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VI.
Der Fürst Sigismond Malatesta

Eher Liebhaber, wie man ihn träumt, als Gatte, den man erträgt, den man betrügt, lebte in ihm etwas auf aus dieser Zeit, da die Alberti, Bankiers, schön waren wie die Götter Griechenlands; da der Industrielle Künstler war, der Künstler Dichter und der Räuber Bandit. Statt des adligen Bovary der modernen Romane glich Sigismond Malatesta dem bleichen Edelmann, den Raffael gemalt hat und der Cesare Borgia sein soll, soweit jedenfalls wie die häßliche Kleidung von heute erlaubt, an einen Patrizier in Barett und geschlitztem Sammetwams zu denken. Mager, ohne knochig zu sein, mit langer Nase, deren Flügel geschlossen waren, trug er auf seiner geraden Stirn die beunruhigende Bleichheit der Entartung. Wenn man ihn sah, fühlte man, daß er in keiner Lage lächerlich sein konnte, ebenso wenig wie ein Tiger.

Mit zwanzig Jahren überließ er sein Schloß Rimini den Eulen und Dornen und baute sich in der Straße Barbet de Jouy von Paris, nicht ein Haus, sondern einen Palast, nach einem ungedruckten Plan von Leone Battista Alberti Künstler, Schriftsteller, Baumeister, gest. 1472 zu Rom; baute in Rimini die Kirche des San Francesco, in Florenz die Fassaden des Palastes Ruccellai und der Kirche Santa Maria novella.. Er möblierte dieses Gebäude mit Kunstgegenständen seiner Ahnen und fand sich auf den siebenten Teil einer Million jährlich beschränkt. Er widmete sich diesem idiotischen Dasein, das man, ohne Zweifel ironisch, das höhere Leben nennt. Er war Mitglied des Klubs und Sportsman; er erniedrigte seinen großen Namen zu den Leistungen eines Jockey, zu den Taten eines Pferdehändlers; er gehörte zu diesen Gecken, deren Horizont von einem Sattel beschränkt wird, den man ihnen als Packsattel auflegen sollte. Er besaß Tänzerinnen, die ihn duzten; Bürgermädchen, die »mein Fürst« zu ihm sagten; große Damen, die sündigen wollten, ohne zu fallen. Er hatte Schulden, verdarb sich den Magen, wurde krank, bis er eines Tages ein bestimmtes Laster entdeckte, dem er sich ausschließlich überließ: die Schändung. Daher sein bleiches Schweigen während der Vorstellung; daher auch seine Bitte an Torelli.

Nachdem Leonora in den Palast zurückgekehrt war, aus dem sich Gaga gerettet hatte, sobald die Prinzessin ihr Kommen angekündigt, empfing sie die täglichen Besuche Malatestas, während Torelli seine Geliebte im Palazzino Viati am Lung'Arno unterbrachte. Da es unmöglich war, Leonora zu vergewaltigen, hatte sich Fürst Sigismond sofort entschlossen, sie zu heiraten.

Das junge Mädchen, so gelehrt, wie sie war, machte sich über ihn lustig. Jeder andere hätte verzichtet: er zeigte sich nie ungeduldig. Er liebte die Prinzessin nicht, ihn gelüstete weder nach ihrer Mitgift noch nach der vornehmen Verbindung: er begehrte sie einzig und allein, um sein Fleisch zu befriedigen. Leonora fühlte sich nicht abgestoßen; sie fand ihn sogar dem bleichen Edelmann sehr ähnlich, den sie an ihrem Fenster beschworen hatte. Nur die tierische Geschmeidigkeit, das Katzenartige des Fürsten beunruhigte sie: unter seinen Blicken, seinen Gebärden, seinen Worten aus Sammet ahnte sie furchtbare Krallen.

Schon in Poggio hatte sie nicht mehr den lebhaften Widerstand von Pratolino geleistet: jetzt richtete sich das Tier in ihr auf.

