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III.
Der Beichtvater

An den folgenden Tagen wollte Bianca ihre Freundin zu der Sünde verleiten, die diese Nacht ihr enthüllt hatte. Leonora ertrug geduldig ihre Bestürmungen, als eine nützliche Uebung, und als den Anfang einer Anstrengung, die sie bald im Großen machen mußte; und schon im Widerstehen empfand ihr Stolz eine Lust.

– Was ich hier zurücklasse, sagte sie, als sie von Pratolino fortging, wird mir allein das Alter wiedergeben.

Im Schweigen und im Schatten der Nächte, von Träumereien der Geschlechtsreife erregt, lehnte sie sich in unbestimmtem Verlangen zum Fenster hinaus.

An ihren Fragen, die sich nur auf die Dinge der Liebe richteten; an ihrer Lektüre, die nur aus leidenschaftlichen Romanen und sinnlichen Dichtungen bestand; an der Abwesenheit ihres Geistes, der unaufhörlich von Visionen durchquert wurde, die sie dem Unterricht oder dem Gespräch entzogen; an der Reizbarkeit ihrer Laune, die sich jede Stunde änderte; an den Zeichen einer Empfindlichkeit, die nicht Natur war – erkannte Sarkis, daß sich in ihr dieses dichterische Drama der Geschlechtsreife entwickelte, das sich entweder in den schmerzlichen Triumph einer errungenen Enthaltsamkeit oder in die Entartung einer hingenommenen Tierheit auflöst: was in diesem Augenblick der Verwirrung den Sieg davonträgt, wird ihn in der Zukunft der Leidenschaft davontragen.

Die unsagbar reine Erinnerung an ihr erstes Abendmahl kommt ihr zurück mitten in dieser Krisis, bei der in der Zweiheit des Wesens, das nicht das Gleichgewicht halten kann, entweder der Geist oder das Fleisch vorherrscht. Im Gebet erfleht sie die Beschwichtigung ihres Denkens; aber ihre ikarischen Flüge zu Gott fallen, kaum haben sie sich erhoben, vor den entweihenden Bildern der Begierde wieder zurück.

Dann empfand sie das Bedürfnis nach dem, der mit heiliger Hand die unreinen Flammen beruhigt und löscht; der auf Fleisch und Geist, die der Sünde verfallen, die mystischen Bänder der Religion anwendet, die einzigen Zügel, welche die menschliche Schwäche auf dem unzüchtig gleitenden Hang der Geschlechtlichkeit aufhalten können.

Der Mönch, der um acht Uhr die Messe in San Maria del Fiore las, brachte in die Feier des Mysteriums eine so süße Weihe, eine so von dem großen Akt, den er ausführte, erfüllte Sammlung, ein solches Bewußtsein der wirklichen Gegenwart, daß er in seinen mächtigen Gebärden als Offiziant die Gebete der Gläubigen zu Gott zu tragen und den Segen vom Himmel zu nehmen schien, um ihn auf der Erde zu verbreiten.

Mit einem Vertrauen, das sicher war, nicht getäuscht zu werden, kniete Leonora im Beichtstuhl des Pater Francesco nieder und öffnete ihm ihr Herz, ohne sich künstlich auszudrücken noch sich etwas vorzubehalten: sie sprach alle ihre Gedanken aus, selbst die schamhaftesten; sie sprach alle ihre Begierden aus, selbst die niedrigsten.

– Mein Kind, sagte der Priester zu ihr, nachdem er sie angehört hatte, das Böse ist das Häßliche: das Herz muß schön sein, um Gott zu gefallen. Ich sehe bereits in Ihrem Geiste diese Ideen des Verfalls: Verachtung der Güte, Geringschätzung der Tugend; ja, man sucht ein Ideal im Bösen … Oh, ich habe zu denen gehört, für welche die Kunst der einzig wahre Gott, das Genie der einzige Prophet war! Ich sah nichts jenseits eines Meisterwerkes, und an dem Tage, an dem mir die Gewißheit wurde, daß ich keines schaffen würde, erschien die Welt mir leer, das Leben nutzlos und unerträglich eitel. Eines Nachmittages, als ich des Daseins so müde war, daß ich die Pforte suchte, durch die ich es verlassen konnte, wandte ich mich mechanisch nach der Kirche Santa Maria del Carmine, in die ich so oft getreten war, um Masaccio zu verehren. Ich ging in die Kapelle Brancacci, und vor den Wundern von Lippi und Masolino weinte ich heiße Tränen der Ohnmacht. Es war die Stunde der Siesta, ich befand mich allein in der Kirche, ich setzte mich auf eine Stufe. Ob es die Hitze des Sommers war, oder die Erschöpfung meiner Seele: ich schlief ein. War es ein Traum, eine Vision? Löste mein Geist während des Schlafes die Frage meines Wachens? Ich fuhr plötzlich aus dem Schlummer auf: mein Geist war ganz erleuchtet.

