Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II.
Liebhaber und Freundin

Amidei, ein Nachkomme derer, die Buodelmonte Peladan, Prinz von Byzanz (deutsch erschienen). ermordeten, war ein schüchterner und errötender junger Mann, ganz Mädchen, mit einem Benjaminkopf, im Sprechen sanft und zögernd, den sein Onkel, der alte Strozzi, dazu trieb, Leonora den Hof zu machen, in der Hoffnung auf eine schöne heraldische Heirat.

Fügsam und dem Liebesbedürfnis seiner zarten Seele nachgebend, verliebte er sich leidenschaftlich. Leonora, schon boshaft, das heißt schon Weib, belustigte sich über dieses Gefühl mit Grausamkeit. Wagte er eine Erklärung zu stammeln, so girrte die junge Prinzessin, seine Cherubin-Miene nachäffend, ihm als Antwort die schmachtendsten Sonette von Petrarca vor, in possenhaftem Tone.

– Sprechen Sie so zu mir von Liebe und ich werde Sie anhören.

– Ich kann nur lieben, ich kann es nicht sagen, antwortete Amidei.

– Wie, rief Leonora aus, Sie lieben mich und Sie werden darüber nicht zum Dichter? Ich will Seufzer nur unter der Form von Liedern und Balladen, wie Tasso und Ariost sie meinen Ahnfrauen Lukrezia und Leonora darbrachten.

Amidei nahm eine Verslehre und schrieb mit großer Mühe ein schlechtes Sonett. Leonora wurde darüber so ärgerlich, daß sie voller Groll ausrief:

– Ich kann also nicht einmal zu guten Versen begeistern.

Sie sann über geschlechtliche Bosheiten nach: ihn durch Begierde zu verwirren, machte ihr solchen Spaß, daß sie bis zur Schamlosigkeit ging.

An einem Tage im August holte Bianca del Agnolo sie ab, um sie für eine Woche nach Pratolino zu entführen. Leonora sprang fröhlich in den Wagen, der sie durch das Tor von San Donato davontrug. Die beiden jungen Mädchen waren glücklich, allein zu sein und zusammen durchgehen zu können.

Der unfruchtbare Apennin und der Koloß des Giovanni da Bologna Bildhauer aus Flandern, gest. 1608 zu Florenz. folgten auf die fruchtbare Ebene des Arno, als Bianca zu ihrer Freundin sagte:

– Man wollte dir das blaue Prunkzimmer geben: ich habe gesagt, du würdest dich in meinem wohler fühlen. Wir werden zusammen schlafen: bevor wir einschlummern, werden wir noch lange plaudern können. Oh, das wird hübsch sein.

Die Villa der Agnolo erhob sich auf der Stelle dieses toskanischen Marly Lustschloß Ludwigs XIV., westlich von Paris., wo Großherzog Francesco und Bianca Capello ihre Liebe verbargen.

Am Abend sprachen die beiden Freundinnen von dem Pratolino der Medici.

– Du nennst dich auch Bianca, sagte Leonora; gib auf deinen »capello« Capello, ital. Haar. acht, damit er nicht den Flügel der Plappermühlen frisiert.

– Es müssen sich hier Dinge ereignet haben, sagte Bianca, sich in einen Sessel gleiten lassend.

– Ja, wie die in den Stellen der französischen Romane, die Sarkis mich nicht wollte lesen lassen.

– Erzähle! bat Bianca, ihre Freundin auf den Balkon ziehend.

Eine leuchtende Nacht hüllte den Garten in ihr verführerisches Geheimnis. Geräusche von Insekten, Blättern, Quellen hoben und senkten sich wie ein Atmen der schlafenden und träumenden Natur.

Von der Erde stiegen die feuchten und warmen Hauche in berauschenden Ausströmungen zum Balkon empor; vom Grase voller Leuchtkäfer, vom Himmel voller Sterne, von den Hagebuchengängen voller Schatten, vom Schweigen voller Stimmen, vom Schlummer voller Leben ging ein Zauber aus.

– Erzähle mir, sage mir …, bestand Bianca.

– Später … nicht jetzt … sprich nicht … laß mich … ich fühle mich so wohl …, sagte Leonora weich.

Die Nachtfalter streiften ihre Wangen mit samtener Berührung; ein leidenschaftliches Lächeln öffnete halb ihre Lippen; köstlich stiegen Betäubungen auf sie nieder; neue und unbestimmte Empfindungen ließen kleine Schauer einer schmerzlichen Wollust über ihre feuchte Haut laufen.

– Möchtest du nicht, fragte Bianca, sie um die Taille fassend, daß dich an meiner Stelle ein schöner Kavalier in seinen Armen hielte?

– Ich würde ihn lieber auf meinen Knien sehen, erwiderte Leonora, die, immer aufgestützt, ihre erweiterten Augen auf den Schatten heftete, vom Magnetismus dieser Sommernacht bezaubert.

– Willst du dort die Morgenröte mit den schönen Händen, den schimmernden Füßen erwarten? rief lachend Bianca.

Sie nahm sich zusammen und entriß sich dem Balkon mehr, als daß sie ihn verließ, mit roten Ohren, schwerem Kopf, trockenem Munde.

