Platon
Plato's Staat
Platon

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8. Aber von dem ihr ähnlichen Menschen wollen wir nun hiernach erwägen, sowohl wie er entstehe, als auch wie beschaffen, wenn er entstanden, er sei. – Ja, allerdings, sagte er. – Wird er also wohl in folgender Weise zumeist aus jenem timokratischen Menschen in einen oligarchischen umschlagen? – In welcher? – Wann ihm nemlich ein Sohn geboren wird und dieser vorerst seinem Vater nacheifert und die Spuren desselben verfolgt, dann aber plötzlich sieht, wie er an einer Felsenklippe an dem Staate strandete und all seine Habe und sich selbst über Bord warf, nachdem er entweder eine Feldherrnwürde oder ein anderes bedeutendes Amt geführt hatte, und dann dem Gerichtshofe anheimfiel, wo er, von Verleumdern benachtheiligt, entweder zum Tode oder zur Verbannung oder zum Verluste seiner Bürgerrechte und des gesammten Vermögens verurtheilt wurde. – Ja, so scheint es, sagte er. – Nachdem er aber dieß, mein Freund, gesehen und erduldet und seine Habe verloren hat, wird er aus Furcht, glaube ich, sogleich kopfüber von dem in seiner Seele befindlichen Throne die Ehrliebe und jenes Muthige herabstoßen, und erniedrigt durch Armuth sich zum Gelderwerbe wenden und in filziger Weise und mit kleinlicher Sparsamkeit und Arbeitsamkeit sich Geld sammeln. Glaubst du etwa nicht, daß dann der Derartige auf jenen Thron das begehrliche und Geldliebende setzen und es in sich selbst zum GroßkönigeGewöhnliche Bezeichnung des Perser-Königes. machen wird, es mit Stirnbinde und goldener Kette und Schwert umgürtend? – Ja, gewiß, sagte er. – Das Vernünftige aber und das Muthige wird er auf den Boden zu beiden Seiten unter dasselbe setzen und, indem er die beiden knechtet, wird er das Eine derselben nichts Anderes vernünftig betrachten und erwägen lassen, als durch welche Mittel aus kleinerem Vermögen ein größeres werde, das Andere aber nichts Anderes, als den Reichthum und die Reichen bewundern lassen, und in nichts Anderes seine Ehre setzen, als in den Geldbesitz und wenn irgend sonst Etwas eben dahin führt. – Es gibt, sagte er, keine andere so schnelle und mächtige Veränderung eines ehrliebenden Jünglinges in einen geldliebenden. – Ist also dieser, sprach ich, ein oligarchischer? – Seine Veränderung wenigstens ging aus einem Manne vor sich, welcher jenem Staate ähnlich war, aus dem die Oligarchie hervortrat. – Wollen wir demnach erwägen, ob er nun ihr ähnlich sei. – Ja, wir wollen dieß erwägen. –

9. Nicht wahr also, erstens darin, daß er das Geld am höchsten schätzt, dürfte er ihr ähnlich sein? – Wie sollte er auch nicht? – Und ja auch darin, daß er sparsam und arbeitsam ist, indem er unter seinen Begierden nur die nothwendigen befriedigt, weiteren Aufwand aber nicht macht, sondern die übrigen Begierden als eitle unterjocht. – Ja, allerdings. – Gewissermaßen schmutzig ja ist er, sagte ich, und indem er von Allem sich Gewinn macht, wird er ein Schätze sammelnder Mann, und diese ja preist dann auch der große Haufe; oder wäre nicht ein Solcher derjenige, welcher dem derartigen Staate ähnlich ist? – Mir wenigstens, sagte er, scheint es so; Geld wenigstens steht am meisten in Ehren bei einem solchen Staate und bei einem solchen Menschen. – Nicht auf Bildung ja, sagte ich, hat ein Solcher, wie ich glaube, seinen Sinn gerichtet. – Es scheint wenigstens nicht, sagte er; denn sonst würde er nicht