Solange er ihr den Hof machte, ein ganzes Jahr, wagte Malatesta nicht vor einer so durchdringenden Hellsicht eine gefühlvolle Komödie zu spielen, aber er ahnte die Aufregung Leonoras. Mit seiner nervösen Rede, verwirrend wie eine Berührung; mit absichtlichen Verschweigungen voller Schatten, der das Verlangen begierig und aufmerksam machte; mit Hintergedanken, die den Körper für das dem Geist vorgeschlagene Rätsel interessierten: zündete er in ihr diese verhängnisvolle Lampe der Psyche an, deren Strahlen die Illusionen und die Götter vergehen lassen. In einer Sprache von keuschen ausweichenden beherrschten Worten entwarf er bestimmte Gemälde, deren Betrachtung beschmutzt und befleckt. Mit der Poesie der Worte veredelte er die Wollust. Er fand Bilder, sinnlich, satt, saftig, rot wie die Töne von Rubens; Gestalten, verwirrend wie die der blauen Blätter des Prudhon; Gedanken, verführend wie die von Rops: auf das Leuchten der Jugend goß er das obszöne Oel der körperlichen Lust, die er in den Ruhm der Intensität hob.

Unter diesem sinnlichen Prickeln erlebte Leonora Stunden, da sie müde wurde und den Mut verlor. Warum gab sie sich soviel Mühe, ihr Fleisch zu zügeln? Wenn sie es befriedigte, würde ihr Geist von dieser schändlichen und lästigen Heimsuchung befreit werden!

– Muß ich Malatesta heiraten, fragte sie Sarkis.

– Die Unabhängigkeit, antwortete er, ist die große Sache des Lebens, und gesellschaftlich ist eine Frau, selbst eine Prinzessin, nur unabhängig, wenn sie Witwe oder verheiratet ist. Ein Gatte kann für sie nur ein Befreier sein und Malatesta kann seinen Namen rechtfertigen. Sehen Sie, ob Sie Ihr eigener Herr bleiben können, indem Sie der seinige werden.

– Ich bin die Tochter des Herkules, sagte sie, plötzlich entschlossen.

– Ich nehme Sie an, verkündete sie am nächsten Morgen dem Fürsten.

Als sie ihren Schleier befestigte, das weiße Leichentuch ihrer Jungfräulichkeit, die sterben sollte, rollten zwei große Tränen aus ihren Augen, die sonst nie weinten.

– Warum diese Tränen, wenn Sie zum Altar gehen? fragte Sarkis.

Heftig ergriff sie die Hände ihres Erziehers und blickte ihn fest an, durch die verwirrende Feuchtigkeit ihrer Wimpern.

– Ich kann es Ihnen ja sagen, da ich Ihre geistige Tochter bin: nicht zum Altar gehe ich; ich bin feige, ich gehe …

Sie sprach ein Wort, das Sarkis bleich machte.

Beim Läuten des Campanile von Giotto, von ihrem Vormund und den drei Lehrern geleitet, die sie als erste Zeugen hatte haben wollen, ohne Rücksicht auf die Menge der großen Namen, die folgten, trat sie in San Maria del Fiore. Eine traurige Falte kräuselte ihre Lippen, als sie vor dem Beichtstuhl vorbeikam, wo die Stimme eines Priesters ihr die übermenschliche Ode der lilienhaften Seele gesprochen hatte.

Infolge einer Phantasie, über die man erstaunte, der man aber gehorchte, kleidete sich jeder der Geladenen für den Ball in das Kostüm seiner Ahnen. Leonora trug eine Nachbildung des Hochzeitkleides der Lukrezia Borgia. Die Vergangenheit kam auf diesem Fest in den Palast Torelli: von der Ausstattung des fünfzehnten Jahrhunderts, die unversehrt geblieben war, bis zu den Dienern, die heraldische Livrée trugen.

Leonora, fast entkleidet, wartete ängstlich, aufs Bett gestützt. Als ihr Gatte eintrat, wehrte sie sich gegen die Scham, wie man sich gegen die Furcht wehrt. Den Geist gespannt, den Körper voll Angst, heftete sie ihren Gedanken auf das, was stattfinden und ihr alles enthüllen sollte von dem traurigen menschlichen Geheimnis, das sie noch nicht kannte.

Beim Anblick, bei der Berührung dieses Körpers, der den Traum seines Fleisches, die Chimäre seines Lasters verwirklichte, bemächtigte sich der Dämon der Schändung Malatestas. Er vergaß alles, Klugheit, Würde, Zukunft; wild nahm er von ihr Besitz, sie egoistisch und sadistisch vergewaltigend. Das Gemach des Palastes hörte, was das Volk den Schrei der Jungfrau nennt. Ein Nero in dem blinden Rausch, mit dem er sein Ideal umschlang, die Unwissenheit dieses jungfräulichen Körpers ausnutzend, ging er ohne Worte, ohne Liebkosungen bis ans Ende seiner Geilheit.

Erschöpft, ohne befriedigt zu sein, leer von Kraft und voll von Begierde, fiel er stumpf neben seine Frau, die, blutend und gelähmt, ohne zu schluchzen, die langsamen und großen Tränen der Betäubung weinte. Die Wollust, welche Sigismunds Wildheit furchtbar machte, hatte sie so überrascht, ihre Nerven waren davon so erschüttert worden, daß ihr Denken aufhörte. Sie duldete, bestürzt, und schlief ein, fast unbewußt, unter quälenden Träumen.

Der erste Strahl der Morgenröte öffnete ihr die Augenlider. Sie hatte ein Gefühl, als sei ihr Kopf leer, ihre Lenden verrenkt, ihre Gelenke zerbrochen, als sei sie ganz erschlagen. Dann kehrte die Erinnerung wieder, und mit ihr das Bild der Nacht. Auf einen Ellbogen sich aufrichtend, betrachtete sie ihren Gatten, der ruhig dalag und schlief, das Gesicht weiß vom Schlummer, die Lippen trocken und offen.

– Das ist der Mann! Das ist die Wollust! dachte sie. Daß sie den liebenden Schmeicheleien Biancas, den verehrenden Liebkosungen Bettys widerstanden hatte, darüber mußte sie jetzt ironisch lächeln.

Ein Fetzen von ihrem Nachtgewande lag auf dem Teppich; sie sah sich nackt; und auf ihrer Haut, die so gleichmäßig weiß war, hatten die Küsse des Fürsten rote Stellen hinterlassen. Diese Male des brutalen Genusses bewirkten in der Herzgrube einen Ekel, der ihr ins Gehirn stieg und ihren Gedanken erfüllte. Es schien ihr, daß ihre Haut sich schämte und daß diese roten Male die Verwirrung ihres beschmutzten Blutes war.

Sie sprang aus dem Bett, hüllte sich in ein Kleid und lief ins Badezimmer. Trotz der frühen Stunde mußte man ihr Laugenseife holen. Sie ließ sich von den Füßen bis zum Kopfe abreiben, und um sich zu desinfizieren, begoß sie sich mit starken Parfüms.

– Ich fühle das Tier, dachte sie.

Ihre feine Haut entzündete sich; nachdem sie zwei Stunden gebadet und ein schwarzes Kleid angezogen hatte, gab ihr ein heftiges Prickeln des Blutes die Empfindung, von Gewürm bedeckt zu sein und gefressen zu werden.

Heftig trat sie bei Sarkis ein.

– Ich sagte Ihnen, wohin ich ging: ich komme daher …

Blutenden Herzens schwieg der Erzieher.

– Mein Fall ist einzig … Ich verlangte von dieser Nacht nur, daß sie sinnlich sei … Meine Rache wird ebenso sein.

Beim Frühstück war der Fürst, der nachgedacht hatte, ängstlich; nicht weil er bereute, sondern weil er fürchtete, nicht wieder anfangen zu können. Er bemühte sich um ihre Gunst, über ihr schwarzes Kleid erstaunend.

– Das bedeutet, daß Sie um mich Trauer anlegen müssen, wie ich es um Sie tue …

Und in ihrer vornehmen Art:

– Mit uns ist es für immer aus.

Malatesta lächelte ungläubig, aber antwortete nicht.

Als der Nachtisch gebracht und die Vorhänge hinter den Dienern gefallen waren, begann er:

– Gnädige Frau …

– Hören Sie, unterbrach sie ihn; ich bin mehr als schön, ich bin verführerisch; ich bin gelehrt, so gelehrt, daß Sie nicht sprechen können, ohne von mir ausgelacht zu werden; und ich bin entarteter als Sie, weil ich das ganze Laster kenne, ohne es zu haben. Versuchen Sie also nicht zu kämpfen.

– Sie weigern mir also künftig die eheliche Pflicht? fragte heftig der Fürst.

– Die eheliche Pflicht? artikulierte Leonora, dem Wort eine schneidende Betonung gebend.

– Seien wir offen! begann sie mit ironischer Gutmütigkeit. Wir haben uns geheiratet, Sie aus Geilheit, und ich ebenfalls, ich gestehe es Ihnen. Wenn Sie mich befriedigt hätten, würde ich Ihnen nichts vorzuwerfen haben; aber Sie haben eine Sache schändlich verschleudert, die ich mir mit großen Kosten erhalten hatte … Oh, ich mache Ihnen keine Szene, ich weine nicht, ich schelte nicht: frühstücke ich nicht mit gutem Appetit?

Malatesta sah den Traum, sein Laster in seiner Frau zu haben, vergehen. Die Hintergedanken der Prinzessin, die durch die Dinge hindurch zu sehen schien, machten ihn stumm.

– Ach, begann Leonora wieder, wo ist die Zeit, da ich mir Shakespeare hersagte? Der Balkon verbarg mir das Schlafzimmer, der gestirnte Himmel den Betthimmel. Der Gesang der Nachtigall und das Knarren einer Matratze sind verschieden … Ja! Hinter dem Gedicht liegt ein Sumpf … Mein lieber Gatte, müßte ich vor Begierde verdorren, würde meine Enthaltsamkeit von mehr Versuchungen angegriffen, als die Legende dem heiligen Antonius zuschreibt: ich schwöre bei meinem Stolze, mich nie wieder zu einem Werke des Fleisches zu erniedrigen, selbst wenn die Liebe, dieses Unmögliche, eintreffen sollte …

– Oh, erwiderte der Fürst mit einem bösen Lächeln, ich habe meinen Durst auf den Lippen eines Engels gestillt …

– Eines Engels? Nein! Ein Engel würde sich unterwerfen, sich ergeben; ein Engel würde nicht verstehen …

Sie schwieg, eine Falte erschien auf ihrer Stirn, und sie betrachtete eine »Hochzeit« von Garofalo.

– Sie glauben also, sagte der Fürst, der in eine Scheibe Ananas stach, um sich Haltung zu geben, das wird geschehen können?

Und er stand heftig auf, die beiden Fäuste auf den Tisch stemmend.

Auch Leonora erhob sich: mit ihren langen gebogenen Fingern das Tischtuch zerknitternd, heftete sie ihre Meeresaugen auf die grauen Augen ihres Gatten.

Unbeweglich und fieberhaft, die Lippen geschlossen, die Nasenflügel zitternd, gegen einander geneigt, sahen sie einander an, als wollten sie sich erwürgen.

Der Kampf war furchtbar zwischen diesen beiden Willen, diesen beiden Fluiden: ein magnetischer Kampf, der den Besiegten dem Sieger auf Gnade und Ungnade auslieferte. Ein kalter Todesschweiß lief von ihren Gesichtern, deren Züge sich in einer großen Anstrengung der optischen Nerven verzerrten.

Zehn Minuten lang bannten sie sich, die Augen auf die Augen geschmiedet. Plötzlich wankte der Fürst und senkte seine Augen.

– Es sei! sagte er mit der furchtbaren weißen Wut der oberen Klassen, und tat so, als wolle er gehen.

Auf der Türschwelle drehte er sich um.

Leonora, noch in derselben Haltung, bannte ihn mit ihrem Blick: er ging hinaus. Sie brach in gellendes Lachen aus, dessen abgesetzte Triller den Fürsten auf seiner Flucht durch die Zimmer verfolgten.


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