Als sie sich entkleidet hatten, hielten sie sich dabei auf, ihre Toilette für die Nacht zu machen. Plötzlich rief Bianca:

– Komm, wir wollen uns sehen!

Ihre Freundin vor den großen Spiegel ziehend, warf sie ihr Nachtgewand zurück und riß das Leonoras ab, bevor diese sich dem widersetzen konnte.

Die Nacktheit ihrer Körper zeigte sich ihnen, unerwartet, neu, unbekannt. Sie hatten sich niemals so betrachtet, kannten sich nicht, und ihre Schönheit ließ Ausrufe auf ihre Lippen steigen. Die Arme verschlungen, an einander gelehnt, in einer künstlerischen Gruppe, lächelnd, errötend, mit dem Klopfen einer Lust unter der linken Brust, betrachteten sie sich, neugierig, entzückt, verwirrt.

Bianca erschien als das ganz junge Mädchen dieser ruhenden Venus, die dem Beschauer, mit gesättigter Ueppigkeit, die tierische Versuchung ihres stark wollüstigen Körpers zeigt. Sie hatte schon deren fleischige Formen, deren warme Farbe; ihr tiefer Busen war der einer Frau und ihre Hüften verkündeten die Fruchtbarkeit.

Ein Engel des Meßbuches, als törichte Jungfrau durch einen entarteten Zeichner entkleidet: so erschien Leonora. Von Mattheit blendend, war ihre Hautfarbe die der »Quelle« Ingres, Die Quelle (1856, Louvre)., ohne eine lichte Stelle, nicht einmal am Knie, nicht einmal am Ellbogen. Die Blässe ihrer schlanken Arme setzte sich in ihren Händen fort; und die ihrer abfallenden Schultern in ihrem langen Halse. Sie war mollig mager, ohne daß an irgendeiner Stelle das Knochengerüst durchschien. Auf ihrem flachen Busen setzten sich ihre kleinen, aber festen Brüste plötzlich an, ohne Uebergang, abgesondert und zugespitzt. Die Linie der Taille schwoll etwas an den Hüften, um sich in den zu langen Beinen einer Eva von Lukas van Leyden zu verlieren. Der Schwung der Linien, die Feinheit der Gelenke, die schmale Länge der Hände und Füße, das Vorherrschen der Vertikalen entmaterialisierte ihr im Ton schon unwirkliches Fleisch: eine dieser Heiligen schien sie zu sein, die der Stichel Schongauers für das Martyrium entblößt. Aber die schwarzblauen Augen mit dem ungewissen Blick, der große Mund mit dem beunruhigenden Lächeln, das Haar in den gelblichen Tönen alten Goldes, der ganze Kopf widersprach der Frommheit des Körpers.

Bald fühlten sie sich verlegen, daß sie nackt waren, und Bianca löschte den Armleuchter.

– Du bist mir doch nicht böse? fragte sie, als sie im Bett lagen.

– Dir böse sein, warum? fragte Leonora.

– Weil ich Amidei getröstet habe: du hältst diesen armen Burschen zum Narren. Freitag besuchte ich den alten Strozzi: ich fand Amidei allein, und so betrübt, daß er mir wehe tat. Er beklagte sich über dich, ich redete ihm zu, er hörte mich nicht. Dann küßte ich ihn aus Mitleid, er küßte mich: ich gab ihm seinen Kuß zurück, er gab ihn mir wieder … Du bist mir doch nicht böse?

– Oh, durchaus nicht, sagte Leonora, in ihrem Stolze verletzt. Nur, wenn du schon zu trösten beginnst … du mußt deine Tröstungen sehr lebhaft angeboten haben, denn er ist schüchtern … Und dann?

– Das sieht dir ähnlich, rief Bianca: du siehst aus, als seiest du unwillig, und es macht dir Vergnügen, sagen zu hören …

Sie schmollten einander und schwiegen. Durch den offen gebliebenen Balkon kamen die Säfte des Parkes ins Zimmer, Düfte bringend und Fieber erzeugend. Ein Strahl des Mondes versilberte den Fuß des Bettes.

– Du bist mir böse, sag, seufzte Bianca, ihre Freundin in die Arme schließend und sie mit Liebkosungen besänftigend, die Leonora verwirrten.

Dies hatte nicht die Dauer eines Wetterleuchtens, das in diesem Augenblick den Himmel furchte, aber Leonora stürzte sich aus dem Bett. Bei diesem ersten Schlangenbiß des Fleisches wurde sie bestürzt wie vor einer Entartung. Sie nahm plötzlich die Empfindung voraus von nahen Versuchungen, von sinnlichen Bestürmungen, von dem schmerzlichen Kampfe des Willens mit den Trieben; und das junge stolze Mädchen weinte Tränen des Zornes, als sie das Tier in sich entstehen fühlte.

Eine Gebärde des Zufalls, von der Dauer einer Sekunde, und es war um die Reinheit ihrer Sinne geschehen.

Das traurige Gesetz des Körpers erschien ihr, das niemals aufgehoben wird, das schwer zu umgehen ist; und von ihrem blutenden Stolze breitete sich eine unendliche Traurigkeit über ihre Gedanken aus.

Sie erinnerte sich dieses Ausspruches von Sarkis: » Das Schönste, was es nach einer Seele ohne Schwäche gibt, ist ein Körper ohne Begierde


 << zurück weiter >>