einen BlindenAuch Aristophanes hat bekanntlich in seinem »Plutos« den Gott des Reichthumes als blind dargestellt. als Führer seines Reigens aufstellen. – Und erwäge noch Folgendes, sprach ich, sehr genau: Sollen wir nicht behaupten, daß drohnenartige Begierden in Folge der Ungebildetheit in ihm entstehen, theils eben bettlerische, theils aber die eines Uebelthäters, welche mit Gewalt durch die übrige Sorgfalt im Zaume gehalten werden? – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Weißt du also, sprach ich, wohin du blicken mußt, um die Uebelthaten derselben zu sehen? – Wohin wohl? sagte er. – Auf Vormundschaften über Waisen, und wenn ihnen sonst etwas Derartiges sich ergibt, daß sie eine reiche Möglichkeit des Unrechtthuns erlangen. – Dieß ist wahr. – Ist also nicht hiebei klar, daß der Derartige bei dem übrigen Verkehre, wo er ein Gerechter zu sein scheint und in gutem Rufe steht, eben nur durch eine ziemlich starke Gewalt über sich selbst andere in ihm befindliche Begierden im Zaume hält, nicht durch Ueberredung, daß es so nicht besser sei, und nicht durch Beschwichtigung vermittelst eines Grundes, sondern nur aus Nothwendigkeit und Furcht, indem er wegen seines übrigen Vermögens zittert? – Ja wohl, allerdings, sagte er. – Und bei Gott ja, mein Freund, sprach ich, bei den Meisten derselben wirst du finden, daß, wenn es sich darum handelt, fremdes Gut aufzuzehren, eben jene mit den Drohnen verwandten Begierden in ihnen sind. – Ja wohl, in sehr hohem Grade, sagte er. – Wohl nicht ohne Zwiespalt also möchte ein Solcher in sich selbst sein, und nicht ein Einer, sondern ein Zweifacher, und er möchte wohl Begierden in sich enthalten, welche als die besseren zumeist über die schlechteren die Oberhand gewinnen. – Ja, so ist es. – Darum demnach, sagte ich, wird der Derartige wohl anständiger als Viele sein, aber die wahrhafte Vortrefflichkeit einer einträchtigen und harmonisch gestimmten Seele flieht wohl weit von ihm. – So scheint es mir. – Und in der That ja auch ein schlechter Wettkämpfer als einzelner Mann im Staate ist der Sparsame, wenn es irgend einen Sieg oder sonst einen Wetteifer im Schönen gilt, denn er will um des Ruhmes und der derartigen Kämpfe willen kein Geld aufwenden, weil er sich ja scheut, die auf Aufwand bezüglichen Begierden zu wecken und zu irgend einer Bundesgenossenschaft und einem Wetteifer des Streites herbeizurufen, sondern nur vermittelst einiger weniger Dinge, welche in ihm liegen, führt er in oligarchischer Weise den Kampf, mit der Mehrzahl derselben aber unterliegt er und bleibt dabei reich. – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Werden wir also, sprach ich, es noch bezweifeln, daß entsprechend dem oligarchisch regierten Staate vermöge einer Aehnlichkeit der Sparsame und der Gelderwerber seine Stelle habe? – Nein, keineswegs, sagte er. –

10. Betreffs der Demokratie demnach müssen wir, wie es scheint, es nun erwägen, sowohl auf welche Weise sie entstehe, als auch, welche Art und Weise sie, wenn sie entstanden, an sich habe, damit wir hinwiederum auch die Art und Weise des derartigen Menschen erkennen und ihn zur Beurtheilung aufstellen. – Wir würden dann wenigstens, sagte er, uns bei unserem Wege, welchen wir gehen, gleich bleiben. – Nicht wahr also, sprach ich, es schlägt wohl irgend auf folgende Weise aus einer Oligarchie in eine Demokratie um, in Folge einer Unersättlichkeit in jenem, was