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III.
Circe

In ihrem Atelier stand Leonora auf einem Gerüst und malte lebhaft ein großes dekoratives Gemälde auf eine Holzplatte: in einer wilden Landschaft fällt eine Frau erschöpft nieder, mit verstörtem Blick, mit aufgelösten Haaren, während von fern die sich bäumende Chimäre, die sie verfolgt hat, sie mit ihren ironischen Augen herausfordert.

Um bequem arbeiten zu können, hatte sie ihren Morgenrock aus orangenfarbener Seide ausgezogen: in Hosen aus Batist, die Büste nur von einem feinen Mieder umschlossen, mit nackten Armen, legte sie mit Eifer Töne des Mooses auf die Felsen.

– Graf Kerdanes ist da, Hoheit, meldete der Diener.

Sie machte ein »Oh« des Verdrusses.

– Nun, führen Sie ihn her.

– Prinzessin, ich störe Sie, sagte der Graf, als er ins Atelier trat, dessen Treibhauswärme ihm das Blut in die Ohren steigen ließ.

– Aber nein; sehen Sie, ich unterbreche mich nicht.

– Ich werde zusehen, wie Sie malen.

– Ah, dachte Leonora, sich an ihre leichte Kleidung erinnernd, er würde mir lange zusehen, ohne sich zu beklagen.

Als sie sich nach einem Augenblick umdrehte, um eine Blase zu nehmen, war der Graf ganz verändert: der Blick fieberhaft, die Züge entstellt, das Gesicht erdfahl, eine Beute der deutlichen Erweichung des Rückenmarkes.

– Mein armer Graf, wer hat Sie in diesen Zustand versetzt?

– Sie, sagte er einfach.

– Und wie? Ich bitte Sie! fragte sie, wirklich erstaunt.

– Wenn Sie mir erlauben, es Ihnen zu erklären.

– Sprechen Sie, sagte sie neugierig.

Sie legte die Palette weg, setzte sich auf das Gerüst, stützte die Hände auf die Schenkel und schaukelte mit Grazie ihre langen Beine.

– Sie haben mich erschöpft, begann der Graf.

Sie lächelte und streckte den Arm nach der Skizze aus.

– Diese Chimäre hat auch diese Frau erschöpft! Hatte die Chimäre Unrecht, chimärisch zu sein, oder die Frau, das Unerreichbare zu verfolgen? Um so schlimmer für den, der die will, die nicht will. Frau und Chimäre sind nicht verpflichtet, dem, der sie begehrt, ihr Kreuz auszuliefern.

Der Graf machte eine Gebärde, wie um diese Worte bei Seite zu schieben, die sein schon träge gewordenes Gehirn verwirrten.

– Ich bin ohne Zorn, Hoheit. Obgleich Sie mich zu Grunde gerichtet, gebe ich zu, daß ich allein im Unrecht bin; daß Sie nicht mit meiner Begierde gespielt haben, indem Sie diese erregten. Aber, ehrlich gestanden, wenn ich gehe, nachdem ich Sie gesehen habe, wie Sie jetzt zum Beispiel sind …

Er hielt inne, da er nicht das passende Wort, fand.

– Sie wollen nicht sagen, protestierte die Prinzessin, daß ich Ihnen die Ehre angetan habe, mich zu entkleiden, um Sie zu empfangen. Aber da es nötig ist, bekleidet zu sein …

Sie hing sich mit den Händen an, so daß ihre Brüste heraustraten, und sprang mit der Gewandtheit eines Pagen herab. Nachdem sie ihren Morgenrock wieder angezogen hatte, schlug sie ihn über einander und setzte sich dem Grafen gegenüber.

– Ob Sie mit Pelz oder Gaze bedeckt sind, Sie bringen dieselbe Wirkung hervor: Sie haben eben diese Fähigkeit! Und da …

Sein Blick zeigte ein Bein, das durch ein Klaffen des Morgenrocks zu sehen war.

Sie hüllte sich darin ein wie in einen Negerschurz.

– Das ist noch schlimmer, rief der Graf.

– Ach, omnia munda mundis Den Reinen ist alles rein..

– Wenn ich von hier komme, begann er wieder, wo muß ich folgerichtig hingehen? Was glauben Sie?

