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V.
Seltsames Gespräch

Wie ein Katzentier schreitet die Prinzessin Este in ihrem Boudoir hin und her. Dieses ist bespannt mit gelbem Atlas, den die vandalischen Truppen des Marschalls von Palikao Am 21. September 1860 schlugen die verbündeten Engländer und Franzosen die Chinesen in der Nähe von Peking bei dem Dorfe Pa-li-ka-o, das dem französischen Obergeneral Montauban den Grafentitel lieferte., jenes Hunnen, aus dem Sommerpalast von Peking gestohlen haben. Ihr kirschroter Morgenrock geht bis an den Hals hinauf; aber auf dem Busen schimmern durch schmale Schlitze die Brüste. Die Aermel, an der Schulter gespalten, lassen den Arm nackt; nackt sind auch ihre Füße, die Franziskanersandalen tragen. Bald schließt sich die Seide, wie durchnäßt, an die Formen; bald macht sie diese unbestimmt und wechselnd: man ahnt unter dem dünnen Stoffe die ganz nackte Frau.

Merodach soll kommen, um sie in die Magie einzuweihen, wie er versprochen hat, als sie den Marquis von Donnereux hinauswies.

In der geschlechtlichen Anziehung ein überlegenes Wesen zu treffen, das den weiblichen Zauber ohne Mühe zur Seite schob, war für Leonora ein Staunen gewesen, das andauerte. Sie hatte sich einzig in ihrer Enthaltsamkeit geglaubt (denn der Stolz, der blind ist, ist auch naiv) und da tauchte ein Mann auf, den sie nicht ihrer Verachtung einverleiben konnte. Kaum wollte sie es sich gestehen: aber, ihn versuchend, war sie von der Versuchung ergriffen worden: der Stachel des Fleisches, den sie gegen ihn richtete, hatte sie selbst gestochen. Dieses Mal, dieses einzige Mal, hatte ein Mann ihr Begierde eingeflößt, dem sie selbst keine hatte einflößen können.

Diese Kraft, die ihr den Arm gelähmt und die Hand an den Degengriff genietet hatte: Geheimnis! Diese Voraussage, daß sie einen Priester lieben würde; diese »sechs Flügel«, dieser Titel Magier: Geheimnis! Geheimnis besonders diese Sündlosigkeit der Sinne!

Sie hatte gedacht, sich in diesem Gespräch von Sarkis beistehen zu lassen, in der Hoffnung, daß die Wissenschaft des Griechen die des Syrers erklären würde. Da sie aber noch eitler als neugierig war, bot ihr dieses Zwiegespräch die Aussicht, das Tier in dem jungen Manne zu erwecken. Das wäre eine unsagbare Genugtuung, den verachten zu können, über den sie gestaunt hatte: das wäre die Rache einer Circe gewesen.

Als Merodach erschien, kannte sie nicht sogleich den träumerischen Mephisto des Balles wieder. Es war derselbe assyrische Kopf mit den schweren Haaren, dem dunkeln Blick, den roten Lippen; aber ein kurzer Quäkerrock wurde von einem mantelartigen Ueberwurf ohne Aermel mit abgetragenem Saume eingerahmt; an den feinen Schuhen klebte Straßenschmutz; seine Handschuhe waren vom Gebrauch hart wie Stahl geworden; sein Hut war ein schlechter Filz. Das alles sah die Prinzessin mit einem Blick des Auges; auch dachte sie an den Abgrund, den die gesellschaftliche Rangordnung zwischen ihnen auftat. Trotzdem sie sich überlegen fühlte, beleidigte sie dieser schmutzige Besuch: die Weltverachtung, die von dieser nachlässigen Kleidung ausging, verstimmte sie.

Merodach begriff ihren verächtlichen Blick.

– Mein Ueberwurf wird also das Leichentuch Ihrer Neugierde sein? Sei es! Ich kam, um eine Schuld zu bezahlen: Sie geben mir die Quittung.

