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III.
Der Krach

Als Merodach den Börsenplatz überschritt, bemerkte er Mérigneux, der entgegen seiner Gewohnheit des geistigen »far niente« in Gedanken zu sein schien.

– Was macht Ihre Indolenz da?

– Meine Indolenz ist sehr erschüttert!

Mit einer Gebärde zeigte er auf den unedlen Bau, aus dem ein Geschrei herausdrang.

– Sollten Sie Interessen in diesem Lupanar haben? fragte Merodach.

– Marcoux ist verloren, sagte Mérigneux. Die Wertpapiere der »Nouvelle France«, die zu fünfhundert ausgegeben wurden, standen gestern auf viertausend. Die Semiten ließen dieses Papier steigen; heute lassen sie es wieder fallen. Sechstausend Stück wurden auf den Markt geworfen und drückten den Kurs bis unter den Preis der Ausgabe: Marcoux kauft seine eigenen Werte zurück. Treten wir ein.

Sie stiegen auf die Tribünen.

Pöbel in Wut, Septembrisirer Mörder in den Schreckenstagen vom 2. bis 6. September 1792. im Wahn, auf ein Aas gehetzte Schakale, vor Hunger toll gewordene Narren, von Branntwein trunkene Wilde, Gott lästernde Verdammte würden keine Vorstellung von der Menschenmeute geben, die um den Maklerplatz tobte.

– Pfui! rief Merodach. Was schreien diese Leute?

– Man muß zu deren Sippe gehören, um sie zu verstehen.

– Sagen Sie, zu deren Schmutz.

Aus einer wogenden Pflasterung von Köpfen tauchten Arme empor, die in Verzweiflung kleine Notizbücher schwangen. Die kahlen Schädel färbten sich purpurrot, als wollte sie der Schlag rühren. Aus diesem tollen Gewimmel rollte ein unbeschreibliches Heulen, von zweitausend Stimmen verrückter Tiere ausgehend, seine hallenden Wellen bis in den offnen Himmel, von wo ein trüber Tag hereinfiel, um dies zu beleuchten.

– Welche Entweihung des Wortes! sagte Merodach; die Sprache, dieses fast göttliche Geschenk, zum Kauderwelsch des Goldes und dessen Toben mißbraucht. Der Tag, an dem das Gebet der Kirchen nicht mehr dieses Geschrei bedeckt, wird der letzte sein … Diese erhobenen Hände rufen den Blitzstrahl der Gerechtigkeit und Gott schuldet die Hölle in jener Welt denen, welche sie in dieser geschaffen haben.

Einen Kassenboten, der vorbeiging, fragte Mérigneux:

– La Nouvelle France?

– Niemand will sie für zweihundert mehr nehmen.

– Courtenay ist verloren, sagte Merodach. Schnell, zur Nina.

Sie fanden sie zum Ausgehen angekleidet. Als sie erfuhr, daß der Prinz ruiniert sei, floß sie über vor Schmerz und Erstaunen.

– Ich fürchte einen Selbstmord, sagte Mérigneux. Seien Sie sofort im Hotel, Mylady.

Der Krach wurde bekannt mit dieser unglaublichen Schnelligkeit, mit der sich allgemeine Unglücksfälle verbreiten.

Fast eine halbe Milliarde verloren durch die Klasse, die sich wegwirft, wenn sie arbeitet, und die aus dem Elend sich weder an den Handel noch an die Industrie wenden kann. In wenigen Stunden war das goldene Schildhaupt der Wappen vernichtet, das Silber der Pfähle verschwunden, und mit dem Fall des Adels zerbrachen die letzten Hoffnungen einer Partei.

In seinem Kabinett plauderte der Prinz mit Corysandre.

– Hoheit, eine ernste Sache, sagte Mérigneux eintretend.

Corysandre erhob sich.

– Nun, sagte der Prinz, als der Türvorhang sich wieder schloß, der Kurs fällt?