Er suchte und sagte:

– Wenn man von einer Aufregung kommt, geht man zu einer Befriedigung.

– Der buchstäbliche Sinn dieser Wörter auf »ung«? fragte die Prinzessin.

– Hier ist er: seit zwei Jahren gehe ich jedes Mal, wenn ich von Ihnen komme, zu einer Dirne. Und ich frage mich, was ist verächtlicher: die Dirne, die Begierden befriedigt, die sie nicht erregt hat, oder die Dame, die sie erregt, ohne sie zu befriedigen?

– Mein lieber Graf, wenn man nicht Oedipus ist, fragt man nicht die Sphinx. Jede Kühnheit, die fehlschlägt, ist eine Unbesonnenheit, und die Unbesonnenheiten werden folgerichtig bestraft. Ich fühle übrigens gar kein Mitleid für den Mann, der durch seine Sinne beherrscht und gezwungen wird, sie geschwind und gemein zu befriedigen. Sie hätten fliehen sollen! Die Begierde, die man mir ausdrückt, beleidigt mich, und ich räche mich, indem ich sie errege. Um Sie zu trösten, will ich Ihnen sagen: ich bewillige mir selbst nicht mehr als den Andern.

Der Graf schüttelte den Kopf.

– Mag sein! Jedenfalls bin ich verloren. Die Syphilis …

– Wird gründlich geheilt, unterbrach ihn die Prinzessin. Es würde moralisch sein, daß die Leute, die schmutzig genug sind, um sie sich zu holen …

Graf Kerdanes ging zur Tür, wie um fortzugehen, und stieß einfach den Riegel vor.

Bei dieser Bewegung erhob sich Leonora, mehr in ihrem Stolz verletzt als erschreckt, und näherte sich einer Waffensammlung.

Der Graf hatte die Arme gekreuzt, da er sicher zu sein glaubte, die Muße zu dem zu haben, was er wollte, und lachte ein böses Lachen, das seinen entnervten Körper schüttelte, denn dieser besaß keine andere Kraft mehr als das Fieber, das in seinen vergrößerten Augen wie ein Karfunkel leuchtete.

– Sie haben sie mir gegeben, Hoheit, ich werde sie Ihnen wiedergeben.

Leonora reckte sich in die Höhe und nahm einen Degen mit schwerem Griff.

– Oh, ich will Sie nicht vergewaltigen: ein Biß genügt.

Leonora zog schnell ihren Morgenrock aus, um geschickter zu sein.

Der Graf kam auf sie zu.

Da sie ihren Palast nicht mit Blut besudeln wollte, faßte sie den Degen in der Mitte der Klinge und versetzte dem Kopf des Angreifers mit dem schweren Griff einen heftigen Stoß.

Der Graf schwankte, wie erschlagen, wollte sich an den Möbeln anklammern und riß sie in seinem Sturze mit.

Ruhig schob sie den Riegel zurück und läutete.

Als der Diener erschien:

– Dem Grafen ist schlecht geworden; tragen Sie ihn in seinen Wagen.

Der Diener lud den leblosen Körper auf seine Schultern.

Als er mit seiner Last das Atrium durchschritt, sah ihn Sarkis, der dort Aischylos rezitierte. Schnell stieg er die Treppe hinauf.

Im Flur lehnte sich die Prinzessin, mit nackten Armen, nacktem Halse, in ihrer beunruhigenden Entkleidung, auf den Degen: sie sah aus wie ein Page, der ein Duell verläßt.

Sie erklärte ihm die Szene.

– Das kommt davon, wenn man mit dem Tier spielt, sagte Sarkis.

Ohne zu antworten, schnitt die Prinzessin zwei Stücke Papier von verschiedener Farbe ab und legte sie Sarkis hin.

– Schreiben Sie auf das eine »Graf Kerdanes«, auf das andere »erster Sekretär«, und adressieren Sie »Graf Rochenard, zweiter Sekretär der französischen Botschaft in Rom«.

Sie läutete.

– Diesen Brief, sofort.

– Ich fürchte zu verstehen.