Und er grüßte, um hinauszugehen.

– Setzen Sie sich, sagte sie, darüber lächelnd, daß sie erraten wurde; an meinem Dienstag haben Sie mich interessiert, vielleicht im Vergleich mit meiner Menagerie; aber seien Sie überzeugt, der lange Rock kleidet Sie besser …

– Sie auch, antwortete er und ließ einen ironischen Blick über ihr Gewand gleiten.

– Lehren Sie mich die Magie, ich höre, sagte sie und setzte sich ihm gegenüber.

– Ein Kursus setzt sich aus vielen Stunden zusammen, und Sie würden vor dem Schluß Runzeln haben. Stellen Sie Fragen: ich werde darauf antworten.

– Auf was gründen Sie Ihre Voraussage, daß ich einen Priester lieben werde?

– Auf die Besichtigung Ihrer Hände. An dem Punkt Ihrer Herzlinie, der fast das Datum der Dreißig trägt, bricht ein Kreuz die Saturnlinie, die voller »Inseln« ist: da diese Inseln sich auf Ihrer Hauptlinie wiederfinden, bedeuten sie antiphysische Leiden. Weil aber das Ganze nicht erlaubt, die Tribadie zu vermuten, habe ich dieses Weibliche bildlich genommen und auf einen Priester geschlossen, durch das Gewand.

– Durch welche Zauberei haben Sie mir den Arm gelähmt? fragte sie nach einem Schweigen.

– Einen Magier für einen Zauberer halten, heißt Balzac einen Journalisten nennen. Was gibt es Gemeinsames zwischen dem, der die übersinnliche Ursache kennt, und dem abergläubischen Narren? Die Wissenschaft des Wollens, die Magie, kann man als Erziehung des Willens erklären. »Jedes Wort schafft, was es aussagt.« Dieses ursprüngliche Geheimnis will ich Ihnen erläutern. Wollen ist ein unkörperlicher Akt; aber der Wille verfügt über einen plastischen Vermittler, der sich im Himmel Aether, auf der Erde Astralfluidum, im Menschen Nervenströmung nennt. Auf Befehl des Willens gerinnt der Nervenstrom und gebraucht nach seinem Gefallen das Astralfluidum: das wird die Hand, die heilt, oder der Degen, der trifft; das spielt physisch die Rolle jener Engel, die Heliodor umwerfen, und jener Kraft, die Elymas blendet und Elia entführt. Heliodor: 2. Makkabäer 3 (Raffaels Freske im Vatikan). – Elymas: Apostelgeschichte 13 (»Paulus voll heiligen Geistes sahe ihn an«). – Elia: 2. Könige 2 (»Da aber der Herr wollte Elia im Wetter gen Himmel holen«). Also, indem ich den Nervenstrom gerinnen ließ, habe ich den Arm unbeweglich gemacht.

– Sie setzen mich nicht in Erstaunen, unterbrach ihn die Prinzessin.

– Anderes ist meine Sorge, Hoheit! Jedoch, wenn Ihnen der Besitz der Geheimnisse gering erscheint, bin ich es Ihnen schuldig, daß Sie erstaunen. Also: Sie sind eine große Unkeusche.

Sie hob ihre schwarzblauen Augen auf den jungen Mann mit einem unsagbaren Erstaunen.

– Sie sind eine Messalina in Gedanken.

Die Prinzessin, gereizt und bestürzt, schwieg.