als Gut gilt, nemlich daß man so reich als möglich werden solle? – Wie so? – Weil die Herrscher in derselben wegen ihrer großen Besitzthümer bei ihrer Herrschaft es nicht gesetzlich verwehren wollen, daß diejenigen unter den Jünglingen, welche zügellos sind, ihre Habe aufwenden und durchbringen dürfen, damit nemlich sie selbst dann die Habe Solcher käuflich an sich bringen und durch Geld-Darlehen an sie noch reicher und hiedurch noch angesehener werden. – Ja, um jeden Preis. – Nicht wahr also, dieß ist von vorneherein in diesem Staate klar, daß es bei den Bürgern eine Unmöglichkeit ist, zugleich den Reichthum zu ehren und Besonnenheit in genügender Weise zu erlangen, sondern daß sie nothwendig entweder das eine oder das andere von diesen beiden vernachlässigen müssen. – Ja, so ziemlich klar ist dieß, sagte er. – Indem sie demnach in den Oligarchien zuweilen gar nicht unedle Naturen auf diese Weise vernachlässigen und in Ziellosigkeit leben ließen, nöthigten sie dieselben, arm zu werden. – Ja, gar sehr. – Diese dann sitzen nun, glaube ich, im Staate da, mit Stacheln versehen und zugleich entwaffnet, die Einen als Schuldner, Andere der Bürgerrechte verlustig, Andere beides zugleich, in Haß und Tücke gegen jene, welche ihre Habe an sich gebracht haben, sowie gegen alle Uebrigen, stets nach Neuerung strebend. – Ja, so ist es. – Die Gelderwerber hingegen sind eben auf dieß erpicht und scheinen dieselben gar nicht zu bemerken, sondern schleudern auf jeden der Uebrigen, welcher immer sich ihnen darbietet, wieder Geld als verwundenden Pfeil, und indem sie die Zinsen als Sprößlinge des Kapitales in vervielfachtem Maße eintreibenDer Zinsfuß bei Gelddarlehen war in Athen sehr hoch; es wurden nemlich monatlich Ein bis drei Procente bezahlt und außerdem Zinses-Zinsen berechnet., erzeugen sie im Staate eine große Menge Drohnen und Bettler. – Wie sollte auch, sagte er, nicht eine große Menge derselben entstehen? – Und weder durch jenes Verfahren, sagte ich, wollen sie das auflodernde derartige Unheil löschen, daß sie die beliebige Veräußerung der Habe verhindern, noch auch durch folgendes, durch welches hinwiederum gemäß eines anderen Gesetzes derartiges abgeschnitten würde. – Gemäß welchen Gesetzes? – Gemäß eines Gesetzes, welches nach jenem das zweite wäre und die Bürger nöthigen würde, der Vortrefflichkeit sich hinzugeben; nemlich wenn es vorschriebe, daß man auf seine Gefahr hin den größten Theil der freiwilligen Contracte abschließe, so würde man wohl weniger unverschämt Geldgeschäfte im Staate machen, und in geringerer Zahl würden die derartigen Uebel, von welchen wir so eben sprachen, hervorsprossen. – Ja, bei Weitem, sagte er. – Nun aber, sprach ich, führen ja durch all Derartiges die Herrscher einen solchen Zustand der Beherrschten in dem Staate herbei; was aber sie selbst und die Ihrigen betrifft, werden sie nicht die Jünglinge üppig und arbeitsscheu bezüglich des Körpers und bezüglich der Seele machen, und weichlich betreffs der Selbstbeherrschung in Vergnügen und Schmerz, und überhaupt thatenlos? – Wie sollte es anders sein? – Sie selbst aber werden Alles mit Ausnahme des Gelderwerbes vernachlässigen und auf die Vortrefflichkeit eben so wenig Sorgfalt verwenden, wie auch die Armen? – Allerdings keine. – Wenn demnach in solchem Zustande die Herrscher und die Beherrschten zusammentreffen, sei es auf Reisen oder in anderer Gemeinschaft oder