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II.
Die Beichte

Sarkis war zugegen, als die Prinzessin sich ankleidete.

– Welche Sorgfalt und warum dieses starke Parfüm?

– Ich gehe »ad alta«!

– Um zu beichten?

– Um ihm die Beichte abzunehmen!

– Ei, sollten Sie bekehrter sein, als es scheint? Dieser zweite Pater Francesco …

– Ich bin interessiert und will sehen, was vom Redner im Mönch übrigbleibt.

Sie zog ein Mieder aus schwarzer Grenadine an: mit gestickten Blumen übersäet, ließ es lichte Stellen, an denen die Haut anziehender war als nackt. Eine Spalte, die einen Finger breit vom Busen zeigte, stieg vom geschlossenen Kragen herab, sich auf dem Zwischenstück der Brüste erweiternd.

– Es ist kalt, bemerkte Sarkis.

– Ich habe meinen Pelz.

– Er wird Sie nicht vor einer Demütigung bewahren. Oh, lächeln Sie nicht wie Leonardos Mona Lisa: ich habe die Sonntagspredigt über die Liebe gehört, und diese Verachtung der Circe ist keine Heuchelei.

– Wissen Sie nicht, Sarkis, wie oft hohe Gedanken in niedrigen Handlungen enden; daß man vom Ideal entzückt sein kann, um sich doch im Schmutz der Wirklichkeiten zu wälzen; daß dieser Gegensatz alltäglich ist, unter aller Augen, zwischen dem Wunsche der Tugenden und der Praxis der Laster? Der Mensch besteht aus zwei Wesen, aus Geist und Tier, führt also zwei parallele und gleichzeitige Existenzen: wer am Sonnabend ins Lupanar geht, befindet sich am Sonntag in der Kirche, und zwar in gutem Glauben.

– Beim Herkules, ich warte auf Ihre Rückkehr: Ihre Niederlage wird mir Freude machen …

– Ich werde aufrichtig gegen Sie sein, auf Ehre.

– Ich glaube Ihnen, und ich glaube an Merodach und seine Prophezeiungen. Hoheit, der Mönch ist ein Kleid wie das Weib; aber schrecklicher, oft ist ein Toter darunter.

Während ihr Coupé sie nach der Notre-Dame fuhr, erstaunte die Prinzessin, daß sie sich überreizt fühlte. Sie hatte sich diese Mittagstunde ausgewirkt, um sich nicht in der Menge der Beichtkinder zu verlieren.

Eine bleiche Sonne traf die strahlenden Farben der Rosetten, um sich plötzlich zu verdunkeln, als die Prinzessin in die Kathedrale eintrat, die voller Schweigen war: ihr nervöser Zustand war der Art, daß sie bemerkte, wie das Licht bei ihrem Kommen zurückwich.

Es schien ihr, als ob das Echo, das die Worte des Lebens und die Stimmen der Orgel wiederholt, mit übler Laune das Aufschlagen ihrer Hacken auf den Fliesen wiedergab.

Als der Sakristan ihre Karte las, zog er sein Käppchen und bat Ihre Hoheit, den Pater Alta in der dritten Kapelle des linken Schiffes zu erwarten. Kein Gedanke an Frömmigkeit kam ihr. Sie setzte sich der bezeichneten Kapelle gegenüber, blickte in die Luft, sah dann auf ihre Uhr. Die Ermüdung des Wartens, welche die Entschlüsse auflöst, versetzte sie schon in einen Zustand unvernünftiger Befürchtung. Sie kniete nieder, sich auf das Betpult stützend, mit den Augen von Bogen zu Bogen irrend, als ob sie die zählte.

Plötzlich erschien auf der Schwelle der Sakristei die leuchtend weiße Gestalt des Dominikaners. Sie hörte ihn kommen; das Echo war seinen Schritten günstig; sie betrachtete ihn mit einer Freude, als sähe sie einen Gegenstand der Kunst kommen.