– Das ist einfach. Ich verspreche Rochenard, ihn zum ersten Sekretär zu ernennen, wenn er Kerdanes tötet.

– Sie pflegen also das unnütze Verbrechen? Machiavelli …

– War keine Frau.

– Glücklicher Weise nicht. Das Buch für die Prinzessin ist noch zu schreiben …

– Ich handle: das ist besser.

– Nein, betonte Sarkis, die Lehre vom Bösen ergötzt mich, vor der Tat mache ich mich davon … Ich habe einen Kabbalisten kennen gelernt, der behauptet, das Verbrechen verfolge den Verbrecher.

– Sie faseln, Sarkis.

– Die Chaldäer …

– Sie wohnen in Chaldäa; ich bin eine Italienerin der Renaissance, von Signor Sarkis erzogen.

– Die Renaissance und Sarkis haben sich vielleicht getäuscht?

– Man muß um der Würde willen bis ans Ende seines Irrtums gehen.

– Das ist eine Ansicht.

*

Die Prinzessin kleidete sich an, um auszugehen.

– Van der Neer ist da, sagte Sarkis. Es ist ein Jahr her, seit man ihn nicht gesehen hat, diesen gefühlvollen Bankier, der bei dem berühmten Mondschein seines Vorfahren Der holl. Maler Aert van der Neer, 1603-1677, liebte es, durch Mondlicht beleuchtetes Wasser darzustellen. Millionen geschmolzen hat, um sie Ihrer Schönheit zu opfern, als wären Sie die Königin der Tulpen.

– Ich werde ihn empfangen. Dieser häßliche Mensch hat stets eine feinfühlige Verehrung gezeigt: ich habe ihn vielleicht zu viel Geld verschwenden lassen.

– Vielleicht ist hübsch! Sie haben ihn ruiniert, »zum Vergnügen«, wie die Grisetten sagen. Oh, diese Frauen!

– Ich gehöre nicht zu »diesen«, ich bin die Prinzessin Este.

– Das ist tausendmal schlimmer, aber immer Frau: und der Beweis ist, daß Sie ihm Dank wissen, weil er wahnsinnig gewesen ist. Torheiten einflößen, das ist der große Triumph des weiblichen Geschlechts.

– Haben Sie nie eine Torheit begangen, Sarkis?

– Ich habe mein ganzes Leben hindurch Torheiten begehen sehen, das hat mir genügt.

– Sie haben nicht geliebt?

– Doch, Signora.

– Und wen?

– Sie!

Die Prinzessin, die ihre Ohrringe befestigte, hielt in dieser Stellung inne, die Arme erhoben, und machte große Augen auf den kaltblütigen Sarkis, der mit einer Kissenquaste spielte.

– Ich habe nie etwas davon bemerkt: Sie sind sehr stark! Und jetzt?

– Wenn es nicht vergangen wäre, hätte ich es Ihnen gesagt? Mit vierzig Jahren ein kleines Mädchen lieben, das Prinzessin ist, kommt vor; sie es sehen lassen, darf nicht vorkommen.

– Jetzt fällt mir ein: Sie gaben mir so gut zu verstehen, es sei gleichgiltig, ob ich in Ihrer Gegenwart gekleidet oder nicht gekleidet sei.

– Das ist alles, was ich auf dem Gewissen habe.

– Ich erteile Ihnen Absolution.

Sie fand den Holländer im Salon und reichte ihm die Hand, die er nicht nahm.

– An mir ist es, sie Ihnen zu reichen, sagte er. Ich bin ruiniert.

– Wieso?

– Durch Sie. Oh, ich weiß, daß Sie reich sind und daß Sie von mir nur einige Gemälde meines Ahnherrn angenommen haben; aber Ihre Phantasien! Diesen Wald von Gentilly, wo ich Ihnen Jagden gab: habe ich ihn nicht brennen lassen, um Ihnen das Schauspiel einer Feuersbrunst zu bieten? Ich will Sie nicht anklagen: aber haben Sie jenen Abend vergessen, als Sie kalte Füße hatten und ich sie Ihnen mit einem Feuer von Schecks wärmte?

– Mein lieber Niederländer, als Sie das taten, dachte ich, daß Sie es könnten. Sie sind geschickt: ich werde Ihnen hunderttausend Franken vorstrecken, damit Sie Ihr Glück von neuem versuchen.