bei Festgesandtschaften oder in Feldzügen oder als Schiffs- oder Zelt-Genossen oder als gegenseitige Beobachter im Augenblicke einer Gefahr, dann werden wohl keineswegs die Armen von den Reichen verschmäht werden, sondern wenn häufig ein armer, hagerer, sonnverbrannter Mann im Kampfe neben einem Reichen steht, welcher in behaglichem Schatten aufgewachsen und von fremdem Schweiße gar wohl beleibt geworden ist, und er das Keuchen und die Unbeholfenheit desselben sieht, glaubst du dann nicht, er werde der Ansicht sein, daß die Derartigen nur durch ihre Schlechtigkeit reich seien, und es werde, wenn sie einzeln zusammenkommen, der Eine dem Anderen zuflüstern: »unsere Herren sind Nichts werth«? – Ich weiß allerdings sehr wohl, sagte er, daß sie dieses thun. – Nicht wahr also, sowie ein krankhafter Körper nur einen kleinen Anstoß von Außen zu erhalten braucht um krank zu werden, bisweilen aber auch ohne die äußeren Dinge selbst in sich selbst zerrüttet wird, ebenso wird nun auch ein Staat, welcher in einem diesem entsprechenden Zustande ist, durch eine geringe Veranlassung, wenn von Außen her entweder die Eine Partei aus einem oligarchischen Staate oder die andere aus einem demokratischen Bundesgenossenschaft herbeiführt, sofort erkranken und gegen sich selbst kämpfen, zuweilen aber auch ohne die äußeren Ereignisse in sich in Zwiespalt sein. – Ja wohl, gar sehr. – Eine Demokratie demnach, glaube ich, entsteht, wenn die Armen den Sieg über die Anderen davon tragen und die Einen derselben tödten, Andere verbannen, und allen Uebrigen nach gleichen Theilen am Staate und an den Ausübungen der Herrschaft Antheil geben, und daher zumeist durch das Loos die Beamtungen in dem Staate eintreten. – Es ist auch wirklich, sagte er, dieß die Herstellung einer Demokratie, mag sie durch Waffengewalt vor sich gehen, oder in Folge der Furcht, da die Uebrigen selbst vom Platze weichen. –

11. Auf welche Art und Weise denn nun, sagte ich, leben diese im Staate, und wie wird hinwiederum diese Staatsverfassung beschaffen sein? denn klar ist, daß in eben solcher Beschaffenheit sich uns der demokratische Mensch zeigen wird. – Ja, klar ist dieß, sagte er. – Nicht wahr also, erstens sind sie frei, und von Freiheit im Handeln und von Redefreiheit ist der ganze Staat erfüllt, und Jeder hat in demselben die Unbeschränktheit, zu thun, was er will? – So sagt man ja wenigstens, sprach er. – Wo aber diese Unbeschränktheit ist, wird klärlich Jeder eine ihm einzeln eigenthümliche Einrichtung seines Lebens treffen, welche ihm eben gefällt. – Ja, klärlich. – Menschen aller Art demnach, glaube ich, werden zumeist bei dieser Staatsverfassung entstehen. – Wie sollte es auch anders sein? – So kömmt es darauf hinaus, daß diese die herrlichste von den Staatsverfassungen ist; sowie ein Kleid, welches mit allen Farben bunt gefärbt ist, so möchte wohl auch dieser Staat, da er mit allen Charakteren gefärbt ist, als der herrlichste sich zeigen. – Warum auch nicht? sagte er. – Und wirklich dürften vielleicht auch, sagte ich, Viele das Urtheil fällen, er sei der herrlichste, sowie Kinder und Weiber beim Anblicke bunter Dinge urtheilen. – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Auch ist es, sprach ich, o du Hochzupreisender, ganz passend, in ihm überhaupt eine Staatsverfassung zu suchen. – Wie so? – Weil er ja alle Gattungen von Staatsverfassungen in Folge jener Unbeschränktheit