Er schritt langsam in der Haltung eines Mönches, der sein Gebet um einen Klosterhof führt, die Hände in den Aermeln, ein Symbol des Verzichtes auf die Welt, die Stirn erhoben, wie es dem zukommt, der löst und bindet!

Weder der Eine noch der Andere senkte das Augenlid. Ein Ordensbruder schien mit diplomatischen Aufträgen zur Prinzessin Este zu kommen, nicht ein Konfessor zu einem Beichtkinde. Er trat in die Kapelle und kniete nieder. Indem sie leicht die Hacken zusammenschlug, warf die Prinzessin ihm die duftende Liebkosung ihres Kleides zu Füßen.

Kaum auf den Knien, öffnete sie ihren Pelz, ließ die Spalte des Mieders klaffen und schlug ihre Aermel zurück, um den Vorderarm zu entblößen.

Diese Vorbereitungen des Verführens vollzog sie in Eile. Als sie den Mönch so nahe sah, fand sie ihn noch begehrenswerter und sagte zu sich:

– Ihn auf meinen Knien haben, so wie er da ist!

Der Pater Alta hatte sich wieder erhoben, indem er sich bekreuzigte. Er öffnete den Beichtstuhl, trat dort ohne ein Geräusch ein und zog den Holzladen auf, der kreischte. Dann fügte sich das Schweigen der Kapelle zum Schweigen der Kathedrale.

Wer am nächsten Pfeiler gelehnt hätte, würde nach Verlauf einer Viertelstunde gesehen haben, wie sich die Füße der Beichtenden bewegten, sich zusammenzogen und durch ihre Zuckungen die Falten des Pelzes schwingen ließen. In dieser ungeheuren Stille war nur der Rücken dieser Frau lebendig und ihr Kleid, das den Beichtstuhl überflutete, zitternd und bewegt.

Nach und nach erhob sich die Stimme der Beichtenden zu Ausdrücken des Zorns; die Tür des Beichtstuhls öffnete sich langsam, der Mönch kniete nieder, wie er beim Kommen getan hatte.

Ihre Hände umkrallten die Lehne, ihr Oberkörper beugte sich vor, ihr Antlitz erblaßte: so betrachtete die Prinzessin den Dominikaner, wie er sich dreimal in einem »Confiteor« an die Brust schlug. Dann erhob er sich, steckte die Hände in die Aermel und ging wieder das Schiff hinauf, mit der Majestät eines Apostels von Fra Bartolomeo.

Als seine weiße Gestalt an der Tür der Sakristei verschwunden war, blieb sie einen Augenblick unbeweglich, dann ging sie mit einem harten Schritt aus der Kirche.

– Ah! rief Sarkis, als er sie eintreten sah, und hielt das ironische Wort zurück, das er auf den Lippen hatte: die Verwirrung dieser stolzen Frau war so groß, daß er sich erhob, um hinauszugehen.

– Bleiben Sie, ich habe noch Stolz genug, um meine Niederlage einzugestehen, sagte sie, die Zähne zusammenbeißend. Er kümmert sich um mich so wenig wie um das Tuch seiner Kutte. Hören Sie! Wenn ich meine Eindrücke wiederhole, werde ich mir besser darüber Rechenschaft geben.

Sarkis setzte sich wieder.

– Sie wissen, welche Sorgfalt ich darauf verwandt hatte, betörend zu sein. Als er den Laden hochgezogen und die lateinischen Worte des Segens gesprochen hatte, blieb ich stumm, statt das Confiteor zu beten: das Mieder halb geöffnet, ließ ich das Schweigen von Angesicht zu Angesicht auf ihn den Eindruck peinlicher Unruhe hervorbringen, den ich selbst alsbald empfand. Ich wartete auf ein Wort, das mir von Anfang an erlaubte, die Beichte in Plauderei zu wenden.