– Es kracht!

Der Prinz schloß einen Augenblick die Augen.

– Und das Vermögen der Corysandre?

Mérigneux antwortete nicht.

– Es ist gut; holen Sie meine Reserve und bezahlen Sie alle.

Und er verabschiedete ihn.

Auf Mérigneux wirkte diese königliche Haltung, einem Zusammenbruch gegenüber, der bis zum Selbstmord gehen konnte.

– Welches Benehmen im Unglück! Wie diese Adeligen das tragen! sprach er zu sich, seine Bewegung unter einer Formel künstlerischer Bewunderung verbergend.

Allein geblieben, bewahrte Courtenay seine stolze Kaltblütigkeit: so sehr hatte er sich daran gewöhnt, seine Haltung im Lichte der Geschichte zu sehen, daß diese Anzeige seines Todes ihm nicht die Fassung raubte. Er hatte selbst beim Sonntagssouper gesagt: ein ruinierter König ist ein verdammter König. Aber sein großer Schmerz, das war der Ruin von Corysandre.

Er nahm eine trockene Feder und begann auf dem Rande einer Zeitung Figuren zu zeichnen, die sich nicht abhoben.

– Lady Astor! meldete Anselm.

Die Nina trat lebhaft ein.

– Sie sind ruiniert, Sire, sagte sie und faßte seine Hände. Ich bringe Ihnen mein Vermögen.

Courtenay runzelte die Brauen.

– Mylady, Sie sind hier im Hause Courtenay, wo Fräulein von Urfé wohnt. Was das Anerbieten Ihres Vermögens betrifft …

Die Nina glaubte zu träumen: sie verstand diesen Mann nicht, der bei ihr sein äußeres Leben vergaß und Dinge wie Leute nicht mehr von der Höhe seines Wappens betrachtete.

– Aber Ihr Mündel ist ruiniert und Sie haben nicht das Recht …

– Ihr Gold dem Fräulein von Urfé anzubieten, die ebenso wenig wie ich etwas von Ihnen empfangen kann …

– Ich will Sie retten … und Sie beleidigen mich, Robert.

– Mylady, Fräulein von Urfé darf Sie nicht hier treffen.

Er sah nicht, wie der Haß in den Augen der Nina aufleuchtete. Ihre Schande verbergend, begann sie wieder:

– Es muß Ihnen etwas übrig bleiben, wenn es auch nur hunderttausend Franken sind. Ich werde an der Börse spielen lassen. Ich verlange nur drei Tage.

Mérigneux trat ein.

– Es bleiben Eurer Hoheit nur diese achtzigtausend Franken.

Lady Astor nahm den Stoß Banknoten.

– Ihr Wort, daß Sie drei Tage warten werden?

– Es sei! gab der Prinz nach, in der Hoffnung, Corysandre einen Teil ihres Erbteils zu ersetzen.

Diese, betroffen von Mérigneux' Blässe, war an die Tür des Kabinetts zurückgekommen, hatte geklopft und trat ein, da sie keine Antwort erhielt.

Der Prinz machte der Nina ein Zeichen: unterwürfig und wütend verschwand sie.

Fräulein von Urfé trat an den Tisch. Als sie die Seiten voll Zahlen erblickte, die Mérigneux hielt, begriff sie, daß es sich um Geld handelte.

– Beunruhigen Sie sich nicht, Pate! Mein Vermögen gehört Ihnen: nehmen Sie es.

Courtenay erbleichte. Zum ersten Male feige, wagte er nicht zu gestehen, daß er das Depot, das man ihm anvertraut, bereits aufs Spiel gesetzt und verloren hatte.

– Danke, Corysandre; alles wird sich ordnen lassen, sagte er mit Anstrengung.

– Durch wen? Durch diese Dame, die geht? Oh, ich hätte sie gern geküßt! Ihr Name? … rief sie.