– Und das Genie des Guten, dachte ich, ist das nicht auch Genie? Und die Akte der Tugend, sind das nicht Meisterwerke? Das Ideal in der Vollendung seines Herzens suchen, ist das nicht die höchste Kunst, die schönste, weil sie geheim bleibt und nicht gelobt wird? Nicht die süßeste für Gottes Auge, weil er allein sie sieht?

– Meine Seele, rief ich aus, wird die Freske sein, die ich mit Tugend bemalen werde, um den Beifall des Himmels zu erringen!

– Ich wurde Priester, und ich bin ein Künstler gewesen in der christlichen Vollendung, ein unbedeutender Künstler, aber ein begeisterter und gewissenhafter. Wenn ich sterbe, werde ich dem Herrn statt prächtiger Gemälde meine Seele zeigen, aus der ich ein Meisterwerk des Glaubens und der Barmherzigkeit machen will. Die Seele schön werden lassen, dieser Gedanke ist meine ganze Kraft gewesen: möge es auch Ihre Kraft sein!

Diese Sprache war reinigend für die Büßerin.

Oft kam sie zum Beichtstuhle zurück, um jedes Mal gebessert wieder heimzukehren. Dieser Greis hatte für sie die Vorliebe des guten Hirten für das verirrte Schaf, und der Künstler, der in ihm war, legte sein Genie hinein, um diesen nach dem Bösen neigenden Gedanken zum Guten zurückzuwenden.

Durch das Wort des Priesters kehrte die Ruhe wieder in die Sinne und die Reinheit wieder in den Geist der Prinzessin zurück. Eine prächtige Verwandlung begann, und mit der Sorgfalt eines Treibhauses der Frömmigkeit beschleunigte der Apostel das Aufblühen dieser unverhofften Blume, die Lilie der Reinheit in einer bösen Seele.

– Die Heilung dieses Herzens wird mein Meisterwerk sein, dachte dieser Künstler.

Aber Gott erlaubte ihm nicht einmal dies. Ein Schlaganfall warf ihn aufs Bett, von dem er sich nicht mehr erheben sollte.

Er ließ Leonora rufen.

– Mein Kind …, sagte er zu ihr, ich habe nicht mehr viel Stunden zu leben … Ich hätte Sie zu Gott zurückgeführt … Er ruft mich zu sich, ohne mir die Zeit dazu zu lassen … Ich sehe voraus, und das macht meinen Tod traurig, daß Sie viel Böses tun werden … Sie glauben, aber Ihr Glaube ist ohne Werke … Sie haben keine Barmherzigkeit, und die Barmherzigkeit ist alles … Unser Heiland hat sich weder das Genie noch die Herrschaft beigelegt; er macht allein auf die Barmherzigkeit Anspruch; damit hat er die Seelen gewonnen; damit gewinnt man den Himmel … Hören Sie mich an! Ich habe über alles wieder nachgedacht, was man vor mir Erhabenes gedacht hat, und ich sage Ihnen: wir sind nur in dieser Welt, um jene, in der ich bald sein werde, zu verdienen! Nun, eine Tugend fordere ich von Ihnen, und Ihr Stolz wird sie Ihnen leicht machen … Ihr Kopf wird leider genug sündigen: möge Ihr Körper wenigstens ohne Sünde sein.

Und der heilige Priester, Künstler bis ins Priesteramt und bis in den Todeskampf, durch seine Liebe zum Guten großartig geblendet, rief aus:

– Töten Sie das Fleisch, und Gott wird vielleicht dem Geist verzeihen. Der stolze Gedanke des Faust, der Gott das Geheimnis des Lebens rauben will, ist mehr wert als Don Juan, der dem Tiere verfällt. Das Ideal, das ist die Enthaltsamkeit, das ist die Keuschheit!

Durch diese Anstrengung erschöpft, segnete er die Prinzessin und entließ sie mit einer Gebärde des Abschieds – die heilige Wegzehrung wurde gebracht.


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