– Ah, Sie würden mir diese Summe geben?

– Sofort, erwiderte sie und suchte etwas zum schreiben.

Er hielt sie mit einer bewegten Gebärde zurück.

– Danke! Ich wollte nur sehen, ob Sie Herz haben. Um was ich Sie bitten möchte, das ist Ihr Porträt als Lukrezia. Ich kehre nach dem Haag zurück; in fünf Jahren werde ich reich sein. Ihnen schulde ich, was kein Gold bezahlt: poetische Erinnerungen.

– Sie werden das Porträt und meine Achtung mitnehmen, van der Neer. Schreiben Sie mir, was für Fortschritte Ihr neues Vermögen macht. Ich interessiere mich dafür.

Sie reichte ihm die Hand, die er küßte.

Ohne sprechen zu können, ging er langsam, rückwärts schreitend, seine Beleibtheit an den Möbeln stoßend: bei jedem Schritt fühlte er den Schmerz, daß er sich von seinem Traum entfernte.

*

Als van der Neer gegangen war, nahm die Prinzessin ihren geschlossenen Wagen und fuhr nach der rue Notre Dame des Champs.

– Führen Sie die Pferde eine Stunde spazieren.

Sie klopfte an eine große kastanienbraune Tür, über der ein Abguß der Parzen eingefügt war.

– Ich habe Modell, rief man.

Die Prinzessin pochte auf gewisse Art. Ein Schemel wurde umgeworfen und die Tür öffnete sich.

– Sie sind es? rief Antar, der Bildhauer, beinahe unhöflich. Treten Sie ein!

Und zum Modell:

– Kleide dich an!

– Nein, Fräulein; noch einen Augenblick, ich bitte Sie.

Die Prinzessin ging auf die Estrade zu, wo eine Jüdin mit fast häßlichem Kopfe in ihrer Nacktheit schöne Ebenmaße zeigte.

– Sie posiert für eine Juno, sagte Antar.

– Sehen Sie, sagte die Prinzessin, nachdem sie einen Augenblick schweigend geschaut hatte, trotz der einstimmigen Vorliebe der Renaissance, die noch dauert, ist die griechische Plastik eine zu weite Synthese. Die Einzelheit, der Teil ist nicht so vollkommen wie bei den Modernen; Füße und Hände sind mittelmäßig und schwerfällig. Es gibt keine antike Statue, welche die schöne Gliederung eines Pradier hat. Der schöne Grieche, das ist das schöne und typische Tier. Wir haben die Linie verfeinert, das Modell durchgeistigt: das ist etwas! Beachten Sie, daß der ganze Reiz der Frau in der Schamlosigkeit oder Schamhaftigkeit liegt: die antiken Statuen sind weder schamhaft noch schamlos. Die Venus von Milo zeigt mir eher eine schöne verheiratete Frau als die Göttin der Leidenschaft. – Danke, Fräulein, sagte sie zu der Jüdin. – Da haben Sie, Antar, eine Idee von Arsène Houssaye, die Sie in Marmor verwirklichen können, die modernen Musen: statt der Schablone etwas ebenso Fieberhaftes wie Carpeaux, etwas ebenso Elegantes wie Pradier, jedoch mit mehr Stil. Aber ihr Künstler tadelt den Gedanken im Kunstwerk: »literarische Kunst« ist eure Formel der Verachtung. Sagen wir die lyrische Kunst: eine Statue muß eine Ode sein. Der Bildhauer verkörpert in seinem Marmor, was in ihm zittert: das Lied seiner Seele, wie Shakespeare sagt.

Die Jüdin hatte sich angekleidet und war gegangen. Die Prinzessin änderte den Ton.

– Wissen Sie, Herr Steinmetz, daß Sie mich seltsam empfingen?

– Ich mache mir Vorwürfe, murmelte Antar, sich setzend.

– Mich schlecht empfangen zu haben? Nein? Was es auch sei, Sie sind reicher als ich!

– Sie nicht erwürgt zu haben, bevor ich Sie kennen lernte.

