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VII.
Corysandre

Corysandre beweinte den Prinzen, wie sie ihren Vater beweint hätte. An das Aufbrechen einer Pulsadergeschwulst, das Pouancé bescheinigt hatte, glaubte sie. Nur erstaunte sie, daß die Anzeigen trugen: »versehen mit den Sakramenten der Kirche«. Ihre Reinheit wunderte sich über die Notlüge, die dem Pater Alta erlaubte, die Seelenmesse zu lesen.

Ihr Schmerz wurde noch vermehrt von einem unbestimmten Schrecken über organische Störungen, die sich ihre Unschuld nicht erklären konnte.

– Wollen Sie meine Frau werden? fragte Merodach sie eine Woche nach dem Tode des Prinzen.

– Warum diese boshafte Frage? erwiderte sie verwirrt und errötend.

– Ich habe dem Prinzen versprochen, sie an Sie zu richten.

– Ah! rief das junge Mädchen erbleichend und wankte.

– Seien Sie mir nicht böse, daß ich gezögert habe, Coryse: ich wagte nicht, mir die Sorge um Ihr Glück anzuvertrauen. Ich bin nicht wie die andern Männer: ich gehöre Studien, die kein Ende nehmen.

– Wie können Sie glauben, rief sie, daß ich von Ihnen etwas anderes will als die christliche Ehe; daß ich den gleichen Anteil von Ihren Stunden beanspruche wie die Wissenschaft! Ich gebe mich Ihnen, Merodach, ich nehme Sie nicht! Ich gebe mich ganz einfach, ohne etwas zu fordern: es genügt, daß Sie mich annehmen.

Bewegt, senkte der Magier die Stirn.

»Möge das Schicksal sich erfüllen,« dachte er. »Gott hat eine Absicht mit dieser Begegnung und wird mir die Zeit und die Kraft, die mich diese Pflicht kosten werden, als Segen wiedergeben.«

Drei Monate waren seit dem Tode des Marquis von Donnereux vergangen, und Merodach beschleunigte die Heirat, während Corysandre, ihres Glückes sicher, infolge einer reizenden Scham, die Trauung verzögerte.

– Bleiben wir Verlobte, bis das Trauerjahr zu Ende geht!

Und zum ersten Male bestand sie auf etwas.

Merodach mußte seinen förmlichen Willen ausdrücken und das Aufgebot veröffentlichen lassen. Sie litt unter diesem Ungestüm, das sie jedoch für verliebt hielt!

Einige Tage vor der Trauung verbrachte Corysandre den Nachmittag bei Frau von Montessuy, die erst seit einem Jahre aufgehört hatte, Fräulein von Chamarande zu sein. Kaum von glücklichen Wochen wiederhergestellt, hörte sie nicht auf, über den Verlauf des Gebärens, dieses großen Dramas, zu erstaunen. Was ihre verwunderte Betrachtung als junge Mutter, die nicht ganz aufgehört hat, ein junges Mädchen zu sein, besonders anzog, waren die ersten Störungen, die Anfangssymptome der Befruchtung; und vor dem aufmerkenden Fräulein von Urfé gab sie genau ihre Eindrücke wieder, in der kühnen Sprache einer Unschuldigen.

Plötzlich erbleichte Corysandre furchtbar, erhob sich ganz gerade, als sei ihr ein Gespenst erschienen, und fiel, einen lauten Schrei ausstoßend, wie tot hin.

Der jungen Frau von Montessuy zuhörend, hatte sie alle Symptome der Schwangerschaft an sich entdeckt, und die Erinnerung an ihr furchtbares Erwachen erhob sich vor ihr, trotz den Schleiern, die Merodach in zwei langen magnetischen Schlafen über dieses Ereignis gebreitet, und enthüllte ihr ihre Schande!

Nach Hause zurückgekehrt, schloß sie sich in ihr Zimmer ein.

Wer sie gesehen hätte, wie sie sich in alle ihre Pelze hüllte und dann sich abmühte, die Möbel zu heben, hätte sie für toll gehalten.

Als sie von Schweiß durchnäßt war, hatte die Nacht begonnen, die sehr dunkel wurde: sie zog sich nackt aus und öffnete das Fenster weit.

Schauer liefen über diesen jungfräulichen Körper, der sich in Schweiß auflöste; die Zähne schlugen aufeinander, und ein Husten hob ihre jungen Brüste,

So blieb sie lange Minuten.

Dann schloß sie das Fenster, bedeckte sich mit ihrem Nachtgewand und kniete vor ihrem Betpult nieder.

– Heilige Jungfrau, verzeihe mir, was ich soeben getan habe! Warum hast du erlaubt, daß man mich entweihte?

Und diese Seele eines Engels bereute nicht, erfaßt von dem Zorn eines Lammes, vor dem Verhängnis, das sie besudelte.

– Wie, fragte Merodach am nächsten Morgen, krank am Tage vor unserem Glück?

Er ging mit dem Arzte hinaus.

– Verloren! sagte dieser; eine Lungenentzündung, bei der man nichts tun kann.

Merodach kehrte mit dem Pater Alta ins Zimmer zurück.

– Gehen Sie hinaus, Merodach, sagte sie; ich will beichten.

Als der Dominikaner Corysandre wieder verließ, sprach er:

– Mein Bruder, sie hat erlaubt, daß ich Ihnen, nicht die Beichte, aber das Geheimnis ihres Todes enthülle. Als die junge Frau von Montessuy über ihre Schwangerschaft sprach, erkannte sie, daß sie auch schwanger sei … Sich an ein furchtbares Erwachen erinnernd, das drei Monate her ist, sah sie sich vergewaltigt … Unfähig, das zu überleben, hat sie sich im Schweiße der Abendluft ausgesetzt …

– Wie nichtig ist die Wissenschaft, rief Merodach: sie kann weder voraussehen noch zuvorkommen!