Courtenay antwortete nicht, sich auf die Lippen beißend. Er hatte sein Mündel nicht nur ruiniert: er ließ sie auch in seinem Hause mit einer Dirne zusammentreffen.

Da er seine Würde wie seine Pflicht verletzt hatte, erklang in seinem Geiste das Halali seiner eigenen Achtung.

Ein peinliches Schweigen wurde von Anselm gebrochen:

– Hoheit, es ist serviert.

Kaum hatten sie sich zu Tisch gesetzt, als sie alle Sonntagsgäste kommen sahen, den einen nach dem andern. Beim Nachtisch fehlte nur noch Merodach. Jedem wurde ein Gedeck hingelegt. Es war die selbe Tischgesellschaft wie am Boulevard de Courcelles; aber die Anwesenheit des Fräuleins von Urfé machte sie unkenntlich.

– Ah, meine Herren, ich segne ein Unglück, das mir solche Freunde erprobt: Sie sind alle da, und zwar auf der Stelle.

Er fühlte, wie besonders wertvoll der Eifer dieser Gleichgiltigen und die Liebe dieser Egoisten war.

– Und Merodach?

– Er war mit mir um vier Uhr in der Börse, sagte Mérigneux.

– Oh, zweifeln Sie nicht an ihm, rief Corysandre.

– Ich möchte wetten, daß er zu dieser Stunde Pflastersteine in feines Gold verwandelt!

Corysandre machte die Wirtin mit einer schüchternen Anmut, die alle diese Entarteten entzückte.

– Ja, wiederholte der Prinz, als der Letzte kam, der Herzog von Nimes, man muß für mich an der Börse spielen, um den Verlust zu ersetzen … Wahrhaftig, ich verstehe nicht mehr davon als ein Baron des dreizehnten Jahrhunderts vom Zauberbuch seines Kaplans!

Anselm trat ein.

– Hoheit, ein Mann ist da, der eine Kiste bringt, im Auftrage des Herrn Merodach.

– Man bringe sie her!

Zwei Diener öffneten sie mit Mühe. Als der Deckel abgehoben war, glänzten auf einem Bett aus Hobelspänen Barren von Gold.

Alle erhoben sich und riefen aufs höchste erstaunt:

– Gold!

Kein Wunder hätte sie in ähnlicher Weise geblendet: das Gold, die wahre Synthese der Allmacht, das Gold in Kisten, war ein Schauspiel, daß man glauben konnte, Halluzinationen zu haben.

Sie nahmen die Barren; sie wägten sie ab, sie von Hand zu Hand gehen lassend; sie ließen sie fallen, bei dem Geräusch wie über eine göttliche Musik lächelnd.

Man trug sie in den Salon, wo sie gleichmäßig um die Lampe geordnet wurden. Dieser Tisch voll Gold machte alle heiter. Merodach gewann ein solches Ansehen, daß sich alle erhoben, als er ankam.

– Nicolas Flamel Alchemist um 1400: Albert Poisson, Nicolas Flamel, sein Leben und seine Werke., danke! sagte der Prinz zu dem jungen Manne.

Dieser lächelte, als er die Blicke so geblendet sah.

– Wie konnten Sie das einem Dienstmann anvertrauen? … fragte Gadagne.

– Ein Dienstmann wird sich nie vorstellen können, daß diese Kiste, die seine Schulter verrenkt, voll Gold ist.

– Haben Sie gespeist? fragte Corysandre.

– Ich habe keine Zeit gehabt; ich wußte nicht mehr, wo dieses Gold war; ich mußte es suchen … Es ist für Tantalus gedeckt, aber ich würde gern eine mehr menschliche Kost einnehmen.

Man brachte kalte Rebhühner und schichtete die Goldbarren auf, um Platz zu machen.