in sich enthält, und für jenen, welcher einen Staat einrichten will, was ja doch wir jetzt thaten, es darauf hinauskömmt, daß er nothwendig in einen demokratisch regierten Staat sich begeben und dort die Art und Weise, welche ihm eben gefällt, auswählen muß, gerade wie wenn er in ein Waarenlager von Staatsverfassungen käme und sich eine auswählte und so den Staat dann gründete. – Vielleicht wenigstens, sagte er, an einer wahren Musterkarte würde es ihm nicht gebrechen. – Ferner aber, daß in diesem Staate, sprach ich, kein Zwang besteht, eine Herrschaft auszuüben, selbst wenn du tüchtig genug bist, sie auszuüben, und hinwiederum auch kein Zwang, dich beherrschen zu lassen, wenn du nicht willst, noch auch Krieg zu führen, wenn man Krieg führt, oder Frieden zu halten, wenn die Uebrigen ihn halten, falls nicht etwa du selbst ein Verlangen nach Frieden hast, und hinwiederum auch, daß du, wenn ein Gesetz dich hindert, eine Herrschaft auszuüben oder zu Gericht zu sitzen, du nichts desto weniger sie eben doch ausübst und zu Gericht sitzest, sobald es dir nur in den Sinn kömmt, ist dieß Alles nicht etwa eine göttliche und reizende Lebensweise für den Augenblick? – Ja, vielleicht, sagte er, für den Augenblick. – Wie aber? ist jene zarte Gesinnung einiger Verurtheilter nicht etwas gar Feines? oder hast du es in einem derartigen Staate noch nie gesehen, daß Menschen, welche zum Tode oder zur Verbannung verurtheilt waren, nichts desto weniger ungestört dort blieben und vor Aller Augen sich herumtrieben? und gerade als bekümmere sich Niemand darum und sähe es Niemand, stolzirt ein Solcher wie ein Heros umher. – Ja, gar Viele, sagte er. – Und jene Nachsicht dann eines solchen Staates und jener wahrlich von Kleinigkeitskrämerei freie Sinn, ja vielmehr daß man all jenes unter seiner Würde hält, was wir anführten und womit wir uns groß machten, als wir unseren Staat gründeten, nemlich daß Keiner, woferne er nicht eine überaus tüchtige Begabung habe, jemals ein guter Mann werden könne, wenn er nicht schon sogleich als Kind im Schönen sein Kinderspiel betreibe und all Derartiges bereits übe, – in wie großartiger Weise tritt dieser Staat dieß Alles mit Füßen und bekümmert sich durchaus nicht darum, aus welcherlei Thätigkeit Jemand zu den staatlichen Verhältnissen sich wende und in diesen thätig sei, sondern er ehrt ihn schon, sobald er nur von sich behauptet, daß er gegen den großen Haufen wohlgesinnt sei. – Ja, wahrlich, sagte er, ein wackerer Staat. – Diese Dinge demnach, sprach ich, und noch andere hiemit verschwisterte enthält die Demokratie, und sie ist wohl, wie es scheint, eine reizende und herrscherlose und buntfärbige Staatsverfassung, welche ja die Gleichheit in gleicher Weise unter Gleiche und Ungleiche vertheilt. – Ja wohl, sagte er, gar sehr verständlich sprichst du. –

12. So sieh denn nun zu, sagte ich, wer als einzelner Mensch der so beschaffene sei; oder müssen wir zuerst erwägen, wie wir es auch beim Staate erwogen, auf welche Art und Weise er entstehe? – Ja, sagte er. – Etwa nicht auf folgende Weise: Jenem Sparsamen und Oligarchischen dürfte wohl, glaube ich, ein Sohn geboren werden, welcher dann von dem Vater in dem Charakter desselben auferzogen wird. – Warum auch nicht? – Mit Gewalt demnach wird auch dieser über jene in ihm befindlichen Begierden herrschen, welche auf den Aufwand, nicht aber auf Gelderwerb gerichtet sind, nemlich