– Nehmen Sie sich vor diesen Pollutionen der Phantasie in acht: die führen zum Erguß der Gedanken. Die Elementargeister sind, wie Paracelsus lehrt, die Kinder der Einsamkeit Adams, aus seinen Träumen geboren, als er nach der Frau verlangte. Nun ahne ich in Ihrem Astrallicht viel von diesen Elementargeistern, die aus Ihren Träumen geboren werden, wenn Sie nach dem idealen Mann verlangen. Im gegenwärtigen Zustande Ihres Willens zerstreuen Sie die fluidischen Phantome, sobald sie sich bilden, weil Ihre ganze Kraft sich darauf richtet; aber wenn eine Leidenschaft Sie aus dem Gleichgewicht bringt, wenn eine große Strömung Ihr Nervenfluidum aufsaugt, wenn sich jemand Ihres Schicksals bemächtigt, kurz, wenn Sie lieben: sind Sie verloren! Dann gerinnen die Larven und Sie sind besessen: die metaphysische Sühne, der nichts ausweicht, beginnt. Ach, wenn man wüßte, welche Gefahr in unreinen Träumen liegt! Die praktische Moral läßt sich auf diese Vorschrift zurückführen: jede Ausschweifung und jedes Laster des Körpers enden in Krankheiten und werden durch mehr Leiden gebüßt, als man Lust davon gehabt hat; ebenso bereitet jede Entartung, jedes Verbrechen des Geistes der Seele Krankheiten, die foltern, ohne zu töten! Das ist die wirksame und bekehrende Predigt! Viel Lasterhafte werden durch die Furcht vor körperlichen Leiden zurückgehalten; die Angst vor seelischen Qualen würde viel Entartete hindern. Böse sein, heißt: sich dem Unglück weihen. Aber während das Leiden des Märtyrers der Seele eine himmlische Wollust gewährt, reinigt weder noch wäscht die gesetzliche und erzwungene Sühne des Verbrechers. Zum großen Adel des Schmerzes gehören allein die Duldenden der Unschuld und die Duldenden der Reue. Die Sühne, die nicht einwilligt, erhebt nicht: sie rächt nur das übertretene Gesetz der Gerechtigkeit.

Leonora dachte nicht mehr daran, den Magier zu bezaubern; erblaßt, schweigend und aufgestützt, vertraute sie sich der Starrheit ihrer Maske an; beim Sprechen fürchtete sie, ihre Verwirrung durch ein Zittern der Stimme zu verraten.

Ohne Ironie oder Eitelkeit zu zeigen, beobachtete Merodach ein ernstes Schweigen.

– Tun Sie Wunder und ich werde Ihnen glauben, sagte er endlich.

– Zu wenig bedeutet mir Ihr Glaube, damit ich aus »Salomonis Schlüssel« heraustrete und den »Grimoire« nehme. Goethe, Faust: »Für solche halbe Höllenbrut ist Salomonis Schlüssel gut.« – Eliphas Levi, Geschichte der Magie: »Der Grimoire des Papstes Honorius wird für die, welche in die Zeichen und Geheimnisse der Kabbala eingeweiht sind, ein wahrhaftes Denkmal der menschlichen Entartung:
Der Hölle, ohne daß ich mich entsetz',
gebiet' ich meinen Willen als Gesetz.«
Uebrigens welches Wunder ist wunderbarer, als Sie in Ihren Gedanken, die Sie sich selbst nicht eingestehen, erraten zu haben? Muß man die Schlange der Magier Pharaos erscheinen lassen? Erscheinen bedeutet Schein: der Homunkulus des Albertus Magnus ist eine Fabel … Das Geheimnis des Lebens gehört Gott allein, und ich halte die Vivisektion für toller als die Wahrsagerei aus Opfern … Die Magie läßt Sie einen Elephanten sehen, aber Apollonius von Thyana selbst hätte keine Mücke gemacht.

– Soviel ich verstehen kann, setzt die Magie den Magnetismus ins Werk, sagte die Prinzessin und verzog ihr Gesicht verächtlich.

– Sie tut viel mehr als das, aber das auch. Würde man die fluidischen Kräfte im Leben der Völker anwenden, könnte man das Antlitz der Erde ändern.

– Das Antlitz der Erde?

Die Prinzessin lächelte.