Er schien meinen Gedanken zu ahnen; seine Unbeweglichkeit machte mir Furcht; ich glaubte allein zu sein, als befinde sich niemand hinter dem Gitter. Das entnervte mich; im Nacken peinigte mich ein körperlicher Schmerz, ich erlitt die Angst dieses stummen Zwiegesprächs so sehr, daß ich, um den seltsamen Magnetismus dieses Schweigens abzuschütteln, feige wie ein Pensionsmädchen das Confiteor betete und dann Laute stammelte, die keine Worte waren.

– Meine Schwester, ich höre dich.

Du hörst mich nicht, dachte ich, ich werde sehen, ob der Dämon des Stolzes nicht dem der Wollust zu Hilfe kommt.

– Mein Vater, sagte ich, Sie sind der letzte der Kirchenväter, und Sie kommen den größten gleich; Sie kennen die Geheimnisse der Herzen; wenn Sie das Böse predigten, würde man glücklich sein, sich zu verdammen, um Ihnen zu gefallen.

Ich hielt inne; es herrschte ein langes Schweigen, dann sagte seine einfache Stimme:

– Weiter, meine Schwester!

– Mein Vater, das Wort Gottes wird noch göttlicher, wenn es durch Ihren Mund geht; Ihre Lippen machen das Evangelium duftig; man würde ein Verbrechen begehen, um sich von Ihnen verdammen zu hören.

Nach einem Schweigen, als ich über mein mystisch-gotteslästerliches Pathos errötete, sagte seine ruhige Stimme:

– Weiter, meine Schwester!

Ich begann wieder:

– Sie sind schön, Sie gleichen einem Erzengel; wenn Sie predigen, sehe ich, wie sich ein Heiligenschein hinter ihrem wundervollen Kopfe abzeichnet.

Das Schweigen setzte wieder ein und nach einer Weile wiederholte seine ernste Stimme:

– Weiter, meine Schwester!

Seine Kaltblütigkeit behexte mich: ich geriet in Schweiß, die Gaze legte sich auf meine feuchten Schultern. Dieser Frauenduft hätte ihn verwirren müssen. Nein, Stolz und Wollust hatten ihn nicht gepackt. Er muß wenigstens ehrgeizig sein, dachte ich: zeigen wir ihm die Tiara.

– Die doppelte Prädestination der Heiligkeit und des Genies bezeichnen Sie für die großen Würden. Ich kann Ihnen das heilige Collegium öffnen, und Sie werden in wenigen Jahren den Kardinalshut erhalten. Wollen Sie eine Nuntiatur?

Brauche ich Ihnen zu sagen, Sarkis, daß dieses Alles nicht in meiner Hand liegt? Hätte er sich durch diese Lockpfeife fangen lassen, würde ich ihn schön verspottet haben. Aber, als habe ich ihm gesagt, ich hätte mein Morgengebet vergessen, wiederholte er sein ewiges: »Weiter, meine Schwester!« Diese Antwort brachte mich auf.

– Dann liebe ich einen Mönch, sagte ich; mein Körper verlangt nach seinem Körper …

– Weiter, meine Schwester! ließ er gleichgiltig fallen.

– Dann kommt man zum Beichtstuhl, um einen Mönch in sein Bett zu locken: wenn es dann noch »weiter« etwas gibt, so lehren Sie mich das!

Da erhob er sich ohne Eile, ohne Zorn, ohne Verwirrung, verließ den Beichtstuhl, kniete nieder, um ein Confiteor zu sprechen, und ging.

– Sie schweigen, Sarkis, fragte sie gereizt.

– Was soll ich Ihnen sagen? Merodach ist ein Zauberer und Sie lieben!

– Ich wünsche Ihnen nicht so viel Haß, wie dieses Gefühl ist, das Sie Liebe nennen.

– Wie ist das weiblich! Er hat alle seine Pflichten gegen Sie verletzt … als er die erfüllte, die er gegen Gott hat!

– Wenn er würdig wäre, hätte er mich angehört?

– Klagen Sie ihn an! …

– Ich werde Besseres tun …

– Werden Sie ihm Ihren Sbirren Rochenard senden?

– Diese Sache werde ich selbst erledigen!

Immer noch bleich ging sie in ihre Gemächer.


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