über jene, welche als die nicht nothwendigen bezeichnet werden. – Dieß ist klar, sagte er. – Willst du also, sprach ich, daß wir, um nicht in dunkler Weise die Erörterung zu führen, vorerst feststellen, welches die nothwendigen Begierden seien und welches die nicht nothwendigen? – Ja, ich will es, sagte er. – Nicht wahr also, diejenigen, welche wir nicht im Stande sind, abzuwenden, möchten wohl mit Recht die nothwendigen genannt werden, und alle jene, welche bei ihrer Erfüllung uns einen Nutzen bringen; denn daß wir nach diesen beiden streben, ist eine von Natur uns angeborene Nothwendigkeit; oder nicht? – Ja wohl, gar sehr. – Mit Recht demnach werden wir bei solchen von einer Nothwendigkeit sprechen. – Ja, mit Recht. – Wie aber? diejenigen, welche man losbringen könnte, woferne man von Jugend auf sich bemühte, und welche in uns befindlich zu nichts Gutem, zuweilen sogar zum Gegentheile wirken, möchten wir wohl sämmtlich als nicht nothwendige bezeichnen, und sodann wohl den richtigen Ausdruck gebrauchen. – Ja, allerdings den richtigen. – Wollen wir denn nun irgend ein Beispiel der beiderseitigen, welche sie eben sind, vornehmen, um sie hiedurch in einem allgemeinen Gepräge zu erfassen? – Wir müssen wohl. – Wäre also nicht die Begierde nach Essen bis zur Gränze der Gesundheit und des Wohlverhaltens und jene nach Brod und Zuspeise eine nothwendige? – Ich glaube wohl. – Jene wenigstens nach Brod ist nach den beiden Seiten hin eine nothwendige, insoferne sie Nutzen schafft und insoferne sie auf die Fortdauer des Lebens einen Einfluß hat. – Ja. – Jene nach Zuspeise aber, woferne sie irgend einen Nutzen bezüglich des Wohlverhaltens mit sich bringt. – Ja wohl, allerdings. – Wie aber? die hierüber hinausgehende und auf anderweitige Speisen oder dergleichen sich erstreckende Begierde, bei welcher aber die Möglichkeit besteht, daß durch Züchtigung von Jugend auf und durch Bildung sie aus den Meisten sich entfernt, und welche schädlich ist für den Körper, schädlich aber auch für die Seele bezüglich der Einsicht und der Besonnenheit, möchte also diese nicht wohl mit Recht als eine nicht nothwendige bezeichnet werden? – Ja, allerdings völlig mit Recht. – Nicht wahr also, auch Begierden des Aufwandes wollen wir diese nennen, jene aber Begierden des Gelderwerbes, weil sie zur äußeren Thätigkeit brauchbar sind? – Wie anders? – In dieser Weise demnach wollen wir es auch bezüglich des Liebesgenusses und der übrigen Begierden behaupten? – Ja, in dieser Weise. – Und von jenem also, welchen wir so eben jetzt als Drohne bezeichneten, sagten wir, daß er von derartigen Vergnügungen und Begierden strotze und durch die nicht nothwendigen beherrscht werde, daß hingegen, wer von den nothwendigen beherrscht werde, ein Sparsamer und Oligarchischer sei. – Wie sollte es aber auch anders sein? –

13. Von vorne demnach, sagte ich, wollen wir wieder angeben, wie aus einem Oligarchischen ein Demokratischer entstehe; es zeigt sich mir aber, daß er meistenteils in folgender Weise entstehe. – In welcher? – Wenn er als Jüngling, wie wir so eben angaben, ohne Bildung und in Sparsamkeit aufgewachsen den Honig der Drohnen zu kosten bekommen hat und in Verkehr mit flammenden und fürchterlichen Thieren tritt, welche die Fähigkeit haben, allerlei bunte und mannigfaltige Vergnügungen zu bereiten, glaubst du dann, daß da wohl der Anfang davon sei, daß die in ihm befindliche oligarchische