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Meinem Bruder und meinem Meister
Dem Doktor Adrien Peladan

Am 29. September 1885 vergiftet
durch den Apotheker Wilmar Schwabe in Leipzig,
der ihm statt der dritten Dezimale, die er verlangt,
die erste von Strychnin sandte,
das heißt den Tod von 1250 Personen.

 

Du hast es also zerrissen, dieses Geheimnis des Lebens und des Todes, wie du das des Guten und des Bösen durchdrungen hattest! O mein Bruder! – Du bist jetzt auf dem Wege ins Jenseits, mein Meister! Du bist vom Leben geheilt, du »Arzt, der heilte« – und reich an seliger Ewigkeit, du Arzt der Armen! Nachdem du alles menschliche Wissen durchforscht hast, beginnst du die göttliche Unendlichkeit zu ergründen, erhaben in deiner Wißbegier.

Verzeihe, daß ich unsern Namen – groß durch unsern Vater und durch dich – auf dieses Werk setze, in dem ich versuchte, bis zu einem Zeitalter des Pöbels herabzusteigen: zu meiner Ehre ist es mir nicht gelungen. Mir fehlt die Stimme, um in der Wüste zu sprechen, und man drängt mir die Maske des Lasters auf, um mich über die Tugend zu hören. Ein Schmuggler von Metaphysik, pasche ich zwischen den Seiten eines Romans das Geheimnis, das du mich gelehrt hast: ich bin nur, mein Bruder, der bekannteste deiner Gedanken.

Ein furchtbarer Tod hat dich von einem furchtbaren Leben befreit: bedroht durch die Barbaren der Grenze, gemartert durch die Barbaren der Nation. Zwischen den Soldatenschindern und ihren Gewehren, zwischen den Bürgern und ihrer Guillotine gibt es keine Sicherheit für den geistigen Menschen, welcher der große Verdächtige und der gemeinsame Feind geworden ist. Die Rekrutierung, die dich 1871 vernichtet hat, martert mich 1885. Katholik und Franzose, bist du durch einen deutschen Protestanten getötet worden; und ich schreibe diese Zeilen bei Todesgefahr im Gefängnis, in das mich das französische Heeresgesetz geworfen hat!

Es wird niemals auf der Erde weder Freiheit noch Gerechtigkeit noch Fortschritt geben; die Schlachten der Wahrheit werden immer verloren werden und doch ist es die Pflicht, zu kämpfen – zu kämpfen ohne Rast, ohne Hoffnung auf Sieg! Gott schuldet uns das Ideal, das wir geliebt haben; und die Ewigkeit wird die Verwirklichung unseres Willens sein. Auch würde die Menschheit keine Stunde länger dauern, als nötig wäre, damit der Fromme seinen Rosenkranz beendet, der Künstler sein Werk.

Meine Pflicht aus deinem Leben selbst lernend, das Wehe der Propheten über das sterbende Frankreich rufend, werde ich die Feinde Gottes verfolgen auf der Spur deines Blutes.

Du bist von den Fakultäten zurückgestoßen und verachtet worden: ich werde jede Gemeinschaft leugnen: ein Meisterwerk, ein Gesetz werden durch einen einzigen Namen bezeichnet.

Du bist durch die Rekrutierung gemartert worden: ich werde die Pflicht des Blutes leugnen, ich werde den militärischen Ruhm leugnen, ich werde die Nationalität leugnen.

Du bist durch die Monarchisten verraten und verkauft worden: ich werde die Erblichkeit der Macht und der Titel leugnen.

Die Provinz hat dich verschlungen: ich werde diese dumme Heuchlerin entlarven.

Ich werde den Humanismus und das Dogma der Persönlichkeit verkünden.

Ich werde die Lehre des Henoch erneuern, vor der ganzen Welt den mit dem Kreuze bestickten Pantoffel des Papstes küssend: der Papst ist die einzige Macht, die ich anerkennen werde.

Erleuchte mich, wunderbare Einsicht, wie du, Bruder, mich erleuchtet hast! Während ich die, welche mich lieben, bitten werde, Gebete und Messen für die im Fegefeuer verlassenen Seelen zu lesen, deine Schützlinge – mache, Magier, Heiliger geworden, daß mein Werk ein Werk der Barmherzigkeit sei, in dem es Seiten gibt, die im Himmel von deinen neuen Brüdern – den Cherubs – gelesen werden!

Josephin Peladan.

Paris, Gefängnis Bellechâsse,
15. November im Jahre XIV
des militärischen Schreckens.


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