– Das Antlitz der Erde! wiederholte Merodach. Entfernung und Dichtigkeit sind für das hellsichtige Medium nicht mehr vorhanden. Vom Palais Bourbon aus kann man den Feldzugsplan Moltkes kopieren und in Bismarcks Papieren lesen; kann man wie durch ein ungeheueres Telephon dem Kronrat des Kaisers von China beiwohnen. Oh, wenn die Magier die Throne des Abendlandes besteigen werden, wird man große Wunder sehen!

Interessiert, aber zu sehr Frau, das heißt, zu schwach, um diesen schwindelerregenden Ideen folgen zu können, tat die Prinzessin eine kühne und banale Frage:

– Sie haben keine Geliebte?

Merodach lächelte wie Leonardos Mona Lisa.

– Wäre ich Magier, wenn ich mich nicht von der Frau befreit hätte?

– Corysandre? warf die Prinzessin hin.

– Ich gäbe drei Jahre meines Lebens, protestierte Merodach, wenn ich diese Liebe aus ihrem Leben reißen könnte.

– In diesem Geschenk von drei Jahren liegt Liebe!

– Nein, Barmherzigkeit! Die Liebe ist ein ungerechtes und schlechtes Aufsaugen. Kein Mensch hat das Recht, sich einem andern als das Unendliche vorzuschlagen … Liebe: Gotteslästerung und Götzendienst! … Sich aufopfern ist erhaben, sich verlieren wahnsinnig. Gott allein hat das Recht darauf! Die Liebe von heute verletzt das göttliche Gesetz; auch ist sie immer kurz, immer unglücklich, immer unheilvoll. Die Barmherzigkeit allein, diese Königin der Gefühle, durch die Kirche geschaffen, tut Gutes, nichts als Gutes; denn barmherzig sein, heißt sich geben, verliebt sein, sich des andern bemächtigen. Nun, einen Willen seiner freien Wahl entreißen, ist eine so furchtbare Handlung, daß Gott selbst uns das Recht auf die Lästerung, das Recht auf die Hölle gelassen hat!

– Gleichviel, Sie unterliegen dem Reiz der Corysandre.

– Wie könnte man so entartet sein, nicht dem Glanze der Jungfräulichkeit zu unterliegen? Das ist übrigens die Frau nach meiner Auffassung, sich in ihrer Liebe verzehrend, aber nicht den andern verzehrend. Sie sind nur ein Stolz, Hoheit: verstehen Sie, wie erhaben es ist, sich ganz zu opfern? Sie träumen davon, sich den Mann zu unterwerfen …

– Was hat Ihnen die Frau denn getan? fragte sie brüsk.

– Auch Sie wollen, wie die Philister, jede Strenge einem Liebesgram zuschreiben? Ich habe das Rätsel geraten und die Sphinx hat mir die Füße geleckt! Aber dieses Schauspiel, die Frau den Mann beherrschend, hat mich immer entrüstet, wie etwas Widernatürliches. Als Sklave zu beklagen, als Tyrann zu verachten, fühlt die Frau bei allem, denkt bei nichts; ist in der Erhabenheit und im Schmutze unbewußt; bleibt dem Gedanken gegenüber ewig widerspenstig: und der Gedanke ist es, der die Welt bewegt.

– Don Juan, der schönste Typus der modernen Poesie (denn was bedeuten die Städte, die ihre Schlüssel anbieten, neben dem Geschenk der Herzen, wenn er sich nähert!), Don Juan beunruhigte sich nicht über den Gedanken.

– Don Juan und Donna Juana gehören zum Laster. Ihr Jagen nach dem Kuß, ohne Ekel zu empfinden, deutet auf einen seltsamen Minderwert des Gehirns. Liebhaber und Geliebte wechseln und glauben, die Liebe zu wechseln!!! Paganini verwandelte die Geige eines Spielmanns in eine Stradivarius; Don Juan und Donna Juana sind schreckliche Kinder, die alle Trommeln zum platzen bringen, in der Hoffnung, ein Tierchen in einer von ihnen zu finden. Das Unendliche zwischen den beiden Laken eines Bettes zu suchen, ist das nicht lächerlich? … Magisch kann sich das Unbedingte der Verführung verwirklichen, aber ohne daß in irgendeiner Art Besitz ergriffen wird: selbst der Kuß würde den Zauber zerstören. Man muß über dem Gesetze stehen, um sich seiner zu bedienen: enthaltsam sein, um Begierden einzuflößen; gleichgültig, um Leidenschaften entstehen zu lassen.