Richtung in eine demokratische umschlägt? – Ja, durchaus nothwendig, sagte er, muß sie es. – Wird also wohl, sowie der Staat dann umschlug, wenn der einen der beiden Parteien von Außen her eine Bundesgenossenschaft, nemlich eine gleiche der gleichen, zu Hülfe kam, ebenso auch jener Jüngling umschlagen, wenn hinwiederum von Außen her eine Gattung von Begierden dem einen der in ihm befindlichen Theile zu Hülfe kömmt, nemlich eine mit diesem verwandte und ihm gleiche? – Ja, durchaus wohl. – Und wenn ja nun, glaube ich, wieder eine Bundesgenossenschaft dem Oligarchischen in ihm Gegenhülfe leistet, sei es von Seite des Vaters oder der übrigen Angehörigen, welche ihn belehren oder schelten, dann entsteht Partei und Gegenpartei und ein Kampf in ihm gegen sich selbst. – Warum nicht? – Und irgend einmal, glaube ich, weicht das Demokratische vor dem Oligarchischen zurück und die einen der Begierden gehen dabei zu Grunde, andere werden verbannt, da ein Schamgefühl sich in der Seele des Jünglinges einstellte, und er ist wieder ein Ordentlicher geworden. – Ja, bisweilen geschieht dieß, sagte er. – Hinwiederum aber, glaube ich, sind andere Begierden, welche mit den so eben verbannten verwandt sind, neuerdings herangezogen worden und durch die Unkenntniß des Vaters bezüglich der Erziehung in großer Anzahl und Macht entstanden. – Es pflegt wenigstens, sagte er, so zu geschehen. – Nicht wahr also, diese ziehen ihn zu eben jenem nemlichen Umgangs hin und erzeugen in geheimer Uebung dieses Verkehres wieder eine Menge. – Warum nicht? – Zuletzt denn nun, glaube ich, besehen sie die Burg der Seele des Jünglinges, da sie bemerkten, daß dieselbe leer sei von Unterrichtsgegenständen und von schönen Bestrebungen und von wahren Begründungen, welche ja die besten Beschützer und Wächter in den Gedanken gottgeliebter Männer sind. – Ja, bei Weitem wohl, sagte er. – Unwahre und prahlerische Reden und Meinungen, glaube ich, sind demnach anstatt jener hinaufgedrungen und haben eben diesen Ort des derartigen Menschen besetzt. – Ja, in hohem Grade, sagte er. – Ist er also nicht wiederum offenkundig zu jenen LotophagenS. Odyssee, IX, V. 82–104. gekommen und hat sich bei ihnen niedergelassen? Und wenn von Seite der Angehörigen irgend eine Hülfe für das Sparsame in seiner Seele kömmt, so schließen jene prahlerischen Reden die Thore der königlichen Schutzmauer in ihm und lassen weder die Bundesgenossenschaft selbst herzu, noch auch empfangen sie die begründenden Reden einzelner Aelterer als Gesandte, sondern sie selbst gewinnen im Kampfe die Oberhand, und indem sie das Schamgefühl als Einfältigkeit bezeichnen, stoßen sie es ehrlos hinaus in die Verbannung, die Besonnenheit aber nennen sie Unmännlichkeit und jagen sie mit Beschimpfungen fort, die Mäßigkeit hingegen und einen nicht ungebührlichen Aufwand stellen sie als bäuerischen und unfreien Sinn dar, und bringen sie, unter Beihülfe vieler und nutzloser Begierden, über die Gränze. – Ja, in hohem Grade. – Nachdem sie aber all dieß fortgeschafft und die Seele des von ihnen festgehaltenen und eingeweihten Menschen mit großen Einweihungskosten gereinigt haben, so führen sie hiernach sogleich den Uebermuth und die Unordnung und die Schwelgerei und die Unverschämtheit in glänzenden Gewändern und bekränzt mit einem zahlreichen Reigen zurück, indem sie Loblieder singen und milde Schmeichelnamen gebrauchen; Uebermuth nennen sie