Und er sank nieder, sich in der Starrheit des Schmerzes verzehrend.

– Coryse, rief er, auf die Kranke zueilend, Sie haben mir das Herz getötet. Ich wußte alles und ich liebte Sie nur desto mehr.

– Sie sind ebenso gut wie groß, aber ich konnte danach nicht mehr leben!

Sie weinte.

In das Zimmer des Prinzen gebracht, wurde diese Selbstmörderin in das große Bett gelegt, in dem ein Selbstmörder die letzten Stunden seines Todes geschlafen hatte.

– Das Grab und Sie beide, sagte sie mit geschwächter Stimme, sonst niemand wird es wissen! Gott wird mir verzeihen, nicht wahr, mein Vater? Merodach, ich kann es dir jetzt sagen, da ich sterben werde: oh, ich habe dich sehr geliebt; und ich liebe dich noch mehr und besser … Werde ich bestraft werden, daß ich meine Reinheit nicht überleben konnte? Ich werde dort oben dafür beten, Merodach, daß du sehr weise in dieser Wissenschaft der Magie wirst, die du mehr liebtest als mich! Es ist besser für dich, daß ich sterbe: ich hätte dein Leben beschwert. Oh, sag nicht nein: du hast mich erst gewollt, als ich allein und befleckt war. Weine nicht: Tränen bei dir gleichen Blut … Ich habe dir Kummer genug gemacht, denn ich weiß jetzt, daß du ein Verbrechen begangen hast, um mich zu rächen. Gott wird uns beiden verzeihen, nicht wahr, mein Vater!

Merodach versuchte ein magnetisches Wunder; aber verwirrt, verzweifelt, scheiterte er.

Corysandre empfing die heilige Wegzehrung mit der Weihe einer Heiligen, in Gegenwart der Sonntagsgäste, die weinten.

– Merodach, sagte sie mit erlöschender Stimme, sobald ich tot bin, wirst du alle hinausgehen lassen, wirst dich mit mir einschließen und mir das letzte Gewand anlegen.

– Ich schwöre es dir, sagte Merodach, die Tränen aufsaugend.

Sie ließ das Kleid, das Hemd, die Strümpfe, die sie für das Grab anlegen mußte, holen und auf die Möbel verteilen.

– Das ist nicht alles, Merodach. Wenn man den Sarg bringt … oh, man möge ihn polstern, das Holz ist so hart! … wirst du allein bleiben und den Deckel nageln.

Dann schlummerte sie eine Stunde. Als sie wieder erwachte, befand sie sich in einer sanften Agonie, sie lächelte, als sehe sie Visionen des Paradieses. Plötzlich begann sie zu phantasieren, wie die wahnsinnige Ophelia, fast kindlich.

Der Pater Alta kniete nieder und sprach die Sterbegebete.

Plötzlich liefen Schauer über das Bettuch; ihre reizenden Hände zogen sich in einer Bewegung zusammen, als streute sie Erde über sich; sie schloß ihre Daumen, und ihre keusche Brust hob sich: sie gab die Seele auf unter dem Kuß des Todes, der sie zum zweiten Male vergewaltigte in ihrer Jugend und in ihrer Schönheit.

Merodach legte allein seiner Verlobten das letzte Gewand an …

Man brachte den Sarg, einen Sarg aus Ebenholz, mit weißer Seide gepolstert, in einem Tage und einer Nacht für eine unsinnige Summe gemacht.

Getreu seinem Schwur, schloß Merodach sich ein, um diese Tote in den Sarg zu legen, deren Geheimnis in dem Herzen des Eingeweihten verborgen war, der nie davon spricht, und in dem Herzen des Mönches, in dem eine unaufhörliche Lethe alle Beichten auslöscht.

Fromm bettete er Corysandre in ihren schönen Sarg. Sie lächelte wie die Heilige, welche die Engel des Bernardino Luini zum Himmel tragen.

Entschlossen legte er den Deckel auf den Sarg und schlug einen Nagel ein. Aber eine seltsame Halluzination bemächtigte sich dieses Magiers, dessen ganze Menschlichkeit im Herzen war. Bei jedem Hammerschlage glaubte er Corysandre seufzen zu hören. Mehrere Male riß er die schon eingeschlagenen Nägel wieder heraus und öffnete den Sarg wieder. Ihm fielen Beispiele von Starrsucht ein: er fürchtete, sie lebendig zu begraben!

Er öffnete die Tür zum Salon, in dem sich die Sonntagsgäste befanden:

– Saint-Méen! rief er mit verstörter Stimme.

Er schläferte ihn ein, und der Magnetisierte sagte, sie sei wirklich tot. Er weckte den Dichter und schloß sich von neuem ein.

Die Sonntagsgäste zitterten, als sie diese Hammerschläge hörten, die zu weinen schienen.

Endlich hörten sie auf.

Als eine Weile des Schweigens vergangen war, sprengte Rudenty mit einem furchtbaren Stoß der Schulter die Tür.

Neben dem genagelten Sarg lag Merodach, so bleich, daß er tot zu sein schien.

– Oh! rief Pouancé, der ihm die Schläfen benetzte, und zeigte auf den Kopf.

In den schwarzen Haaren des Magiers war eine Strähne plötzlich weiß geworden und leuchtete.


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