– Durch welche Folge von Studien oder Ereignissen sind Sie zu dieser Magie gekommen?

– Durch die Astrologie, welche die Zukunft verkündet. Ach, wenn das Verhängnis das wäre, was ein eitles Volk glaubt, würde ich nicht die Ehre haben, Sie nachdenklich zu machen: es ist nur die logische Verkettung der Wirkungen mit den Ursachen. Der Stand der Gestirne, im Augenblick meiner Geburt Goethe beginnt die Geschichte seines Lebens: »Die Konstellation war glücklich; die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an, Merkur nicht widerwärtig; Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig. Nur der Mond, der soeben voll ward, übte die Kraft seines Gegenscheines um so mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war: er widersetzte sich daher meiner Geburt, die nicht eher erfolgen konnte, als bis diese Stunde vorüber gegangen.«, verkündete mir tausend Uebel: ich änderte den Charakter und folglich den Einfluß der Gestirne. Ich werde es Ihnen erklären … Wir werden metaphysisch formlos, unförmlich geboren. Erziehung und frühe Laster verunstalten unsere Mißgeburt von Seele noch mehr. Die erste Sorge des höheren Menschen, sobald er sich seiner selbst bewußt wird, ist die: sein inneres Wesen zu behauen, zu meißeln; aber es ist viel schwieriger, in seine Seele als in Marmor zu schneiden. Die Warzen, die Höcker kommen mehrere Male wieder wie die Köpfe der Hydra; und der Daumen des Willens ermüdet bei diesem seelischen Modellieren. Ah, der katholische Glaube, den die Unwissenden eine Heuchelei nennen, erstrahlt göttlich in meinen Augen als die höchste und zugleich tätigste Magie. Die Lehre von der christlichen Vollendung ist nur die Einweihung, aber erhabener, weil sie nur zum Ziel hat, Gott zu gefallen, während die antike Einweihung eine Allmacht erreichen will, die, übel angewandt, den Blitzstrahl der verletzten Gesetze auf die Rassen des Abendlandes herabziehen wird … Ja, der Mensch hat die Macht und die Pflicht, sich ein zweites Mal zu erschaffen, nach dem Guten. Man fragt, was der Zweck des Lebens ist: er kann für den Menschen nur die Gelegenheit und das Mittel sein, ein Meisterwerk aus diesem Seelenblock zu machen, den Gott ihm zum bearbeiten gegeben hat. Da die Meisten nicht daran denken, dieses einzige Werk, das ihnen auferlegt ist, auszuführen, wird die notwendig gewordene Hölle durch die entarteten Eigensinnigen bevölkert, die sich nicht haben neuschaffen wollen. Der Himmel? Erklären wir ihn als die Körperschaft des Guten! Man kommt nur hinein, nachdem man sein Meisterwerk gemacht hat; das heißt, nachdem man selbst »die Erde vom Feuer, das Feine vom Groben« getrennt hat, wie die »Smaragdtafel« Eliphas Levi (Abbé Constant), Geschichte der Magie, Paris 1860: »In Aegypten vollendet sich die Magie als universelle Wissenschaft und wird als vollkommenes Dogma formuliert. Nichts kommt als Uebersicht von allen Lehren der alten Welt den wenigen Sentenzen gleich, die von Hermes in einen kostbaren Stein graviert und unter dem Namen ›Smaragdtafel‹ bekannt sind.« sagt; nachdem man seine Seele von jedem Gestein der Triebe gelöst und durch religiöse oder magische Anstrengung eine Statue aus dem Block, der man war, geschaffen hat.

