigt, welche unter den übrigen noch die einfacheren sind, nemlich zu Männern, welche mehr für den Krieg als für den Frieden begabt sind, und daß sie die hierauf bezügliche List und Gewandtheit in Ehren hält und die ganze Zeit hindurch hinwiederum auch mit sich selbst im Kriege lebt, Derartiges also wird sie größtenteils als das ihr Eigenthümliche an sich haben? – Ja. – Aber eine Begierde ja, sagte ich, werden die Derartigen nach Geldbesitz haben, wie die Menschen in den Oligarchien, und im Dunkeln werden sie Gold und Silber unbändig ehren, weil sie ja Vorratskammern und ihnen gehörende Schätze besitzen, woselbst sie solches heimlich hinterlegen, und auch wieder Umfangsmauern um ihre Wohnungen, so ziemlich wie einzelne Nester, in welchen sie mit ihren Weibern und anderen Leuten, mit welchen sie eben wollen, ihre Schätze verzehren und vielen Aufwand machen können. – Völlig wahr ist dieß, sagte er. – Nicht wahr also, auch sparsam mit ihrem eigenen Gelde werden sie sein, weil sie es ja ehren und nicht offenkundig besitzen, hingegen mit fremdem werden sie gerne Aufwand machen wegen ihrer Begehrlichkeit, und heimlich Vergnügungen genießen, indem sie, wie Kinder vor dem Vater, so vor dem Gesetzgeber entlaufen, nicht durch freie Ueberredung, sondern durch Gewalt herangebildet, weil sie die wahrhafte Muse, welche mit begründenden Reden und mit Weisheitsliebe verbunden ist, vernachlässigt haben, und die gymnische Kunst in höheren Ehren halten, als die musische. – Ja, durchaus, sagte er, bezeichnest du hiemit eine aus Schlechtem und Gutem gemischte Staatsverfassung. – Ja, gemischt ist sie allerdings, erwiederte ich; aber irgend Eines wird in ihr in Folge der Herrschaft des Muthigen am deutlichsten hervortreten, nemlich Streitliebe und Ehrliebe. – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Nicht wahr also, sprach ich, diese Staatsverfassung möchte auf diese Weise entstanden und derartig beschaffen sein, um nemlich in dieser Begründung nur den Umriß ihrer Verfassung zu entwerfen und keine genaue Ausführung zu geben, da es ja genügt, aus dem Umrisse den Gerechtesten und den Ungerechtesten zu erblicken, hingegen es eine vermöge der Länge unmögliche Aufgabe wäre, sämmtliche Staatsverfassungen und sämtliche Charaktere, ohne irgend Etwas wegzulassen, durchzugehen. – Ja, dieß ist richtig, sagte er. –

5. Welcher also nun wird der dieser Staatsverfassung entsprechende Mensch sein? wie wird er entstehen und wie beschaffen wird er sein? – Ich glaube, sagte Adeimantos, er wird so ziemlich diesem Glaukon da nahe kommen, wenigstens was die Streitliebe betrifft. – Vielleicht, sagte ich, in diesem Betreffe wohl; aber in Folgendem scheint er mir seiner Begabung nach diesem nicht zu entsprechen. – Welches ist dieß? – Er muß nemlich, sagte ich, ziemlich anmaßend sein und den Ungebildeten teilweise näher stehen, dabei aber doch Liebe zur Bildung haben, auch hörlustig sein, aber in keiner Weise Befähigung zu einem Redner besitzen; und gegen Sklaven dürfte der Derartige sich wild benehmen, ohne dabei, wie der vollkommen Gebildete thut, den Verkehr mit Sklaven überhaupt unter seiner Würde zu halten, gegen Freie aber wird er sich sanft benehmen, den Herrschern aber sehr unterthänig sein, dabei aber selbst herrschsüchtig und ehrliebend, nicht mit dem Wunsche, vermittelst begründender