– Ich trinke nur Wasser, sagte Merodach zum Diener und wandte sich an die Sonntagsgäste:

– Hätte ich die »Göttliche Komödie« geschrieben, würden Sie mich kritisieren; Sie glauben, daß ich Gold gemacht habe, und ich erscheine Ihnen als Halbgott … Wie junge Mädchen enttäuscht sind, wenn ihr Ideal die Hände in die Taschen steckt, so verwirrt Sie mein Heißhunger nach dem ersten besten Brustfleisch. Ziehen Sie Ihre Bewunderung zurück: dieses Gold ist wohl alchemistisches Gold, aber ich habe es nicht hergestellt.

Er trank ein großes Glas Wasser und fuhr fort:

– Es gibt nur eine gute Polizei: die Leidenschaft. Zwei Thugs Mitglieder einer fanatischen Mörderbande in Vorderindien: Taylor, Bekenntnisse eines Thugs, London 1839., die an den beiden äußersten Enden von Paris hausen, werden sich schließlich treffen, sich sprechen und sich verständigen. Das ist das Gesetz der Wahlverwandtschaften: die Manien suchen sich und ziehen sich an in einer steten Bemühung, sich zu gruppieren. Wer hat je gewußt, daß in Menilmontant, Rue des Partants, ein portugiesischer Jude hauste, der die Metalle verwandelte? Sie wissen vielleicht, daß die Buchhandlung Guillemot, Quai des Grands Augustins, als Spezialität die Magie hat und daß alle Erleuchteten von Paris sich dort mit Vorrat versehen; und zwar, lächeln Sie nicht, denn das ist die Allmacht, in der Form eines Quart- oder eines Duodez-Bandes, der verkauft wird an den, der versteht zu wissen, wollen, wagen, schweigen. Ich traf dort den alten Manasse: wir trieben auf der Stelle Kabbala zusammen. Er enthüllte mir seinen großen und einzigen Athanor, wie Sie Ihre Börse öffnen würden, um sie mir zur Verfügung zu stellen. Ich habe dem Schmelzen beigewohnt, aber ich würde mich nicht damit belasten: mein Hauptwerk hat nichts mit der Materie zu schaffen. Manasse zählte siebzig Jahre, als ich ihn traf, und er sagte mir: »Ich bin fünf Jahre alt,« in dem Sinne von Saul, der mit drei Jahren zum König gewählt wurde. Er stellte jährlich für hunderttausend Franken Gold her; als er mit achtzig Jahren starb, hatte er zwei Millionen gemacht. Ich habe wichtige Manuskripte und diese Kiste Gold geerbt. Sie werden bemerkt haben, daß sie zum Versand hergerichtet war … Wohin? … Ich weiß es nicht. Ich lasse jedes Jahr dreißig Messen für diesen Juden lesen: Sie wissen, das ist eine Klausel des Testaments von Leonardo. Kurz, Prinz, da haben Sie alles künstliche Gold von Paris und vom Jahrhundert Nicht alles: Strindberg, Synthese des Goldes, Band »Antibarbarus« der deutschen Gesamtausgabe..

Die Anwesenheit der Corysandre bezauberte alle.

Man verabredete, am übernächsten Tage, der auf einen Freitag fiel, wieder zusammen zu kommen.

Am Freitag fand man einen Brief des Prinzen vor, der schrieb, er sei nach Venedig gereist, um dort sechs Wochen zu bleiben.

– Meine Herren, sagte Merodach traurig, es scheint, die Nina hat glücklich an der Börse spekuliert, so daß dem Prinzen vierzigtausend Franken Zinsen bleiben. Schränken Sie in jeder Weise die Ausgaben des Hauses ein, Mérigneux. Jeden letzten Freitag im Monat wollen wir uns wieder hier einfinden.

– Ich glaube, sagte Talagrand …

Er unterbrach sich …

– Aber ich bin dessen nicht sicher.

Man trennte sich, voller Argwohn, was die Nina plante; und jeder kehrte zu seinen Lastern zurück.


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