– Vorher, das wäre ungerecht und schwierig gewesen; jetzt …

– Ich möchte, unterbrach er, es gäbe eine Hölle, nur um die Genugtuung zu haben, daß Sie dort für die Ewigkeit braten.

– Sie lieben mich also noch immer?

– Ich hasse Sie.

– Das gleicht sich, und als Folge ist es ebenso viel wert.

– Noch eins, Prinzessin, ich hatte Talent.

– Sie haben es nicht mehr? Was haben Sie damit gemacht?

– Sie haben es mir genommen! Verführen ist schlimm, aber einen Künstler verführen, ist schlimmer! Geben Sie mir meine Kunst wieder, die heiter war wie die Antike, streng wie Michelangelo. Geben Sie mir die Scham der Stirnen, die Keuschheit der Gewänder, den Adel des Nackten, das ernste Gewissen wieder, die ich mir in der Kapelle der Medici erworben hatte. Geben Sie mir die Ehrlichkeit meines Meißels wieder, der jetzt den Marmor befleckt. Ist es nicht genug, lieber Gott, daß der Körper verdorben wird? Die Kunst ist eine Tugend: wehe dem Manne und der Zeit, die ein Laster daraus machen!

Er erhitzte sich:

– Meine Hände sind unrein; der Ton, den ich knete, gleicht Ihnen; Sie haben mich vom rechten Wege abgebracht.

– Paulô minora, sagte die Prinzessin. Ich habe für Sie dieselbe Herablassung gehabt, welche die Prinzessin Borghese für Canova hatte. Ich habe Ihnen nackt für Ihre »Entartung« gesessen, von der Ihr Ruf datiert.

– Ich weiß es wohl! Die gebildeten Böcke haben sich an dieser abscheulichen Plastik geweidet! Oh, Ihre verdammten Formen! Ja, Ihr Körper ist ein Laster, das schlimmste! Als ich ihn modellierte, habe ich mir die Finger für immer beschmutzt. Der Androgyn, dieses Phantom der Entarteten, sucht mich heim und verfolgt mich.

– Da, rief er, den nassen Lappen abreißend, der die Skizze bedeckte, Sie haben das Modell gesehen: so gibt mein Daumen es wieder. Sehen Sie die Schlankheiten, die Sprödigkeiten, die Schärfen der Form, das spitze Auftreten der Linien, die flachen Brüste, die eingezogenen Hüften, das kleine Kreuz? Ich hatte einen Jerobeam modelliert: ich habe ihn mit Füßen getreten! Sie hätten diesen jüdischen Epheben gelobt. Oh, meine Arbeiten machen mir Angst: Sie haben meine Hand verdorben. Von der schmerzlichen Liebe, die mich erfaßt hat, als ich Sie ohne Schleier sah, will ich gar nicht sprechen. Oh, ich bin besessen vom Androgyn!

– Ich habe Sie reden lassen, Antar. Daß mein Körper androgyn und das Androgynentum das Laster der Plastik ist, bestreite ich nicht. Aber träumen Sie von dem Heiligenscheine des Fiesole? Sie können sich nicht aus Ihrer Zeit lösen: Sie müssen ihr vorangehen oder ihr folgen.

– Mein Gewissen, begann Antar.

– Für einen Bildhauer sind Sie von einer recht mystischen Krankheit erfaßt worden: dem Skrupel!

– Ich müßte etwas Erhabenes, etwas Religiöses schaffen.

– Nun denn, rief die Prinzessin aus, machen Sie mit diesem Androgynentum, das Ihr Daumen nicht verlernen kann, einen Erzengel. Der Engel hat kein Geschlecht: das ist die Synthese des jungen Mannes und des jungen Mädchens. Schaffen Sie einen heiligen Michael, der Satan mit Füßen tritt; geben Sie ihm das flammende Schwert in die Hände: seine Mannestat und sein Nimbus werden die entartete Plastik retten.

Während er ihr zuhörte, beruhigte sich Antars Erregung: er sah ein Meisterwerk schimmern. Einen Bleistift ergreifend, zeichnete er bereits auf der mit Kalk geweißten Wand, so intensiv, daß er die Prinzessin vergaß; als diese leise ging, erhob er nicht einmal den Kopf.


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