Wohlgezogenheit, Unordnung Freiheit, Schwelgerei Großartigkeit, Unverschämtheit Tapferkeit. Wird also nicht ungefähr auf diese Weise ein Jüngling, welcher in den nothwendigen Begierden auferzogen wurde, zur Freiheit und Schlaffheit der nicht nothwendigen und nutzlosen Vergnügungen übergehen? – Ja wohl, sagte er, und zwar in sehr deutlicher Weise. – Es lebt denn nun, glaube ich, hernach der Derartige, indem er nicht in höherem Grade auf die nothwendigen Vergnügungen, als auf die nicht nothwendigen, sein Vermögen und seine Mühe und seine Zeit aufwendet; aber wenn er vom Glücke begünstigt ist und in bacchantischem Toben nicht allzu weit ging, sondern älter geworden nach Verlauf des ersten argen Getümmels einige von jenen verbannten Theilen wieder aufnimmt und den Eindringlingen sich nicht völlig hingibt, so wird er in irgend ein Gleichgewicht die Vergnügungen bringen und so fortleben, indem er immer dem je ihn überkommenden, gerade als wäre dieses durch das Loos dazu bestimmt, die Herrschaft über sein Wesen übergibt, so lange bis er an ihm sich gesättigt hat, und hierauf wieder einem anderen, keines dabei mißachtend, sondern sämmtliche in Gleichberechtigung pflegen. – Ja wohl, allerdings. – Und eine wahrhafte Begründung, sagte ich, nimmt er nicht an und läßt sie in seine Burg nicht ein, falls Jemand sagen würde, daß unter den Vergnügungen die Einen zu den schönen und guten Begierden gehören, die anderen aber zu den schlechten, und daß man die ersteren betreiben und ehren, die letzteren aber züchtigen und knechten solle; sondern bei all diesem wird er den Kopf schütteln und behaupten, sie seien sämmtlich einander gleich und in Gleichberechtigung zu ehren. – Ja, in hohem Grade, sagte er, ist er in einem solchen Zustande und thut Solches. – Nicht wahr also, sprach ich, er bringt sein Leben dahin, indem er so Tag für Tag der ihn je überkommenden Begierde zu Gefallen ist, bald sich betrinkend und dem Flötenspiele lauschend, bald wieder Wasser trinkend und sich abmagernd, dann hinwiederum Gymnastik betreibend, zuweilen Nichts thuend und Alles vernachlässigend, dann auch wieder gleichsam mit Weisheitsliebe sich die Zeit vertreibend; häufig aber übt er staatliche Thätigkeit aus und springt auf die Rednerbühne und spricht und thut da, was ihm eben einfällt; und wann er irgend Kriegerischen nacheifert, stürmt er in dieser Richtung hin, oder wann Gelderwerbern, hinwiederum dorthin; und weder irgend eine Ordnung noch eine Nothwendigkeit leitet sein Leben, sondern ein reizendes und freies und glückseliges nennt er dieses Leben und bedient sich desselben fortan stets. – Ja, durchaus wohl, sagte er, hast du hiemit das Leben eines Mannes der Gleichberechtigung durchgegangen. – Ich glaube aber ja, sprach ich, daß er auch ein buntes Allerlei und mit der größten Menge von Charakteren erfüllt sei, und daß der Herrliche und Buntgefärbte, wie jener Staat, auch eben dieser Mensch sei, welchem viele Männer und viele Frauen wegen seines Lebens nacheifern dürften, weil er ja die reichste Musterkarte von Staatsverfassungen und von Sinnesarten in sich enthält. – Ja, so ist es allerdings, sagte er. – Wie also nun? soll uns hiemit entsprechend der Demokratie der derartige Mensch hingestellt sein, welcher mit Recht auch der demokratische genannt werden dürfte? – Ja, sagte er, er soll uns hiemit hingestellt sein. –


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