Reden oder irgend derartiger Dinge zu herrschen, sondern eben vermittelst kriegerischer und überhaupt den Krieg betreffender Thaten, indem er ja auch die gymnischen Uebungen und die Jagd liebt. – Ja, allerdings, sagte er, ist dieß auch der Charakter jener Staatsverfassung. – Nicht wahr also, auch das Geld, sprach ich, wird ein Solcher, so lange er jung ist, gering achten, hingegen je älter er wird, desto mehr wird er es lieben, weil er ja an der geldliebenden Begabung Theil hat und nicht schlechthin rein auf die Vortrefflichkeit gerichtet ist, da ihn der beste Wächter verlassen hat. – Welcher ist dieß? sagte Adeimantos. – Der mit musischer Bildung vermische Vernunftgrund, sagte ich, welcher allein, wenn er sich einfindet, als Gewährer der Vortrefflichkeit demjenigen, der ihn hat, Zeit seines Lebens einwohnt. – Du hast Recht, sagte er. – Und es ist also, sprach ich, der timokratische Jüngling derartig beschaffen, dem derartigen Staate gleichend. – Ja, allerdings. – Entstehen aber, sagte ich, wird er ungefähr auf folgende Weise: Zuweilen nemlich wird er als Kind der Sohn eines guten Vaters sein, welcher in einem nicht gut eingerichteten Staate wohnt, dabei alle staatlichen Ehren und jede Ausübung einer Herrschaft und alle Rechtshändel und die gesammte derartige Vielgeschäftigkeit meidet und lieber verkürzt werden will, um nur mit Solchem Nichts zu schaffen zu haben. – Wie aber eigentlich entwickelt er sich? sagte er, – Wenn er, erwiederte ich, erstens von seiner Mutter hört, wie dieselbe sich darüber ärgert, daß ihr Mann nicht zu den Herrschern gehört und sie sich deshalb unter den übrigen Weibern verkürzt fühlt, und sodann auch bemerkt, daß ihr Mann sich nicht sehr eifrig um Geldbesitz bemüht und nicht überall, im Einzel- Verkehre und in Gerichtshöfen und im öffentlichen Leben, kämpft und schmäht, sondern leichten Sinnes all Derartiges erträgt, und ferner wahrnimmt, daß er stets nur auf sich seine Aufmerksamkeit richtet, sie selbst aber weder sehr ehrt, noch sehr mißachtet, und wenn also diese in Folge von all dem sich ärgert und zum Sohne sagt, sein Vater sei unmännlich und lasse sich gar zu sehr gehen, und anderes Derartiges, wie viele und wie beschaffene Lieder in diesem Betreffe die Weiber ja zu singen pflegen. – Ja wohl, gar viele, sagte Adeimantos, und ihnen selbst ganz ähnliche. – Weißt du also, sagte ich, daß auch die Sklaven der derartigen Leute bisweilen heimlich Solches zu den Söhnen sagen, nemlich gerade diejenigen, welche es gut zu meinen scheinen, und daß sie, wenn sie irgend einen Schuldner wissen, gegen welchen der Vater nicht einschreitet, oder sonst einen anderweitigen Uebelthäter, dann den Sohn ermuntern, er solle, sobald er Mann geworden, sich an all den Derartigen rächen und überhaupt in höherem Grade ein Mann sein, als sein Vater es sei. Und geht er außer Hause, so hört und sieht er wieder Anderes dergleichen, daß nemlich jene, welche bloß das Ihrige thun, in der Stadt als einfältige Menschen bezeichnet werden und geringe Geltung genießen, hingegen diejenigen geehrt und gepriesen sind, welche nicht das Ihrige thun. Wenn also der Jüngling all das Derartige hört und sieht und hinwiederum auch die Reden seines Vaters und die Thätigkeit desselben in der Nähe hört und sieht, sie mit jenen der Uebrigen vergleichend, dann wohl wird er von diesem Beiderseitigen hin und her gezogen, und indem der Vater den vernünftigen Theil in seiner Seele befruchtet und fördert, die übrigen hingegen den begehrlichen und den muthigen, so wird er, weil er ja von Natur aus nicht von einem schlechten Manne stammt, aber des schlechten Verkehres mit den Uebrigen sich bedient, durch jenes beiderseitige zu einem Mittleren gezogen, und dort angelangt, überliefert er die Herrschaft in seinem Inneren eben den Mittleren und Streitliebenden und Muthigen, und wird so ein hochfahrender und ehrgeiziger Mann. – Gar sehr wohl, sagte er, scheinst du mir die Entstehung desselben hiemit durchgegangen zu haben. – Wir kennen also jetzt, sprach ich, die zweite Staatsverfassung und den ihr entsprechenden zweiten Menschen. – Ja, wir kennen sie, sagte er. –

6. Nicht wahr also, hernach nun wollen wir den Spruch des AeschylosSieben g. Theben, V. 436. anwenden:

»bei einer jeden Stadt ein Anderer hingestellt«,

oder vielmehr gemäß unserer Voraussetzung zuerst den Staat angeben. – Ja, allerdings so, sagte er. – Es möchte aber wohl, wie ich glaube, die Oligarchie die zunächst nach einer solchen folgende Staatsverfassung sein. – Welcherlei Einrichtung aber, sagte er, nennst du Oligarchie? – Die auf Vermögensschätzung beruhende Staatsverfassung, erwiederte ich, in welcher die Reichen die Herrscher sind, die Armen aber keinen Theil an der Herrschaft haben. – Ich verstehe, sagte er. – Nicht wahr also, zuerst müssen wir den Uebergang von der Timarchie zur Oligarchie angeben? – Ja. – Und in der That, sagte ich, ist dieser Uebergang auch einem Blinden klar. – Wie so? – Jene Vorrathskammer, sagte ich, richtet dadurch, daß sie bei einem Jeden mit Gold gefüllt wird, jene so beschaffene Staatsverfassung zu Grunde. Erstens nemlich werden sie Gegenstände des Aufwandes für sich ausfindig machen und die Gesetze nach dieser Seite hinüber drehen, Ungehorsam gegen sie zeigend, sie selbst und ihre Weiber. – Ja, so scheint es, sagte er. – Sodann ja, glaube ich, sieht hiebei der Eine auf den Anderen und geräth in Eifersucht, und so machen sie die gesammte Masse ihrer selbst zu einer derartigen. – So scheint es. – Von da aus demnach, sagte ich, schreiten sie im Gelderwerbe vorwärts, und je ehrenhafter ihnen eben dieß gilt, desto unehrenhafter die Vortrefflichkeit; oder ist nicht auf diese Weise von Reichthum die Vortrefflichkeit getrennt, wie wenn beide in den Schalen einer Wage lägen und jedes von beiden stets nach der entgegengesetzten Seite zöge? – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Wenn demnach der Reichthum und die Reichen in einem Staate geehrt werden, so werden die Vortrefflichkeit und die Guten mißachtet sein. – Dieß ist klarIm Gegentheile, es ist dieß durchaus nicht klar; denn es bleibt ja auch noch die richtige und von wahrer Staatsweisheit geleitete Verwendung des Reichthumes übrig. Es ist geradezu ein Mißkennen des menschlichen Wesens, wenn man Besitz und Vortrefflichkeit als unverträgliche Gegensätze bezeichnet. Ueberhaupt ist Sämmtliches, was hier Plato von den vier Staatsformen und deren Uebergang sagt, eben bloß doktrinäre Theorie, und nicht einmal durch die griechische Staaten-Geschichte gerechtfertigt, geschweige denn von allgemein menschlichem Werthe; nur in dem Zusammenhange mit Plato's Psychologie liegt der Werth all dieser Bemerkungen (wie will es denn z. B. diese platonische Staats-Philosophie erklären, wenn aus einer Demokratie eine Oligarchie wird? der doctrinäre Faden wird ja nur in Einer Richtung von der Aristokratie abwärts zur Tyrannis fortgesponnen).. – Geübt aber wird ja immer, was man ehrt, vernachlässigt hingegen, was man mißachtet. – Ja, so ist es. – Aus streitliebenden und ehrliebenden Männern sind sie demnach zuletzt erwerbliebende und geldliebende geworden, und den Reichen preisen und bewundern sie und führen ihn zu den Ausübungen der Herrschaft, den Armen aber mißachten sie. – Ja, gewiß. – Nicht wahr also, dann stellen sie hiemit ein Gesetz als das Maß der oligarchischen Staatsverfassung auf, indem sie eine gewisse Menge Geldes festsetzen, und zwar eine größere, wo es in höherem Grade eine Oligarchie ist, und eine kleinere, wo in geringerem Grade, und sie sprechen es aus, daß an der Herrschaft keinen Theil habe, wer nicht ein Vermögen im Belange der festgesetzten Schätzung besitze. Solches aber setzen sie entweder mit Waffengewalt durch, oder sie haben schon vorher durch Erregung von Furcht die derartige Staatsverfassung eingesetzt; oder ist es nicht so? – Ja, allerdings so. – Die Herstellung derselben ist demnach, so zu sagen, diese. – Ja, sagte er; aber welches denn nun ist die Art und Weise dieser Verfassung, und welches sind die Fehler, die sie unserer Behauptung zu Folge enthält? –

Erstens, sagte ich, eben jenes, wie beschaffen ihr Maß ist; sieh nemlich nur zu; wenn Jemand auf diese Weise die Steuermänner von Schiffen in Folge der Vermögensschätzung einsetzen wollte, dem Armen aber, selbst wenn er mehr Geschick zum Steuern hätte, es nicht gestatten würde. – Wohl eine schlechte Schifffahrt, sagte er, würden sie dann vollbringen. – Nicht wahr also, auch betreffs jedweden anderen Dinges oder überhaupt irgend einer Herrschaft verhält es sich ebenso? – Ich wenigstens glaube es. – Etwa mit Ausnahme des Staates? sagte ich; oder auch betreffs des Staates? – Gewiß ja zu höchsten Grade, sagte er, je mehr diese Herrschaft die schwierigste und größte ist. – Dieß demnach wäre der Eine so bedeutende Fehler, welchen die Oligarchie enthält. – Ja, so zeigt sich's. – Wie aber? ist der folgende etwa kleiner als Dieser? – Welcher? – Daß der derartige Staat nothwendig nicht Einer, sondern zwei sein muß, nemlich einerseits ein Staat der Armen und andrerseits ein Staat der Reichen, welche an der nemlichen Stelle beisammen wohnen und immer einander nachstellen. – Bei Gott, sagte er, kein kleinerer Fehler ist dieß. – Ist aber nun etwa Folgendes etwas Schönes, daß sie vielleicht unfähig sind, irgend einen Krieg zu führen, da sie ja genöthigt sind, entweder die Menge als eine bewaffnete beizuziehen und dann diese mehr als selbst die Feinde zu fürchten, oder sie nicht beizuziehen und dann in der That als ein Herrscherreich WenigerEin Wortspiel, da ja Oligarchie wörtlich »Herrschaft Weniger« bedeutet. bei dem Kampfe sich zu zeigen, und dann auch, daß sie nicht den Willen haben, Geld beizutragen, weil sie ja eben geldliebend sind? – Allerdings nichts Schönes ist dieß. – Wie aber? was wir schon längst getadelt haben B. II, Cap. 11 u. B. IV, Cap 3., nemlich jene Vielgeschäftigkeit, daß Ein und die Nemlichen zugleich Ackerbauer und Gelderwerber und Krieger sind, wie es bei der derartigen Staatsverfassung der Fall ist, scheint dir dieß sich richtig zu verhalten? – In keiner Weise. –

7. Sieh demnach zu, ob diese Verfassung nicht die erste sei, welche von all diesen Uebeln noch das größte im Folgenden enthält. – In welchem? – Daß es erlaubt ist, all das Seinige zu verkaufen, und jedem Andern, die Habe dessen, der sie verkauft, zu erwerben, und so nach dem Verkaufe Einer in dem Staate wohne, welcher kein Theil des Staates mehr ist, nemlich weder ein Gelderwerber noch ein Handwerker, noch ein Berittener, noch ein Schwerbewaffneter, sondern eben nur als Einer, welcher arm und mittellos genannt wird. – Allerdings die erste, sagte er, ist diese Verfassung. – Verhindert wenigstens wird Derartiges in den oligarchisch regierten Staaten nicht; denn sonst wären nicht die Einen übermäßig reich und die Anderen gänzlich arm. – Dieß ist richtig. – Sieh aber auch Folgendes: Hat etwa, wenn der Derartige als ein Reicher einen Aufwand gemacht hat, dieß dann dem Staate irgend einen größeren Nutzen in der eben angegebenen Beziehung verschafft, oder war es nur Schein, daß er zu den Herrschern gehöre, er selbst hingegen in Wirklichkeit weder ein Herrscher, noch ein Diener des Staates, sondern eben nur ein Aufzehrer des Bereitliegenden? – Ja, sagte er, es war ein Schein, er selbst aber war nichts Anderes, als ein Aufzehrer. – Willst du also, sagte ich, daß wir von ihm behaupten sollen, er sei, sowie in den Wachswaben eine Drohne als eine Krankheit des Bienenstockes entsteht, in gleicher Weise in seinem Hause als Drohne und als eine Krankheit des Staates entstanden? – Ja, allerdings so, o Sokrates, sagte er. – Nicht wahr also, o Adeimantos, die geflügelten Drohnen hat der Gott sämmtlich ohne Stachel entstehen lassen, von diesen zweibeinigen aber Einige ohne Stacheln, Andere hingegen mit fürchterlichen Stacheln? und aus den Stachellosen werden zuletzt Bettler bis in ihr Greisenalter, aus den mit einem Stachel Versehenen aber alle Diejenigen, welche als Uebelthäter bezeichnet werden. – Völlig wahr ist dieß, sagte er. – Klar also ist, sagte ich, daß, wo du in einem Staate Bettler siehst, dort auch irgendwo in dieser Gegend versteckte Diebe und Beutelschneider und Tempelräuber und Verüber aller derartigen Uebel sein werden. – Ja, klar ist es, sagte er. – Wie nun? siehst du nicht, daß in den oligarchisch regierten Staaten sich Bettler finden? – Ja, beinahe Alle, sagte er, sind es, mit Ausnahme der Herrscher. – Sollen wir also nicht glauben, sprach ich, daß auch viele Uebelthäter, welche mit Stacheln versehen sind, in denselben seien, welche von den Obrigkeiten sorgfältig mit Gewalt im Zaume gehalten werden? – Wir werden es wohl glauben, sagte er. – Werden wir also nicht behaupten, daß in Folge eines Mangels an Bildung und einer schlechten Pflege und der Einrichtung der Staatsverfassung sich die Derartigen dortselbst einfinden? – Ja, wir werden es behaupten. – Also derartig beschaffen dürfte der oligarchisch regierte Staat sein und so viele Uebel dürfte er enthalten, vielleicht aber auch noch mehrere. – So ziemlich wohl, sagte er. – Erledigt demnach, sprach ich, sei uns hiemit auch diese Staatsverfassung, welche man Oligarchie nennt, und welche in Folge der Vermögensschätzung ihre Herrscher hat.


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