– Aber die Kirche verdammt die Magie, bemerkte die Prinzessin.

– Die Zauberei, nicht die Magie; denn die Kirche ist die große Versammlung der Magier, und ihr Fluch würde zuerst auf sie selbst zurückfallen. Die Magie ist weiß oder schwarz, Theurgie oder Goëtie, nach der freien Wahl des Menschen. Die erste Sünde war vielleicht nur die Sünde schwarzer Magie? …

– Was für Böses könnten Sie tun, wenn Sie wahr sprechen …

– Das Böse würde auf mich als Unglück zurückfallen, nach dem Gesetz des Rückschlags.

– Wozu gebrauchen Sie diese Macht?

– Um mein Heil zu wirken, das Fegefeuer zu vermeiden und der Kirche zu dienen: das ist das einzige, was der Mühe wert ist.

Er erhob sich.

– Wenn ich mich einweihen wollte? fragte sie, immer noch auf die Ellenbogen gestützt.

– Sie müßten zuerst Ihren Stolz beugen, dann mit Ihren wollüstigen Träumereien aufhören.

Aus ihren Augen fuhr ein Blitz, der von den Sammetaugen des Magiers wie verzehrt wurde.

– Sie werden mich wieder besuchen? fragte sie.

– Ich gehe an den weißen Pol; Sie gehen an den schwarzen! Sie leben in einer Welt von Lasterhaften und Mittelmäßigen; ich würde mich darin beschmutzen, ohne darin zu gedeihen. Einen Rat, Hoheit: jeder lebhafte Gedanke schafft einen Reflex oder eine Form in Ihrer astralen Atmosphäre, und die Phantome sind wirklich und die Besessenheit ist furchtbar. Sie werden nicht aus diesem Dreieck herauskommen: nicht aus der Liebe, der Tugend oder der Besessenheit!

Er grüßte sie mit den Augen und ging.

Sie sah die Seide des Vorhangs sich bewegen, erhob sich und begann wieder auf und ab zu gehen, jetzt mit einem harten und nervösen Schritt. Ihr Blick fiel auf einen Spiegel; sie erinnerte sich der Bezauberung, die sie geplant hatte; ironisch ließ sie ihre nackten Füße, ihre verwirrenden Füße unter ihrem Morgenrock verschwinden. Der geheimnisvolle Nimbus strahlte noch blendender um diesen assyrischen Kopf. Er hatte ihr das Geheimnis des violetten Boudoirs gesagt! Welche Abwesenheit von Eitelkeit, welche Verachtung des Hochmuts, welche Güte in der Macht! Die Tochter des göttlichen Herkules unterlag dem Einfluß des Adepten.

Nachdem sie lange diesen Gedanken, die ihre Stirn in Falten legten, nachgehangen hatte, läutete sie.

– Sarkis? fragte sie.

Sie empfing ihn ungestüm.

– Sie werden mir den Gefallen tun, mich die Magie zu lehren.

Sarkis betrachtete sie und begann zu lachen.

– Ich bin siebenundsechzig Jahre alt, ich habe die Wissenschaft satt, ich verlerne soviel als möglich, und die Magie liegt meinem Geiste nicht … Merodach hat Sie also geblendet? …

– Ja, erwiderte sie: das hätten Sie mich lehren sollen.

Sie stellte sich vor ihn hin.

– Lieben Sie mich noch? Nein? Um so schlimmer, ich hätte Sie gezwungen …

– Oh, oh, oh! rief Sarkis in drei verschiedenen Tönen. Sie beschämt, Merodach Dejanirus! … Als Herkules seine Keule niederlegte, wurde sie das erste Holzscheit zu seinem Scheiterhaufen …

– Herkules war keine Frau, sagte die Prinzessin, die sich wieder aufheiterte.


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