Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.
Die Rache

Malatesta nahm den Schnellzug nach Paris.

Kaum war er dort angekommen, als er alle Agenturen der Schande in Bewegung setzte: man fand nichts für ihn, das ihn befriedigte. Seine dauernde Schlaflosigkeit wurde durch diese einzige Nacht heimgesucht, in der er seine Chimäre niedergestreckt hatte. Er gestand sich, daß er Leonora mit seinem ganzen Laster liebte und daß ihr bloßer Anblick noch jedem andern Besitz vorzuziehen sei.

Als er nach Verlauf eines Monats zurückkehrte, hatte sich die Prinzessin im Palast Riccardi eingerichtet, den sie gekauft und prachtvoll möblierte.

– Er macht mich allerdings frei, hatte Leonora zu Sarkis gesagt; aber meine Rache muß ich haben.

Sie empfing ihn, als komme er von einem Spaziergang zurück.

Am Abend pochte Malatesta an ihre Tür.

– Claudite jam rivos, sat prata biberunt Virgil: Schließet die Bäche sogleich, genug werden trinken die Wiesen., antwortete sie.

Mit einem Stoß der Schulter sprengte er den Riegel aus Kupfer.

– Ich wollte sehen, ob Sie Blaustrümpfe tragen, sagte er eintretend.

– Die Farbe meiner Strümpfe wird Ihnen immer unbekannt bleiben, schöner Herr.

In einen Sessel gesunken, im Nachtgewande, die Füße auf einem Stuhl, die Waden nackt, las Leonora Boethius Boethius, Trost der Philosophie, lateinisch um 520 im Gefängnis zu Pavia geschrieben.. Sie bedeckte ihre Beine nicht, schloß ihr Gewand nicht, tat, als sei sie allein.

So verbrachten sie eine lange Weile: Leonora ganz dem »Trost der Philosophie« hingegeben, er ganz seiner Begierde.

Endlich kam er näher.

Mit einer ruhigen Gebärde schlug die Prinzessin auf eine Glocke.

Ein Diener erschien.

– Leuchten Sie Seiner Hoheit. – Gute Nacht, Fürst!

Malatesta grüßte und ging.

Wie die, welche in der Mitte des Lebens angelangt sind, ohne ein Ziel gefunden zu haben, und sich von Scharfblick und Ueberlegung in die Sackgasse der Leidenschaft verlieren, so beharrte Malatesta auf seiner dauernden Begierde, trotzdem er wußte, daß Leonoras Weigerung endgiltig war.

Eigensinnig machte Malatesta sich zum Tantalus. Er litt unbeschreibliche Qualen; aber er hatte eine Begierde, die nie befriedigt wurde, die nie abstumpfte: sie wirkte auf seine Lebensgeister wie die Schläge, die sich gewisse Lüstlinge geben lassen.

Er liebte weder noch haßte er seine Frau: er begehrte sie. Seine verdorbene Phantasie ließ ihn unerhörte Wollüste in ihr sehen; er war nicht gesättigt worden und hoffte auf keine Sättigung.

Ein seltsames Paar: er, vom verhaßtesten Laster des Körpers geplagt, schloß sich in eine vergebliche Begierde ein; sie, ohne Tugend, verteidigte sich vor dem sinnlichen Leben durch den Stolz allein.

Sobald sich ein kameradschaftlicher Ton eingestellt hatte, bemühte sich Malatesta, ohne an einen Erfolg zu glauben, die Sinne seiner Frau zu reizen, wie er die seiner Verlobten gereizt hatte; und in dieser wollüstigen italienischen Sprache, die Sinnlichkeit am besten ausdrückt, improvisierte er Paraphrasen zu den »Wollüstigen Sonetten«.

Leonora erlaubte ihm, zu diesem zweiten Teil der Toilette zu kommen, wo die Frau nur noch hübsche Bewegungen zu machen hat.

Ja, er erreichte es sogar, ihren Bädern beizuwohnen. Das war ein Schauspiel der Rache, köstlich für die Prinzessin: mit tollen Blicken verschlang er ihren Körper, der unter dem durchsichtigen Wasser noch begehrenswerter wurde.

Durch diese beständige Erregung geriet Malatesta in einen Erethismus, der ihn in dauerndem Fieber hielt.

Während die ganze Versuchung des Fürsten von Leonora ausging, wurde sie nur durch die Visionen ihres Geistes versucht. Was aber eine Vergeltung war, gefiel ihr: die Schamlosigkeit wurde ihr Studium und ihre Magie. Bald beschränkte sich ihre Perversität nicht mehr darauf, ihren Gatten zu betören: sie nahm das Laster an, die Begierde bei all denen, die sie ihr ausdrückten, noch zu steigern.

Wenn Malatesta an die unwiderstehliche Verführung dachte, die seine Frau in Paris ausüben würde, empfand er ein teuflisches Vergnügen: verdammt wie er, würden auch andere in der Hölle der vergeblichen Begierde schmachten.

Als Bojo und Warke, die sich schon langweilten, weil sie ihre liebe Schülerin nicht mehr so häufig sahen, die Vorbereitungen zur Abreise bemerkten, wurden sie traurig. Leonora bot ihnen an, sie mitzunehmen; sie weigerten sich, da sie glaubten, künftig überflüssig zu sein, ja zu stören. Bojo zog es vor, in Florenz zu bleiben, Warke, nach Deutschland zurückzukehren. Leonora gab jedem hunderttausend Franken und umarmte sie.

– Ade, meine lieben Meister! Ich werde nie vergessen, daß ich meine besten Jahre mit Ihnen verlebt habe. Wenn Sie Gold, Hilfe brauchen, schreiben Sie! Schreiben Sie auch, damit ich weiß, daß Sie glücklich sind.

Die beiden Lehrer weinten, als ob ihnen ein Kind stürbe.

– Ah, sagte Leonora sehr erregt zu Sarkis, ich werde es nötig haben, Ihren Gedanken in meiner Nähe zu fühlen.

Das Haus Malatesta war ein italienischer Palast. Der Fürst hatte den Plan des Alberti gewissenhaft ausführen lassen, jenes Alberti, der die Kathedrale von Rimini erbaute, eines der ersten Gebäude, die zum neurömischen Stil zurückkehrten.

Zwei Pavillons, deren flache Dächer ein Geländer umgab, flankierten das Tor aus Bronze, das sich auf einen weiten Hof öffnete. Ein Ganymed von Sansovino goß beständig Wasser aus seiner Gießkanne in ein Becken aus schwarzem Marmor.

Die korinthische Säulenhalle bildete den hohlgewölbten Portikus eines heidnischen Tempels. Auf der Ringmauer, zwischen den eingefügten Pfeilern, hatte Cros, der Hersteller der antiken Malerei, die Musen, die Grazien, die Erinnyen unzerstörbar in Wachs und Feuer gemalt.

Die zwölf Füllungen teilend, gab eine große Oeffnung ohne Tür zum Vestibül Zutritt, das mit Mosaiken in pompejanischer Art geschmückt war. In etruskischen Vasen wuchsen seltene Pflanzen. Im Mittelpunkt befand sich ein Impluvium Impluvium, Öffnung für das Regenwasser (pluvia, Regen) im Hofe des römischen Hauses., wo eine florentinische Leda sich dem Schwan hingab.

Drei Türen öffneten sich auf den großen Saal, der die ganze Länge des Gebäudes einnahm. Dorische Säulen stützten die schmale Galerie mit Scheintüren; an der Decke ließ ein ungeheurer Tintoretto Psyche triumphieren; zehn Bogenfenster blickten auf den Garten.

Im ersten Stock lag der Speisesaal zwischen zwei Salons; im zweiten die Bibliothek, deren Hälfte die Prinzessin zum Atelier nahm. Die Privatgemächer bildeten zwei vorspringende Flügel, von denen jeder Gatte einen nahm. Sarkis bezog einen Pavillon des Eingangs. Im Hintergrunde sonderte eine Bogenmauer den Garten des Hausgesindes ab, das seinen Eingang in der Rue de Babylone hatte.

Mit der Galerie von Ferrara und dem, was Torelli gab – schon verdorben, legte er auf Kunstwerke keinen Wert mehr – wurde der Palast einer Prinzessin würdig.

Leonora ließ über dem Tore zwei Chimären in Stein aushauen, welche diese prächtigen Wappen trugen: Im 1. und 4. Felde das Kaisertum, im 2. und 3. Frankreich; die Einfassung gezahnt in Gold und Rot: das Wappen von Ferrara. Diese vier Felder waren von oben nach unten durch den Pfahl eines Bannerträgers der Kirche geteilt; und über dem Ganzen ein kleiner azurblauer Schild mit gekröntem silbernem Adler, dessen Schnabel und Glieder vergoldet: das Wappen der Este.

Der alte Adel von Paris öffnete seine Türen einem solchen Wappen weit. Selbst das Elysée regte sich darüber auf und der Marschall-Präsident sandte eine Einladung; aber sie wurde ihm zurückgesandt mit diesen Worten, die mit Bleistift quer über die Karte geschrieben waren: »Die Prinzessin Malatesta, geborene Este, geht nicht zu einem General der Prätorianer.« Dieser Adelstolz wurde mit großem Beifall aufgenommen.

Kaum war Leonora angekommen, als sich tausend weibliche Eifersüchteleien gegen sie erhoben, die sie nicht zu sehen geruhte, während die Männer, sofort verführt, ihr den Hof machten und ein Gefolge bildeten. Hinter ihrem Sessel stehend, vor ihrem Wagen das Pferd wendend, folgte ihr der Schwarm der Modegecken wie einer Fahne und bekam in den ersten Tagen diese schmeichelhaften Worte zu hören: »Sind alle ebenso langweilig wie Sie?«

Da sie in Wesen, Wort, Gedanken sich frei gab, hielt man sie für eine Ausschweifende, die manchen glücklich machen würde. Aber man kam bald von diesem übereilten Urteil ab. Indem sie lächelte wie Mona Lisa, die Augenlider senkte wie Kolumbine, schnitt sie eine Erklärung ab, ohne zu sprechen; und ihre Art, die Achseln zu zucken, verwirrte die schlimmsten Wüstlinge.

Da sie aus Florenz kam, wo die Liebe ernst genommen wird, wo der Ehebruch gewöhnlich eine Bedeutung hat, während man das Alberne, das Lächerliche nicht kennt, fand sie das pariser Umherflattern possenhaft. Die Blumensträuße ließ sie den Pferden in die Streu werfen; die Liebesbriefe ließ sie unbarmherzig zirkulieren, so daß die Unterschrift zum allgemeinen Gespött wurde. Die Junker, die sich sehr um sie bemühten, nannte sie: Mei facchini, mei fantocci Facchino, ital. Dienstmann; fantoccio, Hampelmann, Puppe.. Nach einem Jahre sandte man am Neujahrstage an seine Freunde Karten, auf denen unter dem Namen wie ein Titel stand: Facchino della principessa Malatesta, nata d'Este.

Malatestas Eigenliebe feierte Triumphe. Was man ganz Paris nennt, beneidete ihn.

– Ich glaube, daß sie nicht einmal ihrem Gatten angehört, sagte Herr von Courtenay, so sündlos erschien die Prinzessin.

Wenn Malatesta sah, wie das physische Verlangen entbrannte, sobald seine Frau vorüberging, empfand er eine teuflische Genugtuung. Er trieb sie auf den Weg jener vornehmen Schamlosigkeit, die den Stil erreicht hatte. Er litt nicht mehr allein: täglich belauschte er Brocken von vertraulichen Mitteilungen, Fetzen von Gesprächen, in denen Männer eine Qual gestanden, die der seinen gleich war und vom selben Weibe erzeugt wurde.

Nichts verriet, wie seltsam die beiden Malatesta lebten; niemals sah das Publikum einen Blick, noch hörte es ein Wort, das nicht in den Bereich einer fürstlichen Ehe gehörte.

Drei Jahre lang tröstete sich Sigismond über sein Unglück, indem er das der Andern sah. Die Empfänge des Palastes Malatesta wurden berühmt. Die schamlose Reportage, die heute ihre schimpflichen Vorrechte erobert hat, begann schon das Bett der anständigen Frauen zu beschreiben. Ein Reporter des »Indiskreten« gab sich für einen reisenden Künstler aus, und ein Diener ließ ihn alles sehen. Drei Tage später erschien ein Artikel »Palast Malatesta«, in dem das kreisrunde Boudoir der Prinzessin beschrieben war.

Malatesta ohrfeigte den Reporter; war dann aber so töricht, ihm ein Duell zu bewilligen, in dem er durch eine Kugel in den Kopf schnell getötet wurde.

Die Prinzessin war auf einem Ball für junge Mädchen bei der Herzogin von Noirmoutier, als Sarkis kam, um ihr den Tod ihres Gatten zu melden. Sobald Leonora erfahren hatte, warum er sich geschlagen, zog sie ruhig den Grafen Rochenard in eine Fensternische:

– Wollen Sie für mich töten?

– Ein Mord? Nein!

– Ein Duell!

– Ja, wenn ich als Häscher für meinen Degenstoß bezahlt werde.

– Sie sollen es werden.

Eine Woche nach dem Begräbnis Sigismonds wurde der Reporter an der belgischen Grenze kunstgerecht aufgespießt.

Triumphierend kehrte Rochenard zurück und wollte ihre Hand ergreifen.

Sie maß ihn mit den Augen.

– Spielen wir »die Kastanien aus dem Feuer holen«, fragte er; bin ich der Abt und Sie die Camargo Die Tänzerin Camargo (1710-1770) war die Nichte eines spanischen Inquisitors, der Juden und Hexen verbrannte.?

– Mein lieber Graf, nur die Dirnen bezahlen ihre Schulden mit ihrem Körper; ich werde Sie zum Sekretär der Botschaft in Rom ernennen